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Predigt zur Einführung des Staatspräsidenten der Republik Lettland

Freitag 20. Juli 2007 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

Predigt anläßlich der Einführung des Staatspräsidenten der Republik Lettland Valdis Zatlers am 8. Juli 2007 im Dom zu Riga

„Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als daß sie für treu befunden werden. Mir aber ist’s ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr aber ist’s, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ (1. Kor. 4,1-5)

An dieser Stelle der Heiligen Schrift wird ein sehr ausdrucksvolles Wort gebraucht – „Haushalter“. Es ist aus zwei Worten zusammengesetzt: aus „Haus“ und „halten“. Das Wort „Haus“ bedeutet in der Bibel nicht nur ein Gebäude. Es kann auch die Angehörigen deiner Familie, deines Gesindes bezeichnen, die dort wohnen. Und schließlich bezeichnet das Wort „Haus“ auch dein Geschlecht, deine Nation und dein Volk. Der andere Teil dieses Wortes „halten“ hat auch eine vielfache Bedeutung. Einerseits, wenn du etwas hältst, dann ist dir darüber Macht gegeben worden. Du bist der Herr, der Bestimmende. Doch dieser Teil des Wortes hat auch eine völlig andere Bedeutung, etwa die, wie sie im Ersten Gebot ausgedrückt wird: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine andere Götter haben neben mir.“ (Bemerkung des Übersetzers: Das Erste Gebot heißt, wörtlich übersetzt, im Lettischen „du sollst dir keine anderen Götter halten vor mir.“ In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand in Lettland die Bewegung der Neuheiden die sich „Dievturi/Gotthalter“ nannten. Auf diese Bewegung spielt der Erzbischof auch an). Dieses Wort „halten“ nennt hier die Beziehung oder den Zustand, in dem sich der Mensch gegenüber Gott befindet. Luther gebraucht in seiner Erklärung dafür die Worte fürchten, lieben und vertrauen.

Beachten wir doch, von was für einem eigenartigen Amtsträger der Apostel spricht – vom Haushalter. Von jemandem, dem Macht gegeben ist, der über das „Haus“ zu bestimmen hat – über Familien, Geschlechter und über das Volk, es aber gleichzeitig lieben, ehren und – so könnte man sogar sagen – „vergöttern“, ihm dienen und zuhören soll. Und ganz sicher können wir dem beipflichten, daß die Bibel alles wiederum am besten ausdrückt. Wie also sollte ein Amtsträger sein, dem Macht anvertraut ist, wie wünschen wir uns einen Haushalter, der beschließt und entscheidet, und dabei sein Haus liebt und ehrt, das ihm anvertraut ist und dem er dienen soll.

Was sagt der Apostel über den Haushalter? Das erste was er sagt, ist etwas sehr Kühnes. Er sagt: „Dafür halte uns jedermann“. Das ist die Realität des Lebens eines Haushalters. Man blickt auf ihn. Ihm bleibt nicht viel, von dem er sagen könnte: „Was geht euch das an? Das ist meine Privatangelegenheit!“ Und daran kann man nichts ändern. Selbst wenn der Haushalter es nicht wollte, und selbst, wenn er das Recht hätte, nicht zu wollen, ganz gleich, man blickt auf ihn. Paulus versucht nicht, dem auszuweichen oder sich zu verstecken. Er entscheidet sich für einen aktiven und kühnen Standpunkt. „Dafür halte uns jedermann!“ sagt er. Sollen doch alle auf uns blicken!

