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„Suchet der Stadt Bestes!“

Donnerstag 25. Juli 2013 von Pfr. Hansjürg Stückelberger


Pfr. Hansjürg Stückelberger

Der Beitrag der Christen für eine Kultur der Vergebung

Gibt es das? Eine Kultur der Vergebung! Hat die Vergebung eine Auswirkung auf unsere Kultur? Beeinflusst sie die staatliche Gesetzgebung, vielleicht sogar die Wissenschaft und Wirtschaft? Haben also Christen einen Auftrag zur Mitarbeit bei der Gestaltung von Kultur und Politik? Viele lehnen jede Mitarbeit in politischen Strukturen ab. Dies gehört zum Reich der Welt. Dort herrschen böse Mächte. Wer mittut, versündigt sich. Andere rechnen mit der baldigen Wiederkunft des Herrn, die ein Engagement für einen Neubau von gesellschaftlichen Strukturen überflüssig macht. Wohl alle bejahen einen solchen Auftrag im Sinne der Diakonie. Christen haben zu allen Zeiten Schulen gebaut und Kranke gepflegt und damit wesentlich beigetragen zur Veränderung der Gesellschaft, auch ohne Mitarbeit in politischen Strukturen.

Unser Thema jedoch heisst: „Suchet der Stadt Bestes und betet für sie,… denn ihr Wohl ist auch euer Wohl“ (Jer 29,7). Ich meine, damit ist ein umfassendes Engagement für die Mitwirkung in der Politik gegeben. Das jedoch ist ein Thema von äusserster Brisanz. Denn in diesem Fall geht es um nicht weniger als um die Frage, ob bis zum Ende dieses Jahrhunderts in Europa die noch vorhandenen Reste einer christlichen Kultur endgültig verschwinden, oder ob durch eine Wende das Christliche Abendland neu ersteht. Was muss sich ändern? Doch eins nach dem anderen.

1.  Der biblische Auftrag zur Mitgestaltung der Politik

Jeremia hat viele Jahre zur Umkehr gerufen und Gericht über Jerusalem angedroht. Dann, im Jahre 589 v. Chr. ist die Katastrophe eingetreten. Nebukadnezars Truppen haben Jerusalem erobert, teilweise zerstört und die Elite in die Verbannung nach Babel gezwungen. Die Verschleppten sind tief enttäuscht, leben sie doch als versklavte Minderheit in einem mächtigen, reichen und gottfeindlichen Land und hoffen auf eine baldige Rückkehr. Am liebsten würden sie Gottes Zorn auf das verhasste Babel und seinen König herabwünschen. Möge der lebendige Gott dieses Zentrum von Reichtum, Arroganz und Götzendienst verfluchen. Doch Jeremia schreibt ihnen: „Suchet der Stadt Bestes, …betet für sie zum Herrn, denn ihr Wohl ist auch euer Wohl“ (Jer 29,7). Sie sollen am Aufbau dieses Landes mitarbeiten, den Unterdrückern dienen und sogar für den Zerstörer ihrer heiligen Stadt beten! Vermutlich kam dieses Prophetenwort unter den Verbannten gar nicht gut an. Doch Gott verwirklicht seine Pläne auch mit den Gottlosen. Die Juden werden später Buße tun, und Gott wird ihnen wieder gnädig sein. Der Perserkönig Cyrus wird Babel erobern und den Juden erlauben, nach Jerusalem heimzukehren. Sie werden die Stadt und den Tempel wieder aufbauen. Jeremia hat sein Gotteswort in eine heilsgeschichtlich einmalige Lage gesprochen. Doch in seiner Grundaussage behält es seine Gültigkeit.

Wohlgemerkt: Die Juden sollen im heidnischen Babel mitarbeiten, nicht sich anpassen; sie sollen am Aufbau des verhassten Staates mithelfen, aber zum lebendigen Gott beten! So halten wir im Blick auf eine Mitarbeit in der Öffentlichkeit fest: Gott hat uns aus der Macht der Finsternis errettet und in das Reich des Sohnes seiner Liebe versetzt, in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden (Kol 1,13f). Das Wort „Kirche“ (englisch church) stammt aus dem Griechischen kyriake, und bedeutet zum Herrn gehörig. Die Franzosen reden von der église (spanisch iglesia). Der Ausdruck stammt vom griechischen ekklesia, und meint die Gemeinschaft der Herausgerufenen. Die Italiener sprechen von der baselgia. Das Wort stammt vom griechischen basileus und bedeutet König. Christen sind die Menschen die dem König aller Könige dienen. Wir haben heute mehr Grund als je, uns dessen immer wieder bewusst zu machen: Als Christen gehören wir nicht dieser Welt. Wir haben durch unsere Berufung einen anderen Herrn. Wir leben, denken und handeln anders als die Nichtgläubigen. Eine Kirche, die sich nicht von der Welt unterscheiden will, verliert ihre geistliche Kraft. Im 1 Petr 1,9 steht: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, damit ihr die herrlichen Taten dessen verkündigt, der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen hat.“

