Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Gemeinde Jesu als Gnadenraum!?

Samstag 21. September 2024 von Henrik Mohn


Henrik Mohn

Viele Christen erinnern sich noch an den erschütternden Auftakt der Olympischen Spiele 2024, bei dem christliche Symbole von der LGBTQIA+-Community in einem neuen Kontext verwendet wurden. Ein Blick auf die gegenwärtige gesellschaftliche Landschaft offenbart, dass Werte und Normen einem tiefgreifenden Wandel unterliegen. Für Christen stellt sich nun die Herausforderung, wie man auf diese Entwicklungen reagiert und im Licht des christlichen Glaubens mit Betroffenen agiert. In diesem Artikel wird erörtert, wie die Gemeinde Jesu zu einem Ort der Gnade für die Menschen werden kann, die von den aktuellen Weltanschauungen betroffen sind.

Zunächst sollten wir uns erneut bewusst machen, dass eine der wesentlichen Berufungen der Gemeinde Jesu darin besteht, ein Ort der Barmherzigkeit, des Mitgefühls und des Miteinanders für Sünder zu sein, die durch den Glauben an Jesus Christus vereint sind und ihm nachfolgen möchten.[i] Deswegen betont Paul Bruderer, dass Kirchen Räume der Gnade seien. Doch wie kann diese Gnade in der Gemeinde gelebt werden, wenn neue Herausforderungen die Fundamente des biblisch begründeten Glaubens ins Wanken bringen? Wie kann die Gemeinde Jesu ein Ort der Gnade sein, wenn Menschen mit unterschiedlichen Lebensweisen, wie Polygamie, ausgelebter Homosexualität oder unverheiratetes Zusammenleben, den Weg in die Kirche finden – möglicherweise sogar mit Kindern?

Menschen in den beschriebenen Lebenssituationen zeigen oft ein Interesse am christlichen Glauben, aber möglicherweise haben sie noch keinen Umdenkungsprozess gemäß biblischer Normen durchlaufen. Es kann sein, dass Gottes Werte entweder bewusst abgelehnt werden oder ihnen einfach unbekannt sind. Daher ist es wichtig, solche Lebensentwürfe nicht pauschal zu beurteilen. Vielmehr stellt sich die Frage, wie die Ortsgemeinde das Miteinander gestalten kann, um die Gemeinde Jesu tatsächlich zu einem Raum der Gnade zu machen. Ein hilfreicher Ansatz, der die Ortsgemeinden für die zukünftigen Fragestellungen zurüstet, ist der „3AB Weg“, den Paul Bruderer anhand von Gottes Wort und seiner missionarischen Erfahrung entworfen hat.

Korinth – ein Prototyp des Gnadenraumes

Ein Blick in den 1. Korintherbrief zeigt uns, wie die Gemeinde in Korinth als ein Raum der Gnade gestaltet werden kann, insbesondere wenn es um sexualethische Fragen geht. In Kapitel 6, Verse 12-20, begegnen wir Männern, die Christen sind, aber dennoch sexuelle Beziehungen zu Prostituierten pflegen. Anstatt, wie im Inzestfall in 1. Korinther 5, sofort aus der Gemeinde ausgeschlossen zu werden, erfahren sie Annahme, obwohl Paulus betont: „Wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Teil des Leibes Christi ist? Soll ich also die Glieder Christi nehmen und sie mit einer Prostituierten vereinigen? Niemals!“ (1. Kor. 6,15; NGÜ).

Diese Gruppe von Menschen ist für unsere aktuelle Thematik besonders relevant, weil sie zwar zum Glauben an Jesus Christus gekommen, aber in ihrem Verständnis von Sexualität noch unverändert geblieben sind. Eine nähere Betrachtung des Textes offenbart, dass sie sich sogar in einer Verteidigungshaltung befinden und ihre Lebensweise mit „frommen Argumenten“ rechtfertigen.[ii]

