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Interview mit Dr. Albert Wunsch

Donnerstag 30. Oktober 2014 von Administrator


albert wunschEindrĂŒcke vom MĂ€nnerkongress der UniversitĂ€t DĂŒsseldorf zum Thema „Angstbeißer, Trauerkloß, Zappelphilipp? Seelische Gesundheit bei MĂ€nnern und Jungen“ vom 19.-20. September 2014

Welches erstes Fazit ziehen Sie nach diesen 2 Tagen mit gut 20 hochkarÀtigen Fach-Impulsen?

Es war ein grandioses Informations-Feuerwerk, welches die jeweiligen Referenten bzw. Referentinnen den ca. 200 Teilnehmern und Teilnehmerinnen geboten haben. Ich habe mir reichlich Notizen gemacht und mich bei der Input-Verarbeitung wie in meinen Studienjahren gefĂŒhlt. Vieles muss sich noch setzen. Etliche Konkretisierungen erwarte ich, wenn die Referenten ihre Materialien fĂŒr die Teilnehmer veröffentlicht haben. Denn viele BeitrĂ€ge waren so komprimiert, dass eine exakte Nacharbeit unumgĂ€nglich ist. Was ich aber jetzt schon sagen kann, die Teilnahme hat sich sehr gelohnt und mir reichlich neue Ansatzpunkte und Sichtweisen fĂŒr meine Arbeit gegeben, nicht nur im Umgang mit MĂ€nnern.

Was springt Ihnen denn aus Ihrer Erinnerung als erstes entgegen?

Da bin ich sofort beim Eingangsreferat von Prof. Dr. Walter Hollstein (Basel) mit dem recht provokanten Titel: „Die Enteignung des Phallischen“. Er berichtete von einigen Begebenheiten, welche verdeutlichten, wie Buben ihres Lebensraumes beraubt und an einer artgerechten Entwicklung gehindert werden.

Da bastelte ein ca. 5jĂ€hriger mit seinem Vater zum Wochenende voller Enthusiasmus ein – vom Sohn schon lange ersehntes – Holzschwert und die Erzieherin verunglimpfte Kind und Vater, weil sie Kriegswerkzeug hergestellt hĂ€tten. Da veranlasst die Leiterin einer Schule in Basel, die Markierungen fĂŒr die BallspielflĂ€che auf dem Schulhof aufzuheben, weil die Jungen in der Pause besser miteinander reden sollten, das wĂ€re auch gesĂŒnder. Da gestaltet eine Lehrerin in Brandenburg den Sportunterricht fĂŒr 12 – 14jĂ€hrige Jungen und MĂ€dchen, indem sie SchleiertĂ€nze einĂŒben lĂ€sst. Und eine andere Sportlehrerin lĂ€sst beim Basketball den Jungen einen Arm auf den RĂŒcken binden, um den MĂ€dchen auch eine Gewinnchance zu geben.

FĂŒr diejenigen im Hörsaal, welche in diesen Beispielen noch keine Enteignung des Phallischen erkennen konnten, verwies Prof. Hollstein darauf, dass die amerikanische Professorin, Feministin und politische Aktivistin der Lesbenbewegung sowie Science-Fiction-Autorin Sally Gearhart schon 1979 bzw. 1982 dafĂŒr plĂ€diert hatte, die mĂ€nnliche Bevölkerung auf 10 % der Gesamtbevölkerung zu reduzieren.

Nicht so lange und etwas anders akzentuiert liegt der ultimative Aufruf der Amerikanerin „Krista“ zurĂŒck, bekannt geworden als “The Femitheist”, die – anstelle des bisherighen Vatertages – zum „Internationalen Kastrations-Tag“ aufrief, um durch eine Entfernung der Hoden die Hauptursache fĂŒr das gewalttĂ€tige Verhalten von MĂ€nnern zu beseitigen, weil sie an die wahre Gleichheit glaubt. Solche Absichten machen verstĂ€ndlich, so der Referent, dass – z.B. in Schweden immer mehr MĂ€nner Tai-Frauen heiraten und um – stark durch ein falsch verstandenes Emanzipationsbewusstsein geprĂ€gte – schwedische Frauen einen Bogen machen.

Da wurde aber den TeilnehmerInnen eine recht schwer verdauliche Kost prĂ€sentiert. Wie fĂŒhrte Prof. Hollstein diese Gedanken denn noch weiter aus?