Aber das heisst nicht, dass uns diese Welt nichts angeht. Im Gegenteil. Gott ist Liebe (1 Joh 4,8) Schon die Schöpfung ist Ausdruck seiner liebenden Zuwendung. Darum hat Gott den Kosmos mit einer wunderbaren Ordnung ausgestattet. Die Menschen hat er zu seinen Ebenbildern erklärt und ihnen eine besondere Ordnung gegeben, hat sie als Mann und Frau geschaffen und ihnen den Auftrag erteilt, die Welt zu kultivieren (1 Mose 1,26-28). Zur Schöpfungsordnung rechne ich vor allem, dass der Mensch Person und zur Freiheit bestimmt ist, mit Liebesfähigkeit, Gewissen, Gefühl für Gerechtigkeit und Schönheit ausgestattet und mit Freude an kreativem Schaffen begabt ist. Das ist die Grundlage der menschlichen Identität. Durch den Sündenfall wird sie schwer gestört, aber nicht völlig zerstört. Im Bund mit Noah bestätigt Gott diese Ebenbildlichkeit, fügt den Staat zur Einschränkung des Bösen hinzu und erklärt den Regenbogen zum „Zeichen des Bundes zwischen mir und allem Fleisch, das auf Erden ist“ (1 Mose 9,7-16). Gott liebt auch die von ihm abgefallene Welt; er will sie erhalten und schützt sie durch eine Ordnung vor dem völligen Verderben durch die Mächte des Bösen. Darum reden wir auch von der Schöpfungs- und Erhaltungsordnung Gottes, die für alle Menschen gilt. Indem Gott die abgefallene Welt nicht verflucht, sondern ihr eine bewahrende Ordnung gibt, deutet sich schon sein Wille zur Vergebung und Wiederherstellung an. Das bestätigt auch Jesus, wenn er darauf hinweist, dass „Gott seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte und Ungerechte“ (Mt 4,45).

In dieser „Welt unter dem Regenbogen“ beginnt Gott sein Erlösungswerk, erwählt Abraham zum Stammvater der Juden und sendet Jesus, der am Kreuz stirbt, um die Welt durch seinen stellvertretenden Sühnetod mit Gott zu versöhnen. Das Geschehen am Kreuz zielt auf Wiederherstellung. Durch die Vergebung der Sünden holt Gott uns wieder in seine Gemeinschaft. Und durch die Begabung mit dem Heiligen Geist erneuert er in uns die gestörte Ebenbildlichkeit mit ihm. „Ist jemand in Christus, so ist er ein neues Geschöpf“ (2 Kor 5,17). Durch sein Erlösungswerk schafft Gott die Kirche, die Gemeinschaft derer, die sich aus der verlorenen Welt haben herausrufen lassen. Aber er gibt sein Schöpfungswerk nicht preis. Die Welt unter dem Regenbogen wird darum erhalten, weil sie letztlich ebenfalls zur Wiederherstellung bestimmt ist.

Das bedeutet für uns: Wir setzen uns für eine Kultur der Vergebung ein, weil erstens Gott will, dass wir in die abgefallene Welt die Botschaft von der Erlösung durch Christus hineintragen, um Menschen zu retten. Zweitens will Gott auch der Welt unter dem Regenbogen Gutes tun, indem er durch die Gläubigen die Gesellschaft der Gottlosen vor dem Absturz in die totale Selbstvernichtung bewahren will. Und drittens will Gott durch die Gläubigen die staatlichen Ordnungen mit der Botschaft von der Vergebung mitprägen, sie gewissermassen wie mit Sauerteig (Mt 13,33) „infizieren“, damit eine Ordnung entsteht, welche den Gläubigen Freiheit und Schutz bietet und sie so vor der Feindschaft der Welt bewahrt. Wie Jeremia sagt: „… denn ihr Wohl ist auch euer Wohl.“ Gottlose Wähler wählen gottlose Politiker. Und wenn die Gläubigen das Gesetzemachen den Gottlosen überlassen, dürfen sie sich nicht über gottlose Gesetze wundern. Europa wäre nicht in eine so bedrohliche Lage geschliddert, wenn nicht viele Gläubige tatenlos zugeschaut oder mitgeholfen hätten. Christen sind beauftragt, den Abstieg in eine antichristliche Gesellschaft zu verhindern. Die Mitarbeit in der Politik ist auch zum Nutzen der Gläubigen.

Zwar findet sich im Neuen Testament kein Wort, das ausdrücklich zur Mitarbeit in der Politik auffordert. Doch Jesus anerkennt die Ordnung des römischen Staates, etwa durch sein Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist“ (Mt 22,21). Und Paulus nennt die Obrigkeit „Gottes Dienerin“ (Röm 13,1 u. 4). Zugegeben, das beinhaltet noch keine aktive Mitwirkung im Staat. Doch Jesus und Paulus lebten unter dem römischen Kaiser, der zwar Gehorsam verlangte, sich aber jede Einmischung bei Strafandrohung verbat. Heute leben wir in einer Demokratie. Wir haben viele Möglichkeiten, durch Organisationen und in politischen Parteien mit zu arbeiten und mit zu bestimmen. Gewiss, dies sind Bereiche, in denen sich die „Mächte und Gewalten“ (Eph 6,12) tummeln, Menschen für sich instrumentalisieren und abgrundtief Böses geschieht. Aber eben, Gott überlässt die Welt nicht dem Teufel. Seine Schöpfungsordnung ist auch eine Erhaltungsordnung.

Das bestätigt Jesus, wobei ich nur zwei Worte nenne: „Ihr seid das Salz der Erde“ (Mt 5,13). Salz brauchte man als Konservierungsmittel, um Fleisch und Fische für längere Zeit vor dem Verderben zu bewahren. Um diese bewahrende Kraft bewirken zu können, muss das Salz mit dem Fleisch vermischt werden. Wenn das nicht geschieht, wird das Fleisch faul, ungeniessbar und schliesslich giftig. Und im Vers 14: „Ihr seid das Licht der Welt. …So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, dass sie eure guten Taten sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, preisen.“ Christen sollen das Haus erleuchten, sodass die Bewohner im Haus nicht stolpern, sich ohne Gefahr bewegen können. Christen sind Realisten, sie erkennen Gefahren. Ein grosser Teil der Nöte Europas kommt davon, dass Politiker und andere Entscheidungsträger, aber auch die Masse derer, die ihnen blindlings folgen, Gefahren nicht erkennen oder unterschätzen und falsche Urteile fällen.

2.  Europa entstand durch das Evangelium

Jedes Volk baut seine Gesellschaftsordnung nach dem, was es glaubt. Die Inkas glaubten, dass die Götter blutgierig sind und Menschenopfer fordern. Darum opferten sie ihre Kinder oder führten Krieg, um mit den feindlichen Gefangenen genügend Opfer für grosse Feste zu haben. Muslime glauben, dass sie beauftragt sind, die ganze Welt notfalls mit Gewalt unter die Herrschaft Allahs zu bringen. Deshalb eroberten sie christliche Länder, wie z. B. ganz Nordafrika, erstickten jeden Widerstand im Blut und errichteten eine islamische Staatsordnung. Viele ihrer Kämpfer waren und sind todesmutig, denn Allah verspricht denen, die im Kampf für ihn sterben, ein Sonderparadies, wo auf jeden „Märtyrer“ erlesene Speisen, Weine und 70 schlanke Huris mit Mandelaugen und schwellenden Brüsten warten. Die Beispiele, wie der Glaube die gesellschaftliche Struktur und das Verhalten eines Volkes prägt, liessen sich vermehren. Der Glaube oder also der Kult bestimmt die Kultur und damit auch die Geschichte einer Nation oder eines Kontinentes.

Europa ist durch das Christentum zum Christlichen Abendland geworden. Auch griechische Philosophie und römisches Recht haben dabei mitgewirkt, aber das von der Bibel geprägte Denken war die bestimmende Kraft, durch welche die verschiedenen Völker zu dem geworden sind, was heute Europa ausmacht. Das Zentrum des christlichen Glaubens jedoch ist die Botschaft vom Heil durch den am Kreuz gestorbenen Gottessohn, die Vergebung der Sünden und die Wiederherstellung der Ebenbildlichkeit der Menschen mit Gott. Darum ist noch heute die Kultur Europas weitgehend eine Kultur der Vergebung.

Das zeigen folgende Fakten: Die Ebenbildlichkeit mit Gott gilt ohne jede Einschränkung für jeden Menschen, ungeachtet seines Geschlechtes, seiner Hautfarbe, seiner gesellschaftlichen Stellung oder seiner Lebensgeschichte, eben auch für gottferne Menschen. Daher ist, wie die deutsche Verfassung festhält, „die Würde des Menschen unantastbar.“ „Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person“ (2 Chr 19,2). Darum sind in Europa vor dem Gesetz alle gleich – im grossen Unterschied zu anderen Kulturen. Und weil Gott frei ist, sind alle Menschen zur Freiheit bestimmt. Darum hat sich in Europa Sklaverei nicht einnisten können, sondern es sind über die Jahrhunderte freiheitliche politische Strukturen entstanden, die schliesslich zur Demokratie führten. Und: Das christliche Menschenbild, das mitbestimmt ist von Gottes Willen zur Vergebung und Wiederherstellung, wirkt tief in unser Rechtsverständnis. Wird jemand zum ersten Mal straffällig, erhält er oft eine Strafe auf Bewährung, also eigentlich nur eine Androhung von Strafe und eine Chance zum Neuanfang; und Strafgefangenen bietet der Staat Therapien und Weiterbildung, was ihnen den Wiedereintritt in die Gesellschaft erleichtern soll. Auch die Nächstenliebe, dargestellt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter, gründet im Willen Gottes, die Werke des Bösen durch Wiederherstellung zu überwinden. Daraus sind in Europa nicht nur unzählige Liebeswerke für Benachteiligte entstanden, sondern auch der ganze Sozialstaat incl. der gesetzlichen Verpflichtung zur Hilfeleistung bei Unfällen. Aber auch die Toleranz gegenüber Andersdenken hat ihre Wurzeln nicht im liberalen Gedankengut, sondern im Wort Jesu: „Liebet eure Feinde“ (Mt 5,44), was die Bereitschaft zur Vergebung und zur Annahme des Feindes voraussetzt. Und dass eine gestörte Beziehung wieder zurecht gebracht werden kann, indem jemand „sich entschuldigt“, d. h. seine Schuld eingesteht und um Vergebung bittet, ist eine Selbstverständlichkeit, bei der kaum jemand darüber nachdenkt, dass dies nur in einer Kultur der Vergebung möglich ist. Das ist in anderen Kulturen ganz anders, wie zwei kurze Vergleiche auf Kulturen zeigen, in denen Vergebung so gut wie unbekannt ist. Man spricht dann von einer Schamkultur wie z. B. in Japan.

Dort begehen jährlich rund 7.000 Menschen Selbstmord, weil sie in finanziellen Schwierigkeiten sind. Dafür schämen sie sich. Sie haben versagt und damit ihre Ehre verloren. Sie retten ihre Ehre, indem sie sich selber zum Tod verurteilen, um so ihre Schuld zu sühnen. – Der japanische General Tojo hatte 1941 den Befehl zum Angriff auf Pearl Harbour gegeben und wurde später als Kriegsverbrecher hingerichtet. Das war eine solche Schande für die Familie, dass noch die Enkelin Yuko Toja behauptete, der Ãœberfall auf Pearl Harbour wäre kein Angriffskrieg, sondern eine Verteidigung gewesen. Ohne diese Geschichtsfälschung wäre ihr Selbstwertgefühl von Scham überdeckt und zerstört worden. Ohne ein Minimum an Selbstachtung kann der Mensch nicht leben. Wenn ein Schuldbekenntnis kein Weg zum Erhalt der Ehre ist, muss die Realität anders behauptet werden.

Noch stärker trifft dies im muslimischen Kulturbereich zu. Die Ehre einer Familie, vor allem des Vaters, besteht wesentlich darin, dass Töchter bis zur Heirat Jungfrauen bleiben. Wenn eine Tochter vorehelichen Geschlechtsverkehr hatte, ist diese Ehre zerstört. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob die Tochter vergewaltigt wurde oder nicht. Die Familie kann diese Schande nur dadurch austilgen, indem die Verursacherin der Schande getötet wird. Dann hat der Vater ehrenhaft gehandelt, und die Familie ist wieder gesellschaftsfähig. Nach Schätzungen der UNO fallen jährlich etwa 5.000 Mädchen dieser Rettung der Familienehre zum Opfer. Experten vermuten eine hohe Dunkelziffer, weil Ärzte meist nicht den Mut haben, bei der Ausstellung des Totenscheins die wahre Ursache anzugeben. Und: Dieben wird in gewissen muslimischen Staaten die Hand abgetrennt. Der Dieb trägt seine Schuld lebenslang ohne jede Möglichkeit der Rehabilitierung. Die Gesellschaft vergibt nicht. Auch die immer noch vorhandene Pflicht zur Blutrache zwischen verfeindeten Familie beruht darauf, dass Vergebung und Verzicht auf Rache als Eingeständnis einer unehrenhaften Niederlage verstanden wird.

Auch Wissenschaft und Wirtschaft entfalten sich in einer Kultur der Vergebung. Dies hat der holländische Prof. Johann Hansen an einer Konferenz in Rom ausgeführt. Wissenschaftliche Forschung kann nur gedeihen, wenn in einer Gesellschaft Scheitern nicht mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft wird. Meist kommt ein Wissenschaftler erst nach vielen vergeblichen Versuchen zu einem Resultat. Im mittelalterlichen Europa waren es zunächst vor allem Geistliche, Mönche und Bischöfe, welche sich mit wissenschaftlichen Experimenten beschäftigten. Sie konnten damit rechnen, dass nach einem gescheiterten Versuch ihre Ehre nicht beschädigt war. Sie hatten kein Problem, immer wieder neu anzufangen. So machten sie Erfindungen, welche die Grundlage für den Reichtum Europas gelegt haben. Das war in muslimischen Gesellschaften nicht der Fall. Daher stammen noch heute kaum Erfindungen aus diesem Kulturkreis.

Vergebung beeinflusst auch die Geschichte und Politik. Michael Henderson berichtet, wie nach dem Zweiten Weltkrieg im Kongresszentrum der Moralischen Aufrüstung im schweizerischen Caux zwischen 1948 und 1952 mehr als 3.000 Deutsche an Konferenzen teilnahmen, darunter die meisten der führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Aber auch Franzosen und Engländer. Von dort gingen wesentliche Impulse aus für eine Versöhnung der Kriegsparteien. So lernte George Villiers, damaliger Präsident der Französischen Arbeitgebervereinigung, den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hans Böckler kennen. Böckler sagte zu Villiers: „Wir sollten aus zwei Gründen Feinde sein. Ich bin Deutscher, und Sie sind Franzose; Sie sind das Oberhaupt der Arbeitgeber, ich bin Gewerkschaftsführer.“ „Ja“ erwiderte Villiers, „und es gibt einen dritten Grund: Ihre Landsleute verurteilten mich zum Tode. Ich war im Konzentrationslager und sah die meisten meiner Kameraden sterben. Aber das ist jetzt alles Vergangenheit. Wir müssen vergessen.“ Villiers kündigte an, er werde seinen Einfluss geltend machen beim Schliessen eines moralischen und wirtschaftlichen Bundes zwischen Frankreich und Deutschland. (1) Villiers hat nicht vom „Vergeben um Christi willen“ gesprochen. Vielleicht war er Jude. Vielleicht war Böckler als Gewerkschaftler im marxistischen Denken verhaftet. Aber beide sind an der Tagung zum Schluss gekommen: Hass ist keine Option für die Zukunft. Sie sind beide in einem christlichen Umfeld aufgewachsen, indem das Vaterunser und das Gleichnis vom verlorenen Sohn zum Allgemeinwissen gehörten. So hat die Botschaft vom Kreuz auch in säkularen Gesellschaften bewahrende Kraft und gestaltet die Zukunft.

Die EU ist darum zustande gekommen, weil führende Politiker wie Adenauer, De Gasperi und De Gaulle als überzeugte Katholiken bereit waren, den Hass zu überwinden und eine Zukunft des Friedens aufzubauen. In allen vom christlichen Glauben geprägten Völkern ist der Gedanke an Vergebung und Neuanfang eine Möglichkeit zur Konfliktlösung und zum Frieden, der wiederum eine Voraussetzung ist für Wohlstand. In gewissen Kulturkreisen ist Hass auf den Feind, und sei es der Feind von vor tausend Jahren eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit und Ehrensache. Doch Hass als nationale Tugend bindet kreative Kräfte, hindert den Frieden und damit auch den wirtschaftlichen Erfolg. Europa zehrt immer noch davon, dass durch eine Jahrhunderte dauernde Entwicklung seine Identität von einer Kultur der Vergebung geprägt ist. Sie ist der fruchtbare Humus, auf dem Freude am Leben, Freiheit, Leistungsbereitschaft, soziale Solidarität, Kunst und zukunftsgestaltende Kräfte wachsen. Vergebung schafft eine erfolgreiche Zivilisation.

Jetzt verstehen wir auch, warum es beim Einsatz für die Schöpfungsordnung nicht „nur“ darum geht, ob eine Familie definiert wird als eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau und Kindern oder als ein Zusammenleben von Erwachsenen und Kindern. Es geht auch nicht „nur“ darum, die seelischen Schäden dieses Aufstandes gegen Gott zu vermeiden. Es geht um das Ganze unseres Glaubens! Denn der dreieinige Gott ist sowohl der Schöpfer des Universums als auch unser Erlöser. Die Bibel unterscheidet zwar das Schöpfungswerk deutlich vom göttlichen Erlösungswerk. Aber der Auferstandene hat sich zur Rechten Gottes gesetzt, ist zum Allherrscher, zum Pantokrator geworden. So ist Christus auch Herr der Schöpfung. Das heisst: Wer die Schöpfungsordnung, und das heisst den Bereich der Politik, als Herrschaftsgebiet Christi aufgibt, wer die Menschen unter dem Regenbogen aus dem Aufgabenbereich des Glaubens ausklammert, für den ist Christus höchstens noch theoretisch Herr aller Herren. Wenn jedoch Christen Gott zwar als Herrn aller Dinge bekennen, aber die Welt ausserhalb der eigenen Gemeinde dem Teufel überlassen, wie können sie dann glaubwürdig vom Heil in Christus zu den Menschen reden, die sie den Mächten dieser Welt überlassen?

3.  Worin besteht unser Auftrag in der Politik konkret?

Über das, was Christen in der Öffentlichkeit tun und lassen sollen, was also politische Ethik beinhaltet, ist von Prominenteren, als ich bin, viel geschrieben worden. Dennoch erlaube ich mir, konkrete Tätigkeiten hervorzuheben, die sich aus der Aufgabe zur Mitwirkung in Gesellschaft und Politik ergeben. Allgemeines Ziel von christlichem Engagement muss sein, dass die Schöpfungsordnung mit dem christlichen Menschenbild wieder zur Grundlage der Gesellschaft wird. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass das christliche Menschenbild als Maßstab öffentlichen Handelns wieder von den Kirchen gelehrt, von den Gläubigen verstanden und von der Öffentlichkeit respektiert wird.

Wer eignet sich für diesen Dienst? Wer sich hier einbringen will, braucht einen festen Stand. Denn es geht oft gegen den Wind, gegen die öffentliche Meinung. Selten holt man sich Lorbeeren. Man riskiert gehässige Medienkampagnen, öffentliche Demontage, gelegentlich sogar die Arbeitsstelle. Das schaffen vor allem Menschen, welche durch die Vergebung Kinder Gottes geworden sind, in ihm ihre Stärke und Ehre haben, die Menschen nicht fürchten und deshalb ihre Fahne nicht in den Wind hängen. Viele in öffentlicher Verantwortung halten die Anpassungsfähigkeit an den Zeitgeist für eine Tugend. Im eleganten Slalom schlängeln sie sich um die Probleme herum und verraten die Werte. Der Mut zum Widerstand kommt aus der Demut vor Gott. Demut befähigt zum Dienst an der Gesellschaft.

Dann nenne ich die Gottesfurcht. In seiner Gier nach Gold und Reichtum hat Europa dem Mammon gedient und ist zunächst reich geworden. Scheinbar lohnt sich „Geiz ist geil“. Doch die Gier nach immer noch mehr steht am Anfang der Bankenkrise und am Anfang der Staatsschuldenkrise. Ein deutscher Wirtschaftsprofessor schreibt: Gier frisst Hirn. (2) Aus lauter Gier fällen Banker Entscheidungen, die rationalem Denken völlig widersprechen. Banken, Anleger und Sparer hoffen auf gigantische Gewinne, und dann stürzen viele in gigantische Verluste. Doch auch Normalbürger lassen sich vom Geld bestimmen. Politiker verteilen Gelder als Wahlgeschenke, weil die Bürger jene wählen, die ihnen Geld versprechen. Geld, das sie nicht haben. Alles Geld, das der Staat den Bürgern verteilt, muss er vorher den Steuerzahlern nehmen, oder Schulden machen. So sind in allen Staaten Europas Schuldenberge aufgehäuft worden, Schulden, welche noch die Enkel belasten werden. Wirtschaftsfachleute erklären dazu, dass Staatsschulden in den meisten Fällen nicht zurückbezahlt werden, sondern die Steuerzahler bezahlen sie entweder durch eine Währungsreform oder eine Zwangsabgabe oder anhaltende Inflation. Wer den Mammon zum Gott macht, bei dem entfesselt er die Gier. Es drohen Armut und Niedergang. Europa braucht Menschen, die Gott fürchten. Sie sind die Realisten. Sie fällen auch geldpolitisch die besseren Entscheidungen. Sie wissen, der Geber aller guten Gaben ist Gott.

Dann nenne ich die Ehrlichkeit. Wer die Reden der Politiker verfolgt, stellt bald fest: Es wird gelogen, dass die Balken krachen. Das beginnt beim UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der, gemäss der Zeitschrift Time, durch Manipulationen dafür gesorgt hat, das bei den letzten Wahlen in Afghanistan Karsai wieder die Wahl zum Präsidenten gewonnen hat. Der Journalist, der diese Manipulation oder Lüge an den Tag brachte, verlor seine Stelle. (3) Bekannt ist auch die Geschichte über den Beitritt Griechenlands zur Eurozone. Zuerst verkündete Brüssel, dass Griechenland in seinem Staatshaushalt die geforderten Bedingungen erfülle. Als es dann seine Schulden nicht mehr bedienen konnte und auf Hilfe angewiesen war, kam scheibchenweise die Wahrheit ans Licht. Die griechische Regierung hatte getrickst, d. h. massiv betrogen. Und ich glaube nicht, dass die EU-Beamten, welche mit der Prüfung der Unterlagen beauftragt waren, so unfähig waren, dass sie das nicht gemerkt haben. Doch die Politiker wollten unbedingt den Machtzuwachs durch die Ausweitung der Eurozone. Die Beispiele von Halbwahrheiten und Irreführungen durch ranghohe Politiker liessen sich leider problemlos vermehren. Nicht umsonst nahmen in einer Umfrage über die Vertrauenswürdigkeit von Berufsgruppen Politiker den untersten Rang ein. (4) Jesus sagt: „Eure Rede sei ja, ja; nein, nein“ (Mt 5,37).

Zur Ehrlichkeit gehört schlicht die getreue Geschäftsführung. Die Zahl der europäischen Länder, in denen Aufsichtsräte, aber auch Regierungsverantwortliche in Skandale wegen Betrug und Steuerkriminalität angeklagt waren und sind, wächst. Wenige Personen, vielleicht ein einziger ehrlicher Aufsichtsrat hätte die anderen von solchen Verbrechen abhalten können. Die Missachtung von Treu und Glauben führt letztlich zur Missachtung des Rechtsstaates und erleichtert das organisierte Verbrechen mit den wohlbekannten katastrophalen Folgen für die ganze Gesellschaft.

Dann halte ich für sehr wichtig den Erhalt der Eigenverantwortung der Bürger und also unseren Kampf gegen das überbordende Wachstum der staatlichen Macht über die Bürger. Nach einer Statistik der Neuen Zürcher Zeitung (5) gibt der deutsche Staat 45 % des BIP aus. Fast die Hälfte des erwirtschafteten Geldes nimmt der Staat dem Bürger weg. Er bestimmt, wie es ausgegeben wird. (In Dänemark sind es 55%!) Immer mehr Verantwortung und Entscheidungskompetenz geht an Beamte über. Freiheit hat auch mit Eigentum zu tun. So geht mit der Ausweitung der staatlichen Macht eine schleichende Enteignung und Entmündigung einher. Gott hat jedoch die Menschen mit Gewissen und Intelligenz ausgestattet, weil er sie als selbstverantwortliche Personen wollte. Zunehmend behandelt der Staat seine Bürger als Kinder. Das heisst, der Staat infantilisiert seine Wähler. Die Entmündigung des Bürgers kann nicht im Interesse des Gemeinwesens sein. Doch bei manchen Politikern habe ich den Eindruck, dass sie gerade dies beabsichtigen, weil sie dadurch ihre Macht erweitern können, und weil ihr verborgenes Ziel der allmächtige Staat ist.

4.  Europa droht das Aus

Die bisher geschilderten Nöte fordern dringend die Mitwirkung bei der Gestaltung unserer Gesellschaft. Aber sie sind für Europa nicht existenzbedrohend. Die beiden folgenden Entwicklungen hingegen legen dem Christlichen Abendland die Axt an die Wurzeln.

Die grösste Aufgabe für Christen in der Öffentlichkeit ist heute der Schutz von Ehe und Familie. In Ehe und Familie ist die von Gott gegebene Grundordnung für alle Menschen zusammengefasst. Und genau diese Ordnung soll jetzt endgültig zerstört werden. Bekanntlich zielt das Gender Mainstreaming, unter dem Vorwand für die Gleichstellung von Mann und Frau und also für Gerechtigkeit zu kämpfen, auf etwas ganz anderes, nämlich auf die Gleichheit von Mann und Frau. Dabei behauptet man, das angeborene Geschlecht (Sex) sei bedeutungslos für die Entwicklung der Persönlichkeit. Im Grund seien alle Menschen gleich, und jeder müsse selber sein Gender, sein persönliches Geschlechtsverhalten wählen, sei es hetero-, homo-, bi-, multi- oder transsexuell. Gender Mainstreaming heisst, dass diese Ideologie zum Mainstream werden, d. h. zur Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden muss. Damit soll die in der Schöpfung gegebene Lebensordnung, auf der seit Menschengedenken das Zusammenleben der Völker beruht, völlig ausgehebelt werden. Die EU hat entsprechende Beschlüsse der UNO ernstgenommen und die flächendeckende Einführung dieses Wahnsinns beschlossen. Die Europäische Grundrechteagentur in Wien hat den Auftrag, dieser Lehre auf allen gesellschaftlichen Ebenen zum Durchbruch zu verhelfen. Und die meisten deutschen Bundesländer haben entsprechende Gesetze beschlossen. An mehr als 20 Universitäten sind entsprechende Professuren eingerichtet worden. Schon im Kindergarten sollen Buben und Mädchen durch gegenseitige Berührungen herausfinden, ob sie als Heteros, Homos, Lesben, Bi- oder Transsexuelle leben wollen. Gender Mainstreaming ist, wie Gabriele Kuby eindrücklich schildert, bereits in der Durchsetzungsphase angekommen ist. (6) Inge Thürkauf bezeichnet dies als „Zusammenbruch des Wertefundamentes unserer Gesellschaft“. (7) Gender ist eine unverhüllt antichristliche Ideologie. Wenn es keine Schöpfungsordnung gibt, dann auch keinen Schöpfer.

Die Gender- Ideologie hat aber auch katastrophale persönliche Auswirkungen. Schon ohne die Auswirkungen der Gender-Ideologie wird die Integration der angeborenen Sexualität in die Persönlichkeit durch Feminismus und andere Bewegungen seit Jahrzehnten erschwert. Die Folge sind labile Junge und Erwachsene. Gemäss Telefonbuch arbeiten in der Stadt Zürich rund 250 Geistliche aller Konfessionen, und es finden sich Adressen von über 1500 Psychiatern, Psychotherapeuten, Psychologen und dazugehörigen Instituten. Dazu muss man die selbsternannten Lebensberater und die Hexen, Pendler, Kartenleger und Hellseher rechnen. Eine wachsende Zahl von Mitbürgern ist so desorientiert, dass sie den Anforderungen von Beruf und Ehe nicht gewachsen sind und Hilfe brauchen. Durch Gender wird diese Zahl von psychischen Erkrankungen, von labilen jungen Menschen, die in ihrem Erwachsen werden gestört sind, massiv steigen. Millionen werden nur in eingeschränktem Rahmen ihr Leben meistern können. Sie werden gerade nicht frei wie behauptet wird, sondern abhängig und damit manipulierbar gemacht. Mit Gender bahnt sich für unsere Länder eine Katastrophe an.

Es könnte sein, dass dies auch beabsichtigt ist. Auf jeden Fall hat es Gender erreicht, dass für dieses Ziel Steuergelder eingesetzt werden. Und die Anzeichen verdichten sich, dass jene Recht haben, welche hinter verschiedenen Massnahmen der UNO und anderer internationaler Gremien die Absicht erkennen, eine Weltregierung zu errichten. (8) Das geht nur, wenn die Familie als Garant seelischer Gesundheit und Trägerin der Kultur ausgeschaltet wird, wenn man die Selbstverantwortung und Eigenständigkeit der Menschen bricht und sie zu gehorsamen Untertanen macht.

Gender fördert eine zweite katastrophale Entwicklung, die schon lange im Gange ist. Durch die Abwertung der Familie werden immer weniger Kinder geboren. Die Geburtenrate ist in Deutschland schon so weit gesunken, dass die Bevölkerung in jeder Generation um einen Drittel zurückgeht. Kommt es so weit, dass in 50 Jahren die evangelische Kirche in Deutschland zu einer kleinen Minderheit schrumpfen wird? Nach Dr. Herwig Birg, Professor für Demografie, schrumpft die Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahre 2095 von 80 Mio auf 48 Mio. Dabei schrumpft der Anteil der Jungen und Arbeitsfähigen, während der Anteil der Senioren und Pflegebedürftigen wächst und wächst. (9) Weniger Menschen kaufen weniger Autos, brauchen weniger Häuser, Schulen und Krankenhäuser etc. Die wirtschaftlichen Konsequenzen sind dramatisch. Dabei vermindert sich der Bevölkerungsteil mit deutschen Wurzeln stärker als der zugewanderte. Nüchtern gesagt, befindet sich Deutschland auf dem Weg in die kollektive Selbstauslöschung. In Italien und Spanien liegt die Geburtenrate bei 1,1. Das heisst, die Bevölkerung vermindert sich in jeder Generation um 50%! Wer füllt das Vakuum auf? Haben jene Recht, die voraussagen, Europa werde am Ende dieses Jahrhunderts von einer muslimischen Mehrheit bestimmt? Steht das christliche Abendland vor dem endgültigen Aus? Werden die sozialen Spannungen zu Bürgerunruhen führten? Offenbar hat die Bundesregierung längst jene Gebiete und Zonen bezeichnet, wo bürgerkriegsähnliche Unruhen ausbrechen könnten. (10) Nach meiner Überzeugung wird dies alles eintreffen, wenn Gott nicht Gnade zur Umkehr schenkt.

5.  … und betet für sie zum Herrn!

Jetzt erhält die Frage nach der Vergebung und ihrer Bedeutung für unsere Kultur ihre höchste Aktualität. Es gibt, meiner Ansicht nach, für Europa noch eine Chance. Unsere Gesellschaft hat gigantische Schuld auf sich geladen. Symptomatisch dafür stehen rund 100.000 im Mutterleib getötete Kinder (Schweiz rund 10.000). Hier wird Schuld immer weiter aufgehäuft. Aber unvergebene Sünde hindert den Heiligen Geist. Sie bindet an die Mächte des Bösen und macht immun gegen das Wort Gottes. Unvergebene Sünde hält die Türen offen für die Mächte der Finsternis, sodass der Geist Gottes nicht wirken kann. Ich meine, am meisten Schuld laden sich jene Kirchen und Geistliche auf, welche nicht Jesus Christus den Gekreuzigten predigen, es verschweigen und übergehen, dass wir alle schuldbeladene Sünder sind und nur durch den Kreuzestod Jesu Erlösung erfahren. Wenn Menschen keine Sünder sind, wozu ist dann der Sohn Gottes gestorben? Wer die Notwendigkeit der Vergebung durch den Kreuzestod Jesu verschweigt, predigt ein falsches Evangelium. Das Herzstück der Liebe Gottes zu den Menschen, das Zentrum seines Erlösungswerks wird als überflüssig, unwichtig erklärt, mit Füssen getreten. Wer kann den Zorn Gottes darüber ermessen? Auch die Schöpfungsordnung ist offiziell als ungültig erklärt worden. Ich denke an die volle Anerkennung der Homoehe, die sogar im Pfarrdienstgesetz das Zusammenleben von Schwulen und Lesben im Pfarrhaus erlaubt. Durch den Abschied von der Schöpfungs- und Erhaltungsordnung brechen Dämme weg, welche die Gesellschaft vor der Überschwemmung durch giftige Fluten bewahren sollen. So werden Schleusen für Ideologien geöffnet, welche Seelen vom Evangelium abhalten und hilfreiche Strukturen untergraben. Wer wagt es, in Worte zu fassen, welche Schuld die Kirchen damit auf sich laden? Gewiss, wir Tagungsteilnehmer haben uns dabei kaum schuldig gemacht. Aber es geht uns wie dem Propheten Jesaja. In seiner Berufungsvision sagt er: „Wehe mir! Ich bin verloren! Denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen und wohne unter einem Volke mit unreinen Lippen…“ (Jes 6,5). Jesaja ist, wie wir, in die Schuld seines Volkes mitverflochten.

Was können wir tun? Zur Aufforderung Jeremias „Suchet der Stadt Bestes“ schenkt uns Gott eine grossartige Verheissung. In 2 Chr 7,13f steht: „Wenn ich den Himmel verschliesse, sodass kein Regen fällt, wenn ich Heuschrecken entbiete, das Land abzufressen oder die Pest loslasse wider mein Volk, und es demütig sich… und sie beten und suchen mein Angesicht und bekehren sich von ihrem bösen Wandel, so will ich vom Himmel her es hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land wieder heilen.“ Und Petrus fordert in seiner Predigt nach der Heilung des Lahmgeborenen die Zuhörer auf: „So tut nur Buße und bekehret euch, damit eure Sünden getilgt werden, auf dass Zeiten der Erquickung vom Angesichte des Herrn kommen“ (Apg 3,19f). Eine Wende kann wohl nur durch Buße erbeten werde. Das könnte z. B. geschehen durch einen nationalen Tag der Buße, des Bekenntnisses und der Anbetung. Wenn viele christliche Organisationen und Gemeinden sich vom Geist zu einem solchen Tag bewegen lassen, können sie stellvertretend auch für das ganze Volk Buße tun und um Vergebung bitten. Wird dann nicht Gott sein Wort halten, das Land heilen und Zeiten der Erquickung senden durch eine Erneuerung des Glaubens auf vielen Ebenen? Beten wir dafür, dass Gott Gnade schenkt zur Umkehr.

Ist das zu hoch gedacht? Wir dürfen vor dem antichristlichen Geist unserer Zeit nicht resignieren. Die Christen im alten Rom haben nicht gefragt, ob sie Erfolg haben werden; Martin Luther, Friedrich von Bodelschwingh, Dietrich Bonhoeffer und Millionen andere haben nicht gefragt, ob sie Erfolg haben werden. Sie haben auf Gott vertraut und haben getan, wozu Gott sie berufen hat. Sie wussten, was sie für Christus tun, ist nicht umsonst. Die Lage der ersten Christen in Korinth war mehr als schwierig. Aber Paulus ermutigt die Korinther und schreibt und das gilt auch für uns: „Darum, meine lieben Brüder – und Schwestern – werdet fest, unerschütterlich, allezeit reich im Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn“ (1 Kor 15,58). Bei Gott ist nichts unmöglich. Muslime waren über Jahrhunderte fast völlig missionsresistent. Doch vor kurzem habe ich gelesen, dass in Afrika und Indonesien jedes Jahr zwölf Millionen Muslime sich zu Christus bekehren. Und sehr viele Muslime berichten, wie Jesus ihnen in Visionen begegnet. (11) Gott will Europa nicht den „Mächten und Gewalten“ überlassen. Ich meine, dass in verschiedenen christlichen Gruppen die Bereitschaft zur Buße wächst. Durch Buße und Vergebung kann es geschehen, dass Gott das „Land wieder heilt“.

1) Michael Henderson: Die Macht der Vergebung, Public Forum, S. 184

2) Max Otte: Der Crash kommt, Ullstein, S. 43

3) Time, 19. Okt. 2009, S. 28f

4) Selecciones, Juli 2009

5) NZZ, Neue Zürcher Zeitung, 20. März 2013, S. 25

6) Gabriele Kuby: Die globale sexuelle Revolution, fe-medienverlags GmbH, S. 100ff, 133

7) Inge Thürkauf: Frühkindliche Schädigung durch Gender- und Krippenpolitik, Zukunft CH, S. 8

8) Manfred Kleine-Hartlage: Neue Weltordnung, Edition Antaios

9) Herwig Birg: Die demografische Zeitenwende, becksche Reihe, S. 105

10) Udo Ulfkotte: Vorsicht Bürgerkrieg, Kopp-Verlag, Karte von Deutschland als Beilage

11) Christine Darg: Wunder unter Muslimen, Gottfried Bernard, Solingen, und verschiedene Zeitschriften.

Ãœberarbeiteter Vortrag vom Kongress des Gemeindehilfsbundes „Die Kraft der Vergebung – Persönlicher und gesellschaftlicher Frieden durch den christlichen Glauben“ in Bad Teinach-Zavelstein am 23.3.2013. Alle Beiträge der beiden Kongresse des Gemeindehilfsbundes in Bad Gandersheim (15.3-17.3.2013) und in Bad Teinach-Zavelstein (22.3.-24.3.2013) sind in einem Dokumentationsband für 7,60 Euro erhältlich, der in Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes bestellt werden kann.

Mehr zur Frage, wie das Evangelium Geschichte und Gesellschaft in Europa beeinflusst hat, in: Hansjürg Stückelberger: Europas Aufstieg und Verrat, MM-Verlag, 470 Seiten, 22,90 Euro. Das Buch kann hier bestellt werden.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 25. Juli 2013 um 16:27 und abgelegt unter Gemeinde, Gesellschaft / Politik, Kirche.