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Karfreitagspredigt über Matth. 27,15–26: Jesus und Barabbas

Donnerstag 1. April 2021 von Prädikant Thomas Karker


Prädikant Thomas Karker

 . . . und da sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: „Welchen wollt ihr, dass ich euch losgehe? Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Messias?“ . . . Sie sprachen: „Barabbas.“ Pilatus sprach zu ihnen: „Was soll ich denn machen mit Jesus, von dem gesagt wird, es sei der Messias?“ Sie sprachen alle: „Lass ihn kreuzigen!“ . . . Da stehen sie einander gegenüber, die beiden Söhne des Vaters. Auf der einen Seite Barabbas, d. h. zu Deutsch: Sohn des Vaters. Von ihm erzählt die Bibel, dass er ein Mörder war, ein politischer Aufrührer, ein Zelot, einer, der gegen die bestehende Ordnung stand. Es war der Vertreter der Gewalt, des Umsturzes, der Revolution. Es war der Sohn des Vaters, der gezeichnet war mit dem Zeichen des Kain. Auf der anderen Seite steht Jesus, der einzigartige Sohn des Vaters. Er ist nicht der Vertreter der Macht, sondern der Zeuge der Liebe. Sein Ruf heißt nicht: Umsturz durch blutige Revolution, wie bei Barabbas. Sein Ruf heißt: Erneuerung des Menschen und dadurch Erneuerung der Welt.

Barabbas mordet – Jesus heilt.

Barabbas ist der Mann der Vergeltung – Jesus der Mann der Vergebung.

Barabbas sucht Gesinnungsgenossen – Jesus sucht die verlorenen Söhne und Töchter des Vaters.

So stehen sie einander gegenüber, die beiden Söhne des Vaters. Hier die Gewalt, dort die Liebe. Hier der Mörder, dort der Heiland. Und zwischen beiden steht ein hilfloser Mann, Vertreter der staatlichen Macht Roms, Pontius Pilatus. Und vor den Dreien steht das Volk der Erwählung. Israel steht vor seiner großen Stunde. Es steht vor einer folgenschweren Entscheidung:

Für Jesus gegen Barabbas – oder für Barabbas gegen Jesus.

Was für eine grauenvolle Frage: „Welchen wollt ihr von diesen zweien, welchen soll ich euch losgeben, Barabbas oder Jesus?“

Eine noch grauenvollere Entscheidung: „Weg mit diesem! Gib uns Barabbas frei!“

Am grauenvollsten, dass derselbe Vorgang in der Geschichte, der Völker sich immer wiederholt.

Wir können das alles nicht auf Distanz betrachten. Warum denn nicht? Die Entscheidung, die damals getroffen wurde, hat es mit uns allen zu tun.

Wir wollen doch einmal genauer nachfragen, was da alles im Richthaus passiert ist:

1. Was ist denn hier im Richthaus los?

2. Was ist denn hier im Himmel los?

3. Was ist denn hier bei Dir los?

1. Was ist denn hier im Richthaus los?

Lasst uns ins Richthaus gehen: Es ist Karfreitag Morgen etwa um sechs Uhr. Die ganze Nacht hindurch hat man den Herrn von einem Verhör zum andern geführt. Pilatus, von der Unschuld Jesu immer stärker überzeugt, erschöpft sich im inneren Kampf, wie er den Verklagten und wie er sich selbst aus dieser bösen Sache herausbringen könnte. Es ist ein Kampf zwischen Gewissen und Menschenfurcht. Da kommt ihm ein rettender Gedanke. Alljährlich zum Osterfest war es dem jüdischen Volke gestattet, als Bild der einstigen Ausführung seiner Väter aus dem Gefängnis Ägyptens und zur Erhöhung der allgemeinen Festfreude irgend einen schweren Verbrecher loszubitten. Pilatus hatte einen solchen im Kerker sitzen: Barabbas, ein wüster Gesell, ein Aufrührer, der beim Aufruhr auf frischer Tat des Mordes ergriffen worden war. Dieser neben Jesus gestellt – das ist die Lösung. Die Wahl des Volkes wird dann klar sein. Siegesgewiss schreitet der Landpfleger auf das Proscenium, seinen Bühnenboden der Richterbühne vor und bietet dem Volk die Wahl an: „Welchen wollt ihr, dass ich euch los gebe? Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei Christus?“ – Eine Weile wird es still in der überraschten Menge; sie stutzt, sie wankt. Aber die Obersten und Priester, laufen wie zischende Schlangen durch die Menge, um das wankende Volk einzunorden – dumpfes Gemurmel geht durch die Menge – wird sie den satanischen Stimmen folgen?