Das ist wirklich kühn. Wie viele Haushalter dieser Art haben wir, die damit einverstanden sind, alles auf den Tisch zu legen und zu sagen: „Bitte, schaut euch das an!“ Dafür halte uns jedermann! Doch betrifft das nicht nur die Haushalter. Auch unter uns einfachen Menschen – wie viele gibt es unter ihnen, die es wagen, so offen in das eigene Leben Einblick zu geben und zu sagen: „Dafür halte uns jedermann!“ Ich denke, daß eine dieser erregenden Verheißungen Christi, diese ist: „Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.“ Das läßt uns wirklich zusammenfahren. Wie viele Haushalter können wir finden, die dazu bereit wären? Ich hoffe, daß es viele sind. Ich hoffe sogar, daß es die Mehrheit aller Haushalter ist. Denn aus den Worten des Apostels geht hervor, daß das Haus gerade solche Haushalter braucht, die bereit sind, zu sagen: „Dafür halte uns jedermann!“

Eigentlich ist dieses Wort nicht nur erregend und beängstigend, sondern auch beruhigend und befreiend. Im Wort Gottes wird ein Prinzip deutlich gemacht: „Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, es hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben.“ Solange wir etwas in der Finsternis des Verborgenen zu behalten versuchen, so lange hat es auch Macht über uns. Es kann uns ängstigen und damit unterwerfen. Doch wenn es an das Licht kommt, dann wird es vom Licht erleuchtet und wird licht. Es kann uns nicht mehr innerlich hemmen, und der Geist wird frei. Gerade deshalb ist im christlichen Glauben die Beichtpraxis so wichtig. Das, was mich im Verborgenen quält, stelle ich in das Licht Christi und erhalte Freiheit und Frieden. Der Apostel weiß es und macht sich deshalb auch selbst auf den Weg und sagt: „Dafür halte uns jedermann! Dafür halten uns die Menschen, und dafür halte uns auch Gott!“

Wie kann er das tun? Das ist doch so beängstigend und erfordert so viel Mut und Kraft! Doch den Worten des Paulus können wir entnehmen, daß er ein reines Gewissen hat: „Ich bin mir zwar nichts bewußt“ sagt er. Er weiß, daß das noch nicht alles ist, und daß ihn auch noch andere richten werden, und am Ende auch Gott, doch er selbst ist sich keiner Bosheit bewußt. Und das ist sehr viel. Das läßt ihn mutig sein. Vielleicht werden Menschen, wenn sie ihn richten wollen, bei ihm einige Fehler oder Mißerfolge oder Versäumnisse entdecken, aber sie werden nichts entdecken, wobei der Apostel gegen seinen Glauben oder Gewissen gehandelt , und dabei Ehre oder Profit angestrebt hätte. Sei es, wie es ist, aber das wird man ihm nicht vorhalten können, und das macht einen Haushalter mutig und frei.

„Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als daß sie für treu befunden werden“ schreibt Paulus. Das ist kein so einfaches Prinzip, wie es zu Beginn erscheinen mag. Treu – Ja, aber wem gegenüber? Von einem Haushalter erwarten und fordern viele Treue, eigentlich möchte jeder von uns den Haushalter treu gegenüber unseren Ideen, unseren Interessen sehen, aber alle diese vielen „Wir“ sind so verschieden, und oft sind unsere Erwartungen so gegensätzlich, daß sie einander ausschließen. Wem gegenüber besteht bei dem Haushalter die Treuepflicht? Denen gegenüber, die ihm die Nächsten sind? Denen gegenüber, die ihm geholfen und ihn unterstützt haben? Denen gegenüber, die ihm den Hausschlüssel anvertraut haben? Oder vielleicht denen gegenüber, die es verstehen, ihre Forderungen am lautesten und am meisten überzeugend vorzubringen? Oder denen gegenüber, vor denen man sich am meisten vorsehen sollte? Treue – Ja, aber wem gegenüber? Das ist die Gleichung des Haushalters, die oft so einfach erscheint, doch in der Praxis oft so schwer zu lösen ist. Von der Lösung, zu welcher der Haushalter kommt, wird das Urteil abhängen, das am Ende die Menschen, Gott und die Geschichte fällen werden.

Paulus löst diese Gleichung dadurch auf, daß er zwei benennt, denen gegenüber er treu sein möchte und deren Urteil er sich unterwirft. Die ersten sind die Menschen, die auch begreifen sollten, daß er über das Haus im Ganzen spricht. Nicht nur seine Brüder aus dem eigenen Volk, nicht nur die Bürger Roms oder umgekehrt, die Nichtbürger Roms, nicht nur die Mächtigen und Reichen, die Einwohner der Hauptstadt oder die Landbevölkerung, sondern das ganze Haus, zu dem er gesandt ist. Dem möchte er treu sein. Er redet zu den Königen und Gesetzgebern und sagt ihnen die Wahrheit, er diskutiert mit Philosophen und Wissenschaftlern, er erkennt aber auch, daß ihre Prioritäten solche sind, für die sich niemand sonderlich interessiert, der nicht die Möglichkeit hat, für sich selbst zu sorgen – der Sklave, der Waise, die Witwe, der Kranke, der Arme, der Ausgestoßene. „Ihr Herren!“ sagt er, „Vergeßt nicht, daß es über euch einen Herrn gibt – Gott, und daß die Engel dieser Allerkleinsten und Allergeringsten ständig das Angesicht Gottes schauen.“ Paulus möchte als Haushalter seinem ganzen Hause gegenüber treu befunden werden. Nicht nur gegenüber einer Etage oder einer Wohnung, sondern dem ganzen Hause. Doch er ist kein Populist. Zu den Menschen sagt er: „Mir aber ist’s ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. Der Herr ist’s aber, der mich richtet.“ Das ist für Paulus ein wichtiges Prinzip. Er redet oder tut nicht das, was dem Volk gefällt, sondern das, was Gott will. Er vertritt nicht das, was ihm gerade nützlich erscheint, sondern das, was heilig ist. Er nennt sich Haushalter der Geheimnisse Christi. Wenn er vom Reich redet, dann legt er dem die Prinzipien Christi zu Grunde. Wenn er einen Rat erteilt, wie man eine Familie bildet, dann gibt er den Menschen das weiter, was er selbst vom Herrn Christus empfangen hat. Das war bei weitem nicht die herrschende Meinung in der Gesellschaft, ganz im Gegenteil – die Botschaft des Apostels Paulus widersprach oft den herrschenden Ansichten und Gepflogenheiten der Gesellschaft. Das führte ihn oft in unangenehme Situationen und in Gefahr. Doch er sah und begriff, was die Menschen für ein friedliches, gesundes und ehrliches Leben brauchen.

Deshalb bemühte sich Paulus am meisten darum, daß die Menschen erfuhren, wie sehr sie Gott liebt. So sehr, daß er seinen eingeborenen Sohn sandte, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben ererben. Dem Menschen kann es an vielem fehlen, doch darf es ihm nicht an der Freude und an dem Frieden mangeln, welche die frohe Botschaft von Christus bringt. Am geeigneten und ungeeigneten Ort, zur Zeit und zur Unzeit – so wichtig war es für Paulus, Zeugnis von Christus zu geben, so deutlich war für ihn die Priorität des Geistes gegenüber den Dingen des Leibes, daß er dafür sogar sein Leben hingab. „Lebt im Geist, so werdet ihr die Begierden des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch begehrt auf gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; die sind gegeneinander, so daß ihr nicht tut, was ihr wollt. Wenn wir im Geist leben, so laßt uns auch im Geist wandeln,“ schreibt er in seinem Brief an die Galater.

Doch Paulus spricht nicht nur die Haushalter an, sondern auch das ganze Haus, das ganze Volk. „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch an das Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist. Und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.“ Richtet nicht vor der Zeit, sondern betet für eure Haushalter und helft ihnen, so gut ihr es könnt, bei allen seinen guten Bestrebungen – etwa so könnten wir die Ermahnungen des Apostels Paulus an das Haus oder an das Volk zusammenfassen. Seid immer gute Bürger, und seid auch dazu bereit, alles, was ihr von euren Leitern fordert, auch von euch selbst zu fordern.

So war der Apostel Paulus – der große Haushalter der Geheimnisse Christi. Er war der unablässige, leidenschaftliche, mutige, oft auch emotionale und verletzende Apostel, dessen Treue so groß war, daß er dafür sogar seinen Kopf verlor – in des Wortes buchstäblichem Sinn, also enthauptet wurde. Nun, 2000 Jahre danach, wird in der ganzen Welt seiner gedacht, denn seine Werke haben auf die Entwicklung der Kultur und Zivilisation der ganzen Welt einen kaum zu fassenden Einfluß gehabt. Und er sagt: „Jaget mit mir Christus entgegen.“ Folget meinem Beispiel wie ich dem Beispiel Christi folge.

An diesem Tage gedenken wir in Dankbarkeit der Zeit der Haushalterschaft der Staatspräsidenten Guntis Ulmanis und Vaira Vīķe-Freiberga, die ebenso hier im Dom zu Riga mit dem Gebet um den Segen Gottes begonnen hatte. Wir wünschen ihnen weiterhin Gottes Segen, eine gute Gesundheit und noch lange arbeitsreiche und packende Jahre. Und heute begrüßen wir unseren neuen Staatspräsidenten Valdis Zatlers. Wir wünschen unserem Präsidenten heute, ebenso wie Paulus, das Vermögen, die oft schwierigen Gleichungen der Haushalterschaft zu lösen, und dennoch auch den Mut, dem Volk, Gott und dem eigenen Gewissen treu zu bleiben, und dabei stets die Priorität des Geistes gegenüber dem Materiellen, die Priorität des Heiligen vor dem Berechenbaren im Blick zu behalten.

Heute wird viel über die Ehrlichkeit in der Politik geredet. Doch oft versteht man darunter eigenartiger Weise nur, daß Politiker nicht stehlen oder lügen, oder ihre Dienststellung in böser Absicht ausnutzen dürfen. Aber eigentlich dürfte man das gar nicht als Ehrlichkeit, sondern eher als Normalität bezeichnen. Das müßte eine völlig normale Sache sein, über die man gar nicht zu diskutieren brauchte. Ehrliche Politik ist viel mehr.

Denn, solange es in Lettland so ist, daß die einen so viel haben, daß sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, und anderen das allereinfachste zum Leben, sogar ein Dach über ihrem Kopf, fehlt, solange die einen in der ganzen Welt im eigenen Flugzeug und in eigenen Yachten herumreisen, und den anderen das Geld für eine Fahrkarte für die Straßenbahn fehlt,

solange die einen andere Länder bereisen, um dort Ski zu laufen oder in fernen Meeren zu tauchen, aber andere als Wirtschaftsflüchtlinge in anderen Ländern eine Arbeit suchen,

solange die Kinder der einen die besten Schulen im Ausland besuchen, während andere sich mit der TB und mit AIDS herumquälen und Analphabeten bleiben, und das in der EU des 21. Jahrhunderts, solange ein Arbeiter in einer Stunde weniger verdient als sein Boss für eine Stunde Parken seines Autos neben der Arbeitsstelle bezahlt, können wir nicht von einer ehrlichen Politik sprechen. Leider ist das kein Roman aus der Vergangenheit, sondern das ist die Realität des täglichen Lebens in unserem Lande.

Gerade deshalb sind die Worte des Apostels Paulus so wichtig „Dafür halte uns jedermann: für Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Heute blickt das ganze Volk auf Sie, sehr geehrter Herr Präsident. Von den Haushaltern fordert man nicht mehr, als daß sie treu befunden werden. Treu dem Volk, treu Gott, treu der Gerechtigkeit und dem Gewissen. Es ist noch viel zu vollbringen, ehe wir über Ehrlichkeit und Gerechtigkeit in unserem Leben reden können, und um das zu erreichen, brauchen wir ehrliche, gerechte und mutige Haushalter. Trotz allem, was bis heute geredet und gefragt worden ist, das Volk hofft auf Sie, hofft, daß es Ihnen gelingen möge, und wünscht Ihnen die Leidenschaft, den Unternehmensgeist, den Mut des Apostels Paulus und Gottes Geleit.

Aber wir, meine von Christus geliebten Landsleute, laßt uns den Rat des Apostels Paulus beachten, und nicht vor der Zeit richten und versuchen, uns immer mehr in ihn zu vertiefen und einander zu verstehen und zu helfen, und jede ehrliche Leistung und Arbeit zu segnen.

Gott segne Lettland und uns alle.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 20. Juli 2007 um 12:35 und abgelegt unter Predigten / Andachten.