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C. H. Spurgeon: DIE GNADE DES EINEN. Predigt zu Röm 5,15 – „Honig von einem Löwen“

Freitag 21. Juli 2023 von Charles Haddon Spurgeon (1834-1892)


Charles Haddon Spurgeon (1834-1892)

„Honig von einem Löwen“

Römer 5,15:
Aber nicht hält sich’s mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn so an eines Sünde viele gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen Jesu Christi.

Dieser Text gibt Gelegenheit zu vielen Meinungsverschiedenheiten. Man kann viele Schwierigkeiten darin finden. Zum Beispiel könnte man eine lange Diskussion darüber anstellen, inwiefern der Fall Adams gerechterweise den Zustand seiner Nachkommenschaft berührt. Dann könnte die Frage hinsichtlich der genauen Art und Weise aufgeworfen werden, in welcher Adams Fehler mit uns in Verbindung steht, ob durch Zurechnung seiner Sünde, oder in welcher andern Weise; und dann könnten sich weitere Fragen hinsichtlich der Grenze des Bösen, das aus der Sünde unsrer ersten Eltern hervorgeht, hinsichtlich der Erbsünde, der natürlichen Verderbtheit und so weiter ergeben. Ferner gäbe die Frage hinsichtlich der Ausdehnung des Erlösungswerkes des Herrn Jesu Christi eine reichliche Gelegenheit zur Kontroverse, ob tatsächlich eine völlige Versöhnung für die ganze Menschheit oder nur für die Erwählten herbeigeführt ist. Auf diese Weise wäre es leicht, eine Dornenhecke zu errichten und die Schafe von der Weide fern zu halten. Ich habe jetzt weder die Neigung noch die geistige Kraft, die Schwierigkeiten anzudeuten und zu beseitigen, die unpraktischen Gemütern so oft Vergnügen bereiten. Ich bin mehr geneigt, mich jenem alten Kirchenvater anzuschließen, welcher seine Abneigung gegen Streitfragen in einer sehr bestimmten Weise zu erkennen gab. Er hatte über göttliche Dinge gesprochen und wurde mit der Zeit von einem gewissen streitsüchtigen Menschen unterbrochen, der wieder und wieder rief: „Höre mich doch an! Höre mich doch an!“ „Nein“, sagte der Vater; „ich will weder dich hören, noch sollst du mich anhören; sondern wir beide wollen still sein und hören, was unser Herr Jesus Christus zu sagen hat.“ So wollen wir jetzt weder die eine noch die andre Seite hören; sondern wir wollen unser Ohr neigen, um zu hören, was die Heilige Schrift zu sagen hat, abgesehen von allem Geräusch der Sekten und Parteien. Meine Absicht soll es sein, aus dem Text das herauszufinden, was für uns von praktischem Nutzen ist, was die Unbekehrten retten und die trösten und erbauen kann, welche sich im Zustande der Aussöhnung mit Gott befinden. Wir werden darum nicht in die Tiefen eindringen, in der Hoffnung, Perlen zu finden, denn diese könnten hungrigen Menschen keine Nahrung bieten; sondern wir wollen die Oberfläche des Meeres befahren, und hoffen, dass ein günstiger Wind uns mit Korn beladen dem erwünschten Hafen zuführt, damit wir die Hungernden versorgen können. Möchte der Heilige Geist den Unterricht dieser Stunde zur Erweckung und Stärkung des seligmachenden Glaubens segnen!

1.

Die erste Bemerkung über den Text ist diese: Der bestimmte Weg unsrer Errettung ist durch die freie Gabe Gottes. Wir sind durch den Fall zu Grunde gerichtet worden; aber wir werden gerettet durch eine freie Gabe. Der Text sagt uns, dass die Gnade Gottes und die Gabe durch Gnade vielen reichlich widerfahren ist durch den einigen Menschen, Jesum Christum. „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.“ „Die Gnade herrscht durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben durch Jesum Christum, unsern Herrn.“ Obgleich diese Lehre wohlbekannt ist und in unsern Schulen an allen Sonntagen gelehrt wird, so wird diese erhabene, wesentliche Wahrheit doch oft vergessen oder bleibt unbeachtet, so dass es nötig ist, sie immer zu wiederholen. Ich könnte wünschen, dass jedes mal, wenn die Uhr schlägt, sie sagte: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden.“ Wie Martin Luther von einer, gewissen andern Wahrheit sagte, so sage ich von dieser: „Ihr vergesst sie so beständig, dass ich geneigt wäre, die Bibel zu nehmen und euch damit an den Kopf zu schlagen, damit ihr sie fühlt und im Gedächtnis behaltet.“ Die Menschen lieben von Natur die Lehre von der Gnade nicht, und darum schlagen sie sie sich soviel als möglich aus dem Sinn. Der größere Teil der Menschheit glaubt nicht, dass die Seligkeit aus Gnaden ist; ein andrer Teil bekennt das zu glauben, aber sie verstehen ihren Sinn nicht, und viele, welche sie verstehen, haben sich ihr nie ergeben. Wohl denen, welche zu den übrigen nach der Wahl der Gnaden gehören, denn sie können jauchzen, und sie wandeln im Licht der Herrlichkeit der Gnade Gottes, die in Christo Jesu ist.