Hier eine sinngemĂ€ĂŸe Wiedergabe seiner HauptausfĂŒhrungen: ‚Es entspricht inzwischen dem Zeitgeist, MĂ€nnlichkeit nur noch mit den negativen Assoziationen von Gewalt, Krieg, Naturzerstörung, sexueller BelĂ€stigung und Missbrauch zu verbinden. Auch einstmals positive QualitĂ€ten von Mannsein werden mittlerweile gesellschaftlich umgedeutet. MĂ€nnlicher Mut wird als mĂ€nnliche AggressivitĂ€t denunziert, aus Leistungsmotivation wird Karrierismus, aus Durchsetzungsvermögen mĂ€nnliche Herrschsucht, aus sinnvollem Widerspruch mĂ€nnliche Definitionsmacht und das, was einst als mĂ€nnliche Autonomie durchaus hochgelobt war, wird nun als die mĂ€nnliche UnfĂ€higkeit zur NĂ€he umgedeutet.

Angesichts eines profeministischen Mainstreams in Politik, Wissenschaft und Medien bleibt dies unbedacht, mit verheerenden Folgen fĂŒr die mĂ€nnliche IdentitĂ€tsbildung von Buben und jungen MĂ€nnern’. Er verdeutlicht: Wenn der Mainstream sagt, ‚weiblich ist progressiv’ und ,mĂ€nnlich ist reaktionĂ€r’, dann ist das eine systematische Offerte zur Selbstzerstörung der Gesellschaft. Dieser Denkansatz, so Prof. Hollstein, beherrsche schon auf subtile Weise die Medien und verdeutlichte dies an folgendem PhĂ€nomen: Als im FrĂŒhjahr 2014 mehr als 200 nigerianische MĂ€dchen in die Gewalt der Islamistengruppe Boko Haram gerieten und verschleppt wurden, berichteten weltweit fast alle Medien tagelang ĂŒber diese grausame Tat. Dass aber einige Zeit vorher – ebenfalls im Norden Nigerias – ĂŒber 300 mĂ€nnliche Jugendliche durch dieselbe Gruppierung getötet wurden, fĂŒhrte zu fast keiner Berichterstattung.

Können Sie – fĂŒr die vielen Nicht-Teilnehmer – einen Kurz-Überblick zu den Haupt-Themen dieses Kongresses geben?

Da springen mir zurĂŒckblickend fast alle Überschriften ins Bewusstsein. Sie skizzieren sehr eindrucksvoll die problematische und gestörte mĂ€nnliche Lebenswelt und deren gesellschaftliche Folgen: „Destruktive ImpulsivitĂ€t bei mĂ€nnlichen Jugendlichen – eine therapeutische Herausforderung“, von Dr. Manfred Endres (MĂŒnchen); „Seelische Konflikte in der mĂ€nnlichen Entwicklung“, von Dr. Heribert Blass (DĂŒsseldorf); „MĂ€nner und das Land der (un)heimlichen GefĂŒhle“, von Dipl.-Psych. Björn SĂŒfke (Leopoldshöhe); „Gut getarnt ist halb gewonnen? Depression bei MĂ€nnern“, von Prof. Dr. Anne-Maria Möller-LeimkĂŒhler (MĂŒnchen); „MĂ€nnliches Leiden an der Arbeitswelt – Ursachen, Folgen, LösungsansĂ€tze“, von Prof. Dr. Johannes Siegrist (DĂŒsseldorf); „Arbeitsstress bei MĂ€nnern – Möglichkeiten der PrĂ€vention”, von Prof. Dr. Peter Angerer (DĂŒsseldorf); „MĂ€nnerkrankheiten. Bemerkungen zur sozialen Konstruktion psychopathologischer Kategorien“, von PD Dr. Peter Schneider (ZĂŒrich); Westdeutsche MĂ€nner in stationĂ€rer Psychotherapie bis 1990″, von Christoph Schwamm; „Tagesklinik fĂŒr MĂ€nner – Ein teilstationĂ€res Behandlungskonzept“ von
Prof. Dr. Michael Hettich (Sehnde); „Gewalt macht krank. Ein Thema (auch) fĂŒr MĂ€nner?“ von AndrĂ© Karger (DĂŒsseldorf); „Risikolust am Rausch – doing gender with drugs!“, von Prof. Dr. Heino Stöver (Frankfurt a.M.). Das ganze wurde durch 3 alternativ nutzbare Abendveranstaltungen (Großgruppe – mit gruppenpsychoanalytischer Begleitung, Autorenlesung und eine FilmvorfĂŒhrung „Mysterious Skin” mit psychoanalytischer Besprechung) ergĂ€nzt.

