Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Warum Gemeinden (nicht) evangelisieren

Freitag 13. September 2024 von Pfr. Ulrich Parzany


Pfr. Ulrich Parzany

Neulich bat mich ein Pastor, in seiner Gemeinde von den Zeiten zu erzählen, als es noch große Evangelisationsveranstaltungen mit Tausenden Menschen gab. O Schreck, dachte ich, ist es soweit? Der Opa soll von den guten alten Zeiten erzählen, als es wunderbare Sachen gab, die heute leider nicht mehr möglich sind? Nicht mit mir! Erst im letzten Jahr – 2023 – geschah es in Nürnberg, Karlsruhe, Hamburg, Dresden und Bern. Koalitionen von Ortsgemeinden evangelisierten mit dem jungen Schweizer Evangelist Gabriel Häsler. Unter dem Titel „Life on Stage“ kamen an jedem Abend über 1000 Leute in die Hallen. In einem Musical wurden die Geschichten von Menschen erzählt, die Jesus verändert hat. Dann folgte die begeisternde Evangeliumspredigt von Gabriel Häsler mit Einladung zur Bekehrung. Und viele Leute reagierten dankbar.

Oder ich denke an das „Festival of Hope“ im Oktober 2023 in der Essener Gruga-Halle. Rappelvoll mit 7000 meist jungen Leuten. Drei Stunden mitreißende Musik, eindrückliche Lebensberichte, eine klare Evangeliumspredigt von Franklin Graham. Fast 1000 Leute folgten der Einladung, Jesus zu folgen.

Abbruch in der Corona-Zeit

Zugegeben, die Corona-Zeit hat zwei Jahre lang große Veranstaltungen weitgehend verhindert. Ich selbst habe erlebt, wie eine Serie von vier Evangelisationswochen in Österreich nach der zweiten von einem Tag auf den anderen abgebrochen werden musste. Aber selbst in dieser Zeit haben entschlossene Gemeindeleiter, getrieben von Liebe zu Jesus und den Menschen, Wege gefunden, Hunderte Menschen zu versammeln und ihnen das Evangelium von Jesus zu sagen. Ich habe das staunend miterlebt.

Jeder weiß, dass Evangelisation nicht nur in großen Veranstaltungen geschehen kann. Persönliche Gespräche, Glaubenskurse in überschaubaren Gruppen waren schon immer und sind auch heute wichtige Formen. Und gerade große Veranstaltungen kommen nicht ohne viele persönliche Gespräche aus. Außerdem haben wir heute durch das Internet unglaubliche Möglichkeiten, das rettende Evangelium Zigtausenden zu vermitteln.

Warum öffentliche Evangelisation?

Ja, das Evangelium wird vor allem in persönlichen Gesprächen und in kleinen Gruppen vermittelt. Aber es muss immer wieder auch in eine möglichst große Öffentlichkeit gebracht werden. Warum? Es gibt zwei Gründe, einen inhaltlichen und einen methodischen.

Der inhaltliche Grund: Das Evangelium ist eine öffentliche Wahrheit, die alle angeht. In Jesus hat sich der Schöpfer der Welt und aller Menschen geoffenbart. Er ist auch der Erhalter, der Richter und Retter aller Menschen. Jeder Mensch ist als Ebenbild Gottes geschaffen. „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. (1.Tim 2,4) Das Evangelium muss in die Öffentlichkeit, weil es eine öffentliche Wahrheit ist, die alle angeht.

Der methodische Grund: Was in der Öffentlichkeit bekannt ist, wird fast automatisch Gegenstand persönlicher Gespräche – in den Frühstückspausen, beim Mittagessen in den Kantinen, in der Nachbarschaft. Öffentlich ist, was in den Tageszeitungen steht, im Fernsehen vorkommt, auf Großplakaten ins Auge fällt. Daran kann man leicht anknüpfen. Es ist nicht peinlich, darüber zu reden.  Es liegt einfach nahe.

Die Frage ist, ob Christen und Gemeindeleiter wirklich glauben, dass das Wort Gottes alle angeht. Oder halten sie den christlichen Glauben für ein esoterisches Lebenshilfeangebote für die privaten Nischen? Wer das glaubt, sieht keine Notwendigkeit, mit dem Evangelium in die Öffentlichkeit zu gehen.

Wer sich dermaßen zurückhält, entspricht damit durchaus den Wünschen der Mehrheitsgesellschaft heute. Da herrscht nämlich die Meinung: Jeder mag privat glauben, was er will, solange er nicht den Anspruch erhebt, dass sein Glaube für alle anderen auch gültig ist.

Wenn wir Christen das Evangelium öffentlich verkünden, bezeugen wir: Das gilt für alle! Alle sollen es wissen. Alle sind eingeladen. Alle werden eines Tages Gott Rechenschaft geben müssen, was sie mit dem Geschenk des Lebens und mit dem Angebot der Liebe Gottes gemacht haben. Wirklich, es wird ein Weltgericht geben. Und an Jesus entscheidet sich, ob wir in Ewigkeit in Gemeinschaft mit Gott leben oder von ihm getrennt verloren sind.

Evangelisten in jeder Gemeinde

Es braucht in jeder Gemeinde Leute mit der Evangelistenbegabung, wie Paulus in Epheser 4,11 schreibt. Woran erkennt man diese Evangelisten? Sie haben den dringenden Wunsch, dass neue Menschen zum Glauben an Jesus und in die Gemeinde kommen. Sie stellen unbequeme Fragen, wie z.B.: Wann hat sich eigentlich zum letzten Mal jemand bei uns zu Jesus bekehrt, der bisher nicht zur Gemeinde gehörte? Evangelisten sind interessiert und in der Lage, mit Menschen über den Glauben zu sprechen, die nicht damit aufgewachsen sind.

Solche Gemeindeglieder mit evangelistischer Leidenschaft geben in der Regel auch die Anstöße, dass sich die Gemeinde evangelistisch in Bewegung setzt. Sie regen an, Glaubenskurse durchzuführen oder mit anderen Gemeinden in einer evangelistischen Veranstaltungsreihe zusammenzuarbeiten.

Man kann nur hoffen, dass diese Evangelisten von den Gemeindeleitern auch gehört und unterstützt werden. Nicht selten werden sie mundtot gemacht. „Wir müssen uns erstmal um unsere eigenen Probleme kümmern“, heißt es möglicherweise. Das scheint des Teufels wirksamstes Werkzeug zur Verhinderung der Rettung verlorener Menschen zu sein: Die christlichen Gemeinden sind mit sich selbst voll beschäftigt. Sie haben keine Zeit, keine Kraft, kein Geld für die Evangelisation.

Wenn die Kettenreaktion unterbrochen wird

Wenn Gemeinden jahrelang im eigenen Saft geschmort haben, ist keiner mehr da, der sich daran erinnert, wie Menschen ringsum zu Jesus eingeladen werden können. Die besten Ermutiger zu evangelistischen Diensten sind nach meiner Beobachtung die Gemeindeglieder, die selber durch solche Dienste zum Glauben an Jesus gekommen sind. Die drängen darauf, dass solche Gelegenheiten wieder organisiert werden. Das geht dann wie eine Kettenreaktion weiter. Schade, wenn dieser Prozess längere Zeit unterbrochen wird. Dann fällt der Neuanfang oft schwer.

Ein Neuanfang aber wird immer im Gebet gemacht. Eine Gruppe betet für einen neuen evangelistischen Aufbruch in der Gemeinde, für Bereitschaft in der Gemeindeleitung, für evangelistische Begabungen in der Gemeinde, für Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden.

Evangelisten als Hilfsarbeiter der Gemeinden

Eine spezielle Form der evangelistischen Begabung ist die der öffentlichen Verkündigung des Evangeliums, die sich an Suchende und Fragende richtet. Solche Reiseevangelisten gehörten von Anfang der Kirchengeschichte an dazu. Petrus, Paulus, Apollos reisten durch die Welt und verkündeten das Evangelium solchen Menschen, denen es bisher unbekannt war. Später gab es Mönchsorden von Reisepredigern. Seit dem 18. Jahrhundert gab es Evangelisten in Nordamerika und Europa, die das Evangelium von Jesus Christus neu in die Öffentlichkeit trugen.

Solche Evangelisten sind Hilfsarbeiter für die örtlichen Gemeinden. Sie können mit ihrer Begabung den Gemeinden zeitweise helfen. Ihr Dienst hat aber nur Sinn, wenn die Gemeinde selbst evangelistisch wirken will. Die Evangelisten stellen in ihrer öffentlichen Verkündigung Schecks aus, die die Gemeinden dann einlösen. Es geht ja nicht nur um Bekehrungserlebnisse, sondern um Bekehrungen zu Jesus, die zu einem Leben in der Nachfolge Jesu führen. Solche Nachfolge wird immer in Gemeinden gelebt.

Es gibt viele begabte Evangelisten.

Ich behaupte: Es gibt heute mehr Evangelisten als Gemeinden, die ihren Dienst in Anspruch nehmen. Manche meinen, Evangelisten wie früher John Wesley, Dwight l. Moody, Elias Schrenk, Jakob Vetter, Wilhelm Busch, Billy Graham, Anton Schulte, Klaus Vollmer, Johannes Hansen, Klaus Eickhoff, Axel Kühner, Theo Lehmann gäbe es heute nicht mehr. Ich kenne viele, auch junge Verkündiger des Evangeliums mit Leidenschaft und Begabung für die Evangelisation. Sie müssen von Gemeinden eingesetzt werden.

Am besten sollten sich verschiedene Gemeinden in einer Region zusammentun, um evangelistische Themenwochen durchzuführen. Öffentlichkeit und Medien werden aufmerksam, wenn unterschiedliche Gemeinden zusammenarbeiten. Dass wir uns gegeneinander abgrenzen und jeder sein eigenes Ding macht, dafür sind die Christen leider bekannt. Wenn wir aber trotz aller Unterschiede öffentlich und gemeinsam zu Jesus einladen, horchen viele Zeitgenossen auf. Ohne solche Zusammenarbeit gelingt es in der Regel nicht, öffentliche Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Wie gesagt, Evangelisten mit der Begabung, den suchenden Zeitgenossen das Evangelium von Jesus verständlich zu vermitteln, gibt es genug. Sie müssen von Gemeinden unterstützt und eingesetzt werden.

Bedauerliche Tatsache ist, dass die evangelischen Landeskirchen solche Leute nicht mehr für evangelistische Verkündigungsdienste anstellen und freistellen. Nicht weil es keine begabten Evangelisten gäbe, sondern weil die Kirchenleitungen solche evangelistische Verkündigung nicht wollen. Das hat eindeutig theologische Gründe.

Wo nicht mehr gilt, dass Menschen allein durch den gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus im Gericht Gottes vor der ewigen Verdammnis gerettet werden, ist Evangelisation unerwünscht. Wo die Autorität der Bibel als Wort Gottes in Frage gestellt wird, stirbt auch die klare und vollmächtige Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus.

Diese Abkehr vom biblischen Evangelium hat sich nicht nur in Kirchenleitungen vollzogen, sondern auch in vielen Gemeinden. Wo keine Retterliebe brennt, werden Gemeinden auch nicht evangelisieren.

Beten wir darum, dass Gottes Geist uns neu mit seiner Liebe füllt. Paulus schreibt: „Denn die Liebe Christi drängt uns…“. (2.Kor 5,14) Diesen Antrieb brauchen wir heute neu.

Pfr. Ulrich Parzany, Kassel

Quelle: Aufbruch – Informationen des Gemeindehilfsbundes 1/2024 (Juni)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 13. September 2024 um 14:23 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche.