Gemeindenetzwerk

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Predigt „Gott ist schockiert“

Freitag 20. März 2009 von Pfr. Dr. Tobias Eißler


Pfr. Dr. Tobias Eißler

„Gott ist schockiert – weil ihm nicht gegeben wird, was ihm zusteht!“
Predigt über Mk 12,1-12 zum Sonntag Reminiscere,
8. März 2009

Stell dir vor, lieber Jugendlicher, dein bester Kumpel leiht dein Fahrrad aus. Nur für eine kurze Fahrt nach Hessigheim. Am Abend bringt er es nicht zurück. Du rufst ihn an – ach ja, das Zurückbringen hätte er glatt vergessen. Am nächsten Tag steht dein Bike vor der Haustür: der Reifen platt, die vordere Lampe zersplittert, der Lack zerkratzt. Wie würdest du reagieren? Was würdest du deinem Kumpel sagen?

Stellen Sie sich vor, liebe Freunde des Wintersports, Sie hätten eine Ferienwohnung in Oberstaufen im Allgäu von der reichen Tante geerbt. Diese Ferienwohnung würden Sie für eine Woche guten Bekannten überlassen, mitten in der Skisaison mit glitzerndem Schnee ringsum. Nach Ablauf der Ferienwoche bekommen Sie nicht einmal den Wohnungsschlüssel zurück. Als Sie mit Ihrem Zweitschlüssel vor Ort nach dem Rechten sehen, treffen Sie eine ziemliche Höhle an: Brandspuren in der Küche, Weinflecken auf dem Sofa, die neue Stereoanlage im Kleinformat fehlt. Was würden Sie über die lieben Bekannten denken? Was würden Sie Ihnen am Telefon mitteilen?

Stellen Sie sich vor, liebe Berufstätige, sie wären der Chef einer Firma für Solarzellentechnik. Weil das Geschäft gut läuft, eröffnen Sie eine Filiale in der Slowakei. Sie stellen einen Filialleiter und einige Arbeitskräfte zu fairen Bedingungen ein. Bald fällt Ihnen auf, dass die Gewinne der Filiale nicht überwiesen werden. E-Mails und Briefe an den Filialleiter bleiben unbeantwortet. Als Sie persönlich aufkreuzen, beschimpft man Sie als Ausbeuter und lässt Sie wissen, dass der Betrieb von Leuten mit besseren Fähigkeiten übernommen worden sei. „Looser go home“, kratzt jemand hinter Ihrem Rücken in den Autolack. Wie würde Ihre Antwort aussehen? Was wäre für Sie die Konsequenz?

Geschichten, bei denen einem die Luft wegbleibt. Skandale, die einen wütend machen. Sie kommen in unserem Alltag so nicht vor. Dazu sind sie zu frech, zu konstruiert. Jesus erzählt eine ähnliche Geschichte. Skandalös, unfassbar, brutal. Sie ist in ihrer Form zwar konstruiert und erfunden. Doch sie bildet wirkliche Geschichte ab. Das, was wirklich so geschehen ist zwischen Israel und seinem Gott. Er wird vor den Kopf gestoßen. Er fasst es nicht. Er ist geschockt. Aus drei Gründen.

1. Gott ist schockiert, weil sein Recht nicht anerkannt wird.

Es ist das gute Recht des Weinbergbesitzers, von den Pächtern die Pacht zu verlangen. Sie wird damals als Naturalzins oder als Pachtzins abgeliefert, in der Form von Früchten oder von Münzen. Der Eigentümer des Weinbergs macht sich sogar die Mühe, einen seiner Dienstleute zu schicken! Das bekommt dem Dienstmann schlecht. Er erlebt ein blaues Wunder. Statt der erwarteten Geldmünzen zahlen sie ihm Schläge aus. Nicht zu knapp. Nie mehr solle er sich hier blicken lassen, bekommt er zu hören, sie seien nicht die Pächter, sondern die Herren des Weinbergs, die sich den Gewinn mit mühsamer Arbeit redlich verdient hätten. Der Eigentümer staunt nicht schlecht, als ihn der gelb und blau geprügelte Dienstmann informiert. Sofort – die Polizei alarmieren! Sofort – das Gericht anrufen! Sofort – einen Schlägertrupp hinschicken! Oder? Nein, der Chef zögert. Hält sich die Hand vor den Mund. Nein, ich werde anders vorgehen, beschließt er.

Die Zuhörer verstehen, dass Jesus nicht nur vom Herrn über einen Weinberg erzählt. Er erzählt von dem Herrn, der Israel geschaffen hat. Zwölf Stämme hat er in ein feines Land eingepflanzt. Hat Regen geschenkt, gesegnete Zeiten, hat viel Gutes zum Leben und zum Feiern wachsen lassen. Nun erwartet er die Frucht, die Abgabe, den Pachtzins. 5. Mose 10,12: „Nun, Israel, was fordert der HERR, dein Gott, noch von dir, als dass du den HERRN, deinen Gott fürchtest, dass du in allen seinen Wegen wandelst und ihn liebst, und dem HERRN, deinem Gott, dienst von ganzem Herzen und von ganzer Seele?“ Respekt vor Gott ist gefragt, Gehorsam gegen Gott, Liebe zu Gott, Dienst für Gott. Das ist es, was Gott zusteht. Man weiß es in Israel. Man beachtet es wohl, wenn da und dort ein Rabbi aufsteht, der daran erinnert, dass das Bekenntnis zu Jahwe mehr sein muss als ein Lippenbekenntnis. Man nickt eifrig mit dem Kopf. Man verlässt die Synagoge. Man hat unterwegs schon wieder vergessen, was bei der Versammlung gesagt wurde. Man verfällt in der neuen Woche wieder in den alten Trott. Trotz aller Frömmigkeit wird Gottes Anrecht auf Respekt, Liebe und Gehorsam nicht wirklich anerkannt. Dies stellt Jesus fest, als er in seinen letzten Tagen in Jerusalem das Weinberggleichnis erzählt.

Gott hat ein Recht darauf, als Herr über unser Leben anerkannt zu werden – wie bitte? Unser Leben gehört doch uns ganz allein, oder nicht? Wir besitzen es, wir gestalten es, wir genießen es – was hat denn Gott da hineinzureden oder gar zu fordern?

Ein tüchtiger Mensch bewirtschaftet einen Weinberg. Stolz betrachtet er in der Herbstzeit die gefüllten Zuber. In Hochstimmung setzt er sich an den Vespertisch. Dass jetzt irgendein Tischgebet oder Dankgebet sehr angemessen wäre, kommt ihm nicht in den Sinn.

Ein Mensch im höheren Alter betrachtet von seinem Balkon aus den Garten. Der Rasen ist akkurat gemäht, die Blumen blühen um die Wette. Er ist sehr zufrieden mit seiner Leistung, der ältere Mensch, nicht nur im Garten, sondern mit seiner ganzen Lebensleistung samt Hausbau, Familienarbeit und Berufserfolg. Als ihm bei einem Besuch eine kleine Broschüre mit guten Gedanken über Gott, den Schöpfer, überreicht wird, lehnt er dankend ab. Nein, er wisse über dieses Thema schon bestens Bescheid.

Ich besitze mein Leben, ich gestalte es, ich genieße es – was hat denn Gott da hineinzureden oder gar zu fordern? Wer so fragt, gleicht dem Pächter, der den Eigentümer vergessen hat. Unsere Lebenszeit, unsere Arbeitskraft und unsere kleinen Erfolge sind Leihgaben Gottes. Großzügig stellt er uns zur Verfügung, was uns ein lebenswertes Leben ermöglicht, vom Weinbergschlepper bis zum Wohnhaus, von einer fruchtbringenden Schöpfung bis zum nötigen Arbeitsplatz. Es ist nur recht und billig, wenn wir ihm dafür danken. Und Gottes Gebrauchsanleitung fürs Leben beachten. Wer jegliche Aufmerksamkeit für Gott vermissen lässt, muss wissen, dass sich über seinem Kopf etwas zusammenbraut. Vorsicht – Gott ist schockiert über die Vergesslichkeit und Eigenmächtigkeit vieler Erdbewohner. Sein Recht wird nicht anerkannt!

2. Gott ist schockiert, weil seine Riesengeduld
nicht anerkannt wird.

Man kann es nicht fassen: der Weinbergeigentümer bringt die Pächter nicht vor den Kadi. Vielmehr schickt er einfach den nächsten Boten. Mit einer Kopfwunde und mit zertretener Menschenwürde kehrt er zurück. Jetzt muss aber Schluss sein! Nein, der Eigentümer beauftragt den dritten Diener. Der dritte kommt nicht mehr nachhause. Sie bringen ihn zur Strecke. Und nun? Nun geht die Geschichte gerade so weiter: „die einen schlugen sie, die andern töteten sie“. Ist das Großmut, dass der Eigentümer sich so etwas gefallen lässt? Geduld? Barmherzigkeit? Oder einfach Gutgläubigkeit? Schwäche? Toleranz bis zum geht nicht mehr, der pure Wahnsinn? Schließlich sendet der Chef seinen geliebten Sohn. Er rechnet mit einer natürlichen Scheu vor seinem allerpersönlichsten Stellvertreter. Er verrechnet sich. Die eiskalten Burschen meinen genau zu wissen, wie man sich das Erbe sichert: durch die Beseitigung des Erben. „Dies ist der Erbe; kommt lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein“, rufen sie sich gegenseitig zu. Kurze Zeit später wird eine Leiche über die hintere Begrenzungsmauer gewälzt.

Als Jesus diese Kriminalgeschichte erzählt, steht er den Spitzenleuten Jerusalems gegenüber. Sie wissen, wer mit den Boten gemeint ist. Eine Gottesrede im Jeremiabuch macht es klar: „Von dem Tage an, da ich eure Väter aus Ägyptenland führte, bis auf diesen Tag habe ich immer wieder zu euch gesandt alle meine Knechte, die Propheten. Aber sie wollten nicht hören noch ihre Ohren mir zukehren, sondern sind halsstarrig und treiben es ärger als ihre Väter.“ Immer wieder tauchten in der Israelgeschichte Propheten auf. Immer wieder trugen sie Gottes leidenschaftliche Kritik vor. Immer wieder hielt man sich die Ohren zu. Immer wieder machte man die Gottesboten fertig. Gerade die Spitzenleute, Könige, Älteste und Ratsherren ohrfeigten und erniedrigten und brachten die Männer um, die ihnen nicht in den Kram passten. „Genau diese Tradition setzt ihr fort, hochverehrte Herrschaften“, gibt Jesus seinen Zuhörern zu verstehen. „Eine lange Reihe von Gottesboten ist von euren Vorgängern abgewiesen worden. Ihr seid nun dabei, denjenigen abzuweisen, der diese lange Reihe nicht nur fortsetzt, sondern ihren absoluten Höhepunkt darstellt.“ Jesus prophezeit den eigenen Tod als Tod des Gottessohnes durch ihre Hand! Die Mitglieder des Hohen Rates sind außer sich. Weil sie den Anspruch von Jesus, der Sohn und Erbe des Höchsten zu sein, nicht anerkennen. Sie lassen sich nicht darauf ein, über die lange Geschichte des vergeblichen Umkehrrufs der Propheten nachzudenken. Sie haben keinen Blick für die unglaubliche Geduld, die hinter dieser tragischen Geschichte steckt. Kein Verstehen und kein Staunen über die Riesengeduld Gottes!

Von dieser Geduld leben wir, liebe Gemeinde. Wir leben von der tragenden Kraft, in der unser himmlischer Vater seine schwierigen, ungehorsamen Kinder aushält. Wir leben von seinem langen Atem, in dem er uns immer wieder nachgeht, mahnt und zurückholt. Wie freundliche Boten kommen seine Gottesworte auf uns zu. Geben wir ihnen Raum oder schlagen wir ihnen die Tür vor der Nase zu? „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen.“ – Ach, mein Herz ist müde, ich erlebe zu viel Schwieriges! „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ – Ach, ich habe keine Lust, ich erlebe zu viel verletzende Menschen. „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ – Ach, mein Unglaube ist wieder stärker als mein Glaube!

Gott gibt uns nicht auf. Obwohl sein Wort bei uns tausendmal nichts ausrichtet und wir trotz seiner Liebe wie die Eisheiligen persönlich daherkommen. „HERR HERR, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue“ – so wird er von Mose angebetet. Kommen wir neu ins Staunen über seine Riesengeduld, in der er uns immer wieder vergibt und aufhilft?

Wir dürfen ihn bitten, uns neue Geduld zu schenken, für schwierige Vorgesetzte. Für kritische Gesprächssituationen zuhause. Für Mitarbeiter, mit denen wir uns weniger gut verstehen. Für Nachbarn, die unserer Einladung zur Gemeinde zehnmal nicht gefolgt sind. Wir sollten sie unbedingt ein elftes Mal einladen. Weil Gott einen langen Atem hat. Weil Gott nicht aufgibt.

Und wir sollten nicht zimperlich sein, wenn wir als Gottes Zeugen ins Gerede kommen. Wie wurden denn die Propheten schlechtgeredet? Was hat Jesus sich alles anhören müssen? Er, der das Äußerste ertragen hat, hilft uns, dem harten Widerstand der Eingeladenen neue Bezeugungen der Liebe Gottes entgegenzusetzen.

Allerdings registriert Gott genau, wie wenig seine Bemühungen um die Menschen begriffen werden. Er ist schockiert über die Missachtung seiner Riesengeduld.

3. Gott ist schockiert, weil sein Rettungsmann
nicht anerkannt wird.

Jetzt kommt das dicke Ende. Man konnte es voraussehen. „Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.“ Jetzt will Jesus ihnen drohen?, so raunen sich die Hohenpriester zu. Er, der die Frechheit besitzt, sich öffentlich als „geliebten Sohn“ zu kennzeichnen? Nun zitiert er auch noch den Messiaspsalm 118! Klar, mit dem verworfenen Baustein, der zum entscheidenden Eckstein wird, meint er sich selbst. Er wird „nicht sterben, sondern leben“ und einen großen Sieg erringen? Nun, man wird sehen. Wenn er erst einmal das römische Kreuz zu spüren bekommt, werden ihm derartige Visionen abhanden kommen! Im feindseligen Denken der Führungsleute ist kein Raum für die Idee, dass gerade der Tod von Jesus den rettenden Zugang zum Leben schaffen könnte. Rettung für alle, die Gott hemmungslos verdrängt, kleingemacht und brüskiert haben! Rettung für solche, die seinem Gericht entgegenstürzen wie die Äpfel im breiten Trichterloch der Apfel-Presse!

Vierzig Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem Jesus das Weinberggleichnis vorträgt, wird Jerusalem mitsamt Führungsschicht ausradiert.

Der so etwas voraussagen konnte, hat auch vom Weltgericht gesprochen. Von einer Nachbesprechung der Menschheitsgeschichte, in der alles auf den Tisch kommt. Alles, auch das Tagebuch unseres Lebens. Die vorzeigbaren und die unmöglichen Tagebuchseiten tragen bei uns den Stempel „Jesus Christus“, liebe Mitchristen. Damit ist unser Fall entschieden. Wir betreten den Himmel. So einfach funktioniert das? Ja! Gerade weil es so einfach funktioniert, ist Gott am Weinen über Menschen, die nicht erkennen, was es mit dem Namen „Jesus Christus“ auf sich hat. Sein Rettungsmann wird nicht anerkannt! Ein Schock, der den ganzen Himmel erzittern lässt!

Auch Manfred Grün konnte nichts anfangen mit dem Jesus Christus, von dem er in seinem Elternhaus hörte. Wenn zuhause die Sendungen des Evangeliumsrundfunks liefen, ergriff er die Flucht. Die Freunde, der Alkohol, die Bars: das war seine Welt. Als Strafvollzugsbeamter ließ er die Gefangenen seine Verachtung spüren. Eines Tages wurde sein Vater mit Leukämie ins Krankenhaus eingeliefert. Die Liebe, die er in dieser Situation ausstrahlte, bewegte Manfred Grün. Er tastete nach einem inneren Halt. Ein Satz der Mutter fiel ihm ein: „Jesus lebt, und Jesus vergibt Schuld.“ Manfred Grün wagte ein Gebet zu dem Herrn, der vergibt. So entdeckte er eine tragfähige Lebensbasis. Sein Stil in der Ehe und am Arbeitsplatz veränderte sich zum Guten. Bestimmt hat der Himmel vor Freude gezittert, als Manfred Grün zu beten begann. Noch ein Mensch, der Gottes Recht, Gottes Riesengeduld und Gottes Rettungsmann endlich anerkennt!

Erkennen wir, wie viel er uns gibt? Was geben wir ihm in dieser Woche zurück?

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 20. März 2009 um 17:24 und abgelegt unter Predigten / Andachten.