  • Beachtet, dass die Seligkeit eine freie Gabe ist, das heißt, dass sie von Gott den Menschen ohne Rücksicht auf irgend welches Verdienst – sei dasselbe nun gedacht, oder wirklich – verliehen wird. Die Gnade hat es mit Schuldigen zu tun. Die Barmherzigkeit ist nach der Natur der Sache keine passende Gabe für Gerechte und Verdienstvolle, sondern für die Verdienstlosen, und Sündigen. Wenn Gott den Menschen sein gnadenvolles Heil austeilt, betrachtet Er sie als Verlorne und Verdammte, und Er behandelt sie als Personen, welche keinerlei Anspruch auf Ihn haben, denen nichts als seine freie Gunst Errettung bringen kann. Er rettet sie, nicht weil Er sieht, dass sie etwas Gutes getan oder hoffnungsvolle Charakterzüge haben, oder sich entschließen, nach etwas Besserem zu trachten; sondern einfach, weil Er barmherzig ist und gern seine Gnade erzeigt und seine freie Gunst und unendliche Liebe offenbart. Es ist Gottes Natur, Mitleid mit den Elenden zu haben und den Schuldigen zu vergeben. Gott hat einen Grund, Menschen zu retten, aber dieser Grund liegt nicht im geringsten in dem Verdienst des Menschen. Das zeigt sich in dem Umstande, dass Er oft sein Gnadenwerk in denen beginnt, die am allerwenigsten etwas Gutes geltend machen können. Von unserm Herrn hieß es: „Dieser nimmt die Sünder an,“ und dieser Ausspruch war durchaus wahr. Die souveräne Gnade erwählt Sünder, wie die Hure Rahab, den Verfolger Manasse und den wahnsinnigen Eiferer gegen Christum, den Saulus von Tarsen; solche sind von der Gnade erfasst und von der unendlichen Liebe zum Stillstehen gebracht worden, auf dass der Herr an ihnen die Macht und die Fülle seiner Barmherzigkeit offenbaren könne. Das Heil ist ein Werk, das von der reinen, unerkauften, freien Gunst Gottes begonnen wurde und in demselben Geist auch weitergeführt und vollendet wird.
  • Das Heil wird Menschen zugewandt ohne Rücksicht auf irgend welches Verdienst, von welchem Gott etwas voraussieht, dass es im Menschen sein werde. Das Voraussehen der vorhandenen Gnade kann nicht die Ursache der Gnade sein. Gott selbst sieht nicht voraus, dass etwas Gutes in einem Menschen sein werde, es sei denn, dass Er voraussähe, was Er selbst hineingelegt hat. Aus welchem Grunde bestimmt Er denn, es hineinzulegen? Soweit wir wissen, ist dies der Grund: „Er erbarmt sich, welches Er will.“ Der Herr beschließt, seine Liebe darzustellen und die Eigenschaften seiner Gnade wirken zu lassen; darum rettet Er Menschen nach dem Wohlgefallen seines Willens. Wenn Menschen das Heil gespendet wird mit Rücksicht auf das, was sie sein werden, so ist klar, dass es Sache des Werkes und der Schuld und nicht der Gnade ist; aber die Schrift sagt sehr bestimmt, dass es nicht aus Werken, sondern aus reiner Gnade sei: „Ist es aus Gnade, so ist es nicht aus Verdienst der Werke; sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist es aber aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts; sonst wäre Verdienst nicht Verdienst.“
  • Indem ich versuche, zu erklären, dass das Heil eine freie Gabe ist, gehe ich ein wenig weiter und sage, dass es gegeben ist ohne Rücksicht auf Bedingungen, welche irgend welches Verdienst in sich schließen. Ich höre jemand murmeln: „Gott will denen nicht Gnade erzeigen, welche nicht Buße tun.“ Ich antworte, dass Gott den Menschen Gnade zur Buße gibt, und dass kein Mensch, je Buße tut, bis ihm Gnade gegeben,ist, durch welche er zur Buße geführt wird. „Gott will denen nicht gnädig sein, die nicht glauben,“ sagt jemand. Ich antworte, dass Gott Menschen Gnade gibt, durch welche sie zum Glauben an Jesum Christum bewogen werden. Wenn ihr wollt, mögt ihr sagen, dass Buße und Glaube Heilsbedingungen sind, und ich will nicht mit euch streiten; aber beachtet, dass es keine Bedingungen im Sinne des Verdienstes sind, denn das Heil ist „ohne Geld und umsonst.“ Uns wird ausdrücklich gesagt, dass die Seligkeit ist „durch den Glauben, auf dass sie sei aus Gnaden,“ denn der Glaube ist nicht unter die Werke des Gesetzes zu rechnen, denen Verdienst beizumessen wäre. Der Glaube verdient nichts, sondern vertraut einfach der freien Barmherzigkeit Gottes. Der Gläubige kann sich nie rühmen, denn das Rühmen ist durch das Gesetz des Glaubens ausgeschlossen. Der Glaube ist von allen Gnaden die selbstverleugnungsvollste; sein Gesang ist stets: Non nobis Domine, „Nicht uns, Herr, sondern Deinem Namen gib Ehre.