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A. W. Tozer: Die Furcht Gottes

Freitag 23. Februar 2024 von Aiden Wilson Tozer (1897-1963)


Aiden Wilson Tozer (1897-1963)

Eine Wahrheit, die in der ganzen Bibel gelehrt wird und die sich durch die Jahrhunderte hindurch in der persönlichen Erfahrung zahlloser heiliger Männer und Frauen als wahr erwiesen hat, könnte man wie folgt in einer glaubensmäßigen Grundannahme zusammenfassen: Niemand kann die wahre Gnade Gottes erkennen, der nicht zuerst die Furcht Gottes kennengelernt hat.

Die erste Ankündigung von Gottes Heilsabsicht im Blick auf die Menschheit geschah gegenüber einem Mann und einer Frau, die sich in Todesangst vor der Gegenwart des Herrn versteckt hatten.

Das Gesetz Gottes wurde einem Mann gegeben, der inmitten von Feuer und Rauch vor Furcht zitterte und angesichts der Stimme des Donners und des Schalls der göttlichen Posaune erbebte. Als die Zunge von Zacharias durch das geheimnisvolle Wirken Gottes gelöst wurde, heißt es in Bezug auf die Menschen in seinem Umfeld: „Furcht kam über alle, die um sie [d.h. um Zacharias und seine Frau] her wohnten“ (Lk 1,65). Selbst die bekannte Verkündigung „Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen“ (Lk 2,14) wurde Hirten gegeben, von denen es aufgrund der plötzlichen überwältigenden Gegenwart der himmlischen Heerscharen heißt: „Sie fürchteten sich mit großer Furcht“ (V. 9).

Wir müssen die Bibel nur mit offenen Augen lesen, um zu erkennen, dass diese Wahrheit wie ein roter Faden vom 1. Buch Mose bis hin zur Offenbarung verläuft. Die Gegenwart des Göttlichen erfüllte die Herzen der sündigen Menschen immer mit Furcht. Die Offenbarwerdung Gottes war stets von etwas umgeben, was die Beteiligten in Schrecken versetzte, sie aus der Fassung brachte und tief beeindruckte und sie mit einem über das Normale hinausgehenden Schrecken erfüllte. Dieser Schrecken hatte nichts zu tun mit der Furcht vor körperlichem Schmerz. Es war vielmehr eine allumfassende Bestürzung, die die Betreffenden tief im Innersten ihres eigenen Wesens erfuhren – eine Bestürzung, die viel größer war als die Furcht, die man normalerweise aufgrund des natürlichen Selbsterhaltungstriebs empfindet.

Ich glaube nicht, dass irgendetwas dauerhaft Gutes aus glaubensmäßigen Aktivitäten entstehen kann, was nicht in dieser Art von Furcht des Geschöpfes Mensch wurzelt. Erst wenn wir durch die Furcht Gottes in die richtige Stellung gebracht worden sind, kann er sich unseren Glaubensaugen offenbaren. Sind wir schon von jenem namenlosen Schrecken ergriffen worden, der entsteht, wenn ein unheiliges Geschöpf plötzlich mit dem konfrontiert wird, der der Allerheiligste ist? Solange das nicht geschehen ist, werden wir von der Lehre der Liebe und Gnade, wie das im Neuen Testament enthaltene Evangelium sie aufzeigt, höchstwahrscheinlich nicht sehr berührt werden. Die Liebe Gottes bewegt ein fleischliches Herz überhaupt nicht; oder wenn doch, dann in die falsche Richtung, denn die Erkenntnis, dass Gott uns liebt, könnte uns vielleicht auch nur in unserer Selbstgerechtigkeit bestärken.

Es gibt Bemühungen der Modernisten[1] (ob nun liberaler Art oder derjenigen, die sich theologisch »als Grenzgänger« betätigen). Sie versuchen, Menschen für Gott zu gewinnen, indem sie ihnen das Glaubensleben eines Christen von seiner Sonnenseite her vorstellen. Das ist ein schlimmes Übel, denn sie ignorieren gerade den Hauptgrund für unsere Entfremdung von Gott. Solange ein Mensch angesichts der Schwierigkeiten, denen er sich gegenübersieht, nicht innerlich kapituliert, solange wird er seine Probleme mit Gott wohl kaum lösen können. Kain und Abel sind zwei ernste Beispiele für diese Wahrheit. Kain brachte dem Herrn eine Opfergabe in der Annahme dar, dass ihm diese wohlgefällig wäre. Abel brachte dem Herrn ein Opfer in dem Bewusstsein dar, dass er so, wie er war, vor Gott nicht angenehm sein konnte. Sein zitterndes Herz sagte ihm, dass er einen Platz finden musste, der ihm Deckung bieten und zu dem er Zuflucht nehmen konnte. Kains Herz zitterte nicht. Kain war ganz von Selbstzufriedenheit geprägt, sodass er keinen derartigen Zufluchtsort suchte. Die Furcht Gottes wäre Kain in diesem kritischen Augenblick überaus dienlich gewesen, denn sie hätte den gesamten Charakter dieses Opfergeschehens gewandelt und den ganzen Verlauf seines Lebens zum Besseren verändert.

So unverzichtbar, wie die Furcht des Herrn auch ist – wir müssen uns doch immer vor Augen halten, dass man sie nicht durch Drohungen, die im Namen Gottes ausgesprochen werden, zustande bringen kann. Hölle und Gericht sind Realitäten, und sie müssen so vollständig, wie die Bibel sie lehrt, in ihrem schriftgemäßen Kontext gepredigt werden; es darf diesbezüglich nichts hinzugefügt und nichts weggelassen werden. Aber sie können jenes Geheimnisvolle, das wir „die Furcht des Herrn“ nennen, nicht herbeiführen. Die Furcht des Herrn ist etwas Übernatürliches, das in keinerlei Beziehung zu Androhungen von Strafe steht. Sie hat etwas Geheimnisvolles an sich, das oft ohne einen großartigen intellektuellen Inhalt auskommt. Sie ist eher ein Empfinden als eine Vorstellung; sie ist die innere Reaktion eines gefallenen Geschöpfes in der Gegenwart desjenigen heiligen Wesens, von dem das überwältigte Herz weiß, dass es Gott ist. Allein der Heilige Geist kann dieses Empfinden im menschlichen Herzen wecken. Alle unsere eigenen Bemühungen, es herbeizuführen, sind vergeblich oder sogar schädlich.

Weil die Furcht des Herrn etwas Übernatürliches ist, kann sie niemals durch wiederholte Warnungen vor Krieg, vor dem Kommunismus oder vor Wirtschaftskrisen hervorgerufen werden. Der gängige Trick, die Menschen in Furcht zu versetzen, damit sie Christus annehmen, indem man ihnen mit Atombomben und ferngesteuerten Waffen droht, ist weder schriftgemäß noch wirkungsvoll. Wenn man Feuerwerkskörper vor einer Herde von Ziegen abschießt, gelingt es wahrscheinlich, sie in eine Schafhürde zu treiben. Aber alle natürliche Furcht der Welt kann aus einer Ziege kein Schaf machen. So kann auch die Furcht vor einer russischen Invasion unbußfertige Menschen nicht in solche verwandeln, die Gott und die Gerechtigkeit lieben. Auf diese Art und Weise geht es einfach nicht.

Woher kommt dann die wahre Furcht Gottes? Aus dem Wissen um unsere eigene Sündhaftigkeit und aus einem Gespür für die Gegenwart Gottes. Jesaja machte eine deutliche Erfahrung sowohl seiner persönlichen Unreinheit als auch der Furcht einflößenden Gegenwart Jahwes: Beide Erfahrungen zusammengenommen waren mehr, als er ertragen konnte. Sich seiner Unwürdigkeit bewusst, bekannte er laut die eigene Sündhaftigkeit, die noch unentschuldbarer geworden war, weil seine Augen den König – ja, den Herrn der Heerscharen – geschaut hatten.

Eine Gemeinde wird diese geheimnisvolle Furcht Gottes spüren, wenn ihr Pastor bzw. ihre verantwortlichen Brüder vom Heiligen Geist erfüllt sind. Als Mose mit seinem strahlenden Angesicht vom Berg Sinai herabkam, nahmen die Kinder Israel sogleich diesen Abglanz der göttlichen Herrlichkeit wahr. Mose war sich des Strahlens auf seinem Angesicht, das bei den Israeliten Furcht hervorrief, allerdings nicht bewusst.

[1] A.d.H.: Damit sind Vertreter theologischer Anschauungen gemeint, die biblische Inhalte an das Weltbild der Moderne anpassen wollen.


Auszug aus:

Tozer, A. W.: Die Wurzel der Gerechten, Bielefeld: Christliche Literatur-Verbreitung (CLV) 1. Auflage, bearbeitete Neuauflage des früher im Verlag der Liebenzeller Mission erschienenen Titels 2022, 158 S., entnommen von S. 39–42.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 23. Februar 2024 um 5:30 und abgelegt unter Allgemein.