Unterdes tritt ein merkwürdiger Zwischenfall ein. Ein Bote erscheint atemlos vor dem Landpfleger; von seiner Gattin Claudia Procula kommt er, die ihm sagen lässt: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; ich habe heute viel erlitten im Traum von seinetwegen.“ Was macht Pilatus? Wird er auf die Stimme der Wahrheit hören, auf Träume hören? Liebe Gemeinde, es wäre nicht das erste Mal, dass jemand, der vor Gott nicht zittert, vor Träumen erschrickt und vor Geistern und Gespenstern erzittert. Und ist denn jeder Traum bloß ein Traum? Kann Gott nicht auch durch Träume zum Gewissen reden? Auch Pilatus – erbleicht; aber der arme Mann kann nicht mehr zurück. Er hat dem Volk das Los überlassen, und das Volk hat bereits das Los gezogen. Was für eine Volksabstimmung! Es wählt, man kann es fast nicht aussprechen: statt seines Erlösers den Mörder! Vergeblich ruft der Römer dazwischen: „Was soll ich denn mit Jesus machen?“ Sein Ruf wird übertönt von dem anderen: „Lass ihn kreuzigen!“ Abermals versucht er’s: „Was hat er denn Übels getan?“ Sie schrien aber noch mehr: „Lass ihn kreuzigen!“ Und es geschieht das Entsetzliche: Barabbas wird freigegeben, Jesus drangegeben!

Pilatus: ein besonderer Mann! Er war ein Mann, der auf der einen Seite Einsicht und Sinn für das Recht genug hatte, um Jesu Unschuld und der Juden Neid zu erkennen, der aber auch auf der andern Seite durch sein böses Gewissen und sein Haschen nach der Gunst der Juden schwach genug war, die Sache des Gerechten preis zu geben. Sechsmal spricht Pilatus gegen die Juden aus: Ich finde keine Schuld an ihm und bekräftigt es das letzte mal mit der Zeremonie des Händewaschens; fünfmal hält er ihnen vor: Er ist ja Christus euer König, zuletzt noch durch die Überschrift, die er nach Gottes Rat und zum Ärgernis der Juden ihm über das Kreuz setzte. Und wenn auch Pilatus selber nicht verstand, was er damit sagte, – Israel hätte es verstehen können.

Pilatus: ein besonderer Weg den er einschlug! Um die Unschuld von Jesus recht in’s Licht zu stellen, war die Zusammenstellung mit Barabbas nötig. Von Pilatus wurde sie ausgedacht, und, so schauerlich sie ist, gewiss in einer ganz guten Absicht. Drei zum Kreuzestod verurteilte Schächer scheinen damals beisammen gewesen zu sein, Barabbas aber der Ärgste unter ihnen, berüchtigt um seines Aufruhrs und Mordes willen. Mit dem Ärgsten stellt Pilatus Jesus zusammen. „Wen wollt ihr, dass ich euch losgebe,“ fragt er die Juden, „Barabbas oder Jesus, von welchem gesagt ist, er sei euer König?“ Doch wie kommt es zu der Volksabstimmung; „Barabbas!“ und „Kreuzige, kreuzige ihn!“? Haben sie nicht ein paar Tage vorher ganz anders gerufen: „Hosianna dem Sohne Davids . . .?“ Wie hat Pilatus sich getäuscht. Wie kommt es, dass sie sich so schnell für Barabbas entscheiden? Barabbas wollte mit seinem Aufruhr die Römer aus dem Land vertreiben und der Herr Jesus hatte gesprochen: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist. Das machte den Banditen dem Volk vielleicht lieb und wert, dagegen den Menschensohn verhasst. Darum, was Barabbas gehört, das soll Jesu widerfahren: kreuzige, kreuzige ihn, – was aber Jesu gehört, das soll dem Barabbas zuteil werden: lass ihn los.

