Extremisten bedrohen Richter und Politiker – Blasphemie-Prozesse können nicht nur für die Angeklagten tödliche Folgen haben
Montag 7. November 2016 von Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
Islamabad (7. November 2016) – Richter und Anwälte, die in Pakistan mit Blasphemie-Fällen zu tun haben, werden zunehmend bedroht. Damit ist die Unabhängigkeit der Gerichte in diesen heiklen Fällen immer öfter ausgehebelt. Diese Einschätzung vertritt die in Frankfurt ansässige Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Der prominenteste Fall ist der der fünffachen christlichen Mutter Asia Bibi. Am 13. Oktober sollte zuletzt über ihren Fall verhandelt werden. Einer der drei Richter an Pakistans Oberstem Gericht, Iqbal Hameed-ur-Rehman, hatte sich erst zum Prozessauftakt für befangen erklärt und am 26. Oktober sein Ausscheiden aus dem Dienst verkündet. Deswegen wird die Berufungsverhandlung verschoben.
Islamisten hatten in mehreren Städten die Hinrichtung Asia Bibis gefordert. „Jeder Richter in einem Blasphemie-Verfahren weiß, dass sein Votum für einen Freispruch für ihn und seine Familie mit hoher Wahrscheinlichkeit bedeutet, sich schließlich im Ausland in Sicherheit bringen zu müssen“, erklärte Martin Lessenthin, Sprecher des IGFM-Vorstands. Wie Augenzeugen der IGFM berichteten, konnten sich einige Islamisten sogar Zugang zum Gerichtssaal verschaffen.
Der Gouverneur der Provinz Punjab Salman Taseer setzte sich für Asia Bibi ein und wurde deswegen am 4. Januar 2011 von seinem Leibwächter Mumtaz Qadri mit 28 Schüssen umgebracht. Der Mörder, der zwar am 29. Februar dieses Jahres hingerichtet wurde, kam durch den Bau einer Moschee im Jahr 2014, die seinen Namen trägt, zu hohen Ehren. Hingegen musste Richter Pervez Ali Shah, der Qadri zum Tode verurteilt hatte, im Oktober 2011 mit seiner Familie ins Exil nach Saudi-Arabien gehen, weil Extremisten ihn bedroht hatten.
Morde an Verfahrensbeteiligten
Weil er nur wenige Tage vor Asia Bibis Verhandlungstermin vor dem Höchsten Gericht ebenfalls wegen Blasphemie-Vorwürfen vor den Richter kam, geriet der 16-jähirge Nabeel Masih ins Visier von Islamisten. Nicht nur, dass der Anwalt der Gegenseite ihm das Recht auf Verteidigung absprach. Dutzende Islamisten hatten sich bei seiner ersten Anhörung versammelt und den Angeklagten, seine Verwandten und Verteidiger bedroht. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagte die Rechtsanwältin Aneeqa Anthony, die ihn im Team vertritt, zur IGFM. Dass dies keine leeren Drohungen sind, habe sich bereits in mindestens einem Fall gezeigt, in dem der Verteidiger eines wegen Blasphemie Angeklagten ermordet wurde. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage zieht sich der Fall noch länger hin.
Asia Bibi sitzt seit dem 19. Juni 2009 in Haft und wurde erstinstanzlich im November 2010 zum Tode verurteilt. Der Fall hat eine große Symbolkraft für die Auseinandersetzung um die Bedeutung der Scharia im Land. Pakistans Oberstes Gericht ließ im Juli 2015 die Berufung zu und schob die Hinrichtung auf. Angesichts zweier Morde an Fürsprechern für Asia Bibi sowie anhaltender Drohungen hält die IGFM den Fall für langfristig kaum verhandelbar.
Quelle: Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, IGFM, 7.11.2016
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 7. November 2016 um 15:26 und abgelegt unter Christentum weltweit, Weltreligionen.