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Gottes große Suchaktion (Lk. 15,8 – 10)

Freitag 10. März 2023 von Prädikant Thomas Karker


Prädikant Thomas Karker

Renate und ich waren auf dem Flohmarkt in Huchting. Unsere 2 Buben waren noch klein, 4 und 2 Jahre alt. Da war ein Geschiebe, Gedrängel, Gegucke, der Kleine im Kinderkarren, der Große an der Hand. Nun waren wir so eingenommen von all dem Jagen nach Schnäppchen, dass wir auf einmal feststellten: Wo ist unser Christian? Zuerst schauten wir hier und dort, eine Straße rauf und runter, kein Christian zu sehen, weit und breit. Dann verteilten wir uns und riefen nach unserem Jungen, fragen umstehende Leute, ob sie evt. einen 4-jährigen Jungen mit blonden Haaren gesehen hätten. Negativ. Dann fingen wir an zu rufen, immer hektischer und nervöser wurden wir. Den Flohmarkt rauf und runter. Alles Negativ. Dann sagten wir uns: Ab zur Polizei, was anderes hilf jetzt nicht mehr. Wie wir fast aus dem Flohmarkt hinaus waren, hörten wir hinter uns einen Mann laut rufen: „Wem gehört dieser Junge!!“ Wir trauten unseren Ohren und Augen nicht. Überglücklich haben wir ihn dann wieder in die Arme genommen. Verloren und wiedergefunden.

Heute erzählt Jesus im Lukasevangelium zwei Gleichnisse. Das erste haben wir in der Lesung gehört. Wir wollen heute nur dieses zweite anschauen. Es kommt also Luk. 15,8-10:

Welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet. Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir, denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So sage ich euch, wird Freude sein, im Himmel vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. Amen

Darf ich Sie noch einmal an diese köstliche Geschichte erinnern, die ganz vorne in der Bibel steht. Der reich gewordene Jakob lagert sich mit seiner Großfamilie in den Bergen. Das war kein Camping im schönen Gebirge Gilead, sondern eine notwendige Verschnaufpause auf der Flucht vor dem Schwiegervater Laban. Mit allem, was er hatte, mit Ross und Reitern. Er hat sich davon gemacht und freute sich seiner königlichen Freiheit. Leider war diese Freude nur von kurzer Dauer, denn da schoss doch plötzlich der wutentbrannte und zornerfüllte Laban den Berg herauf und schrie von weitem: Warum hast du mir noch meinen Hausgott gestohlen? „Auch das noch,“ sagte Jakob. 14 Jahre geschuftet wie ein Tier, und dann noch als Taschendieb hingestellt zu werden. Das ist der Gipfel!“ Aber so sagte er nicht. So dachte er bloß. Freundlich kam es über seine Lippen: „Ich habe ihn nicht. Bitte, suche ihn doch!“ Ich habe ihn nicht geklaut! Und dann begann die schwiegerväterliche Hausdurchsuchungsaktion. Alle Zelte wurden umgekrempelt, das ganze Gepäck gefilzt, jede Kiste abgeklopft. Ich kann mir denken, wie dieser Mann immer wütender und zorniger wurde. Er hat alles gefunden. Wertsachen, Wäsche, Wanzen, aber diesen Gott fand er nicht.

So war dieser Laban der erste Gottsucher und dieser Gottsucher hat nichts gefunden. Das war vor über 3000 Jahren, aber die Labans sind nicht ausgestorben. Sie haben andere Namen, bürgerliche Namen wie Meier, Müller und Schulze, aber Gott suchen tun sie immer noch. Nachts suchen sie den Himmel ab, denn droben überm Sternenzelt muss ein guter Vater wohnen. Morgens suchen sie in der freien Natur, denn der liebe Gott geht durch den Wald. Nachmittags suchen sie in dicken Büchern, denn der Weltgeist ist von Schriftstellern und Dichtern erfasst worden. Und abends suchen sie in der eigenen Brust, denn nach neuester Erkenntnis lebt dieser Gott in uns. Sie suchen und filzen und klopfen. Sie diskutieren und analysieren und meditieren. Sie werden wütend, frustriert. Sie suchen Gott, aber Gott finden, tun sie nicht. Gottsucher sind ja arme Gestalten, die am Schluss nur sagen können: Gott, einen Gott gibt es nicht.

Und wenn sie sich auch aufgemacht haben. Und wenn sie sich auch die Augen ausgucken, und wenn sie auch zu den Gottsuchern gehören, dann hören sie jetzt: Sie haben sich nicht verhört. Sie brauchen Gott überhaupt nichts zu suchen. Sie finden Gott so nicht! Es ist anders. Gott sucht sie!

Gott hat seine Augen aufgemacht. Gott ist kein Misanthrop, sondern Philanthrop, ein Menschensucher, das ist der Punkt. Er schläft doch nicht in einem Himmelszelt, er spielt doch nicht im Wald verstecken, er wohnt doch nicht zwischen Buchdeckeln, er regt sich doch nicht hinter meinen Rippen. Gott thront, sitzt oder wohnt nicht irgendwo, sondern Gott sucht. Gott sucht. So wie damals in Eden, als er durch das Paradies ging und nach seinen Geschöpfen suchte und rief: „Adam, wo bist du?! Adam, wo bist du!?“ So geht er heute wieder über unsere Welt, sucht nach den Erschöpften und ruft durch diese Stadt: Mensch bist du!? Mensch, wo liegst du!? Mensch, wohin hast du dich verirrt?! Um diesen Menschen-suchenden Gott geht es heute. Und mit drei Fragen wollen wir ihn noch näher kennenlernen. So ist es in dieser Geschichte erzählt. Die erste Frage.

1. Was sucht denn Gott?

Was sucht Gott? Jesus erzählt eine Alltagsgeschichte. Stellt euch ein Haus vor, und so sagte Jesus es den Herren von Staat und Kirche, die ihn umringen. Eine Hausfrau rotiert dort. Zwischen Küche, Keller und Kinder ist sie ständig unterwegs, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Und dann muss sie auf die Schnelle einen Liter Milch kaufen, weil das Jüngste die Flasche braucht. Sie geht zum Geldfach, aber da ist kein Euro, deshalb steckt sie zehn Zehner in die Tasche. Sie geht zur Tür hinaus, aber dann klingelt das Handy auf dem Tisch. Sie muss zurück und eine Freundin abwimmeln. Dann geht sie die Treppen hinunter und dann heult der Wäschetrockner. Sie muss zuerst hinab und das Ding abstellen. Endlich, endlich geht es über die Straße ins Geschäft, ans Regal, an die Kasse und dann zählt sie: 1234-9 einer fehlt, noch einmal 1234-9 richtig, einer ist nicht da! Noch ein letztes Mal 1234-9. Einer ist abhandengekommen.

Dinge kommen immer abhanden. Wir kennen das in der Hektik unserer Tage. Geld geht verloren und Brillen gehen verloren und Regenschirme gehen verloren und Schlüssel gehen verloren. Es gibt nichts, was nicht verloren gehen könnte. Aber wissen wir noch, dass auch Menschen verloren gehen können. Wissen wir das auch Menschen verloren sind. Gott zählt so, wie eine Hausfrau 1234-9, einer fehlt. 1-2-3 Millionen 9 Millionen, einer ist nicht da. 1-2-3 Milliarden, 6 Milliarden einer ist verloren gegangen. Ursprünglich gehören wir alle zu seinem Besitz, durch die Taufe sind wir eingehüllt in Gottes Gnade, und er hält uns fest in der Hand. Auf einmal sind wir herausgefallen. Auf einmal denken wir, den brauche ich doch gar nicht. Auf einmal sind wir hinuntergefallen. Auf einmal sind wir abhandengekommen.

Der eine ist am Boden. Nach all den Gemeinheiten, die er in dieser Woche erlebt hat. Da kann er nicht mehr, er ist am Boden! Der andere hockt in der Ecke. Eng, eingeklemmt in 1000 Nöte, eingeklemmt in 1000 Sorgen. Wieder einer ist ganz tief in ein Loch gefallen und es ist ganz dunkel geworden. Stockfinster, rabenschwarz. Am Boden, in der Ecke, in einem Loch, ohne Gebet, ohne Verbindung, ohne Gemeinschaft. Das meint das Wörtlein ‚verloren‘. Ein Prediger hat gesagt: Das Wort, das mich in der Bibel am meisten erschreckt, ist das Wort: „verloren“.

