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Predigt: Mission impossible Рein unm̦glicher Auftrag

Donnerstag 15. Dezember 2005 von Erzbischof Janis Vanags


Erzbischof Janis Vanags

Mission impossible – ein unmöglicher Auftrag
Predigt über Joh. 6,1-13

Jesus erteilt seinen Jüngern einen unmöglichen Auftrag. Fünf Brote, zwei Fische – also so viel, wie ein Knabe mit sich tragen konnte. Und dann ist dort die große verhungerte Volksmenge mit allein 5000 Männern. Es fällt schwer, sich diesen zum Mißerfolg verurteilten und im voraus zu berechnenden Auftrag auszumalen. Jeder von uns wird einmal etwas ähnliches erlebt haben. Irgend etwas muß gemacht werden, was wir auch wirklich machen möchten. Doch wenn wir dann die Ressourcen überschlagen (wie das die Jünger damals taten) – dann haben wir nur 200 Groschen, fünf Brote und zwei Fische, die wir uns von einem Knaben leihen können. Doch das ist in keinem Fall genug. Und dann stehen wir ratlos da. Dazu haben Komplikationen und hoffnungslose Situationen eine sehr unangenehme Eigenschaft – wir wissen es nicht, worauf sie hinauslaufen. Das macht alles noch unerträglicher. Vielleicht ist die Speisung der Tausende von Menschen das einzige Wunder Jesu, von dem alle vier Evangelisten berichten, damit wir, auch wenn wir nur einen von ihnen lesen, eine Anleitung hätten, wie wir uns verhalten sollten in einem Augenblick, in dem wir anscheinend Unmögliches zu bewältigen haben.

Sicher wird jetzt jemand einwenden: „Dieser Fall ist doch gar nicht mit meinem zu vergleichen! Damals stand den Jüngern doch Jesus zur Seite. Er hat alles gelöst. Er hat das Brot und die Fische vermehrt. Wenn Jesus dort nicht gewesen wäre, dann wäre doch alles mit Schande und einem Misserfolg zu Ende gegangen. Den Jüngern stand Jesus zur Seite, aber wen haben wir?“ Ja, wir können wirklich, wenn wir fragen, wodurch sich die im Neuen Testament geschilderten Ereignisse von Episoden unseres eigenen Lebens offensichtlich unterscheiden, zum Schluß kommen: bei ihnen war damals Jesus und hat große Dinge getan. Doch bei uns ist das nicht der Fall. Wir befinden uns in einer völlig anderen Situation.

Wenn wir so reden, dann sind wir Philippus und Andreas sehr ähnlich, die Jesus in die Augen schauen, mit ihm reden und sagen: “Wir haben nicht genügend Mittel. Wir haben nur die 200 Groschen, fünf Brote und zwei Fische.“ Als ob Jesus überhaupt nicht da wäre. Selbst die von Christus berufenen Jünger suchen einen Ausweg, so als ob Jesus gar nicht anwesend wäre. Und dann kann es wirklich sein, daß Aufträge unerfüllbar und Situationen unlösbar erscheinen. Dabei ist die am schwersten zu bewältigende von allen Situationen die Begegnung mit dem Tode. Doch Jesus hat uns verheißen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dieses Wort bedeutet, daß wir uns dem Wesen nach in einer vergleichbaren Lage befinden wie die Jünger damals – Jesus war nahe bei ihnen und Jesus ist nahe bei uns. Alle Tage. Bis an das Ende. Christus ist vom Himmelreich zu uns gekommen, um bei uns zu sein in komplizierten Lebenslagen. Jesus ist bei ihnen und bei uns alle Tage. Das glauben wir doch, oder nicht? Ist es uns schon eingefallen und haben wir genug Vertrauen, das auch in der Praxis des Alltages zu überprüfen?

Weshalb sollen wir uns darauf verlassen? Wer macht uns Mut, die Lösung bei Jesus zu suchen? Johannes macht an dieser Stelle die Bemerkung, daß dort am Ort, an dem sich das Volk lagerte, viel Gras gewesen sei. Das scheint eine Bemerkung ohne Belang zu sein, die keiner weiteren Ãœberlegung wert ist. Doch der Evangelist Johannes gibt sich nicht mit unwesentlichen Kleinigkeiten ab. Das Symbol für Johannes ist der Adler. Er betrachtet alles aus der Sicht des fliegenden Adlers: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort…“ Aber was bedeutet dann das Gras? Erinnert uns dieses kleine Detail nicht an etwas oft Gehörtes und an etwas ganz Großes? „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nicht mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue…“ (Psalm 23) Sowohl durch den Flug des Adlers als auch durch die Niederung der grünen Aue versucht der Evangelist dasselbe zu sagen: „Der bei euch alle Tage ist, der euch sagt ‚ Kommet her zu mir alle, und ich werde euch nicht zurückweisen’ – ist der Herr, dem Himmel und Erde gehorsam sind.“

Jesus fragt Philippus: „Wo kaufen wir Brot, daß diese essen?“ Er fragt ihn, um ihn zu prüfen, denn er selbst wußte wohl, was er tun wollte. Jesus prüft Philippus damit, daß er ihm einen unmöglichen Auftrag erteilt. Wie wird Philippus darauf reagieren? Welche Lösung wird er suchen? Philippus besteht die Prüfung nicht. Er fängt an, Geld zu zählen. Andreas zählt die Fische. Dennoch hat dieser Vorgang etwas sehr beruhigendes. Wenn es in unserem Leben zu Komplikationen kommt und wir nicht sehen, was hinter der Kurve auf uns zukommt, weiß Jesus bereits, was er in dieser Situation tun möchte. Und er ist es, der alle auf dem Grase lagern lässt. Er ist der Herr. Er ist es, der bereit war, sein Leben für uns zu opfern. Durch seine Auferstehung von den Toten zeigte er der Menschheit, daß er genügend Ressourcen hat, um uns auch mit dem unmöglichsten Auftrag zu betrauen – dem Tode zu begegnen und dennoch weiter zu leben. Wenn wir ratlos sind, dann laßt uns daran denken, daß Jesus es bereits weiß, was er mit uns in dieser Lebenslage vor hat. Sein liebender Wille geschehe! Wir können versuchen, einen fordernden Ton aus seiner Frage herauszuhören: „Was wirst du in dieser deiner Lebenslage tun? Was wirst du tun, wenn du an die letzten Dinge deines Lebens denkst? Wirst du Fische zählen? Oder fällt dir dabei etwas anderes ein?“ Und dann bekommen unsere Gewohnheiten eine große Bedeutung.

Der schwedische Theologe Sven Erik Brod sagte in einem Interview einer lettischen Zeitschrift: „Christ sein heißt, an einer ganz bestimmten Praxis festhalten. Du nimmst an der Liturgie teil, betest, versuchst, dich in das Geheimnis des Lebens aus der Perspektive der Tradition deiner Kirche zu vertiefen.“ Menschen, die es gewohnt sind, den christlichen Glauben als eine erhabene Idee, als reines Dogma oder als spontanes geistliches Geschehen aufzufassen, lässt diese Antwort das Gesicht verziehen. Praxis? Gewohnheit? Das hört sich eher an wie Routine, wie irgendwelche äußeren Formen. Das hört sich nach Kirche an!

Dennoch kann man gerade durch die eigenen Gewohnheiten viel über die eigene Bereitschaft zu einem geistlichen Leben erfahren. Wonach greifst du in Streß Situationen? Nach einem übermäßigen Aktivismus? Nach fieberhaftem Schaffen? Zum Alkohol? Nach Jesus? Ist es deine Gewohnheit, in einer Situation, die dich plötzlich überfällt, dich an Ihn zu wenden? Im entscheidenden Augenblick könnte das von entscheidender Bedeutung sein für die richtige Entscheidung. Im Vergleich mit der Begabung ist die Gewohnheit von großer Bedeutung. Wenn du nicht begabt bist, dann kannst du daran nur schwer etwas ändern, doch Gewohnheiten kannst du entwickeln. Zum ersten Mal ist es Philippus und Andreas sicher sehr schwer gefallen, Jesus zu gehorchen. Doch nach der Erfahrung der Speisung der vielen Tausenden fiel es ihnen viel leichter, sich auf den Weg zu machen, um das Unmögliche zu tun. Und so fällt es mit jedem Mal leichter, statt die Brote und die Fische zu zählen, die Lösung bei Jesus Christus zu suchen. Als die Frauen den Jüngern die Botschaft brachten, daß sie sich nach Galiläa zu begeben hätten, um etwas ganz unvernünftiges zu tun – um Jesus zu sehen, den sie doch soeben begraben hatten – da gehorchten sie und gingen. Nachdem sie dem Auferstandenen begegnet waren, waren sie bereit, zu gehen und alle Völker zu Jüngern zu machen.

Dazu sind sie nicht in einem Augenblick gekommen, sondern Schritt um Schritt dadurch, daß sie jedes Mal Jesus gehorchten. Am Anfang hatten sie nicht genügend Geld und Fische. Sie hatten auch noch nicht einen sehr starken Glauben. Doch sie bestanden den Gehorsams – Test. Es mag ihnen unvernünftig und hoffnungslos vorgekommen sein, doch sie taten, was Jesus ihnen auftrug – sie ließen die Tausende sich im Grase lagern, nahmen ihre lächerlich geringen Lebensmittelvorräte und fingen an, diese von einem Ende bis zum anderen zu verteilen.

