Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Predigt über Lukas 17,11-19: Der dankbare Samariter

Sonntag 17. September 2023 von Pfr. Dr. Hans-Gerd Krabbe


Pfr. Dr. Hans-Gerd Krabbe

„Und es begab sich, als Er nach Jerusalem wanderte, dass Er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog. Und als Er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: ›Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!‹ Und da Er sie sah, sprach Er zu ihnen: ›Geht hin und zeigt euch den Priestern!‹ Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries GOTT mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte Ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: ›Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um GOTT die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?‹Und Er sprach zu ihm: ›Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.‹« (Lukas 17,11-19)

Von GOTT geliebte Mitchristen!

„9 zu 1“ steht es hier, ein auffallend hohes Ergebnis. Neun Undankbare gegenüber einem einzigen Dankbaren, könnte man meinen. Und das alte Sprichwort lässt grüßen: »Undank ist der Welt Lohn …«

„9 zu 1“ – ein haushoher Sieg für den Undank, könnte man meinen! Warum hat es der Dank so schwer? Erst recht der Dank GOTT gegenüber?

„9 plus 1“, also zehn Aussätzige. Ich unterstelle, dass den meisten unter uns diese Geschichte nicht fremd ist – aber ich frage sogleich: An welchem Punkt, an welchem Satz sind Sie mit Ihren Gedanken hängen geblieben? – War es der Hilferuf: »Jesus, lieber Meister, erbarme dich?« War es die erwartungsvolle Rückfrage Jesu: »Wo denn nur sind die neun anderen geblieben?« – Oder sind Sie mit Ihren Gedanken beim Schluss-Vers: »Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen«?

Das ist bei biblischen Geschichten ja meisthin so, dass sie ganz verschiedene Schichten in unserer Seele ansprechen, je nach dem, in welcher Verfassung ich gerade bin, je nach dem, was ich jüngst erlebt habe, was auch heute morgen am Frühstückstisch gewesen sein mag, was sich an der Arbeitsstelle tut … Das ist ja manches Mal so und dass soll wohl auch so sein, dass biblische Sätze mich beschäftigen, dass sie mir nachgehen und mich nicht sogleich loslassen …

»Jesus, lieber Meister, erbarme Dich!« – So steil mögen Menschen unserer Tage nicht sprechen – und dennoch: Unsere Seele spricht so! Wenn wir ›unten‹ sind, uns ›down‹ fühlen, niedergeschlagen, deprimiert, nicht mehr weiter wissen, nur noch ›schwarz‹ sehen, vielleicht noch ein ›SOS‹ funken, sprich: ein Stoßgebet in den Himmel jagen: »Hosianna! O GOTT, hilf doch!«

Das 14-jährige Mädchen, das sich selber nicht gefällt, magersüchtig, steht nachts auf der Brücke … , der Familienvater, jüngst arbeitslos geworden, von Depressionen geplagt, der sich überflüssig vorkommt und mit sich selber nichts mehr anzufangen weiß, sich mit Alkohol betäubt …, die Eheleute, die nebeneinander herleben, sich nichts mehr zu sagen wissen, stumm dasitzen, die sich in ihrer Liebe wie ausgebrannt vorkommen …, die alte Frau, inzwischen gebrechlich, immer hat sie geschafft, für die Kinder, wie sie sagt, doch diese Kinder drehen ihr den Rücken zu und wollen nichts mehr von ihr wissen …

»Jesus, lieber Meister, erbarme Dich!«: Dieser Hilferuf von damals, er ertönt bis heute in verschiedensten ›Tönen‹, er tönt aus dem Inneren der Menschen heraus, gerade auch dann, wenn ein Mensch verstummt ist. Jeder von uns kennt diesen Hilferuf früher oder später.

»Kyrie eleison!« / »HERR, erbarme Dich!«: so beten und singen wir in jedem Gottesdienst. Wenn sich denn Einer erbarmen kann, im Vollsinn des Wortes erbarmen kann, dann ist es GOTT! GOTT allein! Und gut ist es, wenn wir selbst noch in der tiefsten Tiefe wissen, wen wir anrufen, wem wir unser Leid klagen, wen wir gar anschreien dürfen und sollen!

Diese zehn Aussätzigen mit ihrer schmerzhaften, ekelerregenden Hautkrankheit, Lepra genannt, die ansteckend ist, als unheilbar galt, die die Körperglieder langsam zerfraß …: Man hatte sie ausgesperrt, diese Zehn, aussortiert vor die Stadttore und vor die Dorfmauern. Ja, man musste sie ausstoßen und isolieren, in ›Quarantäne‹ setzen, wollte man nicht genauso dran sein wie sie. Ihren ganzen Schmerz schreien sie sich aus dem Halse: »Jesus, lieber Meister, erbarme Dich!«

Wagen es Kranke heutzutage eigentlich, GOTT so erwartungsvoll anzugehen? GOTT so ungeniert-radikal um Erbarmen zu bitten? Ohne gestelzte fromme Worte, einfach so aus dem Bauch heraus? GOTT herausfordern? GOTT beim Wort nehmen? Rechnen wir im Grunde ernstlich mit GOTT, dann nämlich, wenn es Ernst wird? Damit, dass ER mich hört, mich sieht? Rechnest du wirklich damit, dass GOTT dir hilft, dich führt und leitet? Dass Glaube hilft? Glaube ich daran, dass GOTT auch heute am Werke ist und Wunder tut?

Das Wunder geschieht. Wieso nun aber die zehn Aussätzigen überhaupt dazu kommen, Jesu Aufforderung zu befolgen und zum Priester zu gehen, das ist schon erstaunlich genug! Die hätten doch resignierend abwinken können nach dem Motto: ›Was soll´s … Das bringt ja doch nichts!‹ Aber nein, merkwürdig: sie gehen! Auf Jesu vollmächtiges Wort hin können sie gar nicht anders: sie gehen zum Priester, zum damaligen Gesundheitsamt in Person! Wie ihre Heilung geschah, dies wird überhaupt nicht erzählt. Für die damalige „Sensationspresse“ gibt diese Heilungsgeschichte also nicht viel her – und doch: für die zehn Aussätzigen muss es ein ›wahnsinniges‹ Erlebnis gewesen sein! Eben noch die schmerzhaft brennende Haut, jetzt, plötzlich: keine Schmerzen mehr! Gerade noch die Angst vor den misstrauischen, verächtlichen Blicken der anderen, jetzt aber auf einmal der Mut, sich wieder unter die Menschen zu wagen! — Wer kann es sich nicht vorstellen, wie sie singen und tanzen auf dem Weg zum Priester und auf dem Weg zurück in ihre Dörfer? Wie sie ihre Freude an den Himmel werfen?

»Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, da kehrte er um, lobte GOTT mit lauter Stimme, fiel nieder zu Jesu Füßen und dankte Ihm!“ – Ausgerechnet ein Samaritaner, ausgerechnet ein Fremder gibt GOTT die Ehre!

Wir kennen die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Priester und Levit (also Tempeldiener, sprich: Kirchdiener) gingen vorüber, als sie den unter-die-Räuber-Gefallenen sahen – nicht so der Samaritaner. Der erbarmt sich und hilft, der packt an, tut das Nächstliegende und Notwendige, ohne lang zu fackeln – Jesus stellt ausgerechnet einen Samaritaner als Vorbild heraus, wenn Er uns sagt: »Geh hin und tue desgleichen!« ›Geh hin, handle genauso, hilf, wo du helfen kannst!‹

Samaritaner – für die Juden damals ein Ärgernis, eine Anfechtung, ein Gesindel, fast schon Heiden, Fremde jedenfalls, Ausländer, mit denen gibt man sich nicht ab! So sahen es viele Juden, nicht aber Jesus. Er scheute sich nicht, sich der Samaritanerin am Wasserbrunnen auszusetzen – Er scheute sich genauso wenig, auf dem Weg nach Jerusalem mitten durch die Landschaft Samaria zu ziehen, auch wenn Er wusste, dass dieses Samaria ein ganz heißes Pflaster war, ein Schauplatz mit ständigem Streit.

Wenn denn nun Samaritaner und Juden solche Gegner, ja Feinde sind: will Jesus von Nazareth dann das Feuer auch noch weiter schüren? Musste Er dann ausgerechnet einen Samaritaner als Vorbild hinstellen? Will Er die Juden ärgern, kränken, beleidigen, bloßstellen? Oder, ganz anders: Könnte Jesus nicht zum eigenen Glauben anstacheln wollen – etwa in der Art: Wenn schon dieser Ausländer hilft, wenn denn schon dieser Ausländer umkehrt und dankt und GOTT die Ehre gibt: warum dann nicht auch du?? Wenn schon dieser Fremde GOTT danken kann, warum nicht auch du?

Mit diesen Fragen trifft es uns, trifft es mich. Gleiche ich den Neunen, die sicher froh und dankbar sind, die die ganze Welt umarmen könnten, aber in ihr früheres Leben zurückkehren, als wäre alles selbstverständlich? – Oder finde ich mich wieder in diesem Einen, der aufwacht, zur Besinnung kommt, in sich geht, innehält und umkehrt? Oder bin ich einfach dankbar, wie man eben dankbar ist, wenn einem unverhofft ›etwas Gutes widerfährt‹?

Sie, die abgeschnitten waren vom Leben, von ihren Familien, von den liebsten Menschen: sie kehren zurück zu Frau und Kindern, zurück an den heimischen Herd, in den Alltag. Sie dürfen wieder die Feste des Lebens mitfeiern, lachen und weinen, lieben und geliebt werden, loben und klagen, danken und bitten. Vielleicht wollen sie ja dankbar sein – aber sie schaffen es nicht, ihr Glück in Dank zu verwandeln … Sie werden gesund, körperlich gesund – doch das ist nicht alles!

Was ist uns am wichtigsten …: Ist die uns geschenkte Gesundheit unser größter Reichtum – oder ist es nicht viel mehr der Glaube zu GOTT und das dadurch zufriedene, fröhliche Herz? Was zählt denn am meisten: Ist es die körperliche Gesundheit, Fitness bis ins höchste Alter? Gilt immer und überall und vor allem anderen: ›Hauptsache gesund‹?? Gesundheit in Körper, Geist und Seele, unbestritten ein ganz hohes Gut, ein großartiges Gottesgeschenk – aber kann und soll und darf das alles sein?? Was denn ist mit Menschen, die krank sind, vielleicht von Geburt an behindert, was ist mit Menschen, die spüren, dass sie sterben müssen, die spüren, dass sie nicht wieder gesund werden: die müssen doch wissen und in sich tragen, dass es etwas gibt, das weiterreicht, das hinaufreicht! Die müssen doch einen Glauben in sich spüren und eine Hoffnung, die größer ist als alles andere: größer als Krankheit und Gesundheit, größer als alles in dieser vorfindlichen Welt mit allem Glück und mit allem Leid!

Zweite Frage: Wie ist das mit unserem Danken und Bitten …: Wenden wir uns GOTT vorwiegend nur dann zu, wenn wir IHN als Erfüllungsgehilfen unserer Wünsche brauchen – oder auch dann, wenn wir einfach nur dankbar sein können? Danken wir GOTT, wenn es uns gut geht, wenn wir gesund sind und schaffensfroh, wenn unser Tagwerk gelingt und wenn wir glücklich sind? Anders herum gefragt: Warum nur kommt uns Menschen der Dank so spärlich über die Lippen? Haben wir immer noch nicht erkannt, dass wir alles: unser Leben und alles, was wir sind und haben, dass wir alles einem anderen ver-danken: unserem GOTT und Vater in den Himmeln? Wenn ich weiß, dass ich IHM alles ver-danke, dann werde ich dankbar und zufrieden, zuversichtlich und sogar heiter leben dürfen!

Täglich und tausendfach habe ich Grund zu danken. Dafür, dass ich überhaupt bin, dafür, dass ich »Händ´ und Füße, Zung´ und Lippen regen« kann, dafür, dass ich hier sein darf, in diesem Haus, in diesem Gottesdienst! In jedem guten Wort eines freundlichen Mitmenschen, in jedem liebevollen Augenzwinkern, in jeder herzlichen Umarmung erfahre ich Heilung, Heilung an Körper, Geist und Seele! In jeder Arbeit, die mir gelingt, in jedem gesunden Schlaf … Jeder Sonnenuntergang am Meer, jedes Streicheln des Windes, jeder Sommer, jeder Frühling, all die prächtigen Herbstfarben: all dies kann mich ins Danken treiben, kann mich heilen, kann mich verzaubern, kann mich staunen lassen und froh stimmen! Wichtig ist, dass dieser Dank heraus kommt und eine Adresse hat – dass ich Mensch GOTT die Ehre gebe, die IHM zusteht! Wer jedoch das Danken vergisst, halbiert sein Glück und schneidet sich ab von GOTT, der Quelle allen Lebens, der Quelle allen Glücks!

Jesus von Nazareth will die Neun, die nicht umkehrten, sicher nicht strafen. Die sollen und dürfen sich genauso freuen wie dieser Eine. Aber GOTT wartet – wartet darauf, dass ich zu IHM umkehre, IHM danke, IHM die Ehre erweise!

»Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen!« — so entlässt Jesus den Einen. Uns entlässt der lebendige Christus mit den Worten: ›Wirf dein Gottvertrauen bloß nicht weg. Verlass dich darauf: der Glaube zu GOTT, der hilft! Immer!Amen.

Pfarrer em. Dr. Hans-Gerd Krabbe / Achern, 14. Sonntag nach Trinitatis, Königsbach-Stein, 10. September 2023

Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 17. September 2023 um 6:00 und abgelegt unter Predigten / Andachten.