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Verbotene Bilder

Dienstag 7. Februar 2006 von Dr. Hans-Peter Raddatz


Dr. Hans-Peter Raddatz

Verbotene Bilder
In der islamischen Welt finden sich zahlreiche Darstellungen von Mohammed

Seit Tagen überschlagen sich die Ereignisse. Tausende von Menschen gehen auf die Straßen der islamischen Metropolen, um für ihre Religion zu demonstrieren. Dänische und deutsche Fahnen, aus alter Gewohnheit auch mal eine amerikanische, werden verbrannt, ihre Botschaften angegriffen. Es heißt, mit Karikaturen von Mohammed seien Glaube und Tradition des Islam, die Gefühle der Muslime herabgewürdigt worden.

Die aufregenden Bilder waren vor vier Monaten in einer dänischen Zeitung erschienen und sind wie auf Kommando jetzt im Nahen Osten aufgetaucht. Journalisten, die sie ebenfalls abdruckten, wurden unter Druck gesetzt und verloren teilweise ihren Job. Die dänische Zeitung und der Ministerpräsident des Landes haben sich inzwischen für die Publikation entschuldigt.

Manche fragen sich: Wofür eigentlich? Für die Pressefreiheit, für ein Gefühl, das durch die Pressefreiheit verletzt wurde, oder beides? Kann das Gefühl des Einzelnen ein für alle gemachtes Gesetz, noch dazu ein nichtislamisches, außer Kraft setzen? Oder gibt es gar ein kollektives Muslimgefühl, das wann und wo immer proklamiert, eine alle Grenzenüberschreitende Gesetzeskraft erlangt?

Der tiefere Grund des Vorgangs, das islamische Bilderverbot, ist dabei ein wenig an den Rand des Blickfelds geraten. Es stützt sich, wie alle anderen wichtigen Aspekte auch, auf den Koran, der bekanntlich durch den Verkünder Mohammed vermittelt wurde. Der Text läßt keine Unterscheidung zwischen „schaffen“ und „formen“ und damit auch keine bildende Kunst zu.

Da Allah die Welt und den Menschen geschaffen hat und fortwährend weiter schafft, ist es verboten, den Schöpfer zu imitieren, indem man in Skulpturen und Bildern seine lebendigen Geschöpfe formend und malend nachahmt. „Wer immer ein Abbild anfertigt“, droht die Tradition, „wird von Allah mit der Strafe dafür belegt, seinem Produkt Leben einzuhauchen.“

Wer es dennoch tut, „gehört zu den schlechtesten Menschen“, den Polytheisten, die Allah im Koran als Götzendiener verflucht. Die Traditionsgelehrten entwickelten diese Sicht weiter: Unrein seien die Bilder, wie Urin und Hunde verschmutzten sie die Häuser der Gläubigen, von denen Allah seine Engel und ihren guten Geist fernhielte. Diese Argumentation drehen die Schiiten, die im Iran, Irak und am Golf konzentriert sind, zu einer Befürwortung des Bildes um.

Gerade bei intaktem Glauben sei eine Verunreinigung kaum möglich. Weil der Polytheismus nur für den frühen Islam gelte, die Religion nun aber gefestigt sei, ginge von der bildlichen Darstellung keinerlei Gefahr mehr aus. Und sie ermahnten die Eiferer in einem weiteren Punkt: Nicht der Mensch hätte den Hersteller eines Bildes zu bestrafen, sondern sein Schöpfer am Tag des Gerichts.

Die oft aufgestellte Behauptung, das Verbot habe von Anbeginn des Islam bestanden, trifft keineswegs zu. Denn die Niederschrift der traditionellen Anweisungen und ihre Sammlung in verbindlichen Sammelwerken erfolgte erst im 9. Jahrhundert, also zwei Jahrhunderte nach Mohammed. Sowohl zuvor als auch danach ist die Beachtung des Verbots mehr als ungewiß. Als sicher kann angenommen werden, daß man schon sehr früh damit begonnen hat, es auf den Verkünder selbst konsequenter anzuwenden. Allerdings wurde auch bei ihm die „Verletzung der Gefühle“ zur Regel, nachdem die Mongolen 1258 das halbtausendjährige Abbasidenreich vernichtet hatten.

Ab 1300 brechen sich in der Türkei und im Iran Mohammed-Biographien und andere Werke Bahn, die reich bebildert sind und viele hundert Mal den Stifter des Islam koranwidrig darstellen. Dabei befinden sich Bilder, die sein Gesicht zeigen, keineswegs in der Minderzahl gegenüber denen, die es mit einem Schleier bedecken oder durch eine leere Fläche ersetzen. Auch in Europa stellten ihn in den Jahrhunderten danach viele Künstler auf verschiedenste Weise bis in die Gegenwart dar, ohne daß jemand Notiz davon genommen hätte.

Das bekannteste dieser Bilder ist Dantes Fresko „Mahomet in der Hölle“ am Dom von Bologna, das aber erst in unserer Zeit zum Stein des Anstoßes und sogar Ziel eines geplanten Bombenanschlags wurde. Wenn jetzt auch die dänischen Karikaturen Spekulationen über einen „Kampf der Kulturen“ anheizen, wird weniger die ästhetische, sondern die politische Dimension des Vorgangs deutlich. Denn der Islam ist (noch) keine Religion im westlichen Sinne, weil er keine Religionsfreiheit und damit auch keine Pressefreiheit kennt.

Der Vorgang verdeutlicht, wie überfällig ein „Dialog“ ist, der seinen Namen verdient. Der „Frieden des Islam“, die bekannte Floskel der Multikultur, ist der Öffentlichkeit über viele Jahre eine Erklärung dafür schuldig geblieben, daß er in wichtigen Fällen Ausnahmen fordert. Die Pressefreiheit ist eine von ihnen. Die Demonstrationen zeigen darüber hinaus, daß es im Islam kein rechtsstaatlich geregeltes Gewaltmonopol gibt.

Hans-Peter Raddatz (Jg. 1941) ist Orientalist, Volkswirt und Systemanalytiker.

Artikel erschienen am Di, 7. Februar 2006
© WELT.de 1995 – 2006

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 7. Februar 2006 um 20:35 und abgelegt unter Weltreligionen.