In seiner Antwort stellt der Apostel Paulus Sexualität in den umfassenden Rahmen der gesamten Schöpfung. „Der Kosmos mit seinem Schöpfer und Erlöser – und nicht die Gesellschaft – ist nach Paulus der richtige Bezugsrahmen für das christliche Verständnis von Sexualität.“ (Paul Bruderer). Diesen Grundsatz sollten sich Christen, die das Wort Gottes als Maßstab für ihren Glauben ernst nehmen, immer wieder ins Bewusstsein rufen, auch wenn sich die Gesellschaft um sie herum ständig verändert! Paulus macht den Männern klar, dass sie lernen müssen, auf eine christliche Weise über ihren Körper nachzudenken: Ihr Körper besitzt eine große Würde aufgrund seines Ewigkeitswertes (vgl. 1Kor 6,19). Für Paulus als Theologen und Hirten wäre es schlichtweg unbarmherzig, ihnen dieses Wissen über die Würde ihres Körpers vorzuenthalten.

Anhand dieser biblischen Begebenheit zeigt sich, dass in Korinth Sexualität und Körperlichkeit nicht abgewertet, sondern beides vielmehr aufgewertet wurde. Der Körper hat gemäß der orthodoxen Lehre Ewigkeitswert und ist heilig fĂĽr Gott. So betont der Theologe N. T. Wright in Surprised by Hope: Rethinking Heaven, the Resurrection, and the Mission of the Church, dass das christliche Glaubensbekenntnis die ‚Auferstehung des Fleisches‘ bekennt und der Körper also kein bloĂźes Gefäß oder Instrument ist, sondern Ewigkeitswert hat und heilig ist, weil er in der Auferstehung erneuert und geheiligt wird.[iii] Es zeigt sich, dass biblische Lehre dazu fĂĽhrt, das Leben im Hier und Jetzt gelingen kann. Der Theologe und GrĂĽnder der christlichen Gemeinschaft L’Abri, Francis Schaeffer, ergänzt die Lehre um den wichtigen Aspekt der Gemeinschaft, wenn er schreibt: „Ich bin ĂĽberzeugt, dass die Menschen im zwanzigsten Jahrhundert nicht zuhören werden, wenn wir zwar die richtige Lehre und richtige Kirchenordnung haben, aber keine Gemeinschaft zeigen.“[iv] Bruderer hebt hervor, dass eine solche doppelte Orthodoxie – sowohl in der Lehre als auch in der Gemeinschaft – entscheidend dafĂĽr ist, dass die Gemeinde Jesu zu einem Raum der Gnade wird.[v] Doch wie kann ein solcher Raum konkret gestaltet werden, und welche Rolle spielt dabei der 3AB-Weg?

Der 3AB-Weg in der Ăśbersicht

In unserer heutigen Kultur sehen wir uns als Christen und Kirchen zunehmend mit Beziehungsmodellen konfrontiert, die teilweise im Widerspruch zur in der Bibel offenbarten Würde des Menschen stehen. Einige dieser Modelle können mittlerweile als legale Ehen formalisiert werden, während andere möglicherweise noch in den rechtlichen Prozess eintreten werden. Immer stärker kommen Gemeinde mit sexualethischen Praktiken in Kontakt, die für viele eine Herausforderung sind und sie insgesamt überfordern.

So war es möglicherweise auch ein Schock für Paulus zu entdecken, dass einige Männer in der Gemeinde sexuelle Beziehungen zu Prostituierten pflegten. Man kann sich gut vorstellen, wie solche Verhaltensweisen die Frauen in der Gemeinde beeinflusst haben könnten, insbesondere im Licht der Aufforderung aus dem Epheserbrief, „liebt eure Frauen“. Es wäre nachvollziehbar gewesen, wenn Paulus als Apostel klare Maßnahmen und Gemeindezucht gefordert hätte.

Dankenswerterweise bietet uns die Gemeinde in Korinth ein wertvolles Modell, wie der Raum der Gnade gestaltet werden kann. Anstatt sofortige Ausschlüsse auszusprechen, gewährte Paulus den betreffenden Männern eine „korinthische Zeit“, in der sie sich mit der biblischen Lehre auseinandersetzen und ihr Leben neu ausrichten konnten. Der nachfolgend skizzierte 3AB-Weg zeigt systematisiert konkrete Handlungsschritte auf, wie bibelgebundene Christen ihre Ortsgemeinden zu Räumen der Gnade gestalten, damit Menschen, die in der Sexualität ganz andere Lebensentwürfe wählen, als die Bibel für gut befindet, die Gnade Jesu kennenlernen können. Systematisierungen haben zwar ihre Grenzen, doch dieses Modell bietet einen vielversprechenden Ansatz, um gemeinsam mit Menschen, die den Herrn Jesus kennenlernen möchten, einen Weg zu finden.

Der 3AB Weg Was die Gemeinde
Jesu beiträgt
Was die Menschen beitragen,
wenn sie ankommen
Schritt 1 Annehmen
(lieben)
Besuchen
(Interesse zeigen)
Schritt 2 Ansprechen
(lehren)
Beschäftigen
(Gehörtes bedenken)
Schritt 3 Anleiten
(vorleben)
Bewähren
(Jesus nachfolgen)

Die systematische Darstellung verdeutlicht drei wesentliche Aktivitäten, die sowohl von der Gemeinde Jesu als auch von den Menschen selbst eingebracht werden müssen, um die Ortsgemeinde zu einem Raum der Gnade zu entwickeln. Hier können Mühselige und Beladene Heilung finden, aufblühen, sich bewähren und in ihren Dienst hineinwachsen.

Gemeinde Jeus als Gnadenraum

Es wird deutlich, dass beide Seiten aufeinander zugehen müssen. Die Ortsgemeinde ist gefordert, Menschen in der Liebe Jesu anzunehmen, sie auf angemessene Weise mit der biblischen Lehre vertraut zu machen und sie in der Nachfolge Jesu zu begleiten. Doch wenn die Menschen nicht aktiv ihren Beitrag leisten, kann die Gemeinde zwar alle notwendigen Schritte unternehmen, aber dennoch bleibt die erhoffte Frucht möglicherweise aus.

Interessierte müssen durch ihren Besuch ihr Interesse an der Kirche zeigen, sich aktiv mit den vermittelten Lehrinhalten auseinandersetzen und Schritte zur Bewährung unternehmen, indem sie das Gelernte in ihrem Leben umsetzen. So kann ihr Leben mit Jesus beginnen aufzublühen. Ebenso fruchtlos wäre es jedoch, wenn die Menschen ihren Teil beitragen, aber die Ortsgemeinde sie nicht annimmt, nicht angemessen belehrt oder ihnen die Nachfolge Jesu nicht vorlebt.

Kurz gesagt: Ein geschicktes und von der Gemeinde bewusst gestaltetes Zusammenspiel ist erforderlich – ein Zusammenspiel, das letztlich auf der Gnade Gottes beruht welche an den guten, biblischen Wahrheiten ausgerichtet ist.[vi]

Dabei steht es außer Frage, dass ein solcher „Weg“ Zeit benötigt. Menschen, die Interesse am Glauben haben oder Fragen mitbringen, müssen durch das Wirken des Heiligen Geistes Schritt für Schritt verändert werden. In Kombination mit den Inhalten der Bibel werden Suchende, Bittende und Anklopfende allmählich auf den biblischen Weg geführt. Diese Veränderung geschieht von innen heraus, denn die göttliche Wahrheit wirkt im Herzen und bringt es dazu, sich zu wandeln.[vii]

ABER:

Einige Leserinnen und Leser könnten innerlich laut protestieren, weil der bisherige Ansatz ihnen zu progressiv erscheint. Aus verschiedenen Gründen sei es durch Traditionen oder persönliche Prägungen, mag es für manche schwer vorstellbar sein, ein homosexuelles oder transsexuelles Paar im Gottesdienst willkommen zu heißen. Paul Bruderer erinnert uns jedoch daran, dass „egal wie unbiblisch das Denken der Menschen sein mag, die zum Glauben an Jesus kommen, es eine der Schlüsselaufgaben der Gemeinde ist, ihnen behutsam und deutlich christlich-biblische Denkansätze zu erklären“. Damit dies gelingt, muss jedoch der Geist Gottes am Herzen wirken, und die biblische Belehrung muss schrittweise verarbeitet und verstanden werden. Nichts anderes hatte Paulus bei den Männern getan, die Prostituierte aufsuchten. Sie wurden belehrt und erhielten eine „korinthische“ Zeit, damit die Lehre ins Leben übergehen konnte.