Ich habe eine blühende Phantasie. Nun gehe ich durch die Straßen Jerusalems, nachdem Jesus am Kreuz hängt. Ich frage einige Leute, ob sie denn auch dabeigewesen sind vor dem Palast des Statthalters. Ich frage sie weiter, warum sie denn für Barabbas und gegen Jesus gestimmt haben. Da höre ich die nur allzu vertrauten Ausreden:

„Ich habe mir das gar nicht recht überlegt.“

„Es haben ja alle gebrüllt.“

„Eigentlich wollte ich gar nicht mitmachen, aber dann wurde ich einfach mitgerissen!“

In dem ganzen Bericht höre ich kein Wort, dass einer seine Stimme für Jesus erhoben hätte.

Gott hat den Menschen nicht als Massenartikel geschaffen, sondern als ein verantwortliches Geschöpf, als eine Persönlichkeit, die wählen und entscheiden kann. Gott hat uns die Gabe des Verstandes anvertraut. Wir können prüfen und dann wählen.

Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen,

dass man ein solch scharf Urteil hat gesprochen?

Was ist die Schuld, in was für Missetaten

bist du geraten?

2. Was ist denn hier im Himmel los?

Während dies auf der Erde geschah, – ahnten sie nicht, was im Himmel geschah. Konnte sie erahnen, dass dort auch eine Wahl, eine entscheidende Wahl stattfand? Die Gerechtigkeit saß auf dem Thron und wies hin auf die Sünder auf Erden, auf das gefallene Menschengeschlecht, ein Bild des Barabbas. Das hat sich gegen Gottes Majestät aufgelehnt und Sünde auf Sünde aufgehäuft, seit jenem Griff nach der verbotenen Frucht und dem ersten Mord an den Pforten des Paradieses. Schau, da trat die Barmherzigkeit dazwischen und bat: Lass diese los! und wies auf einen Anderen: den Heiligen, Unschuldigen, den reinsten der Himmelskinder; und dieser selbst, der eingeborne Sohn des Vaters, trat vor den Richterstuhl und bat – während ein Staunen durch den ganzen Himmel ging: Lass diese los! Ich lass mich binden und will bezahlen! Und Gott gab den Heiligen ans Kreuz und ließ die Sünder los. Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir würden in ihm die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Fürwahr, liebe Gemeinde, jenes gefährliche Sprichwort: „Volkes Stimme ist Gottes Stimme“ – hier ist es doch geheimnisvolle Wahrheit gewesen, und tiefer und geheimnisvoller ist es niemals wahr gewesen als hier. Wir stehen vor dem Geheimnis unsrer durch Christi Opfertod vermittelten Rechtfertigung vor Gott. Wir sind Barabbas, die losgelassen werden um Jesu willen, der gebunden und gekreuzigt wird.

Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe!

Der gute Hirte leidet für die Schafe;

Die Schuld bezahlt der Herre, der Gerechte,

Für seine Knechte!

Wer in der Leidens- und Todesgeschichte Jesu nur Menschen sieht, Kaiphas und Pilatus, Herodes und die Soldaten, die Priester und den Pöbel, der sieht zu wenig. Der sieht vordergründig und bleibt schließlich bei der Überzeugung stehen, dass Jesus ein gescheiterter Idealist oder Revolutionär ist.

Hier geht es aber um mehr als nur um menschliche Bosheit. Paulus drückt das so aus: „Gott hat Seines eigenen Sohnes nicht verschont . . .“

Hier handelt Gott, und durch die Fehlentscheidung des Menschen hindurch trifft Gott Seine Entscheidung. Im letzten Grunde ist es Gottes Wille, dass dieser seltsame Tausch sich vollzieht: der Mörder wird frei und der Unschuldige stirbt. Wenn wir diesen seltsamen Tausch verstanden haben, haben wir das Geheimnis des Leidens und Sterbens Jesu verstanden.

Lasst mich das an Barabbas noch einmal verdeutlichen. Ob der Mann das fassen konnte, als sich die Gefängnistore öffneten und er in die Freiheit gehen durfte? Ein anderer trug das Kreuz. Nun denke ich mir: Der Barabbas könnte am Nachmittag des Karfreitag zum Hügel Golgatha gegangen sein. Es war schon Ruhe dort eingekehrt. Die Toten hingen aber noch an den Kreuzen. Und nun betrachtet Barabbas die drei Kreuze. Den zur Rechten und den zur Linken – die kannte er. Aber den Mann in der Mitte? Dem Barabbas geht auf: Hier hängt einer, für den eigentlich ich dort hängen müsste. Hier starb Einer an meiner Statt. An einem Beispiel aus dem 3. Reich will ich dies nochmals veranschaulichen:

Maximilian Kolbe wird Ende Mai 1941 nach Auschwitz überführt, muss dort den Kies für die Krematoriumsmauer herankarren, Baumstämme schlagen, Leichen auf Schubkarren laden und zu den Verbrennungsöfen fahren. Im Sommer 1941 gelingt einem Häftling seines Blocks beim Ernteeinsatz offenbar die Flucht. Für ihn sollen zehn seiner Blockkameraden im „Todesbunker“ sterben – was bedeutete, durch Verhungern und Verdursten. Die zehn Todeskandidaten sucht sich der Lagerführer Karl Fritsch quälend langsam aus der erstarrten Menge heraus.

Einer von ihnen, der polnische Infanterist Franciszek Gajowniczek, stößt mitten in die Totenstille hinein einen fürchterlichen Schrei aus. Er weint um seine Frau und die beiden Kinder, die er nie wiedersehen wird. Da schiebt sich eine Gestalt durch die Reihen der Häftlinge, tritt vor den Lagerführer und beginnt in eindringlichen Worten mit ihm zu verhandeln. Es ist ein unerhörter Vorgang.

„Ich möchte anstelle eines dieser Menschen sterben“, sagt Pater Kolbe Zeitzeugenberichten zufolge zum Lagerführer. Der kann zunächst nur fassungslos erwidern: „Was will das Polenschwein?“ – „Ich bin katholischer Priester, ich möchte für den da sterben“, wiederholt Kolbe und deutet auf Gajowniczek. „Ich bin alt und allein, und er hat Frau und Kinder.“

Für die Augenzeugen ist es heute noch ein Rätsel, dass sich der Kommandant auf das Angebot des Priesters eingelassen hat. Kolbe geht mit den anderen in den „Todesbunker“. Am 14. August 1941 tötet der Lagerarzt mit einer Phenolspritze die vier Häftlinge, die zu dem Zeitpunkt noch leben – unter ihnen Maximilian Kolbe. (www.evangelisch.de)

Das ist das unbegreifliche Wunder der Liebe Gottes. Gott gibt uns nicht dahin in den Tod und in die Nacht, in das Gericht und in das Verderben – Gott gibt den Sohn dahin in die Nacht des Todes. Er lässt den Sohn sterben im Feuer Seines Gerichtes. Wir stehen gegen Gott. Gott aber entscheidet sich im Kreuze Jesu für uns. Er entscheidet sich für Mörder und Gottlose, für Durchschnittschristen und für erbärmliche Kreaturen.

