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Terror gegen Tora: Predigt zu Psalm 19

Samstag 11. November 2023 von Pastor Dr. Stefan Felber


Pastor Dr. Stefan Felber

Psalm 19

1 Ein Psalm Davids, vorzusingen.

2 Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,

und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.

3 Ein Tag sagt’s dem andern,

und eine Nacht tut’s kund der andern,

4 ohne Sprache und ohne Worte;

unhörbar ist ihre Stimme.

5 Ihr Schall geht aus in alle Lande

und ihr Reden bis an die Enden der Welt.

Er hat der Sonne ein Zelt am Himmel gemacht;

6 sie geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer

und freut sich wie ein Held, zu laufen die Bahn.

7 Sie geht auf an einem Ende des Himmels

und läuft um bis wieder an sein Ende,

und nichts bleibt vor ihrer Glut verborgen.

8 Das Gesetz des Herrn ist vollkommen

und erquickt die Seele.

Das Zeugnis des Herrn ist gewiß

und macht die Unverständigen weise.

9 Die Befehle des Herrn sind richtig

und erfreuen das Herz.

Die Gebote des Herrn sind lauter

und erleuchten die Augen.

10 Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich.

Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht.

11 Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold,

sie sind süßer als Honig und Honigseim.

12 Auch lässt dein Knecht sich durch sie warnen;

und wer sie hält, der hat großen Lohn.

13 Wer kann merken, wie oft er fehlet?

Verzeihe mir die verborgenen Sünden!

14 Bewahre auch deinen Knecht vor den Stolzen,

daß sie nicht über mich herrschen;

so werde ich ohne Tadel sein

und unschuldig bleiben von großer Missetat.

15 Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes

und das Gespräch meines Herzens vor dir,

Herr, mein Fels und mein Erlöser.

Zeig uns dein königliches Walten,
bringt Angst und Zweifel selbst zur Ruh;
du wirst allein ganz Recht behalten.
Herr, mach uns still, und rede du.
Amen.

Geschätzte Geschwister!

Seit gut einem Monat herrscht ein blutiger Konflikt im Nahen Osten. Auf brutale und menschenverachtende Weise haben Terroristen aus dem Gazastreifen ihrem Vernichtungswillen freien Lauf gelassen. Die Bilder gehen um die Welt, und viele fragen sich, ob nun das Ende naht, ob der Ansturm der Völkerheere seinen letzten Versuch unternimmt, Israel auszulöschen. Was uns hier aber zunächst interessieren soll, ist der Zeitpunkt dieses Angriffs vor vier Wochen. Das war nämlich ausgeklügelt mit teuflischer Genauigkeit: genau 50 Jahre nach dem Jom Kippur-Krieg (6. bis 25. Okt. 1973), als Israel gerade seinen höchsten Feiertag beging und die Soldaten zum größten Teil zu Hause bei ihren Familien waren. Auch diesmal haben die Terroristen ein jüdisches Fest gewählt, das genau am Abend des 6. Okt. beginnt, also am Freitagabend und dann noch den folgenden Sabbat einschloß – ausgerechnet war es dieses Jahr ein Sabbat. Es geht um Simchat Tora, das Fest der Torafreude, mit dem zugleich das fröhliche Laubhüttenfest endet. Simchat Tora, die Torafreude, ist auch bei den nichtreligiösen Juden ein beliebtes Fest, vor allem bei Familien mit Kindern. Schulen und Geschäfte haben (noch) zu, die Kinder bekommen Süßigkeiten. In der Synagoge steht am Freitagabend der Tora-Schrein weit offen, man sieht hinein: Da stehen die geschmückten Schriftrollen. Die Rollen werden feierlich herausgenommen, durch die Synagoge herum getragen, die Beter berühren und küssen sie. Mädchen und Jungen begleiten die Prozession mit selbstgebastelten bunten Fahnen und Wimpeln.

Der Anlaß dieses schönen Festes besteht darin, daß man mit der fortlaufenden Lesung der fünf Bücher Mose (= „Tora“) ans Ende kommt und am gleichen Tag direkt wieder vorne mit der Schöpfungsgeschichte beginnt. Nur an diesem Tag liest man die Tora des Nachts. Mit all dem zeigt man, daß die Tora kein Ende hat, und daß sie stets weiter und immer weiter gelesen und studiert werden muß. Denn das Wort Gottes, die Tora, ist so reich und so ewig wie Gott selbst, der sie uns gegeben hat. Schade, daß wir Christen nicht so ein Bibelfest haben!

Genau am Tag Simchat Tora also geschah das Unfaßbare. Militante Hasser des Judenstaates durchbrachen die Grenzanlagen an 29 Stellen, drangen in Siedlungen ein, schlachteten ab oder verschleppten alles, was ihnen begegnete, vom Greis bis zum Baby. Sie sorgten selbst stolz für die Verbreitung der Bilder. In den Jahrzehnten des jungen Staates Israel gab es das bisher nicht.

Das alles zeigt: Dieser Konflikt begann nicht zufällig am Fest der Torafreude, sondern er ist letztlich ein Kampf um die Frage: Welches heilige Buch hat Recht? Schon der Haß Hitlers auf das Judentum hatte sich im Grunde gegen die Tora gerichtet, insbesondere gegen die Gebote, die seiner staatlichen Willkür Einhalt gebieten, und gegen die Offenbarung, daß Israel das erwählte Volk Gottes ist. Welches Buch ist das Buch der Wahrheit? Welcher Gott ist der wahre Gott? Wessen Offenbarung bezeugt die Wahrheit? Warum soll der Vater Jesu Christi nicht das Recht haben, sich ein Volk zu erwählen und ihm ein Land zu eigen zu geben?

Vom Terror gegen die Tora zur Liebe zur Tora: Wenden wir uns nun einem der Psalmen zu, die die Freude an der Tora so wunderbar ausgedrückt haben, Psalm 19!

Das Besondere an diesem Psalm besteht in seinen zwei Schwerpunkten: zunächst wird von der Herrlichkeit Gottes gesprochen, die von seiner Schöpfung gepriesen wird. Dann wird von der Tora gesprochen. Bei beiden geht es um Erleuchtung und um Freude, wobei die Freude an der Tora alle anderen Freuden weit, weit überstrahlt! Man spürt es auch in den hebräischen Formen, in denen David hier dichtet: Die Tora begeistert ihn noch mehr als die Sonne, und doch gehört beides zusammen: Das Lob Gottes durch seine Schöpfung und die Offenbarung seines Wortes. Die Wortoffenbarung gibt die Stimme und die geistig-geistliche Klarheit, die Schöpfung gibt dieser Stimme die Kehle, die physis, die leiblich-liebliche Gestalt. Vom wortlosen zum worthaften Gotteslob!

Es zeugt von einer großen Verarmung der Theologie, daß man behauptet hat, diese Teile des Psalms könnten nicht vom gleichen Verfasser sein. Was für ein kleinkariertes Denken wird hier unterstellt! Ein Zürcher Professor für Altes Testament schrieb 1980[1], die (!) Wissenschaft – da muß man immer vorsichtig sein, wenn die Einheitlichkeit der Wissenschaft behauptet wird (Klima, Krieg, Corona, Euthanasie …)! – sei sich mehr oder weniger einig, daß der Verfasser des Schöpfungshymnus nicht zugleich die Torafreude beschrieben haben könne. Ein Tübinger Kollege von ihm antwortete[2], das stimme gar nicht, erstens sei sich die Wissenschaft hierin gar nicht einig, und zweitens gebe es sehr gute Gründe, warum das Lob der Schöpfung und das Lob der Tora zusammengehören. Von dieser Debatte wollen wir später ein wenig lernen.

2 Die Himmel erzählen die Ehre Gottes,
und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.
3 Ein Tag sagt’s dem andern,
und eine Nacht tut’s kund der andern, …

Unaufhörlich, von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht preist das Werk seinen Meister, unaufhörlich und durch die gesamte Schöpfung hindurch: Jedes Staubkorn, jeder Planet und noch jedes schwarze Loch ist ein Wunderwerk des allmächtigen Gottes, jedes Lebewesen verdankt sich dem, der nicht nur lebendig ist, sondern Leben geben und nehmen kann, ja der das Leben selbst ist. Das Neue Testament nennt seinen Namen: Jesus Christus. Er ist und gibt als (Mit)Schöpfer das Leben. So herrlich ist er. Mit göttlicher Autorität sagt er in Mt 21,15–16, das Lob des Schöpfers in Psalm 8 auf ihn gerichtet sei! Das gilt somit auch für Psalm 19.

Es gefällt Gott, aus Nichts etwas zu machen, das Nichtige zu erheben, daß es etwas sei zum Lob seiner Herrlichkeit, und jeden, der denkt, er sei in sich selbst herausragend, klein zu machen (1. Kor 1). Hier, liebe Freunde, erschließt sich der Sinn unseres Lebens: Dem, der uns gemacht hat, zu danken und uns seiner würdig zu erweisen.

Keiner hat sich selbst ins Dasein gerufen, sondern ein anderer, viel höherer! Sollte uns das gleichgültig lassen? Sollten wir nicht auch tun, was alles Geschaffene nach diesem Psalm tut: dem Schöpfer Ehre erweisen?

Denn so ist es in jedem Bereich: Jedes Haus, das wir bewohnen, jede Uhr, die wir an uns tragen, jedes Auto, das wir fahren, jedes Buch, das wir lesen, jeder Apfel, der uns schmeckt – immer steckt ein kluger Geist dahinter und kein Zufall. Jedes wohlgeformte oder bunte Blatt, jeder schöne Regenbogen (ich meine den echten und den biblischen Regenbogen, nicht den verhunzten!), der uns staunen läßt – alles, alles Geschaffene preist seinen Meister, und läßt den Menschen, der es sieht, und der sein Leben dem Zusammenwirken mit anderen Geschöpfen verdankt, diesen Lobpreis ins Wort fassen. Darum ist Erntedank so natürlich, ja so logisch, eigentlich unausweichlich – und um so größer ist die Sünde des Menschen, der Gott nicht die Ehre gibt, die ihm zusteht.

Psalm 19 gibt dem himmlischen Halleluja Ausdruck und bringt das wortlose Lobesbrausen in ein Wort, das wir nachsprechen dürfen! Alle Geschöpfe außer dem Menschen, die starren Geschöpfe und die lebendigen: Sie alle loben Gott ohne Sprache und ohne Worte. Das Halleluja, das „Lobet Jahwe!“, das sie einander sagen, ist wortlos, aber nicht ohne Schall:

4 ohne Sprache und ohne Worte;
unhörbar ist ihre Stimme.
5 Ihr Schall geht aus in alle Lande
und ihr Reden bis an die Enden der Welt.  [vgl. Röm 10]

Was für ein Schall, was für ein Reden soll das sein? Was heißt „unhörbar“? Für den natürlichen Menschen unverständlich, für den geistlichen Menschen ein Gotteslob: Das Pfeifen des Windes, das Brausen des Meeres, das Brüllen der Löwen, das Miauen der Katzen, der Gesang der Nachtigall, das Gurren der Tauben und das Kichern der Affen – das ist ihr vielstimmiger Chor. Ihr Schall geht aus in alle Lande – aber ohne Worte.

Beispielhaft richtet David den Blick auf die Sonne und verweilt dort einige Momente:

5 … Er hat der Sonne ein Zelt am Himmel gemacht;
6 sie geht heraus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer
und freut sich wie ein Held, zu laufen die Bahn.

7 Sie geht auf an einem Ende des Himmels
und läuft um bis wieder an sein Ende,
und nichts bleibt vor ihrer Glut verborgen.

Freude! Heraustreten aus der Kammer: Das Bild vom Bräutigam malt uns einen Liebenden vor die Augen. Er freut sich auf eine liebevolle Begegnung! So schreitet die Sonne voran und beleuchtet und erwärmt auf ihrem Weg die ganze Erde, von Tag zu Tag. Nichts bleibt vor ihrem Licht und ihrer Glut verborgen. Hier kommt auch noch ihre Wärme ins Spiel. Zur Vorfreude auf eine Hochzeit, auf Ehe, auf liebevolle Begegnung, kommt noch die Wärme, die sie spendet. Licht und Wärme durch die Sonne … irgendwie ist hier die Schöpfung, die ja auch dunkel und kalt und gewalttätig sein kann, ganz lieblich und warm und fröhlich! Unglaublich dicht hat David hier die Worte gesetzt.

Es ist einfach alles in schöner und froher Ordnung, es ist eine Schönheit, die erst durch diese bestimmte göttliche Ordnung entsteht, wie ja überhaupt alle Schönheit auf eine gewisse wiedererkennbare Ordnung angewiesen ist.[3]

Terror vs Tora = vs Ordnung = vs Schönheit!

Schönheit in Ordnung – ein großartiger Gedanke Gottes. Er ist kein Gott der Unordnung, sondern des Friedens. Dieser Friede ist durch und durch Ordnung: biblisch gesprochen: Gerechtigkeit, Weisheit, Geradheit, Wahrheit. „Gegen all dies ist das Gesetz nicht“, heißt es in Galater 5,23.

Psalm 19 behauptet und preist die Ordnung in Schöpfung und Tora nicht nur, sondern ist auch selbst in bestimmter Ordnung geschrieben.

Nach Gese ist Psalm 19 „ein großartiges Beispiel für eine in der Ordnung der Komposition sich widerspiegelnde weisheitliche Erfassung und Erfahrung des göttlichen Logos in der Natur und in der Offenbarung an den Menschen, als Gottes kabod und Tora, von der Sonne hinab zum Beter sich auswirkend, der angesichts dieses Zusammenhangs um so stärker das Herausfallen des Menschen aus seiner vom Schöpfer bestimmten Integrität empfindet.“ Wie genau das geschieht, kann ich Ihnen nur andeuten. Die Verse 8 bis 11 sind z.B. völlig gleichförmig gebaut, immer 3+2 Wörter pro Zeile bzw. Gedanke, und zwar sechs mal. Vers 11 verweilt bei der Köstlichkeit und Süße der Tora, die er sich sprichwörtlich auf der Zunge zergehen läßt, bis zum Schmecken der Süße mit Zunge und Gaumen, es ist süßer als Honig und Honigseim, also sogar noch besser als das Austropfende, Ausfließende von einer Honigwabe.

[Das Rätsel, das der Richter Simson den Philistern stellte, war ja auf einen Löwen gemünzt, aber hätte auf das Wort Gottes ebenso gepaßt:
„Speise ging aus vom Fresser und
Süßigkeit vom Starken“
(Richter 14,14).]

Diese Verse 8 bis 11 stellen uns eine existentielle Frage: Von welchen Beschäftigungen erwartest Du die höchste Befriedigung? Was gibt Dir den Kick? Was ist dir lieber als alles andere? Ist es dir wichtiger, das Wort Gottes zu lesen und darin Erfüllung zu suchen, oder suchst Du dein Glück in einem Partner, im Geld, in einer Sucht, oder gar im Alkohol?

Meine Frau und ich empfinden das kontinuierliche Lesen der Bibel in jeder Beziehung des Lebens ungeheuer heilsam. Es befreit einfach davon, in irdischen Dingen die letzte Befriedigung, die Heimat zu suchen, mich an Irdisches zu versklaven. Ob David diesen Psalm schon beten konnte, bevor er sich die Batseba ins Haus holte? Ich habe da meine Zweifel. Denn bis dahin, also bis zu Davids Zerbruch, als er bekennen mußte, des Todes schuldig zu sein, war ihm noch das Geliebtwerden durch die(se) Frau wichtiger als die Tora. Ganz offensichtlich!

Nachdem der Prophet Natan David verwarnte und ihm die Strafe nannte, nahm David keine weitere Frau mehr. Als man ihm noch Abischag von Schunem geben wollte, um ihn zu wärmen, konnte er die Ehe schon nicht mehr vollziehen (1. Kön 1,1–4).

Er lernte, sich genügen zu lassen. Es ist ein besonderes Geheimnis des Wortes Gottes, daß es denen, die sich ihm aussetzen, das Begehren auf die wahren und schönen Dinge lenkt, auf die Dinge, die unser Leben ausrichten auf die göttlichen Tugenden und die ewige Heimat (Bürgerrecht im Himmel). So wird unser Herz, ja das ganze Leben und Streben geheimnisvoll und wirksam erneuert. Das Wort Gottes wirkt nahrhafter und besser, ja als immer besser schmeckendes Lebens-Mittel: Lebensmitte und Lebensmittel!

Es nährt und erzieht, es erfreut und erfrischt. Das will David hier zum Ausdruck bringen. Das Wort Gottes ordnet und sortiert – alle Dinge des Lebens! Darum beginnt David ja auch ganz oben mit dem Schöpfungslob der Sonne und kommt dann zur Wortoffenbarung der Tora.

Der Gedanke der Ordnung, schreibt Helmut Lamparter, ist die geheime Brücke vom ersten zum zweiten Teil. „Mit ehrfürchtigem Staunen beobachtet der Psalmist, wie beides, Naturordnung und Sittengesetz, den Ruhm Gottes verkündigt. Er, der allmächtige Schöpfer des Himmels und Regent seines Volkes auf Erden, hat sich nicht unbezeugt gelassen.“[4]

Insgesamt hat Psalm 19 drei Teile, zusammengehalten durch den Gedanken der Ordnung: Im ersten Teil ist die Ordnung ungebrochen in Kraft: Die ganze Schöpfung – außer dem Menschen – gibt Gott das gebührende Lob. Im zweiten Teil wird der große Bruch in der Schöpfung vorausgesetzt: Die Tora wird gelobt, denn durch sie, wie im dritten Teil deutlich, wird der Mensch wieder in die Ordnung Gottes hineingerufen, hineingezogen, erzogen. Somit haben wir 1. Die Schöpfung, die ihre Bestimmung erfüllt, 2. das Mittel, durch das der Mensch seine Bestimmung wiederfindet, und 3. ein Gebet darum, daß das Wort Gottes an mir und jedem Beter des Psalms nicht vergeblich sei, sondern uns bessert und erzieht, „daß der Mensch Gottes vollkommen sei, zu jedem guten Werk geschickt“ (2. Tim 3,16f.). Daher könnten wir die Botschaft des Psalm auch zusammenfassen mit den Begriffen

Schöpfung – Schrift – Schutz.

Schauen wir uns nun diesen dritten Teil an, Verse 12 bis 15.

12 Auch lässt dein Knecht sich durch sie warnen;
und wer sie hält, der hat großen Lohn.

13 Wer kann merken, wie oft er fehlet?
Verzeihe mir die verborgenen Sünden!

14 
Bewahre auch deinen Knecht vor den Stolzen,
daß sie nicht über mich herrschen;
so werde ich ohne Tadel sein
und unschuldig bleiben von großer Missetat.

15 
Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes
und das Gespräch meines Herzens vor dir,
Herr, mein Fels und mein Erlöser.

Vers 13: Hier denkt David nicht an die offensichtlichen Sünden, sondern die verborgenen. Diese Sündenerkenntnis ist ganz wichtig, weil das biblische Verständnis von Sünde sich nicht mit äußerlicher Moral zufrieden gibt. Es geht ums Herz: Um jeden Gedanken, jedes Gefühl, es sei hochmütig oder depressiv, begehrlich oder jähzornig. Auch was verborgen ist, ja was selbst unserem eigenen Erkennen und Verstehen entzogen ist, das weiß Gott. Darum soll man in der Beichte sich aller Gebote schuldig bekennen und nicht nur der Gebote, deren Übertretung wir mit unserer mangelhaften Selbsterkenntnis gemerkt haben.

David betet uns vor, wie wir um Vergebung der verborgenen Sünden und dann um Heiligung beten können – und natürlich auch sollen.

15 Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes
und das Gespräch meines Herzens vor dir,
Herr, mein Fels und mein Erlöser.

Bei dieser Bitte taucht „Rede“ auf und erinnert den Beginn des Psalms. Es ist eine Klammer:  Möge die eigene Rede Gott so wohlgefallen wie ihm das Erzählen gefällt, das die Himmel und die Feste vollziehen, die von Tag zu Tag das Werk der göttlichen Hände rezitieren.

So stehen die drei Teile vor uns:

  • Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes.
  • Der Beter preist die Herrlichkeit der Tora.
  • Der Beter erkennt die eigene Unvollkommenheit, ja Sündhaftigkeit angesichts des vorangehenden Preises. [Ähnlich geht es Jesaja, der angesichts des Lobgesangs der Serafim in Angst ausbricht:

„Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk unreiner Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“ (Jes 6,5)

Jesajas Lippen werden daraufhin entsühnt bzw. gereinigt von einem der Serafim. Die Lippen Davids auch unsere werden gesühnt und gereinigt, wenn wir David im Gebet folgen. Auch hierbei geht es nicht ohne das Blut Jesu, das er am Kreuz vergossen hat für uns.]

Das gehört alles zusammen. Wer Ps 19 nicht zusammenhalten kann, kann letztlich auch Altes und Neues Testament nicht zusammenhalten. Denn in Jesus Christus ist beides verbunden: Er ist der Mittler der Schöpfung, er ist das Wort, durch das alles geschaffen ist, und er bezeugt sich selbst in der Tora, den Menschen zur Freude und zur Ordnung, mit anderen Worten: zur Rechtfertigung und zur Heiligung. Die Schrift ist „nütze“, wie Paulus in der berühmten Stelle zur Inspiration sagt (2. Tim 3,16). Lebensmitte und Lebensmittel!

Angesichts des Terrors im Nahen Osten haben wir gehört: Letztlich geht es um die Vorherrschaft eines der heiligen Bücher: Tora oder Koran. Mit Messern und Bomben wird keines von beiden wird die Herzen erreichen. Insofern ist das Schöpfungslob mit dem Bräutigam, der seine Kammer verläßt und sich der Braut nähert, und die Hinwendung zur Tora als dem heiligen Buch selbst schon ein befriedendes Mittel.

