Ein Bischof und der Primat der Selbstbestimmung
Dienstag 15. Dezember 2020 von Johann Hesse
Der wohl bekannteste Suizid des Alten Testament wird am Ende des ersten Samuelbuches berichtet. Um nicht lebend in die HĂ€nde der Philister zu fallen, ânahm Saul das Schwert und stĂŒrzte sich hineinâ (1 Sam 31,4). Saul hatte Hand an sich selbst gelegt, nachdem sein WaffentrĂ€ger die Suizidassistenz aus Furcht verweigert hatte. Noch bekannter ist das Ende des JĂŒngers, der Jesus verriet. MatthĂ€us berichtet ĂŒber Judas Iskariot: âUnd er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhĂ€ngte sichâ (Mt 27,5). Beide MĂ€nner wĂ€hlten den Ungehorsam und wandten sich von Gott ab; beide MĂ€nner suchten und fanden ein schreckliches Ende. Ihr warnendes Beispiel trug mit dazu bei, dass die christliche Ethik in den letzten zweitausend Jahren die Selbsttötung untersagte.
Mit dem Gebot: âDu sollst nicht mordenâ (2 Mose 20,13) schĂŒtzt Gott den Menschen auch vor sich selbst. Augustinus schlussfolgerte: âAuch wer sich selbst tötet, tötet einen Menschen.â Lebensanfang und Lebensende stehen in Gottes Hand, darum sagt der Psalmist: âMeine Zeit steht in deinen HĂ€ndenâ (Ps 31,16). Und weil Gott die Sterbestunde bestimmt, heiĂt es in Psalm 90: âDer du die Menschen lĂ€ssest sterben und sprichst: âKommt wieder, Menschenkinder!ââ (Ps 90,3). Adolf Schlatter (1852-1938) brachte die biblische Sicht zum Thema Selbsttötung so auf den Punkt: âMit dem Gott erfassenden Glauben steht die Vernichtung des eigenen Lebens immer im Streit; denn sie ist Verzicht auf Gottes Hilfe, Griff nach der schrankenlosen VerfĂŒgungsmacht ĂŒber uns selbst, Auflehnung gegen das uns beschiedene Losâ (Adolf Schlatter, Christliche Ethik, 5. Auflage, Stuttgart 1986, S. 391).
Wie stark die Ideologie der Selbstbestimmung die Kirchenleitung der Ev.-luth. Kirche Hannovers im Griff hat, tritt auf diesem Hintergrund deutlich zu Tage. Landesbischof Ralf Meister hatte im GesprĂ€ch mit der âNeuen OsnabrĂŒcker Zeitungâ (10.8.2020) gesagt: âDer Mensch hat ein Recht auf Selbsttötung, wobei ich hier Recht nicht juristisch meine, sondern theologisch als eine Möglichkeit verstehe.â Meister erklĂ€rte: âWenn mir Gott das Leben schenkt, hat er mir an dem Tag, ab dem ich ErdenbĂŒrger bin, auch die Berechtigung zur Gestaltung dieses Lebens gegeben.â
Meister schloss sich damit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes an, das am 26. Februar 2020 das in § 217 StGB geregelte Verbot der geschĂ€ftsmĂ€Ăigen Förderung der Selbsttötung gekippt hatte. Die Richter des zweiten Senats urteilten, dass âdas allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterbenâ umfasse. Dieses Recht schlieĂe âdie Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurĂŒckzugreifen.â Staat und Gesellschaft mĂŒssten diese Entscheidung des Einzelnen, seiner eigenen Existenz ein Ende zu setzen, als Akt autonomer Selbstbestimmung respektieren.
Anstatt sich der gemeinsamen Kritik der Deutschen Bischofskonferenz sowie der EKD anzuschlieĂen, verlieh Bischof Meister dem Karlsruher Urteil kirchliche Weihen. Der Zeitschrift âChrist und Weltâ sagte er, wenn ein Mensch sterben wolle und die UnterstĂŒtzung von Dritten wĂŒnsche, mĂŒsse das ernst genommen werden. Unter bestimmten Bedingungen könne der assistierte Suizid ein âAkt der Barmherzigkeitâ sein. Jesus hat allerdings im Gleichnis vom barmherzigen Samariter eindeutig festgelegt, was ein Akt der Barmherzigkeit ist. Der Samariter gab dem sterbenden Mann am StraĂenrand nicht den TodesstoĂ, sondern verband seine Wunden und sorgte auf eigene Kosten dafĂŒr, dass dieser ein Dach ĂŒber den Kopf, ein warmes Bett und fĂŒrsorgliche Pflege bekam. Diese Art von Barmherzigkeit reicht nicht den tödlichen Trank, sondern pflegt den alten und siechen Menschen bis zur von Gott gesetzten Todesstunde. Der frĂŒhere BundesprĂ€sident Horst Köhler hat vor 15 Jahren auf einer Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz gesagt, was Meister als Bischof seiner Kirche eigentlich hĂ€tte sagen mĂŒssen: âNicht durch die Hand eines anderen sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen.â Ein Bischof, der sich in entscheidenden Fragen wiederholt gegen das Wort Gottes gestellt und sich dem Primat der Selbstbestimmung unterworfen hat, ist fehl am Platz. Unsere Landeskirchen brauchen wieder Bischöfe, auf die dieses Maleachiwort zutrifft: âDenn des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, dass man aus seinem Munde Weisung suche, denn er ist ein Bote des Herrn Zebaothâ (Mal 2,7).
Johann Hesse
Quelle: Aufbruch â Informationen des Gemeindehilfsbundes (3/2020)
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Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 15. Dezember 2020 um 17:07 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Kirche, Medizinische Ethik, Theologie.