Wir müssen es wieder zur Kenntnis nehmen, auch wenn es überhaupt nicht in die Denkschemata unserer gegenwärtigen Theologie oder Philosophie oder Psychologie passt. Wir müssen es wieder zur Kenntnis nehmen, dass man nicht nur krank, dass man nicht nur down, dass man nicht nur am Boden, sondern dass man verloren gehen kann! Dass man nicht mehr bei Gott ist, sondern verloren ist. Dann sind wir ärmer dran als jeder Cent. Der ist nur abhandengekommen, aber wir müssen in unserer Gottverlorenheit auf ewig zugrunde gehen.

Nun aber ist Gott gekommen, das Verlorene zu suchen. Jetzt ist Jesus Christus gekommen, um den Cent zu finden. Was Gott sucht: das Verlorene. Das ist doch köstlich. Gott sucht das Verlorene, aber

2. Wie sucht denn Gott?

Das ist das Zweite, was uns hier erklärt wird. Wie sucht Gott. Jesus will, dass wir diese Alltagsgeschichte weiter denken.

Die Hausfrau steht also an der Kasse und zählt. Statt einem Euro hat sie nur noch 0,90 Cent in der Hand. In der Tat, ein Zehner ist verloren gegangen. Was wird sie jetzt tun, was wird sie jetzt anstellen? Vielleicht nach einem Taschentuch kramen und herzzerbrechend weinen? Weil sie über diesen Verlust nicht hinwegkommt. Vielleicht wird sie auf einem Stuhl niedersinken und nach Hoffmanns Tropfen rufen, weil ihr über solchem Verlust schwindlig wird. Ganz sicher wird sie das alles nicht tun. Diese Frau hat stabile Nerven. Ihr gesunder Menschenverstand wird ihr sagen, wegen eines Cents kein Theater, wegen einer Münze keinen Lärm, wegen eines kleinen Dinges keinen Terror.

Aber Gott ist anders. Ganz anders. Er kann es nicht ertragen, wenn ihm jemand aus der Hand rutscht. Er kann es nicht ertragen, wenn jemand von ihm abfällt. Er kann es nicht wegstecken, wenn einer in einem Tief steckt. Du fehlst mir, sagt er dem Mädchen, das im letzten Frühjahr hier konfirmiert worden ist, aber sich seither nicht mehr blicken ließ und von Kirche und Glauben nichts mehr wissen will. Du fehlst mir, sagt er dem Abiturienten, der mit einer schlechten Abiturnote jetzt keinen Studienplatz bekommt und der durchhängt. Du fehlst mir! So sagte er es der Frau, die so bitter enttäuscht ist und trotzdem sich aufgemacht hat, um in den Gottesdienst zu gehen. Du fehlst mir! Wer sagt es dem alten Mann, der dort in seinem Wohnheim, in seinem Seniorenheim sitzt und eigentlich total übrig ist. Du fehlst mir! So sagte er es jedem, der hier in der Bank sitzt.

Du fehlst mir! Ich will, dass alle gerettet werden und deshalb habe ich mich aufgemacht, um dich zu suchen. Und ich suche. Nein, ich suche nicht, wie diese Frau. In einem schönen Bungalow ist das kein Problem, aber in einem solchen Elendsviertel. Bei Parkett kein Problem, aber bei festgetretenen Lehm. Bei großen Fensterscheiben kein Problem, aber bei einem 30 cm großen Loch in der Wand. Sie zündet eine Öllampe an. Unsere Hausfrau leuchtet jede Ecke aus. Sie wirbelt das Unterste zuoberst, irgendwo wird es noch aufblitzen. Irgendwo wird es sich doch zeigen. Irgendwo wird es schon hängen bleiben. Sie rennt, sie läuft, sie hastet, sie sucht, so wie die berühmte Stecknadel im Heuhaufen.