“ Während darum das Wort Gottes uns versichert, dass, wenn wir nicht Buße tun, wir auch also umkommen werden, dass, wenn wir nicht an Jesum Christum glauben, wir in unsern Sünden sterben werden, lässt es uns zugleich wissen, dass weder in der Buße noch im Glauben ein Verdienst liegt, sondern dass die Gnade dadurch herrscht, dass Gott diese Gnaden annimmt. Wir dürfen die Forderung des Glaubens, der Buße und des Bekenntnisses der Sünde nicht ansehen, als ob diese der Fülle und Freiheit der göttlichen Gnade widersprechen, da zunächst Buße, Glaube und aufrichtiges Sündenbekenntnis lauter Gnadengaben sind und da sie sodann nichts Verdienstliches in sich haben, weil es Dinge sind, die ehrliche Menschen gern tun, wenn sie wissen, dass sie geirrt haben und wenn ihnen Vergebung zugesichert ist. Betrübt sein über meine Sünde ist keine Belohnung dafür, dass ich gesündigt habe, und zu glauben, dass Gott wahrhaftig ist, ist kein Werk, für welches ich Lohn fordern dürfte. Wenn ich also durch den Glauben selig werde, so werde ich aus reiner Barmherzigkeit selig, denn allein daraus wird mir Vergebung zu teil.
  • Wir werden selig aus Gnaden, aus freier, reiner Gnade, ohne Rücksicht auf Verdienste oder auf die Möglichkeit der Verdienste, und viele von uns sind gerettet worden aus Gnade der überschwänglichsten und außerordentlichsten Art. Manche von uns werden durch alle Ewigkeit als Wunder der göttlichen Liebe, als Wunder der Barmherzigkeit angestaunt werden; wir werden als Denkmäler im Himmel ausgerichtet werden, an denen die Engel eine Entfaltung der erstaunlichen Güte des Herrn bewundern werden. Manche von uns, sagte ich; aber ich nehme an, dass sich in jedem einzelnen Erlösten irgend welche besondere Entwickelung der Gnade zeigt, welche ihn besonders merkwürdig macht, so dass der ganze Leib, die eine verherrlichte Gemeinde, den Engeln und Fürstentümern und Obrigkeiten die mannigfaltige Weisheit Gottes kund tun wird. O, welche Offenbarung der Gnade und Barmherzigkeit wird das geben, wenn das ganze durch Blut gewaschene Geschlecht sich sicher um den ewigen Thron sammeln und die Hallelujas singen wird Dem, der sie geliebt hat und gewaschen von ihren Sünden mit seinem Blut!
  • Beachtet hinsichtlich dieses Heilsplanes noch eins, nämlich dass uns alle diese Gnade durch den einigen Menschen, Jesum Christum, zufließt. Ich höre zuweilen Menschen reden über „eines Menschen Wirksamkeit.“ Ich weiß, was sie damit sagen wollen; aber ich weiß auch, dass ich durch des einen Menschen Wirksamkeit gerettet bin, nämlich durch Ihn, welcher die Kelter allein trat, da niemand unter den Völkern mit Ihm war. Ich war durch eines Menschen Tun verloren, als Vater Adam in Eben fiel; aber ich wurde durch eines Menschen Wirksamkeit gerettet, als der hochgelobte Herr Jesus Christus meine Sünde an seinem Leibe auf dem Holz trug. O unvergleichlicher Dienst der Liebe, als der Herr vom Himmel in diese Welt kam und unsre Natur annahm und in allen Beziehungen Mensch ward und an Gebärden als ein Mensch erfunden ward, und gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz! Es geschieht durch den einen Menschen, Christum Jesum, dass allen Erwählten alle Gnade Gottes zuströmt. Die Barmherzigkeit fließt keinem Menschen anders zu, als durch den einen bestimmten Kanal, durch Jesum, den Menschensohn. Geht weg von Christo, und ihr verlasst die Bahn der ewigen Liebe Gottes; geht an dieser Tür vorüber, und ihr findet keinen Eintritt ins Leben. Ihr müsst aus diesem Zuflussrohr trinken, oder ihr müsst ewig dürsten und bittet vergeblich um einen Tropfen Wasser, um eure schmachtende Zunge zu kühlen. „In Ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.“ Die ganze unendliche Barmherzigkeit und Liebe Gottes – und Gott selber ist die Liebe – ist konzentriert in der Person des viel geliebten Sohnes des Allerhöchsten, und Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Singt Ihm, ihr Engel! Jauchzet Ihm, ihr Erlösten! Denn durch den einen Menschen, Christum Jesum, ist die ganze Schar der Erwählten errettet worden von dem zukünftigen Zorn, zum Lobe der Herrlichkeit der Gnade Gottes.

So habe ich es versucht, euch Gottes Heilsweg vorzuführen.

2.

Etwas von dem Lauf unsrer Gedanken abweichend, wie es scheinen mag, aber doch nur mit der Absicht, mit einem kräftigen Beweisgrund zu ihm zurückzukehren, bemerken wir demnächst, dass es gewiss ist, dass durch den Fall große Übel über uns gekommen sind. Paulus spricht in diesem unserm Text von der „Sünde“ (welches Wort auch „Fall“ gelesen werden kann), welche durch das Straucheln unsers Vaters Adam verursacht wurde. Unser Fall in Adam ist ein Bild von dem Heil, das in Christo Jesu ist; aber das Bild ist nicht imstande, das ganze Werk Christi vollständig darzustellen. Deshalb sagt der Apostel: „Aber nicht hält sich’s mit der Gabe, wie mit der Sünde. Denn so an eines Sünde viele gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen, Jesu Christi.“ Es ist also gewiss, dass wir durch die Sünde des ersten Vaters und Hauptes unsers Geschlechtes schwere Verluste erlitten haben. Ich gehe nicht auf Einzelheiten und Besonderheiten ein; aber es ist klar, dass wir den Garten Eden und alle seine Wonnen, Vorrechte und Gerechtsame, seine Gemeinschaft mit Gott und seine Freiheit vom Tode verloren haben. Wir haben unsre erste Ehre und Gesundheit verloren und sind dem Schmerz und der Schmähung, dem Leiden und dem Tode unterworfen worden. Das ist die Wirkung des Falles. Wo sonst ein Garten gelächelt haben würde, da heult jetzt eine Wüste. Durch Adams Sünde sind wir unter Bedingungen geboren, die nichts weniger denn wünschenswert sind: Erben eines kummervollen Erbteils. Unsre Bekümmernisse sind durch das Wohlwollen Gottes gemildert worden; aber dennoch sind wir nicht unter Umständen geboren, wie wir sie haben könnten, wenn Adam in seiner Unschuld geblieben wäre und seinen ersten Zustand beibehalten hätte.

  • Wir sind in die Welt gekommen mit einer Neigung zum Bösen.

Diejenigen unter uns, welche einige Erkenntnis von ihrer Natur haben, müssen bekennen, dass in uns eine starke Neigung zur Sünde ist. Diese ist nicht lediglich auf Erziehungsfehler oder auf die Nachahmung andrer zurückzuführen; sondern in uns ist ein Hang nach der verkehrten Richtung hin, und dieser ist von unsrer Geburt an da. Ach, dass dem so ist! Aber es ist so.

  • Außer dieser Neigung zur Sünde sind wir auch dem Tode ausgesetzt, nein, nicht nur ausgesetzt, sondern seiner Zeit werden wir unsre Häupter diesem unvermeidlichen Schlage beugen müssen. Nur zwei von dem menschlichen Geschlecht sind dem Tode entronnen; aber die übrigen haben ihre Leiber der Mutter Erde zur Verwesung zurücklassen müssen, und wenn der Herr nicht bald kommt, haben wir dasselbe bei unsern Leibern zu erwarten. Solange wir leben, wissen wir, dass der Schweiß unsrer Stirn den Preis unsers Brotes bezahlen muss; wir wissen, dass unsre Kinder unter Wehen und Schmerzen geboren werden müssen; wir wissen, dass wir selbst zum Staube zurückkehren müssen, von dem wir genommen sind; denn wir sind Erde und müssen Erde werden. O Adam, du tatest ein trauriges Tagewerk für uns, als du auf die Stimme deines Weibes hörtest und von der verbotenen Frucht aßest! Die Welt hat nirgendwo ein Paradies; sondern überall sind Klageplätze und Leichenfelder. Wohin könnt ihr gehen, um nicht im Grabe und seinen verwesenden Gebeinen Spuren der ersten Übertretung zu finden? Jedes Feld ist mit dem Staube der Abgeschiedenen gedüngt; jede Meereswoge ist durchsetzt von den Atomen der Gestorbenen. Die Sünde hat diese Schöpfung entstellt und verderbt dadurch, dass sie sie der Eitelkeit unterworfen hat. So schreckliche Übel sind uns durch eine Tat geworden, mit welcher wir nichts zu tun hatten; wir waren nicht im Garten Eden; wir haben Adam nicht zur Auflehnung angeregt, und doch sind wir Dulder geworden. Sage darüber, was du willst; die Tatsache bleibt bestehen, und wir können ihr nicht entrinnen.

Diese betrübende Wahrheit führt mich zu der einen, die die Essenz unsers Textes und der Gegenstand meiner dritten Bemerkung ist.

3.

Aus dem Fall schließen wir mit um so größerer Gewissheit, dass die Seligkeit aus Gnade den Gläubigen durch Jesum Christum zu teil wird. Wenn uns durch Adams Fall all dieses Elend geworden ist, warum sollten uns durch das Werk Christi nicht viel größere Segnungen werden? Durch Adams Übertretung haben wir das Paradies verloren, das ist gewiss; aber wenn irgend etwas gewisser sein kann, so möchten wir mit größerer Bestimmtheit erklären, dass der zweite Adam uns von dem Verfall wiederherstellen wird. „So an eines Sünde viele gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen, Jesu Christi.“ Stellt es denn bei euch fest, dass Adams Fall uns großen Nachteil bereitet hat, und dann seid versichert, dass Christi Leben, Sterben und Auferstehen, darin wir nichts zu tun hatten, uns große Dienste leisten muss. Wenn wir an Jesum Christum glauben, so wird es uns zur Gewissheit, dass wir in Ihm gesegnet sind, da wir sehen, was bereits gewiss worden ist, dass wir durch Adams Fall dem Schmerz und dem Tode unterworfen sind.

Œ Denn erstens ist es klar, dass dies dem Herzen Gottes wohlgefälliger ist. Es muss mit seiner gnadenvollen Natur völlig übereinstimmen, dass uns das Heil durch seinen Sohn zufließt. „Ich kann es verstehen, dass Gott, der es so angeordnet hat, dass das menschliche Geschlecht als eines betrachtet werde und vor Ihm in einem Menschen stehe und falle, diese Anordnung auch zu ihrem gerechten Ende ausführt und zulässt, dass die Folgen der Sünde auf nachfolgende Menschengeschlechter übergehen; aber ich weiß auch, dass Er keinen Gefallen an dem Tode jemandes hat, und keine Freude darin findet, die Menschheit leiden zu sehen. Als der erste Adam sündigte, war es unvermeidlich, dass die Folgen seiner Sünde sich auf seine Nachkommenschaft erstreckten, rund doch kann ich mir denken, dass ein vollkommen heiliges Wesen sich fragt, ob die Anordnung auch werde ausgeführt werden. Aber ich kann mir nicht denken, dass hinsichtlich des andern Punktes – das Resultat des Werkes unsers Herrn Jesu – irgend welche Frage aufgeworfen wird! Wenn Gott es so angeordnet hat, dass Menschen in dem zweiten Adam leben sollen, so erscheint es mir durchaus übereinstimmend mit seiner gnadenvollen Natur und unendlichen Liebe, dass nun auch alle, welche an Jesum glauben, durch Ihn gerettet werden. Ich kann mir nicht denken, dass Engel bei sich sagen werden: „Christus ist geboren worden; Christus hat gelebt; Christus ist gestorben; diese Menschen haben damit nichts zu tun gehabt, sollte Gott sie um seines Sohnes willen retten wollen?“ O nein, als sie den Säugling zu Bethlehem geboren sahen, als sie Ihn sahen ein vollkommenes Leben führen und eines versöhnenden Todes sterben, da müssen sie es empfunden haben: „Gott will die, welche in Christo sind, segnen; Gott will Christi Volk um Christi willen selig machen.“ Was uns anbetrifft, so sind wir dessen gewiss, dass wenn der Herr ein Urteil vollstreckt, welches sein fremdes Werk ist, Er gewiss Barmherzigkeit erweist, an welcher Er Wohlgefallen hat. Hier ist also der Beweisgrund: „Denn so an eines Sünde viele gestorben sind, so ist vielmehr Gottes Gnade und Gabe vielen reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen, Jesu Christi.“

 Diese Versicherung wird noch stärker, wenn wir bedenken, dass es unvermeidlicher erscheint, dass Menschen durch den Tod Christi gerettet werden, als dass Menschen durch die Sünde Adams verloren gehen sollten. Es könnte als möglich erscheinen, dass Gott, nachdem Adam gesündigt hatte, gesagt hätte: „Trotz dieses Werkbundes will ich diese Last den Kindern Adams nicht auferlegen;“ aber es ist nicht möglich, dass, nachdem der ewige Sohn Gottes Mensch geworden war und sein Haupt dem Tode gebeugt hatte, Gott sagen sollte: „Doch trotz allem will ich die Menschen um Christi willen nicht selig machen.“ Schaue Christum am Kreuze an, und betrachte diese seine Wunden, und es wird dir absolut gewiss werden, dass Sünde vergeben werden kann; nein, dass sie denen, die in Christo Jesu sind, vergeben werden muss. Wenn Abels Stimme, die von der Erde schrie, mächtig war, wie vielmehr wird es das Blut des eingebornen Sohnes Gottes sein, welcher sich ohne Flecken durch den ewigen Geist selbst geopfert hat? Es kann nicht sein, o Gott, dass Du das Opfer auf Golgatha verachten und seiner vergessen solltest!

Ich weiß nicht, ob ich in das Innere dieses Beweisgrundes eindringe, wie ich wünsche; aber mir ist es sehr süß, auf den Unterschied hinsichtlich der Ursachen der beiden Wirkungen blicken zu können. Schaut hin auf die Veranlassung unsers Verderbens: „eines Sünde.“ Der eine Mensch sündigt, und ihr und ich und wir alle kommen unter die Sünde, unter die Leiden und unter den Tod. Welches ist die Quelle dieser Leidensströme? Die eine Tat unsrer ersten Eltern. Es sei fern von mir, auch nur mit einem Worte die Größe ihrer Übertretung herabsetzen oder eine Frage hinsichtlich der Gerechtigkeit ihrer Folgen aufwerfen zu wollen. Die Sünde war sehr groß, und das Prinzip, welches zu unsrer Teilnahme an ihren Resultaten führt, ist ein gerechtes, und was noch mehr ist, es ist für den gefallenen Menschen von den segensreichsten Folgen begleitet, da es ihnen eine Hoffnungstür öffnete, durch dieselbe Methode, welche zu ihrem Fall führte, aufgerichtet werden zu können. Doch die Sünde, welche uns verdarb, war die Sünde eines endlichen Wesens und ist hinsichtlich ihrer Macht nicht mit der Gnade des unendlichen Gottes zu vergleichen; es war die Sünde eines Augenblicks und kann darum nicht mit dem ewigen Ratschluss der göttlichen Liebe verglichen werden. Wenn denn der verhältnismäßig schwachen Quelle der Sünde Adams eine solche Flut entströmt, welche die Welt in Leid und Tod versenkt, was muss der unbegrenzte Segen sein, der sich aus der unendlichen Quelle der göttlichen Gnade ergießt? Die Gnade Gottes ist, gleich seiner Natur, allmächtig und unbeschränkt. Gott hat nicht ein Maß von Liebe, sondern Er ist die Liebe. Gott ist nicht nur bis zu diesem oder jenem Grade gnädig, sondern wir lesen von dem „überschwänglichen Reichtum seiner Gnade.“ Er ist „der Gott aller Gnade.“ Soweit der Himmel höher ist denn die Erde, sind seine Gedanken, was die Gnade betrifft, höher als unsre Gedanken. Wenn denn, meine Brüder, der enge Born, welcher bitteres und giftiges Wasser gab, hinreichte, um die Myriaden des menschlichen Geschlechtes zu töten, wie vielmehr wird der Strom Gottes, welcher voll Wassers ist, nämlich der Strom des Wassers des Lebens, welcher ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes, jeden, der an Jesum Christum glaubt, mit Leben und Seligkeit versorgen! Paulus sagt: „Denn so um des Einigen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den Einen, wie vielmehr werden die, so da empfangen die Fülle der Gnade und der Gabe zur Gerechtigkeit, herrschen im Leben durch Einen, Jesum Christ.“ Das ist der Beweisgrund des Textes, und mir scheint es ein sehr kräftiger zu sein, hinlänglich, um den Unglauben auszutreiben und jeden bußfertigen Menschen zu befähigen, zu sagen: „Ich sehe, was ich in Adam verloren habe; aber ich sehe auch, wie viel ich durch Jesum Christum, meinen Herrn, erlange, wenn ich mich Ihm demütig übergebe.“

Ž Ferner möchte ich, dass ihr den Unterschied zwischen den Kanälen beachtet, durch welche uns das Böse und das Gute gesondert mitgeteilt ist. In jedem Fall geschah es „durch einen“; aber welch ein Unterschied in den Personen! Wir fielen durch Adam, dessen Namen wir nicht ohne Ehrerbietung aussprechen sollten, denn er ist der erste Patriarch des Geschlechts, und die Kinder sollten die Eltern ehren. Doch was ist der erste Adam im Vergleich zu dem zweiten Adam? Er ist von der Erde und irdisch, der andre aber ist der Herr vom Himmel. Jener war im besten Fall ein bloßer Mensch; aber unser Erlöser hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich sein. Gewiss denn, wenn Adam mit seiner schwachen Hand das Haus unsrer Menschheit niederreißen und dies Verderben über unsern ersten Zustand bringen konnte, dann kann uns der größere Mensch, welcher zugleich der Sohn Gottes ist, durch die überschwängliche Gnade Gottes, wiederherstellen und unserm Geschlecht das goldne Zeitalter wiederbringen.

Und seht, meine Brüder, was dieser Mensch getan hat. Adam tut eine Sünde und verdirbt uns; aber Christi Werke und Erreichungen sind so viele, wie die Sterne am Himmel. Blickt auf sein Leben des Gehorsams: es ist gleich einer Krone, die mit allerlei unschätzbaren Juwelen besetzt ist; alle Tugenden sind darin und nirgends zeigt sich ein Flecken. Was eine sündige Handlung unsers ersten Bundeshauptes zerstört, wird das nicht ein ganzes heiliges Leben auf Seiten unsers zweiten Bundesrepräsentanten überschwänglich wiederherstellen?

Aber was noch mehr ist: Adam aß nur von der verbotenen Frucht; aber unser Herr Jesus starb, indem Er die Sünde seines Volkes auf sich lud. Solch ein Tod muss mehr Kraft in sich haben, als die betrübende Tat Adams. Wird Er uns nicht retten? Gibt es einen Vergleich zwischen der seinen Tat der Auflehnung im Garten und der unvergleichlichen Tat des höchsten Gehorsams am Kreuz, welche ein Leben des Dienstes krönte? Das Leiden des Eingebornen muss eine unfehlbare Kraft zur Vergebung der Sünden in sich haben. Auf das vollkommene Werk Jesu baut jetzt meine Seele, ohne Verdacht, irre zu gehen? und ohne irgendwie auf etwas andres zu vertrauen. Das Gute, das man im Menschen voraussetzt, seine besten Worte und heiligsten Handlungen sind nur, soweit sie ein Anrecht auf Gottes Gunst sein sollen, wie der geringe Staub in der Wage. Mein einziger Anspruch aufs Seligwerden liegt in dem einen Menschen, der Gabe Gottes, welcher durch sein Leben und durch seinen Tod ein Sühnopfer für meine Sünde gebracht hat; aber dieser einige Mensch, Christus Jesus, ist ein sichrer Grund und ein Nagel, an welchen wir das ganze Gewicht unsrer ewigen Interessen hängen können. Wegen meiner festen Überzeugung von der schrecklichen Wirkung des Falles Adams habe ich um so mehr Vertrauen auf die Gewissheit des Heils durch Christum.

Wenn ihr nun meinen Gedanken erfasst und euch in die Wahrheit des Textes versenkt habt, könnt ihr viel Trost daraus ziehen, und er mag euch viele schmerzliche Dinge andeuten, die euch hinfort viel Vergnügen verschaffen. Ein Säugling ist unter großen Besorgnissen wegen seiner Mutter Schmerzen in die Welt geboren; aber während diese Schmerzen beweisen, dass wir die Folgen des Falles noch zu tragen haben, versichern sie uns auch, dass der zweite Adam uns durch eine zweite Geburt, durch welche wir zu einer lebendigen Hoffnung wiedergeboren sind, reichliche Seligkeit bringen kann. Ihr geht auf das Feld und seht die Disteln und zerreißt eure Kleider an den Dornen, diese beweisen den Fluch, predigen aber auch das Evangelium. Nicht durch unsre Fehler – denn wir waren nicht da, als der erste Mensch sündigte, – geben unsre Felder nur dürftige Ernten. Da nun wegen des einen Adam der Acker Disteln und Dornen trägt, können wir wegen des zweiten und größern Adam einen Segen über die Erde erwarten. Darum glaube ich die Verheißung mit unbegrenztem Vertrauen: „Ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Berge und Hügel sollen vor euch her frohlocken mit Ruhm, und alle Blumen auf dem Felde mit den Händen klappen. Es sollen Tannen für Hecken wachsen und Myrten für Dornen, und dem Herrn soll ein Name und ewiges Zeichen sein, das nicht ausgerottet werde.“

Wischt ihr euch, während ihr für euer Brot arbeitet, den Schweiß von der Stirn? Beweist euch im Blick auf eure Arbeit euer Glaube an Jesum Christum nicht, dass dem Volk Gottes noch eine Ruhe vorhanden ist? In der Ermüdung unter der Arbeit fühlst du, dass Adams Fall noch auf dich einwirkt; er hat dich zu einem Landarbeiter oder Schafhirten oder zu einem Handwerker – jedenfalls zu einem Jochträger gemacht; sprich denn zu dem Herrn Jesu: „Gelobter zweiter Adam, indem ich sehe und fühle, was der erste Mensch tat, werde ich reichlich entschädigt durch das, was Du zustande bringen kannst. Ich will mich darum von ganzem Herzen auf Dich verlassen.

Wenn ihr einen Leichenzug langsam die Straße dahinziehen seht oder einen Friedhof betretet und Hügel neben Hügel bemerkt, seht ihr augenscheinlich das Resultat des Falles vor euren Augen. Ihr fragt: „Wer hat diese alle getötet, und durch welches Tor ist der

Zerstörer in diese Welt eingedrungen? Hat der erste Adam durch seinen Ungehorsam die Pforte zum Tode geöffnet?“ Es ist so. Darum glaube ich mit größerer Gewissheit, dass der zweite Adam diesen verdorrten Gebeinen Leben geben, alle diese Schläfer auferwecken und sie zu einem neuen Leben erheben kann. Wie köstlich sind die Worte: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen die Auferstehung von den Toten kommt. Denn wie sie in Adam alle sterben, werden sie in Christo alle lebendig werden. Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der zweite Mensch ist der Herr vom Himmel. . . Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, werden wir auch tragen das Bild des himmlischen.“ Heißt das nicht einen Löwen töten und Honig in seinem Aase finden? „Speise ging aus von dem Fresser und Süßigkeit von dem Starken,“ als wir aus der Tatsache des Falles eine starke Versicherung für unsre Wiederherstellung durch Jesum Christum ableiten konnten.

Die Zeit fehlt mir, sonst würde ich mich gern ausführlicher über den letzten Punkt ergehen, den ich jetzt nur dürftig berühren kann.

4.

Wenn aus dem Fall Adams solche großen Resultate fließen, so müssen sich aus der Gnade und Gabe Gottes durch die Gnade des einigen Menschen, Jesu Christi, noch größere Resultate ergeben. Angenommen, dass Adam nie gesündigt hätte und wir jetzt sündlose Wesen wären, so bliebe unsre Stellung doch immer eine gefährdete, da er in irgend einem Augenblick sündigen konnte und uns somit niederreißen musste. Tausende von Jahren des Gehorsams würden der Prüfungszeit kein Ende gemacht haben, da in dem ursprünglichen Bunde keine derartige Abmachung getroffen war. Wir würden uns deshalb nie einer absoluten Sicherheit und des ewigen Lebens haben freuen können, wie wir es jetzt in Christo Jesu tun. Wir haben nun alles in Adam verloren, und so hat das ungewisse Lehen – das geliehene Eden und seine Freuden – ein Ende gefunden; aber wir, die wir glauben, haben ein Erbe erlangt, das uns auch Satan nicht streitig machen kann: „Es ist alles euer; ihr aber seid Christi und Christus ist Gottes.“ Der Herr Jesus hat das

Werk vollbracht, durch welches sein Volk gerettet ist, und dieses Werk ist durch seine Auferstehung von den Toten bestätigt worden. Da ist nun in dem Bunde kein „wenn“ und kein „vielleicht“ mehr. „Wer da glaubt und getauft wird, der soll selig werden.“ Sagt ihr: „ich glaube, er wird selig werden, wenn er . . . ?“ Wage es nicht, ein „wenn“ hinzuzufügen, wo Gott keins hingesetzt hat. Nein, es steht geschrieben: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“; „wer an Ihn glaubt der hat das ewige Leben.“ „So ist nun keine Verdammung für die, die in Christo Jesu sind.“ So haben wir eine sichere Stellung erlangt, als wir sie unter dem ersten Adam haben konnten. Unser Herr hat nicht nur die Übel des Falles aufgehoben, sondern Er hat uns mehr gegeben, als wir verloren haben.

Durch die große Sünde Adams verloren wir unser Leben in ihm; aber in Christo Jesu leben wir wieder in einem höheren und edleren Leben; denn das neue Leben, das das direkte Werk des Geistes ist und erhalten wird durch die Nahrung in der Person des Herrn Jesu, ist höher als das Leben der Unschuld im Garten Eden.

Der Herr Jesus hat uns auch in eine engere Verwandtschaft mit Gott gebracht, als wir sie je auf andre Weise hätten haben können. Durch die Schöpfung waren wir Gottes Geschöpfe; aber nun sind wir seine Kinder. In einem gewissen beschränkten Sinn waren wir „seines Geschlechts“; aber durch die Erhöhung des Menschen Christi Jesu, unsers Repräsentanten, sind wir in die nächstmögliche Verwandtschaft mit Gott gebracht worden. Jesus sitzt auf dem Thron Gottes, und die Menschheit ist der Gottheit ganz nahe geworden. Der dem Ewigen am nächsten Verwandte ist ein Mensch, Jesus Christus, der Sohn des Allerhöchsten. Wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebein, und darum teilen wir seine Ehren und haben Teil an seinen Triumphen. In Christo Jesu ist dem Menschen die Herrschaft über alle Werke der Hände Gottes gegeben, und die Erlösten sind samt Christo auferweckt und samt Ihm in das himmlische Wesen versetzt, über alle Fürstentümer und Obrigkeiten, und über alles, das genannt mag werden; denn sie sind die Günstlinge des Himmels, die Geliebten des großen Königs. Keine Geschöpfe gleichen dem vollkommenen Menschen; sie erheben sich selbst weit über die Engel, welche nie gesündigt haben; denn in ihnen ist mehr von dem Reichtum der Herrlichkeit der Gnade Gottes zu sehen, als in reinen, nie gefallenen Geistern.

O Geliebte, hat nicht der Herr Jesus viel für uns getan und dürfen wir nicht erwarten, dass es so sein sollte, da die Gnade und Gabe Gottes durch die Gnade des einigen Menschen, Jesu Christi, unendlich stärkere Kräfte sind, als Adams Sünde? O, die Seligkeit, die sich uns nun eröffnet! Wir haben das Paradies verloren; aber wir haben nun das, davon der irdische Garten nur ein schwaches Vorbild war. Wir hätten von den köstlichen Früchten Edens essen können; aber nun essen wir von dem Brot, das vom Himmel herniedergekommen ist. Wir hätten die Stimme Gottes, des Herrn, im Garten hören können, wenn der Tag sich zur Rüste neigte; aber nun können wir, wie Henoch, in einer edleren Weise mit Gott wandeln. Wir sind nun einer Freude fähig, welche gefallene Geister nie kennen konnten: die Seligkeit der vergebenen Sünde, den Himmel tief bewusster Verpflichtung gegen die ewige Barmherzigkeit. Die Bande, welche Erlöste an ihren Gott binden, sind die stärksten, welche es gibt. Welch eine Freude wird es sein, den Herrn mehr als irgend eines seiner Geschöpfe zu lieben, und gewiss, wir werden es. Denkt nicht, dass dies eine unverbürgte Behauptung ist, denn ich bin überzeugt, dass dies die Wahrheit ist. Lest ihr nicht in den Evangelien von einer Frau, welche des Heilands Füße mit ihren Tränen wusch und sie mit den Haaren ihres Hauptes trocknete und sie mit Salben salbte? Sagte der Heiland nicht, dass sie viel liebte, weil ihr viel vergeben war? Ich fasse es so auf, dass sich das allgemeine Prinzip auf alle Plätze anwenden lässt, auf die Ewigkeit sowohl als auf die Zeit, und darum glaube ich, dass begnadigte Sünder eine Liebe zu Gott und zu seinem Christus haben werden, wie die Cherubim und Seraphim nie empfunden; Gabriel kann Jesum nicht lieben, wie ein begnadigter Mensch es tun wird. Die, welche ihre Kleider gewaschen und helle gemacht haben im Blut des Lammes, werden Ihm näher und teurer sein, und Er wird ihnen näher und teurer sein, als allen dienenden Geistern vor dem Thron, denn Er nahm unsre und nicht ihre Natur an sich. Ehre sei Dir, o Christus! Wenn ich in die grauenvollen Tiefen des Falles Adams blicke, zittre ich; aber wenn ich meine Augen zu den ewigen Höhen erhebe, dahin Du mich durch Dein Leiden und durch Deine Auferstehung erhoben hast, fühle ich mich durch das vorige Gesicht wieder gestärkt. Ich erhebe die unendliche Gnade Gottes und glaube daran ohne Wanken. O, dass ich Kraft hätte, sie in passenden Worten und gebührender Rede zu erheben; aber ich kann es nicht. Nimm die Empfindungen des Herzens an, da die Sprache der Lippen versagt. Nimm sie an, Herr, durch den Vielgeliebten!

Amen.


Quelle: C. H. Spurgeon: Christus im Alten Testament. 60 Predigten über vorbildliche und prophetische Darstellungen der Person und des Werks unsers Herrn Jesu Christi. Autorisierte Übersetzung von Hermann Liebig; Druck und Verlag von J. G. Oncken Nachfolger (G.m.b.H.) 1901; © neu bearbeitet und herausgegeben von Thomas Karker, Bremen, 2017, S. 9 bis 18.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 21. Juli 2023 um 16:21 und abgelegt unter Allgemein, Predigten / Andachten, Theologie.