Nun aber gilt es: Weil Gott im Kreuz sich für uns entschieden hat, darum sind auch wir gerufen zur Entscheidung für Ihn. Unter dem Kreuz werden wir aus der Masse der verlorenen Söhne und Töchter herausgerufen. Der Erste, der sich herausrufen ließ, ist der römische Hauptmann unter dem Kreuz gewesen, ein Heide, der bekannte: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“

Lasst uns heraustreten aus der großen Masse und unter dem Kreuz vor Gott und den Menschen wieder Einzelne werden.

Lasst uns unter dem Kreuz Menschen werden, die sich erlösen lassen von dem Zeichen des Kain; Menschen, die sich erlösen lassen zur Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott und zu einem Leben in der Liebe gegenüber dem anderen.

So war es also Gott, der Jesum in’s Gericht gab und Barabbas ihm gegenüber stellen ließ. Und wie Gott gerade auch in solchen Fällen deutlich zeigt, dass er die Haare zählet, so war es gewiss auch Gottes Fügung, dass dieser Mann gerade Barabbas heißen musste. Barabbas bedeutet: „Sohn des Vaters,“ und Barabbas war gewiss ein echter Sohn des Vaters Adam. Barabbas ist der böse Vaters Sohn, der gottlose Menschensohn, der dem vom Himmel gekommenen heiligen Menschensohn Jesu gegenüber gestellt wird.

Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt,

der Böse lebt, der wider Gott gehandelt;

der Mensch verdient den Tod und ist entgangen,

Gott wird gefangen.

3. Was ist denn hier bei Dir los?

Barabbas ist der Vertreter und Repräsentant aller Adamssöhne, aller sündigen Menschen von Adam und Kain an bis an’s Ende der Welt. Denn wie sein Vater Adam ein Aufrührer war gegen Gottes Gebot, so ist auch Barabbas ein Aufrührer, und wie der erste Vaterssohn, Kain, Adams Sünde bis zum Brudermord steigerte, so ist auch Barabbas ein Mörder. Aufruhr und Mordgeist aber ist der gerade Gegensatz von Glauben und von Liebe: Dieser Aufruhr und Mordgeist, dieser Unglaube und Ungehorsam, diese Lieblosigkeit und Gottesfeindschaft zieht von Adam an durch die ganze Welt, bald zart und fein, bald grob und stark und nagt am Glück und Frieden der Menschen.

Aber jetzt wirst auch Du vor die Wahl gestellt: Wie wählst Du? Fragst du: welche Wahl? Es ist auch hier dieselbe: Barabbas oder Jesus?

In uns allen lebt ein Doppelmensch. Einer mit Barabbaszügen, sich auflehnend gegen Gott und seinen heiligen Willen; ein Mensch der Sünde, ein heimlicher Aufrührer wider den Höchsten und ein heimlicher Mörder des Nächsten. Und daneben ein anderer Mensch mit göttlichen Zügen, der sich aus den Ketten der Sündenknechtschaft heraussehnt; ein Geistesmensch, der in Jesus Christus sein vollkommenes Urbild findet; von dem jener Kirchenvater sagt: „die Menschenseele ist von Natur eine Christin“ und Matthias Claudius gesagt hat: „in dir ein edler Sklave ist, dem du die Freiheit schuldig bist.“ Wer aber wüsste nicht von dem Kampf und Widerstreit zwischen diesen beiden Menschen, in welchen wir immer und immer wieder gestellt werden? Wehe, wo die Wahl ausfällt wie in Jerusalem! wo der edle Gefangene im Menschen gebunden und immer wieder gebunden und schließlich ganz gebunden wird, der nach Gott und zu Gott geschaffene Mensch misshandelt und getötet, – und dagegen der andere, Barabbas, der Mensch der Sünde, losgelassen zu allen Lüsten und Leidenschaften, losgelassen schließlich bis zum Trotz, und Hohn wider alles Heilige! Wehe, wo das Göttliche im Menschen preisgegeben und die Bestie im Menschen losgegeben wird!

