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Bekennende Kirche und Zeitgeist

Mittwoch 14. Juni 2006 von Pastor Jens Motschmann


Pastor Jens Motschmann

Bekennende Kirche und Zeitgeist. Die Absage eines „Bedenkgottesdienstes“ für Bischof Hans Meiser wirft viele Fragen auf.

Der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich und die Nürnberger Dekane haben am 23. Mai einen für den 8. Juni in Nürnberg geplanten „Bedenkgottesdienst“ zum 50. Todestag ihres früheren Bischofs Hans Meiser (1881-1956) abgesagt. Der Grund dafür: Meiser nahm 1926 in einem Beitrag für das Evangelische Gemeindeblatt Nürnberg kritisch Stellung zum Einfluss der Juden auf Politik, Wirtschaft und Kultur. Wörtlich: „Gegen diese Art von Verjudung unseres Volkes können wir nicht genug ankämpfen.“ In diesem Sinne warb er auch für die „Reinhaltung des Blutes“.

Um es gleich klipp und klar zu sagen: Diese Äußerungen sind eindeutig kritikwürdig und aus heutiger Sicht unbegreiflich. Daran ändert auch nichts die Tatsache, daß Meiser zur Zeit des Dritten Reiches im Gegensatz zu manch anderen alles andere als ein „Nazi-Bischof“ war, sondern im Gegenteil schwere Repressalien erleiden mußte. Bereits im September 1934 forderten die Nationalsozialisten in der Fränkischen Tageszeitung: „Fort mit Landesbischof D. Meiser! Er ist treulos und wortbrüchig. – Er handelt volksverräterisch. – Er bringt die evangelische Kirche in Verruf“. Unbegreiflich ist aber auch, daß einem Mann wie Hans Meiser nicht zugestanden wird, daß auch ein Bischof irren kann, vor allem dann, wenn er aus der Stimmung des Zeitgeistes heraus urteilt.

Wer kann noch bestehen?

Das harte Urteil der bayerischen Landeskirche gegen ihren einstigen Bischof wirft die Frage auf:

Wollen wir in der Kirche in Zukunft nur der geistlich-unfehlbaren Persönlichkeiten gedenken? Wer soll dazu gehören – und wer nicht? Und wer bestimmt darüber mit letzter Autorität? Ist den Verantwortlichen in der bayerischen Landeskirche eigentlich klar, welche Maßstäbe sie damit für andere Jubiläen setzen? Mit welchem Recht darf man dann noch die Namen einer ganzen Reihe von führenden Persönlichkeiten der Kirche aus der Zeit des Dritten Reiches in den Mund nehmen?

Dibelius und Niemöller

Nur einige Beispiele: Der spätere Ratsvorsitzende der EKD (von 1949 bis 1961) und Berliner Bischof (von 1945 bis 1966), Otto Dibelius, und der hessen-nassauische Kirchenpräsident (von 1947 bis 1966) Martin Niemöller gaben 1937 gemeinsam das Buch „Wir rufen Deutschland zu Gott“ heraus. Gleich im ersten Beitrag ist im Blick auf den mit Hitler verbündeten italienischen Faschismus zu lesen: „Der Faschismus hat von Anfang an eine positive Einstellung zum Christentum genommen – in erster Linie natürlich zur römischen Kirche, aber dann auch zu den kleinen Freikirchen, den Waldensern und anderen“ (S. 13). „Gott ist die Vorsehung. Weisheit und Gerechtigkeit ist in dem, was nach seinem Willen hier auf Erden geschieht, auch wenn es nicht immer gleich sichtbar wird. Diese göttliche Vorsehung hat eben einen Willen. Und diesen Willen offenbart sie uns in der Stimme unseres Blutes. Daß wir der Stimme unseres Blutes treu bleiben und damit Gottes Willen erfüllen – darauf kommt es an. Das bedeutet zunächst, daß wir unser Blut rein halten. An der unerlaubten Blutsvermischung, an der „Bastardisierung“, sterben die Völker“ (S. 26).

Wilhelm Halfmann, Pastor und Oberkonsistorialrat in Kiel, führender Kopf der Bekennenden Kirche in Schleswig-Holstein, gab 1937 über das Amt für Volksmission in Breklum eine Schrift heraus unter dem Titel: „Die Kirche und der Jude“. Halfmann, in der Nachkriegszeit Bischof für den Sprengel Holstein, schrieb in diesem Traktat: „Die Judenfrage hat sich in Deutschland mächtig zugespitzt: Aus einer politisch-sozialen Frage ist sie zu einer Frage der Weltanschauung geworden, aus einer Frage der Weltanschauung zu einer Frage der Religion. (…) Es ist ein furchtbares Verhängnis, daß aus dem berechtigten Kampf gegen das Judentum – wir unterstreichen noch einmal: aus dem berechtigten Kampf gegen das Judentum – ein Kampf gegen Christus geworden ist. Denn das bedeutet: ein Kampf gegen die göttliche Macht, die uns wirklich vor den Verderbensmächten des Judentums bewahren kann! Es ist, als sei der Teufel dazwischen gekommen und habe den deutschen Abwehrkampf gegen den Juden dämonisch verzerrt zu einem antichristlichen Kampf“. (S. 3f.) „Die Kirche hat nicht die Aufgabe, in die Judengesetzgebung des Dritten Reiches einzugreifen. Vielmehr werden wir von der Kirche her aus der bald zweitausendjährigen Erfahrung mit den Juden sagen müssen: der Staat hat recht. Er macht einen Versuch zum Schutze des deutschen Volkes …“ (S. 13) Diese Ãœberzeugung war in Kreisen bekennender Christen weit verbreitet. Der bibeltreue lutherische Theologe Prof. Adolf Schlatter (1852-1938) war zum Beispiel einer von denen, die dem Nationalsozialismus gegenüber sehr aufgeschlossen waren. Bereits der Titel seiner Schrift „Wird der Jude über uns siegen“ läßt erkennen, daß auch er in der Judenfrage vom Zeitgeist erfasst war.

Was Theophil Wurm schrieb

Selbst der ehrwürdige alte Landesbischof (von 1929 bis 1948) der württembergischen Kirche, Theophil Wurm, der tapfer seine Stimme gegen die Euthanasie im Dritten Reich erhob, konnte noch 1942 schreiben: „Von keiner evangelischen Kirche ist dem Staat das Recht bestritten worden, zum Zwecke der Reinerhaltung des deutschen Volkes eine Rassegesetzgebung durchzuführen. Führende Männer der evangelischen Kirche – ich erinnere an Adolf Stöcker und seine Gesinnungsgenossen – haben einst zuerst auf die Gefahren hingewiesen, die dem deutschen Volk aus der jüdischen Ãœberfremdung auf wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Gebiet drohen. Aber gerade einem Mann wie Stöcker wäre es nie eingefallen, aus staatlichen Maßnahmen Folgerungen zu ziehen, die den universalen Auftrag der Kirche und die Heilsbedeutung der Taufe verneinen.“ So Wurm in seiner ansonsten durchaus mutigen Verteidigung der „getauften Nichtarier“ in einem Protestschreiben vom 6. Februar 1942 an die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei in Berlin- Charlottenburg (Kirchliches Jahrbuch. 1933-1944. Hrsg. von Joachim Beckmann. 1948, 2. Aufl. 1976, 5. 463)

„Junge Kirche“: Gott segne den Führer

Im publizistischen Flaggschiff der Bekennenden Kirche, die unter dem Namen „Junge Kirche. Halbmonatsschrift für reformatorisches Christentum“ herausgegeben wurde, finden sich Ergebenheitsadressen an den Führer Adolf Hitler. Zwei Beispiele dafür: Unter der Ãœberschrift „Zum 50. Geburtstag des Führers“ heißt es: „Es ist heute dem Letzten offenbar geworden, daß die Gestalt des Führers, mächtig sich durchkämpfend durch alte Welten, Neues mit innerem Auge schauend und seine Verwirklichung erzwingend, auf den wenigen Seiten der Weltgeschichte genannt ist, die den Anfängern einer neuen Zeit vorbehalten sind. Die deutsche Sendung in der Völkerwelt ist von einer mächtigen und festen Hand in die Waagschale der Geschichte geworfen. (…) Wir bitten Gott, den Führer zu segnen.“ (Junge Kirche. Heft 8 vom 22. April 1939)

Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 8. November 1939 stellte sich die Junge Kirche entschieden hinter den Führer mit den Worten: „Der frevelhafte Anschlag auf das Leben des Führers in München hat nach seinem Bekanntwerden durch den Rundfunk und die Tageszeitungen alle Kreise des deutschen Volkes mit tiefem Entsetzen und Empörung erfüllt. … Im Interesse des ganzen deutschen Volkes und aller Aufrechtdenkenden in der Welt liegt es, daß die Urheber des Attentates gefunden und gerecht bestraft werden, und daß es gelingt, die intellektuellen Anstifter nachzuweisen. … Im Verfolg dieses Attentates hat sich das nationalsozialistische Deutschland noch fester und zum Siege entschlossener um seinen Führer geschart.“ (Junge Kirche. Heft 22 vom 18. November 1939)

Mitläufer des Zeitgeistes heute

Diese Beispiele mögen genügen. Sie sollen nicht das Ansehen der genannten Persönlichkeiten und der Bekennenden Kirche herabsetzen, sondern zeigen, wie schwer es damals selbst für führende Männer der Bekennenden Kirche war, sich der heute unvorstellbaren Faszinationskraft des Zeitgeistes jener Epoche gänzlich zu entziehen. Diejenigen, die sich so vehement gegen einen „Bedenkgottesdienst“ für Hans Meiser aussprechen, mögen daran denken, daß sie damit bereits ein Urteil über sich selbst gefällt haben. Denn wie viele von denen, die heute über Bischof Meiser so kritisch urteilen, haben sich selbst in den vergangenen Jahren als Mitläufer des Zeitgeistes unserer Epoche schuldig gemacht? Ich erinnere nur an die für Christen unwürdige Anbiederung an den atheistischen Marxismus. Bereits Karl Barth hat in schlimmer Weise den Menschenschlächter Josef Stalin als „Mann von Format“ herausgestellt. Seitdem wurden evangelische Theologen nicht müde, den angeblichen „Humanismus im Kommunismus“ zu preisen.

Synkretismus und Esoterik

Ich erinnere an die kirchenamtliche Förderung der feministischen Theologie mit ihrem Ruf nach der Rückkehr der Göttinnen und der „Überwindung der patriarchalischen Sprache der Bibel“. Ich erinnere an die positive Beurteilung und Förderung (gerade auch in der bayerischen Landeskirche!) der Esoterik und fernöstlicher Meditationspraktiken. Ich erinnere an den Synkretismus (Religionsvermischung), wie er heute in vielen evangelischen Landeskirchen wie selbstverständlich praktiziert wird. Selbst in der als besonders bekenntnistreu geltenden württembergischen Landeskirche fand schon in den achtziger Jahren ein gemeinsamer Gottesdienst mit Hindus, Buddhisten, Juden und Muslimen unter Mitwirkung des Landesbischofs statt. Ich erinnere an den „Markt der Möglichkeiten“ auf den Kirchentagen, auf dem Christliches und Antichristliches angeboten wird und die Besucher dadurch verwirrt werden, anstatt ihnen klare Orientierung aus der Bibel zu geben.

Gilt das, was Jesus zu den Schriftgelehrten und Pharisäern seiner Zeit sagte, als sie eine Ehebrecherin verurteilen wollten, nicht auch im übertragenen Sinne auf den »Fall Meiser“? »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein …“ (Johannes 8,7) Bischof Meiser hat am 19. Oktober 1945 das Stuttgarter Schuldbekenntnis mitunterschrieben. Welchen Sinn und welchen Wert hat eigentlich eine solche Erklärung für den jetzigen Landesbischof Johannes Friedrich und die Nürnberger Dekane?

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 14. Juni 2006 um 15:34 und abgelegt unter Kirche.