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Jesus weint über Jerusalem, Predigt am Israelsonntag über Lukas 19,41-44

Freitag 12. August 2016 von Prädikant Wolfgang Wilke


Prädikant Wolfgang Wilke

Seit der Reformationszeit denkt die Kirche mit dem „Israelsonntag“, Anfang August, in besonderer Weise an das Volk Israel und daran, dass Jesus ja selbst diesem Volk angehört. Israel steht wie kein anderes Volk in der Kritik der Weltöffentlichkeit und wird auch wie kein anderes Volk von einer Übermacht an Feinden bedroht, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Israel vom Erdboden auszulöschen. Das ist allerdings nicht neu. Es gab noch nie eine Zeit in der Geschichte, in der Israel ein Liebling der Völker war. Bei der Beurteilung der aktuellen politischen Situation betrachten wir Israel immer nur durch das aktuelle Zeitfenster. Es fehlt uns oft der Durchblick. Wir sehen die Dinge nicht im Zusammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit Seinem Volk und Seiner gesamten Schöpfung.

Deshalb beurteilen wir z.B. Israel nur aus dem heutigen Blickwinkel, d.h. was wir heute sehen und hören und kommen dadurch zwangsläufig oft zu falschen Schlussfolgerungen. Deshalb ein ganz kurzer Blick auf die Heilsgeschichte Gottes. Nachdem die Menschen der Urgeschichte sich immer wieder gegen Gott und Seine gute Herrschaft aufgelehnt hatten, erwählte ER Abraham und gab ihm die Zusage, dass ER ihn zu einem großen Volk, zu Seinem Volk machen wolle. Und Gott wies ihm ein großes, fest umrissenes Land zu und verhieß ihm: „In dir sollen gesegnet werden alle Völker und ICH will segnen, die dich segnen.“ (Vgl 1.Mo 12,3)

Aus Abraham und seiner Familie wurde ein Volk in der ägyptischen Gefangenschaft. Gott rettete Israel auf wunderbare und einmalige Weise aus der Sklaverei und Macht in Ägypten. Als Israel kurz darauf schon wieder anderen Göttern nachlief, sandte Gott über Jahrhunderte Seine Propheten und warnte Sein Volk vor den Folgen ihrer Vielgötterei. Durch den Propheten Jeremia ließ ER Seinem Volk ausrichten: „…du musst innewerden und erfahren, was es für Jammer und Herzeleid bringt, den HERRN, deinen Gott, zu verlassen und ihn nicht zu fürchten, spricht Gott, der HERR Zebaoth.“ (Jer 2,19b)

Das Volk gehorchte nicht und so kam es, wie es Gott angekündigt hatte: Am 9. August des Jahres 587 v. Chr. wurde Israel von dem babylonischen Heer unter Nebukadnezar erobert, die Stadt und der Tempel zerstört und ein Großteil der Bevölkerung in die babylonische Gefangenschaft geführt. Gott schenkte ihnen zwar nach 70 Jahren die Möglichkeit der Rückkehr in ihre Heimat. Doch von dieser Katastrophe hat sich Israel nie wieder so richtig erholt und wurde kein eigener Staat mehr.

Weiterhin sandte Gott Seine Propheten und warnte Sein Volk, sich erneut von IHM, dem lebendigen Gott, abzuwenden. Aber Sein Volk wollte nicht hören. Zuletzt sandte Gott dann Seinen eigenen Sohn, Jesus Christus, um Sein Volk zu retten. Drei Jahre wirkte Jesus in Galiläa und Judäa und erklärte den Menschen den Heilsplan Gottes. Aber sie wollten nicht.

Dann, am Sonntag vor dem Passahfest des Jahres 33 n.Chr., zog Jesus unter dem Jubel einer großen Menschenmenge nach Jerusalem, der Stadt Gottes. Auf dem Ölberg macht ER halt. Ich lese Lukas 19, 41-44.

„Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.“

Hier bekommen wir einen kleinen Einblick in das Herz Gottes, denn Jesus ist Gott! ER, der HERR über die Naturgewalten, der Kranke heilte und Tote wieder ins Leben zurückrief, ja der mit Seinem kräftigen Wort das ganze Universum zusammenhält, weint, als ER vom Ölberg aus auf Seine Stadt Jerusalem blickt.

Nach dem Urtext vergoss ER nicht nur Tränen, sondern es überfiel IHN ein lautes Schluchzen! Jesus ist zutiefst erschüttert, denn ER sieht mehr, als das natürliche Auge sieht. ER sieht, welche Konsequenzen ihre Ablehnung in Zukunft haben wird. Dieser Bericht zeigt uns Jesus als den wahren Heiland und Retter, der Sein Volk liebt. Der Tag des Einzugs des HERRN in Seine Stadt war der letzte Entscheidungstag für Jerusalem. Die ganze Vergangenheit des Volkes hätte an diesem einen Tag wiedergutgemacht werden können. Aber die göttliche Gnade, die der einziehende König bringen wollte, war nach Gottes gerechtem Ratschluss dem Volk verborgen (Mt 11,25.26), aber nicht ohne persönliche Schuld des Volkes.

Jesu ist erschüttert. IHM liegt Sein Volk Israel so sehr am Herzen, dass ER weint, als ER erkennt, dass sie IHN als ihren Retter nicht haben wollen. Sie hatten eine bestimmte Vorstellung von dem verheißenen Messias und dem entsprach Jesus nicht, weil ER anders war, anders lehrte und anders handelte als erwartet.

So klagt Jesus aus tiefstem Herzen: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!“ (Mt 23,37)

Eine gefährliche Ansammlung von Eigensinn, Überheblichkeit und Gleichgültigkeit kann man hinter ihrer Ablehnung vermuten. Es finden sich ja bis heute immer wieder Gründe, die Menschen davon abhalten, Jesus nachzufolgen. Aber, wer Jesus ablehnt, der als Einziger der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, läuft in sein eigenes Unglück. Manfred Siebald drückt das in seinem Lied klar aus:

Es geht ohne Gott in die Dunkelheit, aber mit IHM gehen wir ins Licht.

Von Hermann Bezzel stammt das Zitat:

„Wissen, was man weiß, und es nicht ändern können, das bricht einem Mann das Herz.“

So ist es hier bei Jesus: Seine Tränen sind Ausdruck Seiner Ohnmacht. Denn, was kann man machen, wenn der Ruf zur Umkehr nicht gehört wird. Selbst Jesus sind die Hände gebunden, obwohl ER alle Macht hat. Seine Liebe zwingt nicht. Sie wirbt um jeden Einzelnen und lädt ihn ein, das Rettungsangebot anzunehmen. Weil aber die Liebe nicht zwingen kann, ist die andere Seite der werbenden Liebe das Leiden. Die Tränen Jesu sind Ausdruck Seines Leidens an Seinem Volk.

Jesus sieht vor Seinem geistigen Auge hinter den schönen Fassaden der Stadt Jerusalem bereits die Trümmer und Schutthaufen und den endgültig zerstörten Tempel, die Wohnung Gottes bei Seinem Volk. ER sieht auch die Zerstreuung in alle Welt und die Pogrome, denen Sein Volk in den kommenden 2000 Jahren ausgesetzt sein wird.

Deshalb sagt ER schweren Herzens die Worte:

„Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.“ (Lk 19, 42b-44)

Genau das geschah, als Titus, der Sohn des römischen Kaisers mit seiner großen Armee Jerusalem belagerte, einen Wall aufschütten ließ und die Stadt eroberte und zerstörte. Tausende kamen dabei um und der Rest des Volkes wurde in alle Winde zerstreut, bis auf den heutigen Tag.

