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Kirchenkrise und (strukturelle) Sofortmaßnahmen

Mittwoch 31. Januar 2024 von Andreas Späth


Die Ortsgemeinde ist in der Krise. Das ist unübersehbar. Die meisten Gottesdienstgemeinden sind derartig überaltert, dass statistisch gesehen in spätestens 20 Jahren kaum Gottesdienstbesucher mehr da sein werden. Viele Gemeindehäuser haben nur noch die Funktion von Volkshochschulen und bieten ein günstiges Raumangebot für alles Mögliche, wenn sie nicht überwiegend leer stehen.

Dass die Kirchenleitung darauf reagieren muss – und schon längst hätte reagieren müssen –, ist nicht zu bezweifeln.

Nun kann man das machen, wie in der Wirtschaft. Man kämpft um Märkte, solange man sich Gewinnmöglichkeiten erhofft, oder man zieht sich bei negativer Prognose zurück. Das klingt plausibel und ist relativ einfach umzusetzen und dieser Weg scheint verlockend. Aber wir reden nicht von Wirtschaftsgütern, die der Markt evtl. nicht braucht – obwohl natürlich auch Kirche eine wirtschaftliche Dimension hat –, sondern von Menschen und deren Nöten und deren Seelenheil.

Das ist das erste, was festzuhalten ist: Kirche hat ein Ziel. Nicht die vielen Ziele und überbordenden Strukturen, die geschaffen wurden, um die zu beschäftigen, die längst das Ziel aus den Augen verloren haben, sondern das schlichte Ziel, den Auftrag Jesu zu erfüllen: nachfolgen und Jünger machen. Und hier tritt das erste Problem auf. Das Ziel scheint weithin unbekannt, oder wird eher halbherzig verfolgt. Das ist kein Vorwurf an überlastete Mitarbeiter in Gemeinden, die das Möglichste tun, sondern an diejenigen, die sich der Steuermannskunst rühmen, ohne sie zu haben. Ein Kapitän muss das Ziel kennen und dann einen Kurs festlegen, der zum Ziel führt.

Leere Kirchen wiederzubeleben geht also nicht über zielferne Aktionen. Den Klima-Kleber-Kids wie in Berlin Kirchen zur Verfügung zu stellen ist zielfremd. Keiner wird dadurch zum Jünger Jesu. Eine untaugliche Maßnahme.

Ein Rückzug aus der Fläche, wie wir ihn derzeit erleben mit verwaisten Pfarrstellen, verkauften Pfarrhäusern und zusammengelegten Gemeinden potenziert das Problem. Die katholische Kirche macht es uns seit Jahren vor. Wegen Priestermangels werden Gemeinden zusammengelegt, Kirchen aufgegeben und Infrastruktur zerschlagen. Die Folge ist ein weiterer Rückgang der Gemeinde. Die entstehende Abwärtsspirale ist ein Teufelskreis, der sich stets auf niedrigerem Niveau neu wiederholenden Krise und führt zu immer stärkerer Schrumpfung, die am Ende das Gewicht der Sachzwänge dahingehend potenziert, dass in ganzen Landstrichen das kirchliche Leben schlussendlich erdrückt wird.

Noch ist die Kirche in nahezu allen Dörfern und Städten mit Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäusern präsent. Damit ist sie immerhin sichtbarer Mittelpunkt (möglichen) geistlichen Lebens in der Welt. Wenn nun nach der Glaubensstruktur und Personalstruktur auch noch die Infrastruktur zerschlagen wird, ist die verfasste Kirche wie ein Land nach einem Krieg. Alles ist zerstört.

Gemeinde, Pfarramt, Kirche sind Anlaufpunkte, Ankerzentren für viele Dorfgemeinschaften. Man geht nicht ins Nachbardorf zum Gottesdienst. Das kann man kritisieren. Sogar scharf, als glaubenslos. Wenn Gottesdienst und Gemeindeleben wichtig wären, nähme man das auf sich. Richtig. Doch die Realitäten der Volkskirche sind andere. Die Abwertung des Wortes Gottes, der Frömmigkeit und des öffentlichen Glaubenslebens haben eben auch Folgen. Wo das Wort nur halbherzig verkündigt wird, darf es nicht verwundern, wenn mancher auch nur mit halbem Herzen bei der Sache ist. Und man darf auch ruhig sehen, dass Heimat etwas Positives ist.

Für ein Dekanat, dessen Strukturen mir gut bekannt sind, prognostiziere ich in 20 Jahren eine handvoll lebendige Gemeinden. Das sind die Gemeinden, die seit Jahren eine starke missionarische Jugendarbeit haben. 0der jetzt beginnen, ihre Ressourcen zu konzentrieren, Mitarbeiter im Bereich der missionarischen Jugendarbeit einzustellen, Seelsorge zu betreiben und sich auf eine erweckliche und glaubensstärkende Verkündigung zu konzentrieren.

Vor diesem Hintergrund darf man auch die Frage stellen, ob es wirklich zu wenig Personal in der Kirche gibt. Eine neue Studie zeigt, dass noch vor etwa 50 Jahren das Verhältnis von Gemeindepfarrern zu Pfarrern auf irgendwelchen Funktions-, Sonder-, Verwaltungsstellen usw. 20:1 betrug. Das aktuelle Verhältnis liegt bei 2,3:1. Etwa jede dritte Pfarrstelle ist dem Gemeindedienst entzogen!

Was könnte an Sofortmaßnahmen geschehen?

  1. Jeder Pfarrer außerhalb des Gemeindedienstes wird einem Dekanat zur Dienstleistung zugewiesen und hält mindestens ein- bis zweimal im Monat Gottesdienst. Dies würde helfen, das Gottesdienstangebot in der Fläche zu stärken und den Rückzug aus der Region zunächst stoppen und verhindern, dass Strukturen abbrechen, die hinterher schwer wiederzubeleben sind.
  2. Immobilien werden nicht verkauft, sondern vermietet, damit man sie bei Bedarf wieder für geistliche Zwecke reaktivieren kann.
  3. Dekanatsjugendreferenten gehen in Gemeinden, wo es keine Kinder- und Jugendarbeit gibt und bauen auf Projektstellen über zwei, drei Jahre Jungschargruppen und Mitarbeiterkreis auf und gehen dann in die nächste Gemeinde. Nicht überregionale Angebote mit noch weiteren Wegen für die Gemeinde, sondern das ,,zu den Menschen gehen“ ist der Weg.
  4. Kirche verabschiedet sich vom Monopol universitärer Ausbildungsstätten, die sowieso kaum mehr Nachwuchs haben und den Bedarf in der Zukunft bei weitem nicht werden abdecken können. Der Rückgang der Studentenzahlen Theologie / Religionspädagogik ist so drastisch, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Je früher man den Tatsachen ins Auge sieht, desto weniger schlimm wird die Krise. Die Pläne ggf. den Religionsunterricht in den nächsten 20 Jahren abzuschaffen werden sofort beerdigt. Es werden Absolventen missionarisch gesinnter Ausbildungsstätten auf Gemeindeebene zum Aufbau von Kinder- und Jugendarbeit angestellt und ggf. weiterqualifiziert für den Religionsunterricht, der auch unter die Räder zu kommen droht. Wichtig ist hier auch die Zusammenarbeit mit kirchlichen Kindergärten und dem Religionsunterricht als Anknüpfungspunkten. Wie in Württemberg sollte das Pfarramt für Absolventen freier Hochschulen geöffnet werden. Diesen mangelnde Wissenschaftlichkeit zu unterstellen ist absurd. Die STH Basel etwa hat eigenes Promotions- und Habilitationsrecht! lm übrigen kann man die Effektivität dessen, was an so mancher Universität als „wissenschaftlich“ gilt, getrost bezweifeln. Mit dem Wert mancher Lehre für die Gemeinde ist es nicht weit her, betrachtet man die Leere in Kirchenbänken und Herzen. Die tote Gelehrsamkeit ist verzichtbar. Wir brauchen, was Leben schafft!

Quelle:

Kirchliche Sammlung um Bibel und Bekenntnis – KSBB: Bekenntnis & Sammlung für eine Kirchenreform, November 2023, S. 2–3.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 31. Januar 2024 um 5:00 und abgelegt unter Allgemein.