Es ist traurig, wie wenig Menschen diesen Zugang finden, obwohl die Bibel in möglichen und unmöglichen Übersetzungen zugänglich ist, auf alle möglichen papierenen und digitalen Weisen erreicht werden kann. Derzeit sieht es nicht nach einer Wende zum Guten aus. Aber die Wurzeln für eine solche Wende werden heute gelegt, wenn wir uns der Tora zuwenden und erfahren:

8 Das Gesetz des Herrn ist vollkommen
und erquickt die Seele.
Das Zeugnis des Herrn ist gewiß
und macht die Unverständigen weise.

9 Die Befehle des Herrn sind richtig
und erfreuen das Herz.
Die Gebote des Herrn sind lauter
und erleuchten die Augen.

10 Die Furcht des Herrn ist rein und bleibt ewiglich.
Die Rechte des Herrn sind wahrhaftig, allesamt gerecht.

11 Sie sind köstlicher als Gold und viel feines Gold,
sie sind süßer als Honig und Honigseim.

Dies den Menschen liebmachen, ist Säen bei Nacht. Doch unausweichlich kommt der Tag des Erntens für die Einen und der Tag des Gerichts für die anderen.

Apropos Nacht. Ich mußte heute Nacht nochmals lange über die Botschaft dieser Predigt nachdenken und überlegen, in welche Lage es wohl die Menschen erreicht, wenn sie von der Torafreude der Christen hören. Die meisten von uns, vermute ich, leben in einem Meer des Liberalismus und der Gleichgültigkeit. Was der Sinn des Lebens ist, muß da jeder selbst für sich suchen und finden – das Wort Gottes spielt jedenfalls nicht die führende Rolle, höchstens als Stichwortgeber für ein paar spannende Geschichten. Für sie sind diese sogenannten Gesetzespsalmen sehr heilsam. Denn sie halten uns vor Augen, was für eine Liebe zu Gottes Wort man im Glauben empfangen kann.

Dann gibt es aber auch die anderen. Ich nenne sie mal die Gesetzesgeschädigten, obwohl sie in Wahrheit nicht durch Gottes Gesetz geschädigt sind, sondern durch ein Gesetz, auch eine Bibel, die von Menschen instrumentalisiert ist, willkürlich über andere zu bestimmen. Zum Gesetz Gottes kommen manchmal auch willkürliche Gesetze hinzu, die benutzt werden, um über innen und außen zu definieren. Das kann ich heute nicht mehr ausführen. Aus der Nähe ist uns hierzu der Katholizismus vertraut, bei dem Luther dagegen predigte, Menschengesetze auf die Ebene der Bibel zu setzen oder gar darüber. Noch ein Beispiel aus der Ferne: Die Amishen in den USA sind ein sehr frommes Volk – bekannt dadurch, daß sie ohne Elektrizität leben. Sie nehmen die Bibel sehr ernst, aber definieren die Grenze ihrer Gemeinschaft durch ein große Menge an Regeln. Diese Regeln entstammen nicht der Bibel, haben aber den gleichen Stellenwert: nicht Fahrrad fahren, keine zusätzliche Nadel an der Kleidung anbringen, das wäre Hochmut, keine Schaukel an der Veranda anbringen, keine Ponys halten, das wäre nur Vergnügen usw. Hier gilt es, sorgfältig darauf zu sehen, was wirklich von Gottes Wort vorgegeben ist und was nicht, denn sonst kann einem die Freude am Wort des Herrn auch vergällt werden.

Amen.


Anmerkungen:

[1] Steck, Odil Hannes: Bemerkungen zur thematischen Einheit von Psalm 19,2–7, in: Rainer Albertz u.a. (Hg.): Werden und Wirken des Alten Testaments. Festschrift für Claus Westermann zum 70. Geburtstag. Neukirchen-Vluyn 1980, S. 318–324.

[2] Gese, Hartmut: Die Einheit von Psalm 19, in: Eberhard Jüngel (Hg.): Verifikationen. Festschrift für Gerhard Ebeling zum 70. Geburtstag. Tübingen: Mohr 1982, S. 1–10.

[3] Siehe hierzu meine Predigt über die Hochzeit des göttlichen Königs, Psalm 45.

[4] Lamparter, Helmut: Das Buch der Psalmen, 1988, S. 103f.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 11. November 2023 um 23:36 und abgelegt unter Allgemein, Predigten / Andachten.