Die Kirche als rotgrüne Sekte oder als Kirche Gottes?
Mittwoch 16. Oktober 2019 von Dr. Klaus-Rüdiger Mai
In der Streitschrift „Geht der Kirche der Glauben aus“ habe ich diagnostiziert, dass die Funktionäre der EKD die Kirche politisieren – und noch dazu unter stramm parteipolitischer Ausrichtung. Man suchte diese Analyse auch mit dem Hinweis zu unterlaufen, dass dies übertrieben sei. Doch die Wirklichkeit bestätigt leider meine Diagnose. Eine paar Leipziger Pfarrer haben eine Initiative angestrengt, die Carsten Rentzing, den letzten evangelischen Bischof, der als „konservativ“ gilt, weil er nicht die Parteipolitik, sondern den Glauben in den Mittelpunkt stellt, aus dem Amt drängen soll.
Die Leipziger Petenten führen die Mitgliedschaft Rentzings in einer Landsmannschaft ins Feld und ein williger Journalist gräbt Äußerungen des Bischofs aus, die dieser vor etwa dreißig Jahren als junger Mann getätigt hatte. Ob die Leipziger Kämpfer für die Parteipolitisierung der Kirche überhaupt die 0,1 % der Glieder der Landeskirche vertreten, die unterzeichnet haben, darf überdies bei dieser online-Petition bezweifelt werden. Aber unabhängig davon kann sich jeder von der Infamie des Verfahrens überzeugen, dem der Geruch des Inquisitorischen anhaftet, wenn er ältere Statements von Angela Merkel oder von Frank Walter Steinmeier zu Rate zieht oder er sich den Lebensweg Joschka Fischers anschaut – und nicht nur seinen. Erstens ist es unseriös, Zitate aus dem Zeitkontext zu lösen, und zweitens hat auch jeder das Recht, sich zu ändern. Nähme man die Petition der Leipziger Petenten ernst, müsste Paulus als Apostel zurücktreten. Drittens ist es nicht verboten, einer Landsmannschaft anzugehören, wie es auch nicht untersagt ist, Mitglied der Grünen Partei zu sein. Viertens, die Rücktrittsforderung auch damit zu begründen, dass der Bischof einen Vortrag in der Bibliothek des Konservatismus hielt, ist in politischer wie in theologischer Hinsicht niederschmetternd, denn zum einen entlarvt dies eine mangelnde demokratische Haltung der Petenten, wenn nicht gar totalitäre Neigungen, und zum anderen würden diese Maßstäbe die Frage aufwerfen, wo Jesus Christus, wo Petrus und wo Paulus nach dem Willen der Petenten hätten predigen dürfen und wo nicht. Gehört es nicht zu den Aufgaben des Christen, allen Menschen das Evangelium zu bringen?
Aber das eigentliche Problem, das sich am Umgang mit Bischof Rentzing zeigt, ist ein anderes. Es liegt in der Umwandlung der Kirche Jesu Christi in eine politische Vorfeldorganisation der Grünen. Ein leitendes Amt darf in der Kirche anscheinend nur antreten, wer bereit ist, eine rotgrüne Confessio abzulegen. So kann man es zumindest im „Kulturmagazin der evangelischen Kirche“ „zeitzeichen“, das u.a. auch von Heinrich Bedford-Strohm mitherausgegeben wird, nachlesen. Der Chefredakteur Reinhard Mawick schreibt dort in dankenswerter Offenheit: „Carsten Rentzing, Jahrgang 1967 und bis vor kurzem der jüngste Leitende Geistliche der EKD, äußerte sich in seinem Amt überhaupt nicht politisch. Damit war er in der Tat aus der Zeit gefallen, denn zur Praxis Leitender Geistlicher in der EKD gehört es eben heute, dass sie sich regelmäßig politisch äußern und dies in der Regel eindeutig im links-liberalen Spektrum.“ Die Order lautet also: Leitende Geistliche in der EKD haben sich,  „regelmäßig … eindeutig im links-liberalen Spektrum“ zu äußern. Wer es nicht tut, so sieht man am Beispiel des Landesbischofs Rentzing, wird nicht länger als „Leitender Geistlicher in der EKD“ geduldet. Damit läuft die EKD Gefahr, zur rotgrünen Sekte zu werden, denn die Zahl der Kirchenaustritte spricht eine eigene, sehr klare Sprache. Im Jahr 2018 verlor die EKD 395 000 Kirchenmitglieder. Das sind etwa doppelt so viele Menschen, wie die Stadt Potsdam Einwohner hat. Die Magdeburger Volksstimme von heute zitiert eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitut INSA, nach der 16 % der Mitglieder der evangelischen so wie der katholischen Kirche einen Austritt erwägen. Nur noch 59 % der Befragten schließen das völlig aus.
Bezeichnend ist es, dass Mawick eine Gespaltenheit der sächsischen Landeskirche – ausmachen will – sieht man von deren Apparat ab -, wo keine besteht. Wer das allerdings propagiert, der will die Spaltung. Es entsteht der Eindruck, als sollten die renitenten sächsischen Christen zur rotgrünen Räson gerufen werden. Wenn der Chefredakteur von zeitzeichen resümiert: „Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die Kontrahenten stünden sich hier und heute so scharf gegenüber, wie 1934 die Bekennende Kirche gegenüber den Deutschen Christen“, dann kann er mit den Bekennern nicht die Leipziger Petenten meinen, denn Dietrich Bonhoeffer kann weder von Heinrich Bedford-Strohm noch von den Leipziger Petenten theologisch vereinnahmt werden, der nun mal ein sehr konservativer Theologe war. Wahrscheinlich aber würde auch ein Dietrich Bonhoeffer in der EKD heute keine leitende Funktion ausüben dürfen.
Was bleibt den Christen übrig? Austreten? Weggehen? Widerstehen? Um diese Frage zu beantworten, hilft es, sich zwei fundamentale Sätze ins Bewusstsein zu rufen. Erstens die Kirche ist nach dem Glaubensbekenntnis, die „Gemeinschaft der Heiligen“, also die Gesamtheit aller Glieder. Zweitens wurde die Kirche von Christus gestiftet, sie ist also nicht die Kirche von Heinrich Bedford-Strohm, sondern sie ist Christi Kirche. Allerdings hat es den Anschein, als ob die Kirchenleitung das Schisma billigend in Kauf nimmt, um ihre Ideologie des Wohlfühlprotestantismus durchzusetzen.
Im Begriff der Reformation oder in der tottraktierten Forderung ecclesia semper reformanda steckt auch die Forderung zu einer forma, zu einer Gestalt des Lebens, zum Glauben zurückzukehren. Luthers Re-Formation wurde doch vor allem von dem Willen angetrieben, in einer Zeit, in der im Machtkampf und im politischen Engagement der Kirchenfürsten der Glauben verloren ging, den Glauben wiederzufinden, zum Glauben zurückzukehren. Zur Verkündigung. Kehrt die Kirche zur Verkündigung zurück, wird sie auch politisch sein, ohne sich jedoch parteipolitisch zu verkämpfen. Doch dazu bedarf es einer neuen Reformation. Ich fürchte inzwischen, mit dieser Kirchenleitung wird es nicht zu machen sein. Die Erneuerung der Kirche kann nur von und aus den Gemeinden heraus erfolgen – oder man wird ihrer vergebens harren und die Kirche als Institution wird in Deutschland enden. Der Glaube jedoch nicht, denn der wird neue Wege finden. Was Gott in die Welt gebracht, kann der Mensch nicht verlieren. Doch besser wär es, wir reformieren die Kirche. Alle jenen, die jetzt aus verständlichen Gründen die Kirche verlassen wollen, möchte ich gern sagen: Bleibt! Aber nicht, um zu dulden, sondern um zu ändern, um sich als kritische Christen zu versammeln – im Sinne einer Bekennenden Kirche, die das Bekenntnis zu Gottes Wort in den Mittelpunkt stellt.
Dr. Klaus-Rüdiger Mai, Zossen bei Berlin
Zuerst erschienen in ideaSpektrum 42/2019
Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 16. Oktober 2019 um 9:54 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche.