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Anne Meinberg: Was ist für mich Kirche? Ein Weckruf!

Dienstag 15. November 2022 von Stefan Felber


Frau Dr. phil. Anne Meinberg ist eine Kölner Literaturwissenschaftlerin. Sie hat lange mit der Frage des Austritts aus der evangelischen Landeskirche gerungen und ihre Gedanken in einem „Weckruf“ dargelegt. Sie selbst ist bisher nicht aus der Kirche ausgetreten, ist sie doch zu sehr mit ihr verwurzelt. Wir dokumentieren ihren Weckruf, der den Gedanken vieler Christen Stimme gibt und zugleich zum kritischen Dialog einlädt. Kommentare und Rückfragen an sie können über info@gemeindehilfsbund.de weitergeleitet werden.
Wir verweisen auch auf die Beiträge von Dr. J. Cochlovius und Egmond Prill im „Aufbruch“ vom März 2022.

 

Was ist für mich Kirche? – Ein Weckruf!

11. November 2022

Was ist für mich Kirche? Was bedeutet mir meine Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinde, in der ich einen Sinn finde, der mir in anderen Gemeinschaften nicht begegnet? Diese Frage stelle nicht nur ich mir, sondern das haben sich in den letzten Jahren sehr viele Menschen gefragt, für die dann die Antwort Rückzug, Austritt war. Das tut weh, nicht nur mir, sondern sollte auch den Verantwortlichen der Kirche zu denken geben. Die Gründe für einen Kirchenaustritt, speziell in der Evangelischen Kirche, mögen vielfältig sein. Meine Gründe sind folgende:

Ich bin evangelisch getauft, konfirmiert und protestantisch erzogen. Viele Jahre und Jahrzehnte gehörte der Kirchgang an hohen Festtagen und lange auch der sonntägliche Kirchgang zu meinen geliebten Gewohnheiten, von denen ich mir niemals hätte vorstellen können, dass ich sie aufgeben würde. Ebenso habe ich mich in dieser Kirche jahrelang in Ehrenämtern engagiert, aus Überzeugung, dass es ein Gutes sei, sich für diese Kirche einzusetzen. Warum hat sich das alles geändert?

Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich laut und offen sagen darf, was ich denke und fühle, was mich beschwert, wenn ich an unsere Kirche denke. Immer wieder habe ich gekämpft gegen Irrglauben und Dummheit, gegen Gleichgültigkeit und die kritiklose Hinwendung von Kirchenvertretern zu ideologischen Trends, die derzeit in Mode sind. Ganz sicher habe ich es mir und auch meinen Gesprächspartnern nicht leicht gemacht mit meinem kritischen Blick auf die Entwicklungen in der evangelischen Kirche, die ich für zersetzend, für spaltend, ja teilweise auch für unchristlich halte.

Ich habe gekämpft und gerungen – mit mir und auch gegen mich –, weil ich lange Zeit nicht wahrhaben wollte, was doch offensichtlich ist: Die gegenwärtigen Kirchenleitungen folgen den falschen Göttern, wenn sie sich mit säkularen religiösen Bewegungen gemein machen. In einem öffentlichen Brandbrief, gerichtet an einzelne Pfarrer und Gemeinden, an Träger kirchlicher Institutionen habe ich versucht, in ein Gespräch zu kommen, aufzurütteln, in einen kritischen Diskurs zu gehen Offener Brief: Genderideologie und Kirche | bildungsethik (bildung-und-ethik.com). Die Antwort auf meine Zweifel, auf meine Ängste und Sorgen, war Ignoranz, Häme, Wissenschaftsfeindlichkeit – und vor allem Diskursverweigerung! Statt meinem Bedürfnis nach einem Dialog nachzukommen, begegneten mir Selbstgerechtigkeit und Arroganz, statt Offenheit und Respekt – Abwehr und kalte Distanz sowie das Beharren auf einer eingeengten Sicht, gespeist von der kritiklosen Übernahme von Stereotypen aus dem Repertoire des Gendermainstreams. Wenn sich Pfarrer und andere Vertreter der Kirchenleitung einem offenen, unvoreingenommen Gespräch verweigern, ist dies ein Defizit an Kopf und Herz.

Ich behaupte nicht, dass jeder einzelne der kirchlichen Repräsentanten anfällig ist für die derzeit mit großer medialer Unterstützung vorangetriebenen ideologischen Bewegungen, aber die Summe der Erfahrungen mit Vertretern der Kirche sowie die stillschweigende kritiklose Übernahme von gender-queer-feministischen Stereotypen sprechen für sich. Die Schubladen, in die man die Kritiker der Gender-Ideologie und linker Identitätspolitik steckt, sind bedenklich: alt, reaktionär, rechts. Wer sich aber einfangen lässt von Ideologien, verliert den kritischen Blick auf sich selbst, was die Voraussetzung ist für einen verantwortungsvollen Umgang mit Mainstream-Bewegungen. Gendersprache, wie sie heute in weiten Teilen der offiziellen Kirche benutzt wird, ist Teil einer linken Ideologie innerhalb der Woke-Bewegung und ein Elite-Projekt ziemlich radikaler neo-feministischer Kreise, denen einzig daran gelegen ist, ihre Agenda durchzuziehen, ohne Rücksicht auf die nach wie vor überwiegende Ablehnung der Bevölkerung und auch ohne Rücksicht auf das enorme gesellschaftliche Spaltungspotential, das sie damit auslösen.