Gnade revolutioniert das Denken

Die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen erfordern es, dass biblische Grundsätze neu gelehrt und verkündigt werden müssen. Das 3AB-Modell bietet einen Ansatz, um die gegenwärtigen gesellschaftlichen Themen im Licht eines christlichen Ansatzes zu analysieren. Doch es ist wichtig, nicht nur bei den aktuellen „heißen Eisen“ stehen zu bleiben. Dieses Modell unterstützt die Gemeinde Jesu auch dabei, zusätzliche Gestaltungsräume der Gnade zu schaffen. Es stellt sich die Frage: Wie gestalten wir die Gemeinde als einen Raum der Gnade für all jene, die in unserer Zeit Orientierung und Hoffnung suchen? Wie gestalten wir die Gemeinde als Raum der Gnade für:

  • Menschen, die im Konkubinat oder Alterskonkubinat leben?
  • Männer und Frauen, die in polyamorösen Beziehungsnetzwerken leben?
  • Homosexuelle Paare mit Kindern?
  • Menschen, die sich an unterschiedlichen Punkten einer Geschlechtsumwandlung (Transition) befinden?
  • Menschen in kompliziert verflochtenen Patchworkfamilien, die durch eine juristische Klärung gemäß biblischen Leitlinien finanzielle Nachteile erleiden wĂĽrden?
  • Menschen, die mit Suchtproblemen kämpfen, die massiven Einfluss auf andere haben, wie z.B. Alkohol- oder Pornografiesucht?
  • Menschen, die wegen Pädophilie oder anderem sexuellen Fehlverhalten juristisch verurteilt wurden?
  • BetrĂĽger im Finanzsystem?
  • Menschen, die mit SĂĽnden leben und sie tolerieren, die – wie z.B. Verleumdung, Mobbing, Verschuldung – Einfluss auf andere Menschen haben?

Wie können wir eine Gemeinde gestalten, die nicht nur klar in der Lehre ist, sondern auch ein Ort der Gnade und Heilung für all diese Menschen wird? Mithilfe des 3AB-Modelles kann die Ortsgemeinde sich zurüsten, um sämtliche Fragen, die auf die Gemeinde Jesu einwirken, unter Gebet und der Leitung des Heiligen Geistes zu bedenken. So können die Worte Jesu Realität werden und Gnade das Denken revolutionieren: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch plagt und von eurer Last fast erdrückt werdet; ich werde sie euch abnehmen.“ (Matthäus 11,28; NGÜ).

Henrik Mohn (Jg. 1983) arbeitet als Lehrer an einer Bekenntnisschule. Er steht aktiv im Gemeindedienst, ist Schriftleiter von Glaube+Erziehung und bloggt auf lesendglauben.de. Er ist verheiratet und hat drei Töchter.

Dieser Text basiert auf einer dreiteiligen Artikelserie von Paul Bruderer (danieloption.ch), in der er aufzeigt, wie Kirchen zu Räumen der Gnade werden können. Zur weiteren Vertiefung wird die Lektüre dieser Artikel empfohlen. Zudem sei auf die Vorträge von Nancy Pearcey verwiesen, die auf der Culture Shift 2024 gehalten wurden und unter www.danieloption.ch/cultureshift nachgehört werden können.

Anmerkungen:

[i] Siehe u.a. Matthäus 9,13; Lukas 15,1f; Johannes 13,34f.

[ii] Zur Vertiefung: Kirche als Raum der Gnade (1/3) › Daniel Option, aufgerufen am 10.08.2024.

[iii] Siehe 1. Korinther 15,42-44; 1. Korinther 6,19-20; Römer 8,11; Philipper 3,20f.

[iv] Zitat entnommen aus: Kirche als Raum der Gnade (1/3) › Daniel Option, aufgerufen am 12.8.2024.

[v] Empfehlenswert ist hierzu: Kirche als Raum der Gnade (2/3): Neun Thesen › Daniel Option, aufgerufen am 13.07.2024.

[vi] Der ehemalige Aktivist für Schwulenrechte, David Bennett, berichtet in „Liebe. Total.“ erschienen im fontis Verlag von seinem Weg zur Liebe von Jesus, bei dem die Gemeinde die Schritte des 3AB-Modells beging.

[vii] Hebräer 4,12.

Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 21. September 2024 um 15:59 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Seelsorge / Lebenshilfe, Sexualethik.