Oft können wir nicht einen großen Glauben oder eine tiefe Weisheit vorweisen, doch diese vermehren sich mit unserem Vertrauen. Jesus vermehrte das Brot praktisch aus dem Nichts. Dasselbe kann er auch mit unserem geringen Glauben und unserer geringen Erkenntnis tun, wenn wir bereit sind, das im Gehorsam weiter zu geben. Denn das ausgestreute Samenkorn des Gehorsams bringt die Frucht der Erfahrung. Wenn jemand erfahren hat, daß Christus diejenigen nicht zu Schanden werden läßt, die sich auf ihn verlassen, dann eröffnet sich ihm eine solche Dimension der Realität des Glaubens, daß man sie nicht beschreiben, sondern sie nur erfahren kann. Die Erfahrung des Glaubens ist es, die Vertrauen, Mut und Frieden schenkt. Unsere Kirchen haben es erfahren, was es bedeutet, von Jesus beauftragt zu sein, das Unmögliche zu tun. War es nicht von der Kirche unvernünftig, zu versuchen, die Jahre der sowjetischen Besatzung zu überleben? Konnten wir es wirklich erhoffen, daß wir das Imperium des Bösen überwinden würden? Konnten wir, die wir Jahrzehnte lang in Hoffnungslosigkeit gelebt hatten, es ahnen, daß diese eines Tages verschwinden würde? Natürlich konnten wir das nicht. Doch wir konnten auf Jesus hören. Es gab viele, die anfingen, Geld und Brote zu zählen – wenn ich weiterhin zur Kirche gehe, was wird dann aus meiner Arbeit und meinem Beruf, aus meiner Rente. aus meiner Freiheit oder sogar aus meinem Leben? Doch es gab viele, die blieben. Sie sahen nicht nur, sondern erfuhren die Verheißung Christi: „Die Pforten der Hölle werden die Kirche nicht besiegen.“ Heute werden wir oft gefragt; “Erzählt uns doch, wie das war – während der Sowjetzeit der Kirche anzugehören. “ Das kann man eigentlich nicht beschreiben, das kann man nur erfahren.

Und die Möglichkeit, es zu erfahren, haben wir auch noch heute. Das Sowjetimperium ist zusammengebrochen, doch wäre es naiv, sich einzubilden, daß die Pforten der Hölle sich geschlossen hätten. Nicht nur im Blick auf die Sowjetunion sagte Jesus den Seinen: „Ihr werdet gehaßt sein von jedermann um meines Namens willen. Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig.“ (Markus 13,13). Der sozialistische Totalitarismus in Europa ist zu Ende, doch die Kirche wird von dem bekämpft, was wir wirklich als Fundamentalismus des säkularen Humanismus bezeichnen können. Die Kirche wird von der Diktatur des Marktes und der Tyrannei der Gelüste herausgefordert. Jeder Glaube und jede Moral sind Hürden für den neuen Materialismus, weil sie jeden Absatz von Waren verringern und der zügellosen Lust ihre Grenzen zeigen. Diese Konfrontation ist vielleicht nicht so gewaltsam wie die davor, doch der Wunsch, die Kirche zum Schweigen zu bringen oder sich von ihr zu befreien, ist mit dem Abtreten des alten Regimes keineswegs verschwunden.

Hier könnte nun die Kirche mit dem Zählen der Fische beginnen – können wir überhaupt etwas gegen die allmächtigen Mechanismen des Marktes bewirken? Können wir etwas dem heutigen krassen Relativismus oder Individualismus entgegensetzen? Wird man uns nicht für altmodisch halten, wenn wir sagen, daß wir der Bibel als Gottes Offenbarung vertrauen? Wenn wir die Jugend zu einem reinen Leben aufrufen, wird sie sich dann nicht von uns abwenden? Werden die Mächtigen im Staate nicht an uns Rache nehmen wollen, wenn wir mit ihnen reden wie einst der Prophet Nathan mit David geredet hat? Wird man uns nicht für intolerant und undemokratisch halten, wenn wir für die traditionelle Familie eintreten oder uns entschieden gegen Abtreibung aussprechen? Offen gesagt, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wir können die Zukunft nicht im voraus berechnen. Doch wir können auf Jesus hören. Unsere geschichtliche Erfahrung lehrt uns, daß dieses die einzige Möglichkeit für ein vernünftiges Handeln ist. Der Gehorsam gegenüber Jesus sollte uns zur täglichen Gewohnheit werden – uns als einzelnen Menschen und uns als Kirche. Gott helfe uns dazu. Amen.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 15. Dezember 2005 um 17:21 und abgelegt unter Predigten / Andachten.