Liebe Gemeinde, das ist Gottes Weise, wie er sucht. An Weihnachten hat er seine Suchaktion gestartet und dann hat er die Dörfer und Städte abgesucht und gerufen: Kommt alle her, die ihr mir aus der Hand gerutscht seid. Und dann hat er die Zöllner und Sünder aufgesucht und ihnen gesagt: Kommt alle her, die ihr jetzt hinuntergefallen seid. Er ging zu den Kaputten und hat sie besucht und ihnen gesagt: Kommt alle her, die ihr am Boden sei. Kommt ihr alle her. Doch es ist ihm wichtig, dieses Suchen! Kein Ort ist ihm zu weit, kein Platz ist ihm zu schmutzig. Das unscheinbarste Milchgesicht ist ihm wichtiger, als die ganzen Milchstraßensysteme. Und als er diesen Leuten mit seinem Suchen auf den Geist ging und als sie ihn dann ans Kreuz abgeschoben haben, da wurde eben dieses Kreuz von Golgatha das große Suchzeichnen in der Welt. Keiner, keiner kann es mehr übersehen, die Hände sind ausgespannt und ausgestreckt nach Ost und West. Jeder, jeder muss es hören: Ich bin gekommen, zu suchen, was verloren ist. Wie sucht Gott? Er sucht dich so wie eine Stecknadel im Heuhaufen. Aber wozu sucht Gott? Wozu denn? Das ist das 3. und letzte.

3. Wozu sucht Gott?

Diese Alltagsgeschichte hat ein Happy End. Die Frau entdeckt das Geldstück, sie bückt sich und hebt es auf, jetzt ist es wieder fest in ihrer Hand. O! Sie lacht. Ein Strahlen geht ihr über das Gesicht. Verlorenes zu finden, löst immer Freude aus und weil man Finderfreude nicht für sich behalten kann, deshalb geht sie wieder aus dem Haus hinaus, hinüber in die Nachbarhäuser und sagt: Hallo, guckt mal her, diesen 10-er habe ich verloren. Diesen 10-er habe ich gesucht. Diesen 10-er habe ich gefunden.

Gaudeo, gaudete. Ich freue mich, freut euch mit! Und dann beginnt ein Fest, dass das Herz lacht. Nur Freude ist das Ende dieser Geschichte. Verstehen sie jetzt dieses Gleichnis? Gott findet seinen Menschen. In Jesus beugt er sich ganz tief und ruft uns zu: Folge mir nach! Und dann ist er wieder in seinem Besitz. Er lacht. Ein Strahlen geht über sein Gesicht. Finderfreude löst bei den Engeln und bei Gott Freude aus. So menschlich wird hier von diesem Gott geredet, von dem wir sonst so wenig kennen. So menschlich wird von ihm geredet. Wegen eines kleinen, unscheinbaren, unbekannten Menschen alarmiert er die ganze Engelsbrigade und sagt: Hört her, diesen Mann habe ich verloren. Diesen Mann habe ich gesucht. Diesen Erdenstaub habe ich wieder gefunden.

Gaudeo gaudete: Konkret: Ich freue mich, freut euch mit. Und dann braust im Himmel ein Engelschor auf, dass einem die Ohren klingeln. Schon einmal wird von diesem Engelschor berichtet, in der Weihnachtsgeschichte. Da heißt es: Als da war bei den Engeln, die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Also ist im Himmel Weihnachten, wenn auf Erden einer gefunden wird.

Liebe Gemeinde, was wäre das für eine Freude, wenn heute einer zurückkäme. Was wäre das heute für ein Jubel, wenn heute einer wieder in seiner Hand festgemacht würde. Was wäre das für ein Orkan, wenn dieser Sonntag zum Weihnachtstag im Himmel würde. Wozu Gott sucht? Damit Freude wird. Damit Verlorene gerettet werden!

Amen

Prädikant und Religionslehrer Thomas Karker, Predigt vom 5.2.2023 (Sonntag Septuagesimae) in der Evangelischen St. Markus-Gemeinde in Bremen

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 10. März 2023 um 11:23 und abgelegt unter Predigten / Andachten.