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Einheit statt Spaltung – Christliches Zeugnis in verrückten Zeiten

Mittwoch 2. Februar 2022 von Confessio e.V.


Confessio e.V.

„Bist du groß oder bist du klein, oder mittendrin, Gott liebt dich“, so heißt es in einem Kinderlied. Mit dick und dünn geht es in dem Lied weiter – heute freilich längst diskriminierungsverdächtig, aber ebenso anschaulich, illustriert es doch die bedingungslose Liebe Gottes und zugleich die Weite seiner Kirche. Es gibt eben (oder zumindest doch hoffentlich!) keine Gemeinde nur für Dünne oder nur für Dicke, nur für Großgewachsene oder exklusiv für kleine Leute, sondern Gemeinden für prinzipiell jedermann.

Das gehört von vornherein zum Kern des Christentums – Ausnahmen in der Kirchengeschichte bestätigen letztlich nur diese Regel. Denn Zugehörigkeit zur Kirche Jesu Christi hängt nicht am Einkommen, nicht am Beruf, nicht am Körperumfang oder -wuchs. Sondern sie hängt daran, dass man sich an ihn hängt – an Jesus Christus, nach dem seine Nachfolger genannt werden: Christen eben. Das können Kassiererinnen ebenso sein wie Professoren, Staatenlenkerinnen oder Strafgefangene. Kirche Jesu Christi ist in ihrem Kern etwas zutiefst inklusives, das zusammenführt, was ansonsten getrennt ist. Wo das gelingt, da ist es als Konsequenz dessen zu sehen, was Jesus seinen Jüngern geboten und von seinem himmlischen Vater erbeten hat.

„Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.“ (Johannes 17,11) So bittet der Herr der Kirche im Hohepriesterlichen Gebet und unterstreicht damit, dass ihre Einheit einerseits seinem Willen entspricht, andererseits aber in der Welt alles andere als selbstverständlich ist. Zwei Jahrtausende nach seinem irdischen Wirken, Sterben und Auferstehen, bleibt festzuhalten: Die Einheit der Christenheit ist weiterhin keineswegs gegeben und ein entsprechendes Gebetsanliegen.

Wie weit all das, was unter Kirche firmiert, in Wahrheit von Einheit entfernt ist, wird umso deutlicher, wenn die Einheit von Vater und Sohn als Maßstab dient. Denn die reicht so weit, dass Jesus formuliert hat: „Ich und der Vater sind eins.“ (Johannes 10,30) Ganz anders verhält es sich bei seinen Nachfolgern: Streit und Zank, Abspaltungen von Gemeinden, Neugründungen – positiv gewendet: große Vielfalt in Gottes buntem Weinberg. Kritisch bedauert: disparate Zerfaserung statt geschlossener Verbundenheit. Weltweit gesehen gibt es eine riesige Palette von Einheiten, in die sich das Christentum aufteilt, nicht Einheit – im Blick auf die Sozialgestalt, die Lehre, die Praxen. Und selbst in einzelnen Abteilungen, etwa dem evangelischen Christentum in Deutschland, gibt es allerlei Einheitshindernisse.

Jesu Bittruf zum Vater ist vor diesem Hintergrund durch alle Zeiten und Situationen hindurch als Appell zu begreifen, das Ideal der Einheit im Blick zu behalten, selbst darum zu bitten und als Christ dieses Ziel nach Kräften auch auf andere Weise zu fördern. Das gilt ganz bestimmt auch und vielleicht ganz besonders in unseren Tagen.

Verrückte Zeiten sind es: Eine Pandemie hält die Welt in Schach, während gerungen und intensiv diskutiert wird über geeignete Maßnahmen des Umgangs. Freiheitsrechte werden eingeschränkt, ganze Bevölkerungsgruppen diffamiert („Ungeimpfte“ als Sündenböcke) und es lässt sich nur erahnen, wie tief die Spaltung schon reicht: in Freundes- und Bekanntenkreisen, in Familien, in Gemeinden.

Die Angst geht um, die emotionalen Wogen schlagen hoch und (vermeintlich) Schuldige sind rasch gefunden: Es wird kurzerhand und tendenziell kollektiv vom Terror oder der Tyrannei der Ungeimpften gesprochen, die alle anderen in Geiselhaft nähmen – und entsprechend ist vieles moralisch aufgeladen. Statt differenziert wahrzunehmen und sich auf fremde Perspektiven einzulassen, wird in Schubladen einsortiert, gegenüber und gegeneinander gestellt – und klar geurteilt: hier die Guten, da die Bösen. Oder anders: Geboosterte hier, Querdenker da – Punktum!

Natürlich darf und soll offen diskutiert werden: über Gefahren eines neuartigen Virus mit seinen Varianten, über das Für und Wider einer Schutzimpfung, über geeigneten Umgang mit den Bedrohungen. Aber in all dem sind Christen weiterhin – und ganz neu – herausgefordert, mancher Stimmungsmache zu entsagen, nicht mitzuschwimmen in den Empörungswellen, sondern sich stattdessen erinnern zu lassen: dass ihr Herr die Einheit aller seiner Nachfolger will. In ihm können und sollen sie eins sein, die sich in grundlegenden (Streit-)Fragen positionell unterscheiden mögen: Impfverweigerer und Impfeuphoriker, Gelassene und Ängstliche, Genervte und Empörte, Frustrierte und Ungeduldige.

Dabei gilt weiterhin: Christen sollten miteinander anders umgehen als in ihrer Umwelt üblich – und das unabhängig davon und ggfs. lange bevor sich solches Verhalten in der Gesellschaft durchsetzt, ob es die Gleichheit von Sklaven und „Freien“ oder anderes betrifft, heute vielleicht die Gleichwertigkeit von „Geimpften“ und „Ungeimpften“.

Das liegt ihnen als Kindern ihrer jeweiligen Zeit mitunter gar nicht nahe, zumal Menschen grundsätzlich immer Nestwärme suchen und an gegebene Verhältnisse anpassen. Wie viel leichter fällt es schließlich, sich gegenseitig zu bestätigen und gemeinsam zu ärgern über „andere“. Da wird die komplizierte und überfordernde Welt gleich viel überschaubarer und leichter zu verstehen. Das geht mir auch so: Ich fühle mich sehr wohl in Kreisen, wo in für mich zentralen Fragen Einigkeit herrscht, wo „kein Blatt Papier“ zwischen die Beteiligten passt. Aber dabei geht doch viel verloren von der Vielfalt der Welt und ihrer Bewohner. Die ist zwar anstrengend, aber eben auch bereichernd.

Bei den leidigen Themen, die mit „Corona“ zu tun haben, ist das nicht anders. Denn hier kann jeder von anderen Ansichten und Erfahrungen profitieren: bislang nicht gesehene Aspekte in den Blick und seinen persönlichen Horizont geweitet bekommen. Jene, für die schwere Krankheitsverläufe und Langzeitfolgen nichts mit dem Alltag zu tun haben, können dazulernen von Berichten aus Krankenhäusern und Arztpraxen. Geimpfte können Einblicke erhalten in die Lebenswirklichkeit anders eingestellter Glaubensgeschwister, deren Handlungsspielräume unter „2G(+)“-Bedingungen sehr klein geworden sind und die regelmäßig von Politikern und Medienvertretern diskreditiert werden.

Kurzum: So anstrengend es inmitten dieser aufgeheizten und von vielerlei Verunsicherung geprägten Zeit sein dürfte, sich mit Zeitgenossen auseinanderzusetzen, mit denen man nicht „ein Herz und eine Seele“ ist, so wichtig und potentiell wertvoll ist es auch (weiterhin), gerade unter Christen. Denn während sich unsere Gesellschaft zunehmend auseinanderzudividieren droht, kann am Beispiel unterschiedlich eingestellter Christen deutlich werden, wie aus vielen einzelnen Einheiten eine große Summe entstehen kann: Einheit statt Spaltung! Das wäre doch etwas, wenn um christliche Gemeinschaften herum zwar der Laden auseinanderzufliegen scheint, aber dadurch umso heller aufscheint, wie stark die Einheit in Christus ist. In ihm können Menschen zusammenfinden, die in politischen, theologischen und medizinischen Fragen vielleicht im Detail „himmelweit“ auseinander liegen, aber gleichwohl doch alle um diesen einen Herrn herum gruppiert sind, der sie verbindet und beieinander hält. Wo solches zu beobachten ist, da wird dies gewiss sehr zur Freude unseres Hohepriesters Jesus sein. Und zugleich wird es kaum ohne missionarische Strahlkraft bleiben, ganz im Sinne von Johannes 17, indem das Wort solcher christlicher Gemeinschaften Glauben findet.

Pfr. Dr. Jonathan Kühn, Holzkirchen

Quelle: Arbeitsgemeinschaft Confessio e.V. Württemberg (www.confessio-wue.de)

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 2. Februar 2022 um 7:44 und abgelegt unter Corona, Gemeinde, Gesellschaft / Politik, Theologie.