Pfr. Erich Schnepel, „Christus in uns“
Sonntag 4. April 2021 von Erich Schnepel
Es ist eine ungeheuerliche Aussage, dass Jesus Christus in denen wohnt und gegenwärtig ist, die ihn aufnahmen. Das gibt es niemals sonst, dass einer im anderen wohnen und gegenwärtig sein kann. So tief können sich Menschen nie miteinander verbinden, und wenn sie sich noch so gut verstehen und noch so lieb haben. Das konnte auch Jesus nicht, als er auf Erden als unser Bruder unter uns lebte. Das vermag er erst, seitdem er der lebendige Herr wurde, der Geist ist wie Gott. Dies wurde er am Auferstehungsmorgen. In einem geheimnisvollen, schöpferischen Akt machte Gott ihn zu dem lebendigen Herrn. Niemand war Zeuge, als Gott dieses neue, einzigartige, höhere Leben Jesus Christus gab. Aber als der Lebendige konnte er sich vielen als der bezeugen, der bei ihnen ist und lebt. Das tut er durch die Jahrhunderte bis heute.
Gott hat Jesus nicht nur zum lebendigen Herrn gemacht, sondern zum verborgenen Herrscher der Welt und zum lebendigen Haupt seiner neuen Gemeinde. Damit er das sein konnte, stellte ihm Gott seinen Geist in der ganzen Fülle zur Verfügung. Die Fülle des Heiligen Geistes hat nur Jesus ganz allein. Aus dieser seiner Fülle gibt er uns jeweils, was wir benötigen. Das kann bald mehr, bald weniger sein, je nachdem unsere Lage und unser Dienst für Christus es erfordert.
Durch den Geist, den Gott ihm in so umfassender Weise zur Verfügung stellte, kann Jesus mit jedem in Verbindung treten, der sich ihm öffnet. Er kann mit ihm eine volle Lebensgemeinschaft eingehen. Er kann durch den Geist sich so tief im Innersten mit uns verbinden, dass er wirklich in uns gegenwärtig ist.
Darum ist Jesus das einzigartige Geschenk Gottes an uns. Er ist dann selbst in uns das neue Leben. So konnte Jesus sich mit niemand verbinden, als er auf der Erde war. Das kann er erst seit der Auferstehung und Pfingsten. Das ist es, was einen Menschen zu einem Kind Gottes macht, wenn Christus in einem Sünder Wohnung nimmt und fortan in ihm gegenwärtig ist. Weil Christus in ihm ist, heißt dieser Mensch ein Christ. Das bedeutet nicht, dass dieser Mensch besonders hohe menschliche Qualitäten hat. Vielmehr hat sich Christus seiner gerade deshalb erbarmt, weil er diese nicht besitzt und so bedürftig ist.
Christus selbst ist das neue Leben, das in diesem Menschen an die Arbeit geht, um etwas Neues in ihm zu gestalten. Davon hat er nichts verdient. Das ist ganz allein das Geschenk Jesu, der sich dieses Menschen annahm und nun in ihm gegenwärtig ist. Es ist eine schwere Last und Aufgabe, die Jesus sich damit auflädt. Wir können uns nur wundern, dass er es nicht leid wird, sich unser anzunehmen und in uns gegenwärtig zu sein.
»Der Leib ist tot wegen Sünde«. In ihm herrscht in  körperlicher und seelischer Hinsicht eine Todessituation. Wie es dazu kam, hat Paulus in Römer 5,12-14 erschütternd dargestellt. Die Ursache ist der Einbruch jener übermenschlichen, dämonischen Weltmacht ›Sünde‹. Nicht wegen einzelner Sünden, die wir tun, befindet sich unser Leib in dieser Todessituation. Diese einzelnen persönlichen Sünden sind vielmehr die Folge davon, dass jene Weltmacht ›Sünde‹ in die Menschheit einbrach und die unumschränkte Herrschaft über sie gewann. Dieser Vorgang und die Existenz dieser unheimlichen Macht gehören zu den Welträtseln, die kein Mensch zu lösen vermag.
Der Christ und der Nichtchrist stehen in gleicher Weise vor diesem unlösbaren Rätsel. Die Todessituation des Leibes wirkt sich nicht nur im körperlichen Gebiet aus, sondern auch im seelischen. Wir sind auf allen Lebensgebieten durch diese Todeslinien gefährdet. Das bleibt so, bis unser eigentlicher Mensch im sogenannten Tode von diesem Leib geschieden wird.
Für die Masse der Menschheit gibt es überhaupt keine andere Existenz als diese Todessituation. Das ist auf Schritt und Tritt eindeutig zu sehen. Nur wenn Christus in einem Menschen Wohnung machen darf, wird dieses Todesver-hängnis durchbrochen.
Jesus durchbricht mit seinem Geist diese Abhängigkeit. Nun befindet sich unser eigentlicher Mensch, unser Geist, nicht mehr in einer Geschichte des Todes, sondern des Lebens. »Der Geist aber ist Leben wegen Gerechtigkeit«. Es ist das Leben Jesu, das nun in unserem Geist lebt. Dieses Leben Jesu ist stärker als alles. Es setzt sich gegen alle Widerstände durch. Sonst würde das neue Leben nach kurzer Zeit von der alten Todessituation des Menschen überwältigt und ausgelöscht werden.
Es ist ein Wunder, wenn dieses Leben Jesu in einem Menschen Wohnung macht. Damit ändert sich seine ganze Lebenssituation. Aber es ist fast ein noch größeres Wunder, wenn dieses Leben sich durch Jahre und Jahrzehnte behauptet und allen zerstörenden Einflüssen zum Trotz bis zum Tod des Leibes bleibt und diesen sogar noch überdauert. Der Geist ist nicht mehr in den Sterbensprozess des Leibes verwickelt. Selbst in den Fällen, in denen ein Kind Gottes durch körperliche Erkrankung auch geistig in Mitleidenschaft gezogen ist, stirbt das neue Leben Jesu in ihm nicht. Es ist tief eindrücklich, dass in Menschen, die man nach dem üblichen Sprachgebrauch als geistig umnachtet bezeichnete, ihr eigentlicher Lebenszusammenhang mit Jesus in gewissen Situationen ganz überraschend sichtbar wurde. Sie hatten durch körperliche Defekte die Fähigkeit verloren, sich ihrer Umwelt im vollen Umfang mitzuteilen. Aber in der verborgenen Tiefe ihrer Persönlichkeit war das Leben Jesu weitergegangen.
In der Kriegsgefangenschaft mussten viele von uns einen Todesweg gehen, der sie an den Rand des Grabes brachte. Der Körper und die Seele wurden durch die Entbehrungen so geschwächt, dass sie ihre Funktion fast einstellten. Es war wirklich kein Leben mehr, sondern nur ein Vegetieren. Aber die, die mit Jesus Christus im Zusammenhang standen, erlebten etwas ganz Überraschendes. Ihr Leben mit Jesus Christus starb nicht. Es wurde im Gegenteil in einer geheimen Weise verstärkt. Der Christus, der in ihnen wohnte, verstärkte sein Leben in ihnen, wie es die Schwere der Situation erforderte. Ihr Leib war wirklich ein Todesleib, aber ihr Geist war klar und frisch, weil das Leben Jesu in ihnen gegenwärtig war. Das Leben des Geistes löschte mit den Funktionen des Leibes und der Seele nicht aus. Es war wirklich Leben.
Die gleiche Beobachtung hat man an Kindern Gottes gemacht, die Jahre und Jahrzehnte schwer krank waren und aus denen das Leben Jesu herausstrahlte. Gelähmte Kinder Gottes, die kaum ein Glied rühren konnten, haben mich aufs tiefste durch den Frieden erquickt, der von ihnen ausging. Sie brauchten kein Wort zu sagen. Sie konnten es oft auch gar nicht. Das Leben Jesu sprach unmit-telbar aus ihnen heraus. Der Leib war dem Tode verfallen, aber der Geist war Leben, weil Jesus in ihnen gegenwärtig war.
Das trifft nicht nur für außerordentliche Situationen zu. Das ist die Normalsituation eines jeden Kindes Gottes. Es ist eine große Sache, wenn sich das Leben Jesu in uns ungehemmt entfalten kann. Jedes Betrüben des Geistes bedeutet einen schmerzlichen Verlust und birgt ein Stück Todessituation in sich. Jesus ist unermüdlich am Werke, um in seinen Leuten sein Leben durchzusetzen. Es gibt nichts Eindrucksvolleres als eine Schar von Jüngern Jesu, in denen ihr Herr sein Werk lebendig in Gang hat. Solche Gemeinschaft seiner Leute ist wie eine Oase in der Wüste, in der man erfrischt und erquickt wird.
Quelle: Erich Schnepel, Gewissheit in Jesus Christus. Bibelstudien über den Römerbrief Kapitel 8. Neudruck Linz 2021
Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 4. April 2021 um 8:27 und abgelegt unter Predigten / Andachten.