Welche Themen sprachen Sie, auch auf dem Hintergrund Ihrer eigenen BeratungstÀtigkeit in den Bereichen Erziehung, Partnerschaft und Konflikt-Coaching besonders an ?

Das waren zwei noch nicht erwĂ€hnte Themenfelder. Einerseits das Referat von Prof. Dr. Matthias Franz, dem Hauptverantwortlichen dieses Kongresses, welches sich differenziert mit der multikausalen Frage beschĂ€ftigte: „Was macht den RollenkĂ€fig (von MĂ€nnern) so stabil ?“ Er verdeutlichte, dass, wenn Kinder ein falsches Selbst erwerben, viele Störungen im weiteren Leben vorprogrammiert sind. So geraten besonders Jungen in eine frĂŒhe AbhĂ€ngigkeit von der Mutter, oft auch deshalb, weil Frauen im Umgang mit der Geschlechtlichkeit des Jungen – wenn auch meist unbewusst – den Bezug zur eigenen Geschlechtlichkeit im Kontakt mit MĂ€nnern einbringen.

Prof. Franz bezeichnete dies als das mĂ€nnliche Problem schlechthin, welches noch durch abwesende VĂ€ter massiv verstĂ€rkt werde. Bezogen auf die angeblich emotions-reduzierten MĂ€nner verdeutlichte er, dass diese in Feldern typisch mĂ€nnlicher IdentitĂ€t – wie z.B. im Fußball oder in SchĂŒtzenvereinen – sehr ausgeprĂ€gt GefĂŒhle zeigen könnten. An einer MĂ€nnerbild-Vorgabe: ‘Bitte lĂ€cheln und nicht schwĂ€cheln !’ gehen jedoch auf Dauer viele zugrunde. Dies wird auch durch Zahlen belegt.

So sterben MĂ€nner im Vergleich zu Frauen ca. 8 Jahre frĂŒher, haben eine dreimal höhere Selbstmord- und DrogenabhĂ€ngigkeits- sowie eine um ein vielfaches höhere KriminalitĂ€ts-Rate. Noch konkreter: Ein Mann aus der Unterschicht lebt 15 Jahre weniger als die Oberschichtfrau, zahlt aber fĂŒr diese krĂ€ftig in die Rentenkasse. WĂ€hrend Frauen unter ihren psychosomatischen BeeintrĂ€chtigungen leiden, sterben die MĂ€nner. Wenn MĂ€dchen fĂŒr bessere Schulergebnisse, weniger Schulabbrecher, mehr AbiturprĂŒfungen stehen und Frauen kĂŒrzere Studienzeiten und – teilweise durch Quotenregelungen – bessere Berufsein- und Aufstiegs-Chancen haben, dann wird ein Gerede vom ‚schwachen und benachteiligten Geschlecht’ zur MĂ€r.

Bezogen auf meine erziehungsberaterische Arbeit mit Eltern waren die BeitrĂ€ge von Dr. Bernhard Stier (Butzbach): „ADHS – Warum zappelt Philipp ?“ und der Ă€ußerst praxisbezogene Beitrag von Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber (Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt a.M.) zu: „Beschleunigte Jungs- verlangsamte Frauen ? – Ergebnisse empirisch-psychoanalytischer Studien zu ADHS”, fĂŒr mich sehr bereichernd.

Wenn wir uns beispielsweise verdeutlichen, dass von 108 Kindern, welche mit der Diagnose ADHS einer soliden Untersuchung zugefĂŒhrt wurden, anschließend bei weniger als 10 real ADHS attestiert wurde, dann mĂŒsste auch bisher UnbekĂŒmmerten klar werden, dass den meisten angeblich ĂŒberaktiven Kindern keine von wem auch immer eingebrachte ADHS-Diagnose mit anschließendem Ritalin-Einsatz gerecht wird.

Zu vielen Kindern fehlt eine tĂ€glich mehrstĂŒndige körperliche Bewegung. Jungen benötigen ergĂ€nzend körperliche Herausforderungen, auch mit KrĂ€ftemessen und Risiko. Wer dies nicht – auch in der Schule – gezielt fördert, missachtet eine gesunde und förderliche Geschlechtsentwicklung. Insgesamt wird die – zum Teil ganz natĂŒrliche – kindliche Lebhaftigkeit viel zu leichtfertig als Störung bzw. Krankheit bezeichnet.

So titelte eine Zeitung: ‘1,1 Tonnen Ritalin zur Ruhigstellung sĂ€chsischer Kinder.’ Der Kongress verdeutlichte, dass eine qualifizierte Begleitung von Kindern und Eltern sowie geeignete therapeutische Maßnahmen immer Vorrang vor ruhigstellenden Medikamenten haben mĂŒsse. In vielen FĂ€llen wĂŒrde auch ein konsequent-wohlwollender erzieherischer Umgang weiterfĂŒhren. Denn wer – vielleicht auch ĂŒberbordende Energie – leichtfertig abzuschalten sucht, zerstört die Entwicklung von meist kreativen und nicht in eine Schablone pressbare Jungen.

Dass eine störende ÜberaktivitĂ€t in Verbindung mit Aggression in der Regel keine Ruhigstellung, sondern Aufarbeitung der Ursachen benötigt, wurde von Frau Prof. Leuzinger-Bohleber im Rahmen eines Fallberichtes eindrucksvoll erlĂ€utert. So wurde, bei einem anscheinend ‚höchst aggressiven Kind’ in einer KiTa in Frankfurt’ – es spuckte seine Erzieherin direkt ins Gesicht – durch eine exakte Analyse der LebensumstĂ€nde deutlich, dass sich das Kind in einer absoluten Überforderungs-Situation befand: Die Mutter war depressiv und lag meist im Bett, der Vater verlor vor einigen Wochen seine Arbeit wegen eines Krebsleidens. Nach entsprechend langer Zuwendung gegenĂŒber dem Kind wurde der Grund des Anspuckens der eigentlich gemochten Erzieherin deutlich: ‚Wenn ich die Frau H. anspucke, weiß ich wenigstens, weshalb ich ins Heim komme’.

Welch drastische Kindeswohl-Missachtung mit eklatanten SpĂ€tfolgen hĂ€tte hier eine medikamentöse Ruhigstellung ausgelöst. Abschließend einige grundlegende Verdeutlichungen der Referenten: ‚Wenn die Eltern von Mozart oder Einstein ihre Söhne per Ritalin ruhig gestellt hĂ€tten, was wĂ€re der Menschheit verloren gegangen’ ? „Kinder sollten nicht schulgerecht, sondern Schulen sollten schĂŒlergerecht gemacht werden.“ – Ritalin gegen ADHS – Wundermittel oder Kokain fĂŒr Kinder ? Die Fachvertreter gaben eine eindeutige Antwort.

Gibt es aus Ihrer Sicht einzelne Aspekte, welche in ErgÀnzung zu den bisher aufgegriffenen Themen mit wenigen Worten zu konkretisieren wÀren?

Ja, die gibt es im Rahmen meiner subjektiven Wahrnehmung. Als erstes springen mir die unterschiedlichen AnsĂ€tze und Ergebnisse der feministischen und systemischen Forschungen wieder ins Bewusstsein. So kommen feministische Untersuchungen zu dem Ergebnis, das jede vierte bzw. dritte Frau Gewalt erlebt hat, wobei davon ausgegangen wird, dass diese durch MĂ€nner ausgelöst wurde. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums werden rund 37 Prozent aller Frauen zwischen 16 und 85 Jahren mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher Gewalt oder Übergriffen.

Systemische AnsĂ€tze kommen dagegen zu anderen Ergebnissen, indem sie nicht nur Frauen sondern auch MĂ€nner befragen und auch klĂ€ren, wer gegen wen Gewalt einsetzte. Zu Irritationen fĂŒhrte der Befund, dass in DĂ€nemark ca. 40% der Frauen angaben, Opfer von Gewalt geworden zu sein, wĂ€hrend kroatische Frauen auf ca. 20% kamen. Die Frage stand im Raum, ob hier das Gewalt-Verhalten oder die Bewertung von dem, was als Gewalt bezeichnet wird, zu diesen Unterschieden fĂŒhrte ? Ein aufhorchen lassender Befund: ‚Es gibt mehr Gewalt von Frauen gegen MĂ€nnern, als gesellschaftlich bekannt ist und durch die Medien veröffentlicht wird. UnabhĂ€ngig von einer Geschlechterdifferenzierung: Einerseits macht Gewalt krank und zerstört Beziehungen, andererseits ist Gewalt die Folge fehlender oder negativer Beziehungen.

In Ihrem Buch: Mit mehr selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung“ haben Sie sich auch mit der Bedeutung einer stabilen Kind-Eltern Beziehung auseinander gesetzt. Welche Verbindungen sehen Sie zum hier in der Tagung vorgetragenen GewaltphĂ€nomen ?

Gewalt bei Jugendlichen entsteht, wenn das Selbstbild als gefĂ€hrdet betrachtet wird und ist in der Adoleszenz meist die Folge schwieriger oder traumatischer Ereignisse in der Kindheit. Wichtig, gerade fĂŒr Jungen, ist die reale PrĂ€senz des Vaters. Dies ist die sinngemĂ€ĂŸe Wiedergabe eines Leit-Gedankens von Dr. M. Endres. Auch fĂŒr mich lassen sich Gewalttaten am ehesten durch einen starken Selbstkontroll-Verlust als Folge fehlender oder zu gering ausgeprĂ€gter förderlicher Sozialkontakte erklĂ€ren. Denn wenn ein Mensch – eventuell schon von Kindesbeinen an – kein ‚warmes Nest’ als Auftank- und Zufluchts-Ort hatte, kann sich aus dieser Frust-Erfahrung ein solches Verhalten entwickeln.

Viele Tiere verhalten sich Ă€hnlich wie Menschen: Auf soziale Ausgrenzung bzw. fehlende Einbezogenheit wird entweder mit krankmachendem RĂŒckzug oder einer ausgeprĂ€gten Aggression gegen das Umfeld reagiert. Eine sich im stillen RĂŒckzug Ă€ußernde Verzweiflung, welche oft durch Alkohol oder andere Drogen zu ĂŒberwinden gesucht wird, ist jedoch nicht weniger dramatisch, wird nur seltener zur Kenntnis genommen. Im Grunde handelt es sich in beiden Äußerungsformen um einen Not-Schrei aufgrund fehlender Zuwendung und Anerkennung. Das Neue scheint mir jedoch das grĂ¶ĂŸere Ausmaß von Gewalt zu sein. So hĂ€ufen sich die FĂ€lle, wĂ€hrend die AnlĂ€sse immer weniger nachvollziehbar sind.

Gab es vor Jahren meist eine eskalierende Auseinandersetzung, bevor FĂ€uste, Fußtritte oder sogar ein Messer zum Einsatz kamen, so scheint heute schon ein falsches bzw. falsch gedeutetes Wort oder eine als störend empfundene Geste zum Auslöser von brutalen Gewalt-Attacken zu reichen. In meinen Hochschul-Seminaren verdeutliche ich den Studierenden immer erneut, dass der instabile – also nicht in guten Bindungen lebende Mensch – die Quelle aller Konflikte ist. Wir brauchen mehr Jungen und MĂ€dchen, die sich nicht vom ersten Gegenwind umpusten lassen und sich auch nicht als den Mittelpunkt der Welt sehen. Das kann nur ein stabiles ICH leisten. Alle Menschen mĂŒssen besser lernen, mit Spannungen bzw. Konflikten umgehen zu können. Einer Lebens-Devise: ‚Wenn mir schon niemand Beachtung oder WertschĂ€tzung entgegen bringt, dann sollt ihr mich wenigstens fĂŒrchten!’ wird somit der Boden entzogen. Denn wer keine Selbstkontroll-FĂ€higkeiten entwickeln konnte, wird sich kaum von seinem Vorhaben abhalten lassen, machtvoll die eigene Ohnmacht ĂŒberwinden zu wollen.

Wie ist Ihr persönliches ResĂŒmee zu diesem MĂ€nner-Kongress?

Ich gehe davon aus, dass alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Wichtigkeit des Themas durch ihr aktives Interesse verdeutlicht haben. Besonders die Forderung von Dr. Blass greife ich hier auf: „Der eher fĂŒr Jungen typische Drang zu motorischer Bewegung und ExpansivitĂ€t sollte in Kindergarten und Schule nicht unreflektiert mit Aggression gleichgesetzt werden. Jungen brauchen stattdessen eine positive WertschĂ€tzung ihrer nach außen gerichteten FĂ€higkeiten.“ Auch wurde fĂŒr mich erneut deutlich, welch gravierende Verwerfungen sich in einer Gesellschaft ergeben, wenn sich Teilbereiche unabgestimmt verĂ€ndern oder von sich aus traditionelle Rollenmuster im Alleingang außer Kraft zu setzen suchen. Ob sich nun MĂ€nner oder Frauen, Alte oder Junge, Deutsche oder Einwanderer ein grundlegend neues Profil geben wollen oder sollten, ohne eine Einbeziehung der Anderen geht es nicht.

