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Das Kind wird zur ideologischen Knetmasse

Donnerstag 20. Mai 2021 von Frankfurter Allgemeine Zeitung


Frankfurter Allgemeine Zeitung

Grüne und FDP wollen das körperliche Geschlecht per Gesetz auflösen und den Geschlechtswechsel von Kindern beschleunigen. Das Vorhaben ist verantwortungslos. Im Windschatten öffentlicher Aufmerksamkeit werden am Mittwoch im Bundestag zum zweiten und dritten Mal zwei Gesetzentwürfe verlesen, die Kinder zum Experimentierfeld der Pharmaindustrie und ideologischer Interessen machen, an deren Folgen sie mitunter ihr Leben lang leiden werden. Man muss das so drastisch formulieren, denn die Entwürfe zur Reform des Transsexuellengesetzes, den die Grünen und in etwas abgemilderter Form die FDP vorlegen, sind ein koordinierter Angriff auf die medizinische Ethik. Sie schreiben unter der Androhung von Geldstrafen einen ideologischen Geschlechterbegriff fest, der wissenschaftliche Unterscheidungen in den Wind schlägt.

Nach dem Willen beider Parteien soll künftig jeder jährlich sein Geschlecht durch einen reinen Sprechakt ändern können. Darüber hinaus soll die Altersgrenze für den körperlichen Geschlechtswechsel gesenkt werden. Mit vollendetem vierzehnten Lebensjahr sollen Kinder nach dem Entwurf der Grünen auch gegen den Willen ihrer Eltern über einen hormonellen und operativen Geschlechtswechsel entscheiden dürfen.

Ein experimenteller Akt an Kindern

Feministinnen, für die Frauen mehr als soziale Konstrukte sind, sehen die Errungenschaften der Frauenbewegung bedroht, weil jeder Mann sich nun durch eine einfache Erklärung zur Frau deklarieren und in deren Schutzzonen eindringen könne. Maßnahmen zur Frauenförderung würden ebenso ausgehöhlt wie ihr Schutz vor Gewalt. Kinderschützer und Elternverbände laufen Sturm, weil Kindern noch vor vollendeter Geschlechtsreife, mitten in den Wirren der Pubertät, eine Entscheidung in die Hände gelegt würde, deren Folgen sie nicht überblicken können.

Die Sexualmedizinerin Renate Försterling, selbst Transsexuelle, warnt in einer aktuellen Eingabe an beide Parteien vor dem fatalen Irrglauben, Kindern könnten die Tragweite der irreversiblen Entscheidung, die mit Amputationen, lebenslanger Hormongabe und Nachfolgeoperationen sowie für Frauen mit dem Verlust der Gebärfähigkeiten einhergeht, auch nur annähernd einschätzen. Die Ärztin fühlt sich daran erinnert, wie die Grünen die kindliche Autonomie bei ihrer verhängnisvollen Parteinahme für pädophilen Sex überschätzten. Besonders auffällig sei, wie in den Entwürfen das Tempo für die Entscheidung zur Geschlechtsumwandlung forciert werde. Eine unumkehrbare Lebensentscheidung soll offensichtlich im Schnelldurchgang getroffen werden. Mit gutem Grund ist der Geschlechtswechsel von Kindern bisher an einen Eingewöhnungsprozess, ärztlichen Rat und die Zustimmung der Eltern gebunden.

An die Einnahme von Pubertätsblockern, die den kindlichen Körper massiv verändern, schließt sich einer britischen Studie zufolge in 98 Prozent der Fälle der operative Geschlechtswechsel an. Kinder, die keine Hormone einnehmen, geben den Wunsch zum Geschlechtswechsel dagegen nach Langzeitstudien zu neunzig Prozent nach der Pubertät auf. Die in ihrer Langzeitwirkung kaum erforschten Pubertätsblocker sind nicht neutral, sie fördern den Wunsch nach Geschlechtswechsel. Der Londoner High Court bezeichnete ihren Einsatz als experimentellen Akt an Kindern. Die Schauspielerin Ellen Page, die Ende 2020 den Namen Elliot annahm und seither eine Ikone der Transgender-Bewegung ist, bezeichnete all diejenigen als „Mörder“, die vom Einsatz von Pubertätsblockern im Kindesalter abraten.

Per Gesetz auf eine Ideologie verpflichtet

Nun hat niemand Einblick in das innere Erleben eines Kindes, das sich in seinem angeborenen Geschlecht unwohl fühlt. Nicht zu übersehen sind dagegen die ideologischen Kräfte innerhalb der Transgenderbewegung, die, wie Page, eine offene Debatte mit allen Mitteln verhindern wollen. Grüne und FDP bieten sich ihnen als Erfüllungsgehilfen an. Ihre Entwürfe vermischen die Belange von Transsexuellen und Intersexuellen unter dem diffusen Begriff der Geschlechtsidentität, ganz nach dem Motto des internationalen Transgenderverbands, man möge sich an eine populäre Reform (Intersexualität) anhängen, um unter diesem Deckmantel Positionen durchzufechten, für die es keinen Konsens in der Bevölkerung gibt. Kritische Stimmen wie der Transmann Till Randolf Amelung werden von öffentlichen Debatten ausgeladen, wie jüngst an der Universität Vechta zu erleben. Die Freien Demokraten scheinen sich an dieser Form der Freiheitsbeschränkung nicht zu stören.

Nun täuscht das Konzept der Geschlechtsidentität aber nur darüber hinweg, dass es bei der Geschlechtsumwandlung nicht nur um Sprechakte, sondern auch um folgenreiche Eingriffe in den Körper geht. Das Konzept, das körperliche Tatsachen wie die Unterscheidung von Ei- und Samenzellen in einem sprachmagischen Akt aufhebt, folgt einer ideologischen Sichtweise, die Geschlecht rein von der sozialen Seite in den Blick nimmt und die natürliche Basis unterschlägt. Führende Vertreter dieser Ideologie wie Judith Butler gehen davon aus, man könne Materie, also auch Keimzellen, rein durch Sprache verwandeln. Den praktischen Nachweis sind sie bislang schuldig geblieben.

So kommt es zu der Paradoxie, dass medizinische Expertise im Kampf gegen den Virus hoch geschätzt, in der Gesellschaftspolitik dagegen ignoriert wird. Medizinische Vertreter wurden von Grünen und FDP erst gar nicht in den Expertenausschuss des Bundestags geladen. So erspart man sich die Aufklärung darüber, dass die Reform, die Geschlechterrollen auflösen soll, in der operativen Praxis eine umso härtere Festschreibung auf das neue Wunschgeschlecht bringt, das man als Transperson doch nicht ganz, bis in die Keimzellen hinein, erreicht.

Eine Transition ist eine nur unter großen Schmerzen umkehrbare Lebensentscheidung. Liberal sind diese Reformanstrengungen nur dem Namen nach. Beide Entwürfe versuchen, die Bevölkerung per Gesetz auf eine Ideologie zu verpflichten. Wer das vergangene Geschlecht einer geschlechtsumgewandelten Person benennt, kann nach dem Entwurf der Grünen zu einer Strafzahlung von 2500 Euro verurteilt werden. Die Pflicht zum Beschweigen der Vergangenheit kennt man aus autoritären Regimen. Was ist von Parteien, die Bürger unter Strafandrohung zur Lüge auffordern, noch zu erwarten?

Thomas Thiel, FAZ.NET, 17.05.2021

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 20. Mai 2021 um 9:16 und abgelegt unter Allgemein.