Durch das Feuer waren die Goldplatten an den Tempelfassaden geschmolzen und das kostbare Material in die Steinfugen und Fundamente gelaufen. Es blieb, wie vorhergesagt, kein Stein auf dem anderen. Als einziges blieb ein Teil der Westmauer, die sog. Klagemauer, stehen. Die Zerstörung Jerusalems fand exakt am gleichen Tag statt, wie damals unter Nebukadnezar, nämlich ebenfalls an einem 9. August im Jahre 70 n.Chr. d.h. 37 Jahre nach der Ankündigung durch Jesus.

Seither ist dieser Tag der nationale Trauertag für das gesamte Judentum. Bis heute trauern sie über diese für sie so furchtbare und weitreichende nationale Katastrophe. Davon hat sich Israel bis heute nicht wieder erholt. Nur wenige erkennen darin aber wirklich ein Gerichtshandeln Gottes bis heute.

Sollte das aber der Schluss der Geschichte Gottes mit Seinem Volk Israel sein, dann wäre es, nicht nur für Israel, sondern auch für uns persönlich, eine furchtbare Katastrophe. Doch Gottes Heilsgeschichte geht weiter. Seine Gerichte zielen nicht auf endgültige Vernichtung, sondern ER will Sein Volk damit erziehen und zurechtbringen, heimsuchen. Zunächst aber schiebt ER Israel zur Seite und wendet sich für fast 2000 Jahre den Heidenvölkern zu und bietet ihnen Sein Heil an. Damit will ER Sein Volk neugierig machen und in ihm die Eifersucht auf die fröhliche Gottesbeziehung der Heiden wecken.

Nachdem Seine Rettungsbotschaft nun fast alle Völker erreicht hat, wendet sich Gott erneut Seinem Volk Israel zu und bewirkt, dass 1948 der Staat Israel gegründet wird. Nach 2000 Jahren dürfen Ju­den wieder in ihrem eigenen Land leben. Und Gott wirkt weiter. ER hält schützend Seine Hand über Sein Volk und Land und ruft die zerstreuten Glieder Seines Volkes aus aller Herren Länder (170) zurück. Ein einmaliges Ereignis in der gesamten Weltgeschichte, das da vor unseren Augen abläuft. Wir sehen Gott am Werk. ER will und wird Sein Volk nicht nur äußerlich „heimbringen“ in sein ursprüngliches Land, sondern auch in eine gute Beziehung zu sich und zu den Völkern. ER will eine innere Erneuerung und dass sie Jesus als ihren Messias und Retter erkennen. Davon sind wir aber noch um einiges entfernt.

Dennoch gilt: „Wohl dem Volk, dessen Gott, der HERR ist, dem Volk, das ER zu Seinem Erbteil erwählt hat. (Ps 33,12) Es erinnert daran, dass Gottes Erwählung für Israel noch immer gilt. Gott hat Sein Volk ja extra dazu „gebildet“, damit es ein Zeichen Gottes in der Welt ist, das auf IHN hinweisen soll. Israel ist zwar untreu gewesen, aber Gottes Treue ist durch Israels Untreue nicht aufgehoben.

Das ist für uns als Gemeinde und als Einzelne von besonderer Bedeutung. Würde Gott Seine Verheißung zurücknehmen und Israel endgültig verwerfen, dann könnten wir den Zusagen Gottes für unser Leben und unsere Rettung für die Ewigkeit nicht mehr vertrauen. Wir müssten immer damit rechnen, dass ER wegen unserer Untreue die Geduld verliert und Seine Zusagen an uns auch zurücknimmt. Dann wären wir auf ewig verloren.

Nun aber dürfen wir anhand der 4000-jährigen wechselvollen Ge­schichte Israels die unbeugsame Treue Gottes zu Seinem Volk und damit auch zu Seinen Verheißungen an uns als Gemeinde erkennen. Auf Sein Wort ist unbedingt Verlass, dafür ist Israel Gottes unübersehbares Zeichen in dieser Welt.

Jesus sagt: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“ (Mt 24,35)

Amen.

Prädikant Wolfgang Wilke, Predigt für den 11. Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag), 7.8.2016

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 12. August 2016 um 12:29 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Predigten / Andachten.