Aber auch da, wo es in einem Menschen durch Gottes Gnade bereits zu einer andern, besseren Wahl gekommen ist: der alte Mensch zum Tode verurteilt und Christus lebendig im Herzen. Erinnert euch jene Szene in Jerusalem nicht auch an manche traurige Stunde eures Christenlebens? Was war es denn anderes bei Petrus, seinem Jünger, als er am Kohlenfeuer stand und verleugnete. Als: Petrus vor die Wahl gestellt wurde, und seine Antwort war: Barabbas im Herzen losgegeben und Jesus preisgegeben? Und du, weißt du nicht auch von Stunden und Zeiten, wo du mit deinem christlichen Gewissen in die Enge kamest, wo man dich drängte mit dem Strom zu schwimmen, und du wagtest nicht allein zu stehen mit deiner Überzeugung, und du verletztest dein Gewissen, und du verleugnetest deinen Herrn? Siehe, da wurde auch von dir Barabbas losgegeben und Jesus preigegeben. Oder du standest in schwerer Versuchung, im Kampf zwischen Geist und Fleisch, zwischen Gott und Welt, – und du wähltest das Gottwidrige, das Niedere, während dein neuer Mensch darunter seufzte. Siehe, da wurde wiederum Barabbas losgelassen und Christus gebunden. Oder deine Sache war gut und gerecht, aber du selbst warst nicht gut und deine Waffen waren nicht recht, – du wurdest hochmütig und lieblos, wo du erbarmend sein solltest, heftig und bitter, wo du geduldig bleiben solltest, um es nachher selbst mit tiefem Schmerz und Beschämung zu fühlen: wieder, wieder Barabbas losgelassen und Jesus im Herzen gegeißelt, gekreuzigt!

Bald kommt vielleicht die Stunde, wo Du in die Entscheidung gestellt wirst: Barrabas oder Jesus Christus wählen zu müssen, und Schlangenzungen auf dich eindringen. Dann denke an die Pilatusfrage: „Was soll ich denn mit Jesus machen?“ Wenn die Sünde euch lockt und winkt, sage Dir: Was soll ich denn mit Jesus machen?“ Dann hinweg mit Barabbas! meinen Jesus lass ich nicht!

Barabbas oder Jesus? Vergessen wir nicht, dass es eine Volkswahl war dort in Jerusalem.

Liebe Gemeinde, lasst mich noch kurz einen Finger auf Barabbas-Gestalten der Gegenwart legen, wie sie in jenem Gewande in den Staaten Europas an’s Licht treten und ihr dämonisches Antlitz uns zeigen? Ob sie sich Nihilismus nennen in Russland oder Atheismus in Frankreich, Sozialismus oder Materialismus, es ist überall dasselbe Barabbas-Gesicht mit dem Stempel des Antichristentums. Dies haben wir besonders im 3. Reich gesehen und auch heute erleben wir in unserem Land eine Abkehr von Christus ohne Gleichen: Welchen wollt ihr: Christus oder Barabbas?

Ja, es gibt Wahl- und Entscheidungszeiten auch in der Geschichte der Völker. Israels Wahl für Barabbas bedeutete, Barabbas losgelassen. Jesus hinweg und Barabbas los – das war das momentane Ende der Geschichte dieses Volks.

So können auch wir nur bitten: Herr rechne uns und unserem Volk diese Schuld nicht zu, dass wir Barabbas unter uns losgelassen haben.

Heiliger Herr und Heiland, in dieser ernsten Zeit mach uns treu, mach uns stark, mach uns mutig, einer Welt zum Trotz zu wählen und bei der Wahl zu bleiben: Hinweg mit Barabbas! – wir wollen dem Herrn Jesus dienen!

Prädikant Thomas Karker

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 1. April 2021 um 11:00 und abgelegt unter Allgemein, Predigten / Andachten.