„Und wenn die Welt voll Teufel wär“
Montag 21. August 2023 von Holger Lahayne
In mehr als 70 Stellen des Neuen Testament wird der Teufel oder Satan erwähnt. Es sollte daher keinen Zweifel daran geben, dass dieser Widersacher Gottes tatsächlich existiert. Der Teufel ist der „Feind“ Gottes (Mt 13,39), der „Böse“ (Joh 17,15) und der „Versucher“ (Mt 4,3); er ist auch der Feind der Gläubigen, der „wie ein brüllender Löwe umherstreift und sucht, wen er verschlingen kann“ (1 Pt 5,8). Der Teufel verleumdet und betrügt, spaltet und stiftet Zwietracht unter den Menschen. Martin Luther schreibt im Großen Katechismus: Der Teufel will „ein ehrbares und friedliches Leben“ verhindern. Darum verursacht er so viel „Hader, Mord, Aufruhr und Krieg”; „überall hetzt und stachelt er auf“. Der Teufel verbreitet Unwahrheiten und Unsinn, er lügt offen oder verdreht geschickt die Worte Gottes (s. z. B. Matthäus 4 und 1. Mose 3).
Obwohl die Umrisse einer biblischen Theologie der widergöttlichen Mächte ziemlich klar sind, glauben die meisten Menschen in Westeuropa nicht an die Existenz des Teufels als persönliches Wesen. So meinen nur 17 % der Deutschen, also etwa jeder Sechste, dass es ihn wirklich gibt; fast Zweidrittel verneinen dies. Die großen protestantischen Kirchen Westeuropas vertreten seit langem die Auffassung, dass „das Böse“ existiert. Aber „die konkrete Vorstellung von einem personenhaften Wesen ‘Satan’… ist uns weitgehend fremd geworden“, so Wilfried Joest (Dogmatik). Vor zweihundert Jahren leitete F.D.E. Schleiermacher diesen theologischen Abschied vom Teufel ein: Man könne „niemandem [mehr] zumuten“, die überlieferte Vorstellung vom Teufel für wahr zu halten.
C.S. Lewis stellte dagegen im Vorwort zu den Dienstanweisungen für einen Unterteufel (1942) scharfsinnig fest: „Es gibt zwei Irrtümer über die Teufel, in die das Menschengeschlecht leicht verfällt. Sie widersprechen sich und haben doch dieselbe Auswirkung. Der eine ist, ihre Existenz überhaupt zu leugnen. Der andere besteht darin, an sie zu glauben und sich in übermäßiger und ungesunder Weise mit ihnen zu beschäftigen. Die Teufel freuen sich über beide Irrtümer gleichermäßig.“ Wir könnten heute einen weiteren Fehler hinzufügen: der Teufel als säkulare Metapher. Obwohl man heute kaum noch an den Feind Gottes glauben will, eignet sich die Vorstellung von ihm immer noch perfekt für Machtkämpfe und Propaganda – gegen die eigenen Feinde.
Der große Nutzen dieses konstruierten Teufels: Er ist leicht zu identifizieren. Mit seiner Dämonenschar haust er immer in einer ganz bestimmten Höhle des Bösen – dort und anderswo natürlich nicht. Der Erste Weltkrieg liefert dafür bereits gute Beispiele. Martin Luthers wohl bekanntestes Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“ war damals in Deutschland sehr beliebt. Es wurden Postkarten Liedversen und Kriegsszenen gedruckt. Vor allem diese Zeilen wurden oft zitiert: „Und wenn die Erde voll Teufel wär, / und wollt uns gar verschlingen, / so fürchten wir uns nicht so sehr, / es soll uns doch gelingen“. Mit den Teufeln waren damals natürlich die britischen, russischen und französischen Soldaten gemeint. Die Tatsache, dass sich das Lied auf das Wort Gottes als Instrument des Siegs bezieht und nicht auf Kanonen, wurde einfach ignoriert. Dass zu den so genannten „Teufeln“ natürlich viele Brüder in Christus gehörten, wurde außer Acht gelassen.
Von 1914 bis 1918 dämonisierten die Deutschen die Alliierten, die ihrerseits, vor allem nach dem Tod Tausender belgischer Zivilisten zu Kriegsbeginn, Deutschland als das Reich des Bösen bezeichneten – ein teuflisches, menschenfressendes Ungeheuer, das Pickelhaube trägt und das es zu vernichten gilt (so ein berühmtes amerikanisches Propagandaplakat).
Wo hausen heute die Menschenfresser? Ende September letzten Jahres erklärte Wladimir Putin, er führe einen Krieg gegen den „satanischen“ Westen. Ein paar Wochen später sagte der ehemalige russische Präsident Medwedew, dass es im gegenwärtigen Krieg die Aufgabe des Vaterlandes sei, „den obersten Herrscher der Hölle zu stoppen, mit welchem Namen er auch immer bezeichnet wird – Satan, Luzifer…“. Der Moskauer orthodoxe Patriarch beschrieb den Konflikt in der Ukraine zu Beginn des Krieges als einen metaphysischen Kampf gegen die Sünde, als einen heiligen Krieg gegen die Kräfte des Bösen.
Dagegen ist im Westen Putin zur Verkörperung des Bösen mutiert. Da an den echten Teufel nicht mehr geglaubt wird und nur sein Prototyp aus dem 20. Jahrhundert, Hitler, übrig geblieben ist, wird der russische Staatschef wie selbstverständlich mit dem deutschen Diktator verglichen oder sogar identifiziert. Und sein ganzes Land wird als geradezu verrücktes Wesen bezeichnet, der „aus freien Stücken den Weg des Bösen“ eingeschlagen hat, so Wolodymyr Selenskyj Mitte Mai. In seiner Dankesrede für die verleihung des Karlspreis beschrieb der Präsident der Ukraine seinen Rivalen im Kreml so: „Seine Formel ist der Tod. Wie kann man mit dem Tod reden?“ Es sollte jedem klar sein, dass es unmöglich ist, mit dem Tod in persona auch nur Kontakt aufzunehmen. Putin “ist eine Katastrophe. Putin ist Aggression – er will nichts anderes für sich und sein Volk.” Ein ukrainischer Sieg würde Europa „retten“. Russland müsse “um Gnade flehen“ und werde erst dann an „unseren Friedensbemühungen“ interessiert sein, „wenn es dort keine Quelle des Todes geben wird“.
Wird der Dämon nur fernab im Osten gesehen, tun sich vor der eigenen Haustür neue Quellen des Todes auf. Der Australier Philip Nitschke macht sich mit seiner Organisation „Exit International“ für die Legalisierung des assistierten Selbstmordes stark. Er ist der Erfinder von „Sarco“, der Suizidkapsel – eine „stilvolle und elegante“ Art, sich umzubringen. In der Schweiz wurde die Kapsel zugelassen, kam aber noch nicht auf den Markt. Und am 11. Mai nahm Nitschke an der LOGIN2023-Konferenz in Vilnius teil. Was er sagte, ist nicht bekannt, aber da der Teufel sich als Vorkämpfer des technischen Fortschritts ausgeben kann, sahen viele Menschen keinen Grund zur Beunruhigung. Die ganze Welt ist wirklich voll Teufel, und der ganzen Welt – im Osten wie im Westen – verblendet er weiter den Sinn (s. 2 Kor 4,4).
Holger Lahayne, 17. Juli 2023 (www.lahayne.lt)
Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 21. August 2023 um 11:10 und abgelegt unter Allgemein, Gesellschaft / Politik.