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Kurzfassung des Theologischen Gutachtens zum Gesprächspapier „Christen und Muslime“ der Evangelischen Landeskirche in Baden (2018)

Montag 25. Mai 2020 von Prof. Dr. Thomas Schirrmacher


Prof. Dr. Thomas Schirrmacher

Mein Ausgangspunkt ist das vom Vatikan, vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und von der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) 2011 verabschiedete und 2014 von allen Kirchen in Deutschland angenommene Papier zur Ethik der Mission „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“. Das Papier wurde von den drei Dialogabteilungen der drei globalen christlichen Körperschaften erarbeitet und betont, dass Mission zutiefst zum Wesen der Kirche gehört, während der Dialog mit Menschen anderer Religionen und Kulturen zugleich unverzichtbar ist. Dabei vertrauen Christen darauf, dass Gott sich selbst durch den Heiligen Geist Menschen offenbart und zu Menschen spricht, was wir nicht erzwingen können.

Für mich als Gutachter ist ein Dialog von Christen mit allen Menschen, auch mit muslimischen Mitbürgern, eine Selbstverständlichkeit, die viel zu wenig praktiziert wird. Wir haben als Christen nichts zu verheimlichen und müssen vor keinem Gespräch Angst haben. Unser Glaube wird – wie schon bei Jesus selbst – durch das Gespräch, den Dialog zwischen Menschen, vermittelt, nicht durch Demagogie oder Propaganda, nicht durch Zwang oder Schrecken, Bestechung oder Ausnutzung von Notlagen, Drohung oder staatliche Verordnungen. Wir können deswegen jedes Gespräch in „Sanftmut und Ehrerbietung“ (1Petr 3,15) führen. Die Wahrheit, die sich in Jesus Christus offenbart hat, gewinnt nicht, weil wir unangenehm eifern, uns als unfehlbar gebärden oder nicht zuhören können oder wollen, sondern weil wir im Gespräch mit Mitmenschen freundlich und ehrlich Zeugnis von diesem Jesus ablegen (der selbst die Wahrheit ist und durch seinen Geist die Wahrheit verstehen lässt) und zugleich gerne zuhören, sowohl welche Probleme, Fragen und Sorgen unsere Gesprächspartner bewegen als auch was sie glauben und was sie aus ihrer eigenen Sicht ausmacht und bewegt.

Nichts, was im Folgenden kritisch gesagt wird, soll und darf irgendwem als Argument dienen, seltener oder gar nicht oder auch unduldsamer, gar aggressiver mit Muslimen zu reden, sondern soll umgekehrt jedem Christen Mut machen, Muslime einzuladen und zu besuchen, auf Muslime zuzugehen und auch gemeinsame Begegnungen in größeren Gruppen zu unterstützen, und zwar gerade ganz unabhängig davon, ob man sich als Dialogexperte oder Islamkenner fühlt. Die wichtigste Voraussetzung für ein gelingendes Gespräch sind Andere liebende Menschen, die gerne helfen, gerne zuhören und gerne über ihre persönlichen Erfahrungen mit Gott und Kirche reden.

Das ist auch neben theologischen Anfragen und Anfragen an die Fairness des Argumentationsstils meine grundlegende Kritik: Anstatt dass das Gesprächspapier alle Mitglieder der eigenen Kirche zum Dialog durch praktische Erfahrungen, Beispiele und Ideen zum Dialog ermuntert oder erst einmal erfragt, aus welchen Gründen der Dialog oft nicht stattfindet, wird aus der politischen Debatte die Unterstellung übernommen, Grund für den fehlenden Dialog seien Islamophobie und Ängste. Sodann wird der Dialog mit der teilweise komplizierten Darstellung einer recht speziellen theologischen Position befrachtet, die zur Voraussetzung des Dialogs gemacht wird. Diese Forderung nach Spezialwissen schreckt aber eher vom Dialog ab. Zudem ist nicht erwiesen, dass man mit dieser Position tatsächlich dialogbereiter oder dialogfähiger ist als Vertreter anderer Sichtweisen.

Nur ein Beispiel: Lädt man Muslime zu sich nach Hause ein oder besucht ihre Familien, stellt man schnell fest, dass Gott und Familie ihre Lieblingsthemen sind. Es dürfte Christen nicht schwerfallen, darauf einzugehen. Das ist meist viel einfacher, als sich die meisten vorher denken. Doch warum wird das im Gesprächspapier nirgends gesagt? Umgekehrt fehlt auch der Hinweis, Muslime im Gespräch nicht für alles und jedes in der muslimischen Welt verantwortlich zu machen, sondern erst einmal zuzuhören, wie sie selbst die Lage sehen. Der praktische Ertrag des Gesprächspapiers für den Nichttheologen ist jedenfalls sehr dünn.

A.    Was erstaunlicherweise fehlt

Etlichen positiven Aspekten, die in der Langfassung dieses Gutachtens ausführlicher dargelegt sind, stehen folgende Punkte gegenüber, die bei einer Klärung des Verhältnisses der Kirche zu den Muslimen wichtig gewesen wären, aber erstaunlicherweise im Gesprächspapier völlig fehlen:

Folgende Themen fehlen im Gesprächspapier völlig oder fast völlig (Details dazu in der Langfassung)

  • Jeglicher praktische Ratgeberteil: Welche Arten von Dialog es gibt? Wie führt man sie durch und welche praktischen Erfahrungen hat man in Jahrzehnten gesammelt, wie Dialog am besten gelingt?
  • Die Argumente jedweder Gegenpositionen; Andersdenkende werden immer nur kurz in einem Halbsatz erwähnt.
  • Die Migration von Muslimen nach Deutschland, alles rund um das Thema Asyl – obwohl der gesellschaftlich-politische Dialog mit Muslimen das zentrale Thema ist.
  • Eine Differenzierung des Islam nach theologischen Richtungen bzw. islamische Sonderbewegungen wie den Aleviten oder Ahmadiyyas.
  • Eine Differenzierung der Muslime nach Herkunftskultur und Ländern.
  • Die Scharia.
  • Religiöser Terrorismus.
  • Der islamistische Extremismus.
  • Wie soll man damit umgehen, dass die DITIB, die im Dialog von muslimischer Seite zahlenmäßig führend ist, vom türkischen Staat gelenkt wird?
  • Die zunehmende Zahl von Taufen von ehemaligen Muslimen – auch in der badischen Kirche.
  • Eine Stellungnahme zu den EKD-Papieren rund um das Thema Islam, Religionsfreiheit und interreligiöser Dialog, die eine andere Position als das Gesprächspapier vertreten.
  • Irgendein Hinweis auf die lange, wechselhafte Geschichte zwischen Islam und Christentum.

Für folgende christliche Lehren findet sich bestenfalls das Wort, aber kein vollständiger Satz:

  • Die Versöhnung mit Gott.
  • Dass Werke und Taten nicht erretten.
  • Vergebung der Sünden.
  • Die Bedeutung des Kreuzestodes.
  • Das Abendmahl.
  • Die Frage nach dem Heil der Muslime.

B.    Fünf Kernthesen des „Gesprächspapiers“

Nun möchte ich fünf Kernthesen benennen und diskutieren, die ich im Gesprächspapier finde. Da die Kernpunkte des Gesprächspapiers nirgends systematisch dargestellt werden, sondern sich über das Schreiben verteilt finden, ist es nicht einfach, sie herauszukristallisieren, aber nur wenn man dies tut, kann man wirklich in eine Diskussion einsteigen. Wie sich zeigen wird, beurteile ich alle fünf Kernthesen als theologisch sehr problematisch. Die ausführlichen Textbelege für die einzelnen Thesen finden sich in der Langfassung dieses Gutachtens.

Die fünf von mir aus dem Gesprächspapier herausdestillierten problematischen Kernthesen

  1. Kernthese: Die liturgische Beteiligung von Muslimen an Gottesdiensten einschließlich des Vortragens von Koranversen ist das Normalste von der Welt.
  2. Kernthese: Der Islam kann auch Wahrheit enthalten, wenn er dem christlichen Glauben widerspricht.
  3. Kernthese: Man kann von der Ökumene zwischen Kirchen auf eine Gemeinsamkeit zwischen Christentum und Islam schließen.
  4. Kernthese: Man kann die Ergebnisse des Dialogs mit dem Judentum direkt auf den Dialog mit dem Islam übertragen, ohne die besondere Stellung des Judentums für das Christentum in Frage zu stellen.
  5. Kernthese: Wer die Sichtweise des Gesprächspapiers nicht teilt, verweigert automatisch den Dialog mit Muslimen.

1.      Problematische Kernthese: Die liturgische Beteiligung von Muslimen an Gottesdiensten einschließlich des Vortragens von Koranversen ist das Normalste von der Welt

Ich wähle diese Formulierung, weil eigentlich nirgends ausführliche Gründe für diese Sicht geliefert werden, sondern sie einfach durchgehend als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Nirgends wird dargestellt, welche Gründe Christen und Christinnen, Theologen und Theologinnen haben, für die das nicht so selbstverständlich ist. Ihre Existenz wird nur am Rande rein negativ erwähnt. (43)

Die Beteiligung von Muslimen an der Gottesdienstliturgie wird aus ihrer Anwesenheit und der Gastfreundschaft geschlossen. Doch müsste dieses Angebot dann nicht auch den Zeugen Jehovas – mit denen Christen doch mehr gemeinsam haben als mit Muslimen –, allen anwesenden säkularen Mitbürgern – mit denen Christen oft mehr Werte teilen – und allen anderen Gästen gelten?

Das Neue am Gesprächspapier ist also, dass es eine einschränkungslose Zulassung muslimischer Beteiligung an der Liturgie, auch im Hauptgottesdienst mit Abendmahl oder bei „Taufen vormals muslimischer Konvertiten“ (43!), als normal erklärt. Erstaunlich dabei ist, dass die Grenze einer gemeinsamen Gottesdienstfeier dort gezogen wird, wo der Eindruck einer „gemeinsamen Religion“ entsteht. (45) Aber darum geht es doch gerade!

2.      Problematische Kernthese: Der Islam kann auch Wahrheit enthalten, wenn er dem christlichen Glauben widerspricht

Wahrheit und Offenbarung finden sich laut Gesprächspapier im Islam auch dort, wo er den christlichen Glaubensüberzeugungen entgegensteht. Dies steht von Anfang an fest, etwa wenn es heißt, „dass die wahre Gotteserkenntnis des Islam nicht einfach nur dort gegeben ist, wo sie unseren Glaubensüberzeugungen entspricht, sondern sie kann gerade auch in dem bestehen, was uns fremd ist und unseren eigenen Glaubensüberzeugungen widerspricht“ (13).

Das Gesprächspapier listet zahlreiche Themen auf, bei denen sich Islam und Christentum widersprechen, etwa wer Jesus Christus ist, ob Gott der Dreieine ist oder ob Gott sein Wesen offenbart hat oder nicht. Das Gesprächspapier lässt es aber offen, ob hier die widersprechende Sicht des Islam doch auch Wahrheit sein kann oder ob damit andere, eventuell weniger wichtige Themen gemeint sind. Das kann aber nur so verstanden werden, dass der Islam auch dann Wahrheit enthält, wenn er „die DNA“ des christlichen Glaubens radikal in Frage stellt. Nur woran soll man diese Wahrheit dann erkennen?

Es wird auch nirgends darauf hingewiesen, dass es zwei Paar Schuhe sind, ob ich Wahrheit im Islam als Religion und Lehrsystem an sich finde – so das letzte Zitat – oder bei konkreten Muslimen und Musliminnen. Dass das Gesprächspapier das aber vermischt, zeigt sich immer wieder. So heißt es nachvollziehbar im Schlusswort: „Der Gott der Bibel wirkt über die Grenzen unserer Heiligen Schriften hinaus; sein Geist weht, wo er will – und wir hören seinen Widerhall auch in der Glaubensgeschichte muslimischer Menschen.“ (61). Das aber ist doch etwas ganz Anderes, als davon auszugehen, dass der Islam an sich – und zwar scheinbar aller Richtungen – die Wahrheit widerspiegelt.

3.      Problematische Kernthese: Man kann von der Ökumene zwischen Kirchen auf eine Gemeinsamkeit zwischen Christentum und Islam schließen

Das Gesprächspapier vertritt diese These immer wieder. „Das Ziel eines möglichen gemeinsamen Weges ist jedenfalls das gegenseitige Wertschätzen und Annehmen in einer – nun von der innerchristlichen Ökumene ins christlich-islamische Gespräch gewandten – ‚versöhnten Verschiedenheit‘ zur Ehre des einen Gottes und zum Wohl der ganzen Welt.“ (16)

Dass man von der wachsenden Ökumene unter Kirchen und Konfessionen auf die Notwendigkeit von gleichlaufenden Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam schließen kann, ist ein ungewöhnliches Argument, dass man gerne diskutiert hätte. Aber es erfolgt keine nähere Begründung. Es wird einfach nur mehrfach statuiert (z. B. 6, 13, 16). So erweckt das Gesprächspapier den Eindruck, als sei der Islam einfach eine weitere Variante der christlichen Konfessionen, die nun in den ökumenischen Reigen aufgenommen wird.

4.      Problematische Kernthese: Man kann die Ergebnisse des Dialogs mit dem Judentum direkt auf den Dialog mit dem Islam übertragen, ohne die besondere Stellung des Judentums für das Christentum in Frage zu stellen.

Es wird immer wieder betont, dass man zugleich vertreten kann, dass das Judentum für das Christentum einzigartig ist und dass die Übertragung der Ergebnisse auf den Dialog mit dem Islam möglich sei, so dass von der Beziehung zum Judentum her „Licht“ auf den Dialog mit Muslimen „fällt“ (4) und ein „vergleichbarer Prozess“ (8) mit dem Islam geschehen soll, wie er mit dem Judentum bereits geschehen ist. Auf einer Linie damit liegt, dass man die islamische bzw. koranische Ethik in Parallele zur Ethik der hebräischen Bibel setzt. (z. B. 5, 34-35). Eine solche Quasi-Gleichsetzung ist jedoch nicht möglich. Denn bei aller Betonung der Gebote in der Torah ist ihr Zentrum nicht der durch Tun Gerechte, sondern der Große Versöhnungstag und die Opfer im Tempel, in denen Gott von seiner Seite und auf seine Initiative hin die Ungerechtigkeit und Schuld des Volkes sühnt und vergibt. Dazu gibt es aber keine Entsprechung im Islam.

Wer Grundstrukturen des Verhältnisses von Christentum und Judentum auf das Verhältnis von Christentum und Islam überträgt, beendet natürlich die Einzigartigkeit des Judentums für das Christentum. Die Offenbarungsgeschichte war über Jahrtausende eine Jüdische. Jesus und die Apostel waren Juden. Es mag banal klingen: Aber das Christentum fußt nirgends auf dem nach ihm entstandenen Islam, sondern allein auf dem Judentum. Kein Apostel war Muslim, und der Islam umfasst keine Heilsgeschichte, die Christen als Teil ihrer Heilsgeschichte sehen.

5.      Problematische Kernthese: Wer die Sichtweise des Gesprächspapiers nicht teilt, verweigert automatisch den Dialog mit Muslimen.

Immer wieder wird behauptet, dass man sicher nur dann für Dialog ist, wenn man die Sichtweise des Gesprächspapiers teilt, und dass alle Andersdenkenden Gegner des Dialogs sind und ihn nicht praktizieren. So heißt es etwa: „Aus einer solch strikt exklusivistischen Position heraus könnte ein Dialog mit Musliminnen und Muslimen dann nur den einzigen Sinn haben, sie über den wahren Glauben zu belehren und sie zum Christentum zu führen“ (10).

Das ist ein theoretischer Schluss vom Schreibtisch aus. Das hat mit der Realität wenig zu tun. Auch wenn ich selbst kein Vertreter einer rein exklusivistischen Sicht bin, muss man doch sagen: Man kann mit dieser Sicht erstens den immer wieder angesprochenen gesellschaftlichen Dialog gut führen, zweitens einen theologischen Dialog führen, um sich besser kennen und verstehen zu lernen und um zuzuhören, und drittens diesen Dialog auf Gegenseitigkeit trotzdem missionarisch nutzen und sich ebenso vom anderen ‚missionieren‘ lassen. Hier wird ein Pappkamerad aufgebaut, statt die Position gestandener, andersdenkender Theologen und Theologinnen – auch in der badischen Kirche – darzustellen und ernstzunehmen.

Im Übrigen wurde der gesamte Dialog von Christen mit Muslimen während der Kirchengeschichte, so er denn stattfand, von Christen geführt, die missionarisch gesinnt waren. Und auch heute finden sich im christlich-islamischen Dialog weltweit am häufigsten Christen, die keinen Gegensatz zwischen Mission und Dialog sehen. Das gilt für Papst Franziskus ebenso wie etwa für die orthodoxen und die altorientalischen Kirchen oder die Weltweite Evangelische Allianz, die alle intensiv am Dialog beteiligt sind. Das eingangs erwähnte ökumenische Papier „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ (2011) macht das deutlich.

E.    Generelle Kritik zur Darstellung von Islam und Christentum[*]

1.      Vorbemerkung: Die Verschiedenheit der islamischen Positionen fehlt

Siehe Langfassung.

2.      Der Islam wird aus christlicher Sicht zurechtgemacht

Zurechtgemacht: Koran als Gottes Wort durch eine christliche Brille

Das Gesprächspapier steht in der Gefahr, sich den Islam ‚zurechtzumachen‘, statt die Dialogpartner so zu nehmen, wie sie sind. Ein typisches Beispiel zu Beginn: „Die Fokussierung auf die jeweiligen heiligen Schriften Bibel und Koran stellt einen ersten elementaren Zugang christlicherseits dar; mit der Einschränkung, dass die Sunna, vor allem die Überlieferungen zum Leben Mohammeds (Hadithe) nicht thematisiert werden. Dies kann und muss im theologischen Dialog erweitert werden.“ (15)

Das ist ein christlicher Zugang, wie er seit Jahrhunderten gewählt wurde, ja eigentlich sogar ein rein evangelischer, aber nicht unbedingt ein muslimischer Zugang zum Dialog. Für die islamische Theologie ist ein Koranverständnis ohne die nachfolgende Überlieferung vor allem zum Leben Mohammeds nicht denkbar und nicht existent.

Immer wieder will das Gesprächspapier erklären, was wirklich im Koran steht. Im Dialog zählt aber, was mein Gegenüber tatsächlich glaubt. Wir sollten zuhören, was unsere Gesprächspartner sagen und glauben und von dort aus argumentieren.

Was zum Koran gesagt wird ist:

  1. eine zutiefst christliche Sicht des Koran als ‚Wort Gottes‘;
  2. eine zutiefst christliche, ja im Grunde protestantische Sicht, dass das Heilige Buch den Ausschlag gibt und die Theologie sich immer wieder daran reformiert;
  3. eine uralte Vorgehensweise, die schon seit Beginn des Islam bei den mittelalterlichen Theologen üblich war;
  4. eine immer missionarisch genutzte Vorgehensweise – und genauso wird sie von Muslimen bis heute verstanden.

Wer den Dialog derart stark Wert auf Texte über Jesus oder die Barmherzigkeit oder andere typisch christliche Themen legt, wie das Papier, wird von Muslimen als missionarisch wahrgenommen. Er wird so verstanden, dass er seine christliche Sicht anhand des Korans belegen will.

Das wäre ja nicht weiter problematisch, wenn man nicht genau das Andersdenkenden vorwerfen und für sich selbst verneinen würde.

Zurechtgemacht: Barmherzigkeit

Ein gutes Beispiel ist die Einordnung von Jesus und Mohammed als Zeichen der Barmherzigkeit (28): Einmal ganz abgesehen davon, dass die Begrifflichkeit, die mit demselben deutschen Wort „Barmherzigkeit“ übersetzt wird, in Christentum und Islam ganz unterschiedlich gefüllt ist, kenne ich kein nennenswertes islamisches Werk, dass Mohammed als „zeichenhafte Vergegenwärtigung der Barmherzigkeit Gottes“ in den Mittelpunkt stellt. Im Koran ist das „Zeichen“ Jesu, dass er Wunder und Zeichen tut, das Zeichen, dass für Mohammed steht und spricht, ist dagegen der Koran.

Bei diesem Thema lässt das Gesprächspapier Grundkenntnisse über die Entstehung des Korans vermissen. Vor allem wird die Sure 5,69 – fälschlich als späteste Sure bezeichnet – aus einem gegen Juden und Christen gerichteten Zusammenhang zu einer Sure umfunktioniert, die vermeintlich Christen das ewige Heil zuspricht.

Zurechtgemacht: Nähe Gottes

Die „Nähe Gottes“ im Islam wird aus einer typisch christlichen Sicht heraus definiert (26) und es wird so getan, als wenn beide Religionen unter der Nähe Gottes mehr oder weniger dasselbe verstehen.

Dass lässt den Umstand außer Acht, dass sich Gott im Mehrheitsislam gerade nicht selbst offenbart. Im christlichen Glauben kommt Gott in seiner Offenbarung den Menschen „nahe“ (Eph 2,13+17; vgl. Hebr 4,16). Gott spricht die Sprache der Menschen. Die Offenbarung Gottes drängt deswegen auf ihre Erfüllung in einer Weise, in der uns Gott von sich aus noch näher kommt: Gott wird in Christus Mensch und „wohnt unter uns“ (Joh 1,14; Mt 1,23). Deswegen hebt die Fleischwerdung Gottes in Jesus die schriftliche Offenbarung nicht auf, sondern erfüllt sie als das eigentliche Wort Gottes. Doch auch damit nicht genug! Gott will uns noch näher kommen, indem der Heilige Geist seit Pfingsten in den Gläubigen wohnt und ihnen die innere Kraft gibt, nach Gottes Willen zu leben (Röm 8,3–4). Näher kann uns Gott nicht kommen!

Für einen Muslim ist es schon sehr schwer nachzuvollziehen, dass die Bibel Menschenwort und Gotteswort zugleich ist. Noch schwerer für ihn nachzuvollziehen ist, dass in Jesus Christus Gott und Mensch zusammenkommen, denn das ist Götzendienst. Endgültig gesprengt wird die Vorstellungskraft eines Muslims jedoch bei dem Gedanken, dass Christen glauben, dass Gottes Geist als dritte Person des einen Gottes in den Gläubigen wohnt.

Zurechtgemacht: Gewalt

Ein christliches Zurechtmachen des Korans findet sich auch bei der Frage der Zulässigkeit von oder der Verpflichtung zur Gewalt. Sie wird mit dem Argument neutralisiert, es handele sich um Beschreibungen von historischen Situationen, nicht um universal gültige Gebote. (40) Das aber ist eine typisch christliche Unterscheidung, im Mehrheitsislam spielt nämlich das verbindliche Vorbild Mohammeds eine entscheidende Rolle und seine Lebensgeschichte wird gerade nicht als rein historischer Bericht betrachtet.

Interessanterweise schließt das Gesprächspapier andersdenkende Muslime de facto vom Dialog aus. „Eine Weggemeinschaft wird nur dort gelingen können, wo die Gewaltnarrative in ihrer historischen Bedingtheit eingehegt werden und das prinzipielle Friedensmotiv die Richtung bestimmt. Deutlich ist allerdings auch, dass der Koran selbst die so sehr an die Bibel erinnernden Gebotsreihen in Sure 9 dezidiert mit den Begriffen Gerechtigkeit, Rechtleitung und Barmherzigkeit verbindet. Eine Ethik im Sinne sozusagen einer ‚Rechtleitung zur Barmherzigkeit und Gerechtigkeit‘ wird eine willkommene Orientierung sein auf einem gemeinsamen Weg.“ (37, Hervorhebung hinzugefügt) Möglich wird das, weil man den Muslimen erklärt, wie sie den Koran in dieser Sache zu verstehen haben.

Christen aber suchen den Dialog mit allen Menschen und wollen gerade auch Menschen, die Gewalt für göttlich legitimiert halten, Jesus Christus als Friedensstifter nahebringen.

Zurechtgemacht: Der Dschihad

Auch der Dschihadbegriff wird christlich zurechtgemacht, aber dazu auch an den Haaren herbeigezogene Kritik am Christentum vollzogen, indem der Apostel Paulus mit seinen Worten, er habe den guten „Kampf“ gekämpft, als Beispiel für einen religiösen Begriff angeführt wird, der in „einer physisch-wehrhaften Auffassung einerseits und einer geistig-spirituellen Bedeutung andererseits“ (37) besteht. Paulus hat mit seiner Bekehrung aber gerade auch dem religiösen Extremismus, der Andersglaubenden tötet, abgeschworen.

Zurechtgemacht: Religionsfreiheit

Das Gesprächspapier zeichnet eine rein christliche Sicht des Menschenrechts auf Religionsfreiheit, wie es die Weltchristenheit in „Christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt“ (2011) festgeschrieben hat. Aber ist das auch eine islamische Sicht? Oder wir die Muslimen in den Mund gelegt?

Außerdem verschweigt das Gesprächspapier völlig, dass Religionsfreiheit auch den Atheismus und Religionen mit vielen Göttern schützt.

3.      Christliche Lehren werden zurechtgemacht

Umgekehrt finden sich auch viele Beispiele, wo christliche Lehren so zurechtgeschnitten werden, dass sie zum Islam passen, oder aber christliche Lehren, die mit dem Islam nicht vereinbar sind, wie die Vergebung der Schuld und die Versöhnung mit Gott, ganz ausgelassen werden.

Rechtfertigung aus Glauben

Die Rechtfertigung aus Glauben kommt an zwei Stellen vor. Sie wird aber in den Zusammenhang einer gemeinsamen Sicht zu Barmherzigkeit und Gerechtigkeit gestellt (5, 32). Dabei wird die islamische Sicht, dass am Ende die Taten zählen, das heißt ob die guten die bösen überwiegen, als zumindest für Christen inspirierend beschrieben. Fortan bleibt das so. Dass es evangelische Lehre ist, dass noch so viele gute Taten böse Taten nicht aufheben können, sondern sie der Vergebung und Versöhnung bedürfen, und am Ende niemand errettet würde, wenn Gott die Taten zählen würde, wird nirgends thematisiert oder der islamischen Sicht entgegengestellt.

4.      Christliche Lehren werden ausgeblendet.

Eng verknüpft mit dem Zurechtmachen von christlichen Lehren, so dass sie scheinbar eher zum Islam passen, ist das Ausblenden solcher Lehren, die nur schwer zurechtgemacht werden können oder die für das Christentum zentral sind, aber kaum eine oder gar keine Entsprechung im Islam haben. Einige Beispiele:

Werke und Taten erretten nicht.

Ein Mal wird im Gesprächspapier kurz die „Rechtfertigung des Sünders allein durch Gottes Gnade“ erwähnt, etwa 20 Mal dagegen die Errettung durch Taten im Islam. Die Errettung nicht aus Werken, sondern aufgrund dessen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat, ist ja nicht nur die evangelische Grundbotschaft schlechthin, sondern grundsätzlich auch Kern der katholischen und orthodoxen Theologie.

Die Bedeutung des Kreuzestodes, die Versöhnung mit Gott, die Vergebung der Sünden.

Jesus heißt dreimal „der Gekreuzigte“, einmal wird „Kreuzestod“ gesagt, jeweils ohne nähere Ausführung, alle anderen Verwendungen der Begriffe behandeln die islamische Theologie.

Wie aber will man den christlichen Glauben darstellen, wenn man in so einem umfangreichen Papier nichts dazu sagt, welche Bedeutung der Kreuzestod Jesu hat? Damit entfällt natürlich auch, dass die Vergebung der Sünden nicht durch unsere in Zukunft vermeintlich besseren Werke geschieht – als könnten wir die dauerhaft leisten –, sondern Gott uns unverdient mit sich selbst versöhnt. Das Zentrum des christlichen Glaubens wird wohl ausgeblendet, weil es die schwierigste Thematik zwischen Christentum und Islam ist?

Die Frage nach dem Heil der Muslime

Dass damit die ganze Frage nach dem Heil generell und dem Heil der Muslime einfach übergangen wird, wurde schon oben unter Punkt C.6. deutlich.

Der Sündenfall – in der Sicht von Genesis 3

Ein Beispiel dafür, dass das Gesprächspapier sehr wohl weiß, wie tiefgreifend selbst in Koran und Bibel gleichermaßen vorkommende Geschichten und Lehrinhalte doch zu tiefgreifenden Unterschieden gerade rund um das Verhältnis zu Gott führen, ist der Sündenfall.

Im Koran findet sich auch Adams Sündenfall. Aber Adam hat nur gegen sich selbst gesündigt, nicht gegen Gott, und beschließt nach seiner Einsicht kurzerhand in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Zweimal deutet das Gesprächspapier an, dass sich hier gewaltige Unterschiede auftun, ohne aber weiter zu fragen oder eine Hilfestellung zu geben, wie man damit im Gespräch umgeht: „Die kritische Sicht auf die menschliche Fehlbarkeit und Verstrickung in Sünde, auf die die biblischen Texte hinweisen, findet sich nicht in gleicher Schärfe in der koranischen Sicht des Menschen.“ (30) „Dagegen hat die christliche Anthropologie eine spannungsvolle Sicht auf den Menschen, die dem Menschen einerseits in der Gottesebenbildlichkeit und in seiner Bestimmung zur Statthalterschaft über die irdische Schöpfung eine einzigartige Würde zuspricht und andererseits eine Verkehrung der menschlichen Einsicht und Fehlbarkeit des menschlichen Strebens konstatiert, die der Mensch nicht aus eigener Kraft überwinden kann. Die Barmherzigkeit Gottes besteht nach biblischem Zeugnis darin, dass Gott seine Treue dem Sünder nicht entzieht, sondern auf Rettung aus ist.“ (31)

Das ist alles richtig, verliert sich jedoch in vagen Andeutungen. An dem Strick hätte man weiter ziehen müssen, statt die oben genannten Themen auszublenden.

C.    Zur Frage des Dialogs

1.      Das Gesprächspapier verquickt Kirche, Staat, Gesellschaft und theologischen Dialog

Das Gesprächspapier verquickt unevangelisch Kirche, Mission und theologischen Dialog einerseits und Staat, Gesellschaft und gesellschaftlichen Dialog andererseits.

Das aber sind zwei Paar Schuhe. Den gesellschaftlichen Dialog zum Aufbau einer demokratischen, freien, gerechten und friedlichen Gesellschaft führen Christen mit anderen Christen, mit allen religiösen Menschen, mit säkularen Mitbürgern und Atheisten, mit jedermann. Warum sollten die Muslime davon ausgenommen sein? Diesen Dialog kann und sollte die Kirche anstoßen und ermöglichen. Aber diesen Dialog können auch Christen als Bürger des Landes ohne die Kirchen führen. In ihm muss es auch nicht immer und automatisch um die Lehrunterschiede gehen, denn das Ziel ist ein friedliches Zusammenarbeiten zum Guten der Gesellschaft. Die Frage, inwieweit man beim Dialogpartner Wahrheit anerkennt, ist hier eigentlich nicht wichtig. Christen können und haben mit Atheisten zusammen Gesellschaften aufgebaut, auf die Frage dagegen, ob es Gott gibt oder nicht, gibt jede Seite nur eine – eindeutige – Antwort.

Ein theologischer Dialog dagegen nimmt bewusst die Besonderheiten des christlichen Glaubens und des jeweiligen Gesprächspartners in den Blick und will besonders Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Glaube und Weltanschauung in Kauf nehmen. Nur hier ist die Frage nach dem Wahrheitsverständnis eigentlich wirklich relevant. Und nur hier gibt es eigentlich eine Diskussion für und wider den Dialog, will aber heißen, für und wider eine bestimmte Sicht des Dialogs. Denn einen Dialog ohne Verzicht auf Wahrheitsansprüche hat es immer gegeben. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob Dialog nur dann Dialog ist, wenn die christliche Seite ihren Wahrheitsanspruch zurückfährt – der anderen Seite können Christen das ja schlecht vorschreiben, und die andere Seite hat meist auch keine diesbezügliche Tradition, auf die sie aufbauen könnte, wie das Christentum, dass immer schon die eigentlich Wahrheit in der Person Jesu Christi findet und immer schon wusste, dass wir die Wahrheit in Gänze erst erkennen, wenn wir ihm sichtbar begegnen und wir bis dahin wie in einen (antiken) Spiegel schauen (1Kor 13,12). Allerdings sei daran erinnert, dass Paulus mit diesem Bild nicht sagen will, dass er die Wahrheit oder Jesus Christus nicht erkennen kann, sondern nur, dass er sie nicht in ihrer ganzen Fülle erkennen kann. Und er lässt keinen Spielraum dafür, dass die Fülle kommt, wenn wir Jesus Christus begegnen – nicht irgendjemandem sonst.

In dem das Gesprächspapier aber diese beiden Aspekte nicht auseinanderhält und unter Dialog nur einen Dialog in seinem Sinne versteht, wirkt es so, als wenn alle Kritiker der theologischen Position des Gesprächspapiers überhaupt gegen Dialog sind und deswegen vermeintlich auch gegen einen gesellschaftlichen Dialog, überhaupt nicht mit Muslimen sprechen und mit ihnen als Mitbürgern in einer Demokratie nicht zum Guten zusammenarbeiten.

2.      Das Gesprächspapier vertritt eine kaum vertretene Position zum Dialog, ohne das an irgendeiner Stelle klar zu artikulieren.

Folglich findet auch keine ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen Dialog-Modellen statt. Das Bekenntnis zum „Inklusivismus auf Gegenseitigkeit“ als Gegenposition zum nicht näher definierten „Exklusivismus“ ist eher verwirrend als aufklärend. Es wäre wünschenswert gewesen, dass Sachverhalte für den nichttheologischen Leser klar beschrieben werden. Stattdessen werden Behauptungen aufgestellt und Schlagworte gebraucht, die dann aber nicht klar erklärt, definiert oder beschrieben werden. Diese mangelnde Klarheit findet sich auch beim Gebrauch des Wahrheitsbegriffes.

3.      Das Gesprächspