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Nieder mit dem Kirchendeutsch? Absage an die Sprachvereinfachung

Mittwoch 4. Oktober 2023 von Pastor Dr. Stefan Felber


Pastor Dr. Stefan Felber

Der folgende Beitrag aus dem Jahr 2014 bietet eine Rückblende in eine frühere Diskussion (Druckort s.u.).
Wie so oft: Die Diskussion ebbte ab – die Probleme jedoch blieben.

 

Antwort an Wolf Schneiders „Weder Blabla noch Kanaanäisch!“

Gegenüber seinem idea-Interview vom Dez. 2012 hat sich Schneider [gestorben 2022] offenbar einseitig einsilbig weiterentwickelt. Damals sagte er noch im Hinblick auf Volxbibel und „Bibel in gerechter Sprache“: „Ich bin nicht dafür, daß man die Sprache, die zu Hause gesprochen wird, eins zu eins übernimmt: Ein bißchen Mühe darf man sich schon geben.“ Die Mühe scheint nun verflogen. Seinem Kampf gegen die Vielsilberei wie in Eucharistie-Verständnis, Apostolizität oder Abhängigkeitsverhältnis seien hier ein paar andere Aspekte entgegen gehalten. Die zur Tugend erhobene Einsilbigkeit wirkt irgendwie sprachfaul. Schneider ist dabei nicht unbedingt repräsentativ: vielleicht für Journalisten, die ihm reichlich Beifall zollten, und missionarisch-um-jeden-Preis-gesinnte Theologen, aber kaum bei Literaturwissenschaftlern, die sehr wohl die Sprachebenen zu unterscheiden wissen, die je verschiedenen Lagen der Sprecher/Hörer (um nicht zu sagen: „Kommunikationspartner“!) angemessen sind, wie etwa Johannes Anderegg oder Dietmar Dath („Rettet den langen deutschen Satz!“, in: FAZ Nr. 31/7.2.2005, S. 40).

 

Nieder mit dem Kirchendeutsch?

Die Losungen „Bloß kein Kirchendeutsch!“ (ideaSpektrum 49–2012) oder „Einsilber sind in jedem Fall das Größte!“ (ideaSpektrum 17–2014) wirken zerstörerisch, wo wir die zentralen Begriffe des Glaubens aufgeben, um alles auf Alltagsniveau präsentieren zu können. Eine ganze Menge Vielsilber sind eben doch unverzichtbar. Den von Schneider verschämt zugelassenen Viersilbern füge ich noch ein paar hinzu: Auferstehung, Offenbarung, Vollkommenheit, Rechtfertigung, Gerechtigkeit, Langmütigkeit, Menschenhilfe, Menschenweise, Menschenhüter, Menschenaugen, Menschenkinder, Ehrerbietung, Schädelstätte, Kerkermeister, Blutbräutigam, Gichtbrüchige, Donnerskinder, Donnerstimme, Kirchenräuber, Kleiderhüter, Leutseligkeit, Linsengericht, Meuchelmörder, Vater-/Muttermörder, Erschlagene, Waffenträger, Verstorbene, Feierkleider, Erstgeborner, Zimmerleute, Blutgierige, Wasserbäche, Anfechtungen, Evangelisten, Wiedergeburt, Ehrerbietung, Erzbösewicht, Eselskinnbacken … All dies findet sich in Luthers Bibel! Mehr noch: Luther verwendet auch Wörter mit fünf und mehr Silben (die allerdings, wie auch die langen ausgeschriebenen Zahlwörter, in den alten Lutherbibeln oft noch unverbunden dargestellt wurden): dahingegeben, fleischlicherweise, Unbarmherzigkeit, Ungehorsame, Ehebrecherinnen und Blutvergießerinnen, desselbigengleichen (37 x !), Gottesverheißungen, Granatäpfelbäume, zusammengestoppelt, der Allerverachtetste, ineinandergefüget …

Schneider behauptet, viersilbige große Gefühle gäbe es nicht. Das mag sein, aber immerhin verwendet Luther oft viersilbige Adjektive: unverständig, unerschrocken, ungeschliffen, hundertjährig, einfältiglich, eingepropfet … Vergessen wir nicht die große Zahl von Neubildungen, die Luther aus Sprachnot dem Deutschen eingepflanzt hat. Würde Schneider sagen, daß man das heute nicht mehr darf?

 

Die Grundfrage

Die Grundfrage ist: Akzeptieren wir, daß die Bibel eben kein leichtes Buch ist, bzw. daß sie bis in ihre Sprachgestalt hinein uns die Sünden der Lippen vor Augen hält, aber nicht kopiert und gutheißt, sondern verändern will? Wolf Schneider, bekennender Atheist, hat vermutlich keinen sensus dafür. Obwohl er in seinem Buch „Wörter machen Leute“ wußte, daß Informationsaustausch nur einer von vielen Sprachzwecken ist, geht es im idea-Artikel nur darum, wie Sprache als Kommunikation „funktioniert“, wie Botschaften möglichst rasch verstanden werden. Daß Gottes Sprache/Wort aber Same ist, Hammer, Geist und Leben, kommt bei einem nur kommunikativen Sprachverständnis unter die Räder. Gott arbeitet doch oft gerade durch solche Texte an uns, die wir (noch) nicht verstehen! Wenn aber alles sofort verstehbar sein muß, wird alles flach und fade.

 

Der nächste Kreuzzug

Was ist gegen „Kreativität“ einzuwenden? Wolf läßt uns die Wörter kurz halten, aber es wird unsere Texte verlängern, wenn wir alles erst umschreiben, v.a. Hauptwörter durch Verbalsätze ersetzen müssen. Was ist der Gewinn? Kein Wunder, daß er schon den nächsten Kreuzzug ausruft, diesmal gegen die langen (Neben-)Sätze. Lange Sätze aber sind, sagt Max Picard in „Der Mensch und das Wort“, wie ein Lasso, das der Mensch weit zu den Dingen ausschwingt und diese dann souverän zu sich zurückholt. Die kurzen Sätze aber haben, so können wir Picard ausziehen, mitunter etwas Hartes, Hingeworfenes, Kurzatmiges an sich, es entsteht nichts mehr, alles ist sofort da, begeh-, befahrbar wie eine Betonpiste. Ohne die langen Suchwege, sagt Picard, gibt es nur noch Allgemeinplätze.

Ich meine: Beide, lange und kurze Sätze und Wörter haben je ihren Ort. Wer gut artikuliert und betont, wird nach wie vor auch mit langen Sätzen Erfolg haben. Schneiders Regeln mögen helfen, sich über Dinge in Alltag und Politik zu verständigen, über die beide Seiten schon Wesentliches wissen. Daß sie aber so prinzipiell, wie Schneider meint, ein tieferes Denken und Sprechen erleichtern, weise ich zurück. Mögen doch unsere Kommunikationshelfer nicht Sprachverhunzer wider willen werden! Ich will die erste bayrische Sau sein, der hier graust. Auf die langen Sätze von Paulus, Heinrich von Kleist, Rudolf Borchardt und Karl Barth sollten wir nicht freiwillig verzichten!

 

Für dumm verkauft?

Schneider kritisiert „Eucharistie-Verständnis“ wegen seiner sieben, „Apostolizität“ wegen seiner sechs Silben. Er versteigt sich zur Behauptung, Obama habe seinen Wahlkampf mit seinen drei Einsilbern gewonnen: „Yes, we can!“ (Und das Volk schallt wunderbar zurück: „Yes, we scan!“) Natürlich ist Obama ein exzellenter Redner, neben dem Frau Merkel Fremdschämen auslöst. Aber Entschuldigung, für wie dumm hält Schneider den amerikanischen Wähler? Glaubt er, man könnte allein mit einer möglichst kurzatmigen Sprachtechnik überzeugen, egal was man sagt? Hier taucht das geistlich-theologische Problem auf: Schneider reduziert geistliche Probleme auf faßbare, letztlich leicht bearbeitbare Sprachprobleme. Dazu paßt, daß er Käßmann gute Noten verteilt, trotz z.B. ihrer Unterstützung der von ihm abgelehnten „Bibel in gerechter Sprache“ – eben weil sie selbst einfach spricht.

Gut, daß sich der Apostel Paulus nicht die Vorgaben Schneiders zugrunde gelegt hat. Bei ihm finden sich mehr vielsilbige Wörter (mit bis zu 8 Silben), als Schneider lieb ist, und neben kurzen auch eine ganze Reihe schrecklich langer Sätze. Wie sagte Schlatter: Die Bibel ist kein müheloser Besitz. Kehren wir um von der Rutschbahn, alles so einfach und eingängig zu machen, bis nichts mehr übrigbleibt!

 

 


 

Zuerst gedruckt in: ideaSpektrum (Schweiz) 17–2014, S. 16–19.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 4. Oktober 2023 um 5:00 und abgelegt unter Allgemein.