Interview mit Prof. Dr. Christof Sauer zu Christenverfolgung und Religionsfreiheit
Dienstag 27. Dezember 2011 von Martin-Bucer-Seminar
Interview mit Prof. Dr. Christof Sauer zu Christenverfolgung und Religionsfreiheit
BQ: Warum rufen die Kirchen gerade am 26. Dezember, dem Stephanustag, zum Gebet für bedrängte und verfolgte Christen auf?
CS: Gerade an Weihnachten ist das Risiko von Anschlägen besonders groß. Und der Stephanustag am 26. Dezember ist ein traditioneller Termin, an dem die Kirchen der Märtyrer gedenken und zur Fürbitte für bedrängte Christen aufrufen. Stephanus war der erste Märtyrer der christlichen Kirche, von dem die Bibel berichtet (Apostelgeschichte, Kapitel 7). Die deutsche katholische Bischofskonferenz informiert in diesem Jahr besonders über Pakistan und hat eine Informationsbroschüre dazu herausgegeben.
CS: Die Evangelische Landeskirche in Württemberg hat ein eigenes Heft veröffentlicht mit einem Querschnitt über die schlimmsten Verfolgungssituationen im Jahr 2011. Ich finde das gut, denn an alle wichtigen Anliegen sollte man mindestens einmal im Jahr besonders denken.
BQ: Warum sagen Sie, an Weihnachten gibt es ein besonderes Risiko?
CS: Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, dass sich gerade „zwischen den Jahren“ Übergriffe und Anschläge auf Kirchen und Christen in Gebieten häufen, wo es sowieso schon Druck und Spannungen gibt. Das liegt zum einen daran, dass mit dem öffentlichen Feiern christlicher Feste Christen besonders ins Bewusstsein geraten. Manche Ideologien fordern implizit, dass man von Christen in der Öffentlichkeit nichts bemerken darf. Übrigens richten sich die orthodoxen Kirchen, also z.B. in Ägypten, nach einem anderen Kalender und feiern Weihnachten deshalb am 7. und 8. Januar 2012. Außerdem sind an Festtagen besonders viele Menschen in den Kirchen versammelt und dadurch kann bei einem Anschlag besonders viel Schaden angerichtet werden.
BQ: Gibt es noch einen anderen Grund?
CS: Ja, die öffentliche Aufmerksamkeit ist vermindert, weil die halbe Welt mit Feiern beschäftigt oder auf Urlaub ist. Das kalkulieren die Organisatoren von Attentaten und scheinbar „spontaner“ Übergriffe von aufgepeitschten Mobs offensichtlich ein. Manche Staaten nutzen diese Zeit auch, um diskriminierende Gesetze, die die Religionsfreiheit massiv einschränken, im Eilverfahren durchzupeitschen.
BQ: Welche Gebiete liegen Ihnen besonders am Herzen?
CS: Zur Zeit sollte man besonders für die Verantwortungsträger in den Umbrüchen im Mittleren Osten beten, von Marokko bis zum Irak und auch für die jetzt besonders gefährdeten religiösen Minderheiten. Denn zu einer funktionierenden Demokratie gehört mehr als das Abhalten von Wahlen. Es kann keine echte Freiheit und keine Menschenrechte ohne Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit geben. Das hat kürzlich die Schwäbisch Gmünder Resolution zu „Religionsfreiheit im Arabischen Frühling“ besonders deutlich gemacht. Volle Religionsfreiheit schließt übrigens mit ein, dass auch die Anhänger einer dominierenden Religion die Freiheit haben, diese zu verlassen, wenn sie das wollen.
BQ: Noch eine andere Region?
CS: In Nordkorea herrscht ein Regime, das seine Bevölkerung seit Jahrzehnten und in unvorstellbarer Weise knechtet und unterdrückt. Es hat eine Regierung, die mit Abstand auf die gröbste und systematischste Weise Religionsfreiheit verletzt. Der Tod von Kim Jong-il am 17. Dezember 2011 bietet die seltene Gelegenheit für seinen oder seine Nachfolger, in Sachen Menschenrechte eine neue Seite in der Geschichte seines Landes aufzuschlagen. Die Verantwortlichen in Nordkorea sollten umgehend Zwangsarbeit, Zwangsabtreibungen an aus China ausgewiesenen nordkoreanischen Flüchtlingsfrauen, Folter und Hinrichtungen sowie Lager für politische Gefangene abschaffen und alle politischen Gefangenen und Entführten freilassen. Außerdem sollte die Selbstisolation beendet werden. Es ist dringend notwendig, dass unabhängige und neutrale Menschenrechtsbeobachter Zugang zu Nordkorea bekommen, insbesondere der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Nordkorea. Dieses Land nenne ich als ein Beispiel dafür, dass auch an Situationen fortwährender Unterdrückung durch eine Regierung gedacht werden muss und nicht nur an erschreckende Einzelvorfälle.
BQ: Sie wurden kürzlich für das Zitat kritisiert: „Wer sich für die Religionsfreiheit von Christen einsetzt, muss das auch für Angehörige anderer Religionen tun.“ Wie verstehen Sie diesen Satz?
CS: Zum ersten ist Religionsfreiheit unteilbar. Man kann nicht für sich selbst fordern, was man anderen vorenthalten möchte. Entweder es gibt Religionsfreiheit für alle, oder es gibt keine Religionsfreiheit.
BQ: Warum ist es angemessen, sich als Christ nicht nur für Christen einzusetzen?
CS: Es ist menschlich naheliegend, sich ausschließlich für die guten Rechte der eigenen Gruppe einzusetzen. Christlich ist es dagegen, diese Engführung zu überwinden, denn Jesus hat ja ausdrücklich dazu aufgefordert, auch die eigenen Feinde zu lieben (Matthäusevangelium, Kapitel 5, Verse 4ff). Außerdem entwertet es das Recht auf Religionsfreiheit, wenn man es nur für eine Gruppe einfordert. Schließlich bestätigt es die Ernsthaftigkeit des Einsatzes für Religionsfreiheit, wenn man sich auch für Andersdenkende einsetzt. Man muss ja deshalb keinesfalls für richtig halten, was die anderen glauben.
BQ: Wie verhält sich der Einsatz für bedrängte Christen und Anhänger anderer Religionen für Sie zueinander?
CS: Christen werden in der Bibel aufgerufen, der Gefangenen zu gedenken, und damit sind Christen gemeint, die um ihres Glaubens willen im Gefängnis sitzen (Brief an die Hebräer, Kapitel 11, Vers 3). Zugleich gilt: Christen sollen allen Menschen Gutes tun, „ganz besonders denen, die wie wir durch den Glauben zur Familie Gottes gehören” (Brief des Paulus an die Galater, Kapitel 6, Vers 19, Neue Genfer Übersetzung). So gilt auch der Einsatz für Religionsfreiheit allen. So kann ich mich auch für die Religionsfreiheit der Bahai im Iran einsetzen. Dabei werde ich aber den Einsatz für verfolgte Christen nicht vernachlässigen.
BQ: Sollen Anhänger nicht-christlicher Religionen in Deutschland so behandelt werden, wie Christen in ihren jeweiligen Herkunftsländern?
CS: Die Verletzungen der Religionsfreiheit in anderen Ländern müssen deutlich und sachlich benannt werden. Sie schreien zum Himmel und sind zu Recht ein Feld, in der deutsche Außenpolitik ihre Stimme erhebt. Aber es gibt mehrere gute Gründe, Anhänger nicht-christlicher Religionen in Deutschland nach besseren Maßstäben zu behandeln. Nach dem deutschen Grundgesetz darf niemand wegen seiner Herkunft oder religiösen Überzeugung diskriminiert werden. Außerdem können Menschen nicht-christlicher Überzeugung, die in Deutschland leben, oft nichts dafür, wie Christen in ihren jeweiligen Heimat- oder Herkunftsländern behandelt werden. Zudem gilt für Christen der Grundsatz, Böses mit Gutem zu überwinden. Deshalb ist es unchristlich, z.B. eine Einschränkung der Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland zu fordern, analog zur Beschneidung der Religionsfreiheit für Christen in der Türkei oder in Saudi-Arabien.
BQ: Wo stößt die Religionsfreiheit auf Grenzen?
CS: Die Freiheit des einen endet da, wo sie die Rechte eines anderen verletzt. Die Religionsfreiheit endet auch da, wo sie dazu missbraucht wird, die Grundlage, die sie gewährleistet, abzuschaffen. Wer z.B. in Deutschland unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit die Demontage unseres Gemeinwesens auf der Grundlage des Grundgesetzes betreibt, kann dafür keine Religionsfreiheit beanspruchen.
BQ: Wie sollen Christen mit religiöser Verfolgung umgehen?
CS: Zum einen ist es angemessen, für andere und sich selbst Religionsfreiheit einzufordern. Verfolgung und Einschränkungen der Religionsfreiheit müssen als Unrecht deutlich beim Namen genannt werden. Am meisten erwarten Christen aber von Gott, und deshalb ist die erste angemessene Reaktion Gebet und Fürbitte. Zum anderen hat Jesus von Anfang an seinen Nachfolgern angekündigt, dass sie sich darauf einstellen und bereit sein müssen, genauso wie er verspottet und verfolgt zu werden. Schließlich gehört es zum Besonderen des christlichen Glaubens, dass Christen nach dem Vorbild von Jesus Christus auch ihren Feinden vergeben und sogar als Märtyrer für ihre Verfolger um Vergebung und Sinnesänderung beten – so wie Stephanus.
Prof. Dr. Christof Sauer ist einer der Direktoren des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit (Bonn – Kapstadt – Colombo), außerordentlicher Professor für Missionswissenschaft an der Universität Stellenbosch, Südafrika, und mit dieser Aufgabe als Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg beauftragt. Der aus Biberach an der Riss stammende und in Kapstadt tätige Theologe und seine Kolleginnen und Kollegen haben zu diesem Thema mehr in „Märtyrer 2011 – Das Jahrbuch zur Christenverfolgung heute“ (und früheren Jahrgängen), in dem „Bad Uracher Aufruf“, in der Fachzeitschrift International Journal for Religious Freedom, wie auch in verschiedenen Büchern geschrieben (siehe: www.iirf.eu).
Quelle: Bonner Querschnitte, BQ 188 – Nr. 34/2011
Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 27. Dezember 2011 um 20:53 und abgelegt unter Christentum weltweit.