Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Wie wir in der Nachfolge Jesu heute feststehen können

Freitag 6. Oktober 2023 von Pastor Johannes Pflaum


Pastor Johannes Pflaum

Vielleicht haben Sie schon einmal etwas von den drei japanischen Soldaten Hiroo Onoda, Teruo Nakamura und Shoichi Yokoi gehört, die während des Zweiten Weltkriegs auf verschiedenen Inseln stationiert waren: Onoda als Leutnant im philippinischen Dschungel auf Lubang, Nakamura auf einer indonesischen Insel und Sergent Shoichi auf der Pazifikinsel Guam. Was haben diese drei Männer gemeinsam? Als die US-Streitkräfte und Alliierten in den Jahren 1944 und 1945 auf den jeweiligen Inseln landeten, zogen sich diese Männer mit anderen japanischen Soldaten in den Dschungel zurück, Aufgeben war für sie keine Option. Sie wollten standhaft bis ans Ende den erteilten Befehl befolgen. So bekamen sie es auch nicht mit, als der Krieg endete. Allein hielten sie weiterhin die Stellung.

Die einsame Standfestigkeit dieser Männer führte dazu, dass Yokoi erst 1972 entdeckt wurde und rund 27 Jahre nach Kriegsende seinen längst überfälligen Posten räumte. Onoda und Nakumara kehrten zwei Jahre später, 1974, in ihre Heimat zurück. Bis 29 Jahre nach Kriegsende hatten sie ausgehalten. Besonders berührend ist die Aufgabe von Onoda. Erst als die Behörden seinen ehemaligen Vorgesetzten ausfindig gemacht und auf die philippinische Insel eingeflogen hatten, war Onoda bereit, auf dessen Befehl hin zu kapitulieren. So hatten alle drei bis fast dreissig Jahre nach Kriegsende auf ihren Posten ausgeharrt.

Es ist eine unglaubliche Geschichte, die diese drei Männer miteinander verbindet. Die Art und Weise, wie sie überlebten – mit Morden und anderem -, oder ihre Beweggründe, die sie so lange im Dschungel hielten, wären ein Thema für sich. Was aber bei allem Tragischen und Merkwürdigen zum Nachdenken anregt, ist die Standfestigkeit, mit der diese Männer völlig isoliert auf ihren Posten blieben. Wie steht es da um uns? Es geht ja um unvergleichlich mehr als ein einsames Ausharren im Dschungelkampf, über dessen Sinnhaftigkeit man zurecht Zweifel haben kann. Für die drei Soldaten endete die Standhaftigkeit mit einer grossen Enttäuschung.

Als Jesusnachfolger gehören wir dagegen dem Herrn aller Herren und König aller Könige. In Christus und seinem Wort ist uns das Beste gegeben, das wir überhaupt haben können. Und wir wissen, dass er am Ende, nach aller Finsternis der Menschheitsgeschichte, wiederkommen wird, Er hat verheissen, die Seinen keinen Augenblick zu verlassen, auch wenn es ganz schwierig wird. Der Glaube an ihn endet auch nicht in einer grossen Enttäuschung, sondern mündet in eine unvorstellbare Zukunft und Herrlichkeit. Trotzdem stehen wir in der Gefahr, uns durch die Entwicklungen und Umstände mitreissen zu lassen. — Sei es durch Verführung und irreführende Verlockungen oder durch zunehmenden Druck, Ausgrenzung und einer damit verbundenen Stigmatisierung. Das ist nicht nur heute ein Problem, sondern war es schon seit den Anfängen der Gemeinde. Der Apostel Paulus war seinerzeit in Sorge um die noch junge Gemeinde in Thessalonich, nachdem ein Aufruhr ihn zur nächtlichen Abreise gezwungen hatte. Seit ihrer Bekehrung standen die Christen in Thessalonich im starken Gegenwind. Paulus spricht in 1. Thessalonicher 1,6 davon, wie sie das Wort Gottes unter viel Bedrängnis mit Freuden aufgenommen hatten. Es war Paulus ein Anliegen, die Glaubenden zu gründen und krisenfest zu machen und ihnen nicht etwa die Seifenblasen von einem Spaßchristentum um die Ohren zu blasen. Auf seiner weiteren Reise machte er sich große Sorgen um die junge Gemeinde. Würden die Jesusnachfolger standhaft bleiben oder würden sie durch den Gegenwind mitgerissen werden?

Die Standfestigkeit der Thessalonicher

Thessalonich, heute Thessaloniki oder Saloniki, war zur Zeit des Neuen Testaments eine Hafen- und Handelsstadt am Ägäischen Meer, im heutigen Griechenland. Sie lag an der Via Egnatia, der grossen Heerstrasse, die Rom mit dem Orient verband. Als das Evangelium nach Thessalonich kam, hatte die Stadt schon 200 000 Einwohner, Aufgrund ihrer Lage als Hafenstadt war Thessalonich für ihr lasterhaftes Leben bekannt. Weil sie auch ein Handelszentrum war, hatten sich viele wohlhabende jüdische und römische Geschäftsleute angesiedelt, wie wir aus Apostelgeschichte 17,4 erfahren.

Damals lebten zahlreiche Juden in der Stadt, was sich aus der vorhandenen Synagoge schließen lässt (Apg 17,1). Die Entstehung der Gemeinde in Thessalonich wird uns in Apostelgeschichte 17,1-9 geschildert. Der Marsch von Philippi nach Thessalonich hatte für Paulus, Silas und ihre Begleiter 4 bis 5 Tage gedauert. Dabei waren ihre blutigen Wunden und Striemen, die sie durch die Auspeitschung in Philippi erhalten hatten, wohl noch nicht verheilt. Aber trotz Schmerzen gingen sie in aller Schwachheit im Glauben weiter, um das Evangelium zu verbreiten.

Nach seiner Gewohnheit begann Paulus in der Synagoge mit der Verkündigung. Hier konnte er bei den Juden und den griechischen Proselyten an ihre Gottesfurcht und ihr alttestamentliches Wissen anknüpfen. Durch das Wirken Gottes entstand in Thessalonich innerhalb von etwa drei Wochen eine grössere Gemeinde, Doch schon kurz nach ihren Anfängen erlebte die Gemeinde in Thessalonich Leiden und Verfolgung um Christi willen. Nachdem Paulus wegen der einsetzenden Verfolgung die Stadt verlassen musste und über die Zwischenstation Beröa nach Athen gelangt war, sandte er Timotheus zu den Thessalonichern, weil er selbst nicht kommen konnte. Dieser kehrte schließlich mit guter Nachricht über die Standfestigkeit der Gemeinde zu Paulus nach Athen zurück. Für den Apostel war das ein großer Trost und eine echte Freude, wie er in 1. Thessalonicher 3,7-8 sagt:

«Deswegen, Brüder, sind wir in all unserer Not und Drangsal euretwegen getröstet worden durch euren Glauben; denn jetzt leben wir, wenn ihr feststeht im Herrn.»

In seiner Studienbibel merkt John MacArthur dazu an:

«Feststeht. Dieses Bild beschreibt eine Armee, die den Rückzug verweigert, obwohl der Feind sie angreift.»

Denken wir an die drei japanischen Soldaten. Bis zu dreissig Jahren hatten sie unter schwierigsten Umständen ausgeharrt. Wie schnell sind demgegenüber wir heute dabei, bei drohendem Gegenwind den Rückzug anzutreten, abzutauchen oder am Ende noch mitzuschwimmen. Die Thessalonicher waren bereit, für ihren Herrn und das Bekenntnis zu ihm zu leiden. Sie verweigerten den Rückzug trotz aller Angriffe. Damit sind sie uns ein großes Vorbild geworden.

Auf dem Rückweg von seiner dritten Missionsreise kam Paulus wieder durch Thessalonich (Apg 20,1-6), wobei ihn zwei Brüder aus dieser Gemeinde, Aristarchus und Sekundus, begleiteten. Aristarchus wurde nicht nur ein Mitarbeiter, sondern auch ein Mitgefangener des Apostels (Kol 4,10).

Dies ist ein weiteres Zeugnis für die Standfestigkeit der Thessalonicher, die trotz aller Angriffe auf den Glauben den Rückzug verweigerten.

Den Begriff für «Feststehen» verwendet Paulus auch an anderen Stellen. In 1. Korinther 16,3 fordert er die Korinther auf zu wachen, im Glauben festzustehen und mannhaft und stark zu sein. Dieses Feststehen im Glauben meint ein Festhalten an der göttlichen Wahrheit, an der Lehre als Fundament. Es geht darum, trotz heftiger Angriffe den Rückzug zu verweigern und keine Position des Evangeliums, des Bekenntnisses und der biblischen Wahrheit aufzugeben.

Hier, in 1. Korinther 16, fügt Paulus noch an, «mannhaft» zu sein. An solchen Begriffen stossen sich heute manche. Doch die Bibel meint, was sie sagt, und das Wort umfasst, beherrscht und tapfer zu sein und nicht einfach in einer falschen Weichheit wegzuknicken.

In Epheser 6, im Zusammenhang mit der geistlichen Waffenrüstung, finden wir dieses «Feststehen» an drei Stellen in verschiedenen Formen. In Vers 11 ruft Paulus die Nachfolger dazu auf, die volle Waffenrüstung Gottes anzuziehen, um gegen die listigen Angriffe des Teufels festzustehen. In Vers 13 finden wir den Begriff gleich zweimal. Zum einen in der Wortzusammensetzung, am bösen Tag mit der Waffenrüstung Gottes zu «widerstehen», und zum anderen mit dem Hinweis, bis alles «feststehend» vollbracht ist. In Vers 14 spricht der Apostel wieder vom «Stehen» bzw. «Feststehen», bevor er die einzelnen Rüstungsteile beschreibt. Wir sehen also, dass «Feststehen» immer wieder im Zusammenhang mit dem geistlichen Kampf in der Nachfolge und dem Festhalten an der Wahrheit — wir können auch sagen: dem Kampf für das Evangelium und den Glauben — verwendet wird.

Wie schnell sind wir heute dabei, bei drohendem Gegenwind den Rückzug anzutreten, abzutauchen oder am Ende noch mitzuschwimmen.

Darin ist uns die junge Gemeinde in Thessalonich ein Vorbild. Paulus lehrte sie von Anfang an, dass Leiden und Trübsale zur Nachfolge Jesu gehören (1Thess 3,4). Dass das Feststehen aber kein Selbstläufer ist, können wir daran erkennen, wie er um die Thessalonicher bangte. Wie gross war seine Freude, als er hörte, dass sie trotz aller Angriffe feststanden und den Rückzug im Bekenntnis zu Christus und der Wahrheit verweigerten.

 

Die Herausforderung für uns heute

Von Natur aus sind wir Menschen leidensscheu. Jedenfalls habe ich noch niemanden getroffen, der mir voller Freude erzählte, dass er zum Zahnarzt geht und eine Wurzelbehandlung ohne Spritze bekommt. Hinzu kommt, dass wir durch den Wohlstand und die Glaubensfreiheit ein ganzes Stück weit weichgespült wurden. Wir sollen für alles Gute dankbar sein, aber dürfen nicht die Gefahr übersehen, wie unser geistliches Immunsystem durch «zu viel des Guten» geschwächt wird. Ausserdem umspült uns der Zeitgeist, ob bewusst oder unbewusst, der heute verbunden ist mit dem zunehmenden Einfluss des Neomarxismus.

Wie erwähnt, gilt «mannhaft» zu sein in unseren Tagen als verdächtig. Wer klare Standpunkte vertritt, die dem Zeitgeist entgegenstehen, wird schnell durch den ideologischen und medialen Häcksler gelassen und gebrandmarkt. Da ist man doch lieber still und passt sich an, anstatt sich diesen Angriffen auszusetzen. Diesen Zeitgeist hat Ralf Schuler, ehemaliger Leiter des Parlamentsbüros der Bildzeitung, in seinem Buch Generation Gleichschritt — wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde aufgezeigt. Ob LGBTO, Gender- und Transgender, Klima, Corona und andere Themen – wer nicht im ideologischen Gleichschritt mitmarschiert, wird kleingemacht. Schuler zieht in seinem Buch, das nicht explizit christlich ist, auch Parallelen zum Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus. Interessant ist gegen Ende seines Werkes, dass er in diesem Zusammenhang Angela Merkel und ihre Politik beschreibt. Sie konnte völlig widersprüchliche Positionen beziehen, um niemanden zu verprellen und die eigene Macht zu erhalten. Dazu gehörte auch eine «Meinungsstreit-Verweigerung», wie es Schuler formuliert. Dabei erinnert er sich an ein Gespräch mit Peter Altmeier (mehrere Ministerposten der CDU), der überzeugt war, dass das Zeitalter der Kontroversen und Meinungsschlachten vorüber sei.

«Die Leute wollen das nicht mehr, sagte er damals und ging davon aus, dass Konsens und Kompromiss der neue Trend sei, mit dem sich dereinst sogar das geradezu unlösbare Problem der Endlagersuche für radioaktive AKW-Abfälle würde lösen lassen.»

Es geht mir nicht um Atomkraft, sondern um den Zeitgeist, der keine klaren Standpunkte mehr vertritt, weder in politischen noch in ethischen Fragen. Was die Sexualethik betrifft, geht es ja nicht nur um Kompromisse, die der Bibel sowieso fremd sind, sondern um eine bewusste Zerstörung der jüdisch-christlichen Sittenlehre, die lange Zeit prägend war. Dazu kommt der postmoderne Zeitgeist, der jeden absoluten Wahrheitsanspruch ablehnt und bekämpft. Das alles ist nichts anderes als ein Frontalangriff auf das Evangelium und die Bibel als die Offenbarung Gottes mit ihrem Wahrheitsanspruch.

Damit sind wir bei der großen Herausforderung: Bleiben wir standhaft im Bekenntnis zu Jesus und dem Evangelium, in der Verteidigung der biblischen Wahrheit und den damit verbundenen Positionen – auch sexualethischer Natur — oder beginnen wir, den Rückzug anzutreten und uns irgendwie anzupassen, damit wir uns manche Not einfach ersparen können?

Im Nationalsozialismus gab es das sogenannte «positive Christentum». Damit gaukelte man dem Volk vor, dass die Ideologie in einem positiven Verhältnis zum Christentum stehen würde, obwohl sie in Wirklichkeit einen krassen Widerspruch zum biblischen Glauben darstellte. Wir stehen heute in der Gefahr, uns auch ein «positives Christentum» zurechtzulegen. Das heißt, wir betonen nur noch Wahrheiten, die der Mainstream und Zeitgeist als «positiv» empfinden. Was auf starken Widerspruch stösst und unserem Image ein blaues Auge und starke Prellungen einbringen könnte, lassen wir dann lieber weg.

Natürlich sollen wir weise sein und nicht einfach plump oder unüberlegt herumpoltern. Wir wollen die Menschen gewinnen. Dazu gehört aber auch, dass wir die Wahrheit nicht verschweigen, nur weil sie heftige Gegenreaktionen nach sich ziehen kann. Haben wir noch den Mut, von Himmel und Hölle, Rettung und Verdammnis, Sünde und Vergebung, Liebe und Zorn Gottes zu sprechen?

Zitieren wir nur noch Teile von Bibelversen und lassen das weg, was Widerstand erzeugen könnte? Beispielsweise bei einer Beerdigung Johannes 3,18: «Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet», dann geht der Vers aber noch weiter: «Wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes». Oder bei Trauungen: Sprechen wir dann nur noch von gegenseitiger Hochachtung und Unterordnung oder wagen wir es, Epheser 5,21-26 zu lesen, wo es um die Unterordnung der Frau unter den Mann und die Liebe des Mannes zur Frau, wie Christus die Gemeinde geliebt hat, geht. Das gilt auch für das persönliche Gespräch. Haben wir auch den Mut, im Gegenwind klare biblisch-sexualethische Positionen zu vertreten, oder stellen wir lieber von Fortissimo auf Pianissimo um und flüstern darüber nur noch in den eigenen Versammlungshäusern? Vor einigen Jahren hat ein Theologe, den ich ansonsten schätze, in einem Vortrag über die gleichgeschlechtliche Thematik sinngemäss gesagt, dass wir uns, wenn der Gegenwind weiterhin zunimmt, diesbezüglich mit Äußerungen auf die Gemeinderäumlichkeiten beschränken sollten. Das ist zwar gut gemeint, aber grundverkehrt. Je mehr wir öffentlich schweigen, desto schneller zieht sich die Schlinge zu. Ganz anders die beiden Buchtitel von Erwin Lutzer zum Thema: Wir werden nicht schweigen und: Kein Grund, sich zu verstecken. Natürlich wollen wir die Wahrheit in Liebe und Weisheit weitergeben. Es geht ja darum, dass Menschen errettet werden und unabhängig von ihrem bisherigen Lebensstil zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Aber dazu gehört auch, dass wir die Dinge so sehen und benennen, wie es die Bibel tut, und nicht die Stellung durch Schweigen oder Unterschlagen zu räumen beginnen, Denken wir an das Bild der Armee, die den Rückzug verweigert, obwohl der Feind frontal angreift. Das bedeutet festzustehen.

Auch im innerevangelikalen Bereich wünscht man das Ringen um klare Positionen nicht mehr. Das wird sehr schnell mit Lieblosigkeit, Unbarmherzigkeit, mangelnder Demut oder einem fehlenden Sinn für Einheit in Verbindung gebracht. Natürlich sollen wir uns nicht wie Hooligans oder Raufbolde benehmen, die sich an ihrem vermeintlichen Kämpfertum selbst berauschen. Wer aber sachlich und klar Wahrheiten vertritt, wird schnell als Ruhestörer und ähnliches abgetan. Es geht darum, unmissverständlich Stellung für die Wahrheit zu beziehen, auch wenn das nicht gerne gehört wird und der eigene Beliebtheitsindex darunter leiden kann. Wir leben in einer Zeit, in der es wichtiger ist, wie man etwas sagt, als das, was man sagt.

Das beginnt bei der Bibelfrage, die mehr und mehr ins Schwimmen kommt, und geht weiter zu ethischen Themen oder lehrmäßigen Abgrenzungen. Hier benötigen wir klare Positionen. Ist die Bibel wirklich Wort für Wort von Gott inspiriert? Enthält sie nur die göttliche Offenbarung oder ist sie die Offenbarung Gottes? Ist die Heilige Schrift lediglich unfehlbar in ihren Heilsaussagen oder auch in ihren historischen und naturwissenschaftlichen Aussagen? Es beginnt sich so viel aufzulösen und wir müssen den Mut haben, in allen Bereichen zur ewig-göttlichen, irrtumslosen Wahrheit der Heiligen Schrift zu stehen.

Der Einfluss der Bibelkritik nimmt im evangelikalen Bereich stetig zu. Auch eine sogenannte kultursensible Hermeneutik oder kontextualisierte Exegese öffnet dem bibelkritischen Denken die Tür. Man versucht dort, zwischen dem zeitlosen Inhalt und der zeitbedingten Ausdrucksform zu unterscheiden – beispielsweise in Bezug auf das, was Paulus über das Lehrverbot für Frauen in der Gemeinde sagt (1Tim 2,12). Die Frage ist dann nicht mehr, ob dieses Verbot heute noch gilt, sondern ob es in unserem kulturellen Kontext noch anstössig ist, wenn eine Frau die gesamte Gemeinde lehrt. Wer legt aber fest, was zeitloser Inhalt und zeitbedingte Ausdrucksform ist? Aus der Bibel selbst geht arı vielen Stellen eine solche Unterscheidung nicht hervor. Wie sieht das dann in Zukunft mit den sexualethischen Themen aus? Sollen wir dann auch unterscheiden lernen zwischen zeitlosem Inhalt und zeitbedingter Ausdrucksweise? In schön klingenden Worten – aber eigentlich offensichtlich – wird die Bibelfrage von den sogenannten Postevangelikalen dekonstruiert. Dazu gehört auch die Plattform Worthaus mit den bekannten Vertretern Siegfried Zimmer, Thorsten Dietz und Tobias Faix. Diese Denkweise ist im Prinzip nichts Neues, weil sie den biblischen Wahrheitsbegriff relativiert, aber nun auch in der evangelikalen Bewegung angekommen ist. Der Schweizer Theologe Roland Hardmeier hat in einem IDEA-Artikel zu dieser Bewegung Stellung genommen. Zwar mahnt er und sieht die Gefahren, doch er zeigt auch ein gewisses Verständnis für die Postevangelikalen und ihre Fragen. Dazu schreibt er:

«Der postmoderne Pluralismus zersetzt den christlichen Wahrheitsbegriff. 500 Jahre nach der Reformation stellt sich die Frage nach der Wahrheit des Evangeliums mit neuer Dringlichkeit. Gefragt sind ein hörendes Herz und ein wacher Geist: Krisen werden nicht überwunden, indem man Bollwerke errichtet, sondern durch das demütige Hören auf die Argumente der Kritiker, durch Bereitschaft zur Veränderung und in der Verantwortung gegenüber der Heiligen Schrift.»

Zum einen ist der Begriff «Demut» fehl am Platz, wenn es um die Bibelfrage geht. Hier ist Ehrfurcht gegenüber dem Herrn und seinem Wort gefordert und nicht Demut gegenüber bibelkritischen Ansätzen. Zum anderen muss ein Satz sofort die Alarmlampen leuchten lassen: «Krisen werden nicht überwunden, indem man Bollwerke errichtet.» In 1. Timotheus 3,15 nennt der Apostel Paulus die Gemeinde die Grundfeste oder Stütze der Wahrheit. Man kann sogar sinngemäss mit Bollwerk übersetzen. So ist die Krise nur zu überwinden, indem man ein Bollwerk gegen die Zersetzung der göttlichen Wahrheit errichtet und die Gemeinde als Stütze der Wahrheit diese verteidigt und hochhält. Im Mai (2023) veröffentlichte das christliche Medienmagazin PRO ein Interview mit Frank Heinrich, Vorstand der EAD (Deutsche Evangelische Allianz), zum Thema Transsexualität. Anlass war der Entwurf des neuen Selbstbestimmungsgesetzes in Deutschland. Das ganze Interview ist ein Rumgeeiere, um möglichst eine klare Positionierung zu vermeiden. In einer Antwort sagt er dann: «Nach meinem biblischen Verständnis ist der Wechsel des Geschlechts von Gott nicht vorgesehen. Dabei muss aber bedacht werden, dass noch nicht einmal jeder Christ die gleichen biblischen Grundannahmen trifft.»

Merken wir die Vermeidung jeder klaren Position? Mein subjektives Verständnis, aber andere Christen sehen es ja anders, Am Ende des Interviews wird das Gebot der Liebe angeführt und gesagt, dass wir keinen Auftrag haben, zu richten, und keinen Auftrag, andere Menschen nach unseren moralischen Vorstellungen zu erziehen. Als Jesusnachfolger wollen wir allen Menschen liebevoll begegnen und sie nicht einfach ablehnen oder aburteilen. Das kann aber nie gegen das Bekenntnis zu klaren biblischen Aussagen ausgespielt werden. Mit solchen gutklingenden, aber heimtückischen Formulierungen wird jede eindeutige Positionierung erstickt.

Paulus freute sich dagegen, dass die Thessalonicher «feststehen im Herrn». Erinnern wir uns an das Bild einer Armee, die trotz feindlichem Angriff den Rückzug verweigert.

Den Rückzug verweigern

Paulus ruft uns auf, in der Wahrheit festzustehen. In diesem Zusammenhang beschäftigt mich manchmal die Frage, auf welchen Gebieten die evangelikale Bewegung, bis in den bibeltreuen Bereich hinein, in den letzten Jahrzehnten den Rückzug begonnen oder sogar Kampffelder geräumt hat.

In der bereits erwähnten Bibelfrage zeichnen sich immer mehr Risse ab. Einige evangelikale Hochschulen haben ihre Glaubensbekenntnisse im Zusammenhang mit der staatlichen Anerkennung zum Teil neu gefasst oder überarbeitet. Auch andere fundamentale Fragen wie der Kreationismus sind mehr und mehr auf dem Rückzug. Wie dankbar waren wir als Jugendliche für die Studiengemeinschaft Wort und Wissen und die Veröffentlichungen zur Schöpfungslehre.

In vielen Gemeinden ist das heute gar kein Thema mehr. Wie gesagt, sind gerade auch biblische Positionen zur Sexualethik und zur Transgenderthematik Rückzugsgebiete; hinzu kommt das Schweigen zur Abtreibung oder die teilweise große Gleichgültigkeit gegenüber der Euthanasie, ein anderes Wort für aktive Sterbehilfe oder deutlicher ausgedrückt: assistierte Selbsttötung.

Vor einigen Jahrzehnten wurde noch von der Bibel her um das Thema der Alternativmedizin mit seinem esoterisch-heidnischen Hintergrund gerungen, bis die Front auf breiter Basis zu bröckeln begann. Über die geistig-philosophischen und spirituell-widerbiblischen Hintergründe und das damit verbundene Menschenbild von Osteopathie oder Pilates machen sich heute viele bibelgläubige Christen erst gar keine Gedanken mehr. Inzwischen reicht diese Gedankenlosigkeit bis zu Yoga und anderen mystischen und esoterischen Entspannungs- und Meditationstechniken.

Denken wir in diesem Zusammenhang an das Aufkommen und den Einfluss der New-Age-Bewegung und des Neomarxismus und des damit verbundenen Feminismus. In den 1970er- bis 1990er-Jahren wurden diesbezüglich noch viel mehr aufklärende Bücher geschrieben, wo heute zunehmend nur noch ein gleichgültiges Schulterzucken und ein Rückzug aus der Auseinandersetzung da ist.

Zu einem inzwischen fast geräumten Kampffeld gehört darüber hinaus — in Kontrast zum biblischen Menschenbild — die Technik der Gruppendynamik, auch bekannt als Psychonautik oder Psychotechnik, um das Verhalten, das Wertesystem und die Einstellung der Teilnehmer zu verändern. Auch was die Auseinandersetzung mit Psychologie und Psychotherapie contra biblische Seelsorge betrifft, macht sich vielerorts Müdigkeit statt Wachsamkeit breit.

So befinden sich die lehrmässigen biblisch-reformatorischen Positionen und Abgrenzungen völlig auf dem Rückzug. Das sehen wir beispielsweise an den zunehmenden Einladungen des römisch-katholischen Theologen Johannes Hartl im evangelikalen Bereich oder an der sich ausbreitenden charismatisch-ökumenischen Gebetshausbewegung.

Das gilt auch für die biblisch fundierte, kritische Beurteilung der sogenannten charismatischen Bewegung und ihrer Lehren und Praktiken.

In der Musikfrage haben viele bibeltreue Christen und Gemeinden genauso den Rückzug angetreten. Vor Kurzem veröffentlichte IDEA Schweiz ein Interview mit einem Pionierveranstalter der christlichen Rock- und Popszene. Er organisierte viele christliche Pop- und Rockkonzerte in der Schweiz, u. a. mit Larry Norman und Petra, Im Interview kamen auch die Warnungen vor der christlichen Rockmusik in den 1980er- und 1990er-Jahren und ihre darauffolgende, weitgehende Akzeptanz zur Sprache.

Als letztes, aber mit das wichtigste Kampffeld möchte ich das Evangelium und die Evangelisation an sich anführen. Wie oft sind sowohl Veranstaltungen als auch das persönliche Zeugnis schon von einem positiv angepassten Christentum oder Bekenntnis an den Zeitgeist geprägt. Haben wir noch den Mut, Jesus, die Notwendigkeit seines Sühneopfers und das Wort vom Kreuz unerschrocken zu bekennen? Haben wir den Mut, festzustehen im Herrn? Auch hier laufen wir Gefahr, unter dem Druck des Zeitgeistes den Rückzug anzutreten.

Es geht nicht darum, dass wir uns auf jedem Kampffeld expandieren sollen. Die Priorität ist immer, dass wir nahe bei Jesus und seinem Wort bleiben. Aber wir müssen erkennen, wo wir in der Gefahr stehen, einfach die Waffen zu strecken, uns anzupassen und den festen Stand zu verlieren.

In der heutigen Zeit müssen wir wieder neu lernen, im Bekenntnis zu Jesus und dem Evangelium und in der Verkündigung und Verteidigung der biblischen Wahrheit festzustehen und den Rückzug zu verweigern — gerade dann, wenn die Angriffe zunehmen. Schon Judas musste in seinem Brief die Christen damals ermutigen, für den ein für alle Mal überlieferten Glauben der Heiligen zu kämpfen.

Der uns standfest macht

Wenn wir auf uns selbst sehen, sind wir hoffnungslos damit überfordert, den Rückzug angesichts eines breiten Angriffs zu verweigern. Das war übrigens auch schon Martin Luther in seinem Ringen damals bewusst. Deshalb dichtete er in seinem bekannten Lied «Ein feste Burg ist unser Gott»:

«Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren;
es streit’ für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist? Er heisst Jesus Christ, der Herr Zebaoth,
und ist kein andrer Gott; das Feld muss er behalten.»

Paulus freute sich, als er hörte, dass die Thessalonicher trotz des zunehmenden Drucks im Herrn feststehen. Damit verdeutlichte er auch, worin diese Festigkeit bestand: Sie setzten ihr Vertrauen ganz auf den Herrn. Es geht darum, im Glauben in seiner Wahrheit festzustehen (1Kor 16,13) und die von ihm bereitgestellte geistliche Waffenrüstung anzuziehen (Eph 6).

Am Ende seines Lebens sass der Apostel Paulus, in seiner wohl zweiten Gefangenschaft als Staatsverbrecher gebrandmarkt, in einem feuchten und kalten Kerker. Er wusste, dass sein Dienst und sein Leben vor dem Abschluss standen und er bald als Märtyrer hingerichtet werden würde. Auch viele Gläubige hatten sich von ihm distanziert: nicht von Christus, aber vom Apostel Paulus (2Tim 1,15). In Anbetracht dieser schweren Enttäuschung und menschlich gesehen ausweglosen Situation können wir an Paulus selbst sehen, was es heisst, festzustehen im Herrn und den Rückzug trotz aller Angriffe und Enttäuschungen zu verweigern. So bezeugte er seinem geistlichen Ziehsohn:

«Um dieser Ursache willen leide ich dies auch; aber ich schäme mich nicht, denn ich weiss, wem ich geglaubt habe, und bin überzeugt, dass er mächtig ist, mein anvertrautes Gut bis auf jenen Tag zu bewahren» (1Tim 1,12).

Das war der sichere Grund, der Paulus feststehen liess, auch in dieser letzten Prüfung seines Lebens. Das wünsche ich uns, dass wir in Anbetracht aller aktuellen Entwicklungen Menschen sind und werden, die feststehen. Nicht etwa, weil sie so stark sind und die Hand für sich ins Feuer legen können, sondern weil sie Jesus kennen, der mächtig genug ist, das ihnen anvertraute Gut auf seinen Tag zu bewahren.

Wenn man den 2. Timotheusbrief aufmerksam liest, stellt man fest, dass Paulus am Ende seines Lebens die Ewigkeit und das himmlische Reich vor Augen hatte. Darauf war er ausgerichtet.

Es ist so wichtig, dass wir dieses Ziel vor Augen haben und uns nicht mitreissen lassen von dem, was in der Welt geschieht. Auch wenn die Kämpfe zunehmen und die Luft dünner wird, wenn wir zu Jesus gehören, liegt das Beste nie hinter uns, sondern immer noch vor uns.

Die drei japanischen Soldaten räumten bis zu 30 Jahren nach Kriegsende nicht ihre Position und hielten durch. Das ist beachtlich. Was für eine Enttäuschung muss es aber gewesen sein, als sie dann realisierten, dass alles längst vorbei und damit auch ihr Aushalten nutzlos gewesen war, ganz abgesehen von dem Unrecht und den Morden, die sie in dieser Zeit verübten. Im Gegensatz dazu dürfen wir wissen, dass das Feststehen im Herrn nie vergeblich ist, auch wenn es Kraft kostet und einsam macht. Wenn wir zu Jesus und seinem Wort stehen, werden wir schon heute im Unsichtbaren und dereinst im Sichtbaren im Triumphzug des Christus mitgeführt. Wie herrlich wird das einmal sein. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war der erhoffte schnelle Erfolg Frankreichs in Elsass-Lothringen ausgeblieben, stattdessen wurde im August die preussische Kavallerie nicht weit entfernt von Paris gesichtet.

Die französischen Truppen flüchteten zur Verteidigung zurück in ihre Hauptstadt. Aber plötzlich schwenkten die deutschen Truppen ab und begannen in einer Zangenbewegung, die französischen Truppen völlig einzuschliessen. Die nahende Katastrophe vor Augen, gab der französische General Forge Anfang September 1914 den legendären Tagesbefehl: «Meine rechte Flanke ist durchbrochen, die Mitte wankt, die Lage ist ausgezeichnet, wir greifen an.» Tatsächlich gelang es den Franzosen in der damit verbundenen Schlacht an der Marne, den deutschen Ring zu durchbrechen und sich aus aussichtloser Lage zu befreien. — Eine anschauliche Begebenheit, die zum Feststehen ermutigt.

Wie schwer es auch wird, wir wollen nicht zurückweichen, sondern feststehen im Herrn, im Bekenntnis zu Christus und seiner Wahrheit, im Kampf für den ein für alle Mal den Heiligen überlieferten Glauben, denn wir wissen, dass er mächtig genug ist, das uns anvertraute Gut zu bewahren. – Wie in 1. Korinther 16,13 geschrieben steht: «Wacht, steht fest im Glauben; seid mannhaft, seid stark!»

JOHANNES PFLAUM

 


 

Erstveröffentlichung:
Mitternachtsruf 10. 2023, S. 7 bis 15.

 

 

Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 6. Oktober 2023 um 4:00 und abgelegt unter Christentum weltweit, Gesellschaft / Politik, Theologie.