ErgĂ€nzend stelle ich aber auch noch folgende in der Tagung zum Ausdruck gebrachte Fragen hier erneut: Wieso meinen Feministinnen immer noch, sich eine neue Welt ohne ein produktives Zusammenwirken mit MĂ€nnern schaffen zu können ? Wieso gibt es etliche Sonderegelungen fĂŒr Frauen, welche gleichzeitig MĂ€nner benachteiligen ? Wieso sind in Deutschland Gleichstellungsbeauftragte grundsĂ€tzlich Frauen ? Und wieso werden diese hĂ€ufig angegriffen, wenn sie ihrem grundgesetzlich geregelten Auftrag nachkommen, sich auch fĂŒr die Gleichstellung von MĂ€nnern zu engagieren ? Wieso gibt es Frauen- und keine MĂ€nner-Ärzte ? Wieso gibt es bei einer so deutlichen Problemanzeige von Jungen und MĂ€nnern nur Frauenministerien ? Wieso gibt es SonderparkplĂ€tze fĂŒr Frauen und nicht geschlechtsunabhĂ€ngig fĂŒr Ă€ngstliche Menschen ? Wie sind all diese Fragen mit dem Gender-Grundsatz zu vereinbaren ?

Ich hoffe mit den andern Teilnehmern und Teilnehmerinnen sowie allen Menschen guten Willens, dass dieser MĂ€nner-Kongress und die hier aufgeworfenen Fragen zu einem das Zusammenleben fördernden Ergebnis fĂŒhren. Ich schließe mit einer Mischung aus Verdeutlichung und Appell mit den Worten von Prof. Dr. Walter Hollstein: ‚Der Feminismus und seine Ideologie prĂ€gen heute die öffentliche Debatte. Dabei erscheint der Mann als verachtenswerte und defizitĂ€re Gestalt; er wird als schlecht, böse und eigentlich ĂŒberflĂŒssig dargestellt. Ohne ihn sĂ€he die Welt besser aus. Solche Zuschreibungen beschĂ€digen die Selbstachtung von Jungen und MĂ€nnern und lassen nicht mehr viel von ihnen ĂŒbrig. Das hat negative Folgen – auch fĂŒr die Frauen und die Gesellschaft insgesamt. Eine einseitige Frauenpolitik wird sich daher in nicht allzu ferner Zukunft politisch dafĂŒr verantworten mĂŒssen, dass sie die Probleme von Jungen und MĂ€nnern seit zwei Jahrzehnten willentlich ignoriert und damit einen sozialen ZĂŒndstoff provoziert, der jetzt schon die Grundfesten der demokratischen Ordnung unterminiert’.

Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17

Das Interview fĂŒhrte Frau Heiderose Manthey.

Quelle: www.archeviva.com

Dr. Albert Wunsch ist Psychologe und promovierter Erziehungswissenschaftler, Diplom PĂ€dagoge, Diplom SozialpĂ€dagoge. Bevor er 2004 eine LehrtĂ€tigkeit an der Katholischen Hochschule NRW in Köln (Bereich Sozialwesen) begann, leitete er ca. 25 Jahre das Katholische Jugendamt in Neuss. Im Jahre 2013 begann er eine hauptamtliche LehrtĂ€tigkeit an der Hochschule fĂŒr Ökonomie und Management (FOM) in Essen / Neuss. Außerdem hat er seit vielen Jahren einen Lehrauftrag an der Philosophischen FakultĂ€t der Uni DĂŒsseldorf und arbeitet in eigener Praxis als Paar-, Erziehungs-, Lebens- und Konflikt-Berater sowie als Supervisor und Konflikt-Coach (DGSv). Er ist Vater von 2 Söhnen und Großvater von 3 Enkeltöchtern.

Seine BĂŒcher: Die Verwöhnungsfalle (auch in Korea und China erschienen), Abschied von der SpaßpĂ€dagogik, Boxenstopp fĂŒr Paare und Mit mehr Selbst zum stabilen ICH – Resilienz als Basis der Persönlichkeitsbildung, lösten ein starkes Medienecho aus und machten ihn im deutschen Sprachbereich sehr bekannt.

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 30. Oktober 2014 um 14:13 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik, Interview.