Die Verneigung vor Genderideologie und links-identitären quasi-religiösen Bewegungen versperrt der Kirche den Blick für die wirklichen Probleme der Menschen, schlimmer noch: Sie pervertiert die christliche Botschaft von Nächstenliebe und Fürsorge für die Schwachen, für die Abgehängten dieser Gesellschaft, die sich nicht gegen die Bevormundung durch Sprachdiktate und moralisierende Gängelung zu wehren wissen. Gendersterne statt der Botschaft des Sterns von Bethlehem sind eine hohle Symbolpolitik, die tätiges Handeln gegen bestehende Ungerechtigkeiten erspart. Unter dem Deckmantel von Diversität und Gerechtigkeit wird geflissentlich übersehen, dass gerade die Schwächeren in unserer Gesellschaft ausgrenzt werden: Sprachbehinderte, Migranten und bildungsferne Schichten. Ist das christlich, sich auf die Seite derjenigen zu stellen, die am lautesten schreien?

Die Kirche, auch die protestantische, ist zu einer Institution geworden, die sich dem Zeitgeist nur allzu willig unterwirft. Eitelkeit, Selbstgerechtigkeit, Borniertheit bestimmen den Diskurs, wenn er nicht gar ganz verweigert wird zugunsten der eigenen als „modern“ und „zeitgemäß“ ausgegebenen Meinung, die jedoch in Wirklichkeit nichts als eine unreflektierte Anpassung an den Zeitgeist ist. Der Genderstern liefert das neue Gottesbild – „Gott ist eine Frau, und sie tanzt“ –, soll den alten Mann mit dem Bart ersetzen – das eine so anthropomorph und infantil wie das andere. Der Regenbogen steht für die Queer-Bewegung, die mit vermehrter Radikalität den Diskurs in unserer Gesellschaft an sich reißt, und nicht mehr als Symbol für die Hoffnung nach der Katastrophe, als Symbol für die Liebe Gottes.

Wen soll eine solche Kirche noch trösten? Wo ist die Botschaft der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, wo Bescheidenheit, Demut? Wo Ideologen das Feld beherrschen, bleibt nicht mehr viel von der ursprünglichen Schönheit des christlichen Glaubens, der sich aus einer Jahrtausende alten Tradition speist, wenn diese vergessen wird zugunsten einer neuen säkularen „woken“ Religion, der man sich anpasst, geradezu anbiedert. Wenn Kirchen wieder – wie es bereits einmal war – verführbar werden für zerstörerische, spaltende Ideologien, die den Kern des Menschseins, die menschliche Würde beschädigen, haben sie den Bezug zu den Sorgen und Zweifeln der Menschen verloren.

Eine solche Kirche, wie ich und unzählige andere, die in den letzten Jahren ausgetreten sind, sie wahrnehmen, liefert keine Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit, hält keinen Trost bereit für die Trostsuchenden. Eine solche Kirche ist eine Kirche der Eitelkeiten, die sich im selbstgerechten Wirken ihrer Protagonisten äußern. Zu dieser Kirche sage ich Nein.

Auch dieses Jahr und das vorige haben sich wieder sehr viele Menschen abgewandt von der Kirche, auch und gerade von der Evangelischen Kirche, die nicht so wie die katholische Kirche an dem verheerenden Erbe des sexuellen Missbrauchs krankt. Man muss sich doch fragen, warum. Um Antworten auf diese Frage zu finden, muss die Kirche bei sich selbst anfangen, herabsteigen vom Stuhl der Selbstgerechtigkeit und moralischen Kleinkariertheit. Sie muss sich wieder um ihre Gläubigen kümmern, anstatt einer elitären genderideologischen Blase den Hof zu machen, für die Gerechtigkeit sich in typografischen Zeichen, in Äußerlichkeiten, anstatt in tätigem Handeln manifestiert.

„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“, heißt es im Johannes-Evangelium (1.Joh 4,6). Die Kirche folgt den falschen Göttern, wenn sie sich vor Genderaktivisten und queer-feministischen Ideologien verneigt. Verständnis haben für alle, die anders sind, sie akzeptieren, respektieren, tolerieren und in die Gemeinschaft aufnehmen ist eine selbstverständliche Pflicht des Christenmenschen, aber eine Kirche, die radikalen Ideologen nach dem Munde redet, nur, um mit dem Zeitgeist zu schwingen, anstatt sich auf ihre 2000 Jahre alten Traditionen zu besinnen, braucht die Gläubigen nicht mehr, sie hat sich einer neuen säkularen Religion verschrieben.

Dr. phil. Anne Meinberg

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 15. November 2022 um 11:49 und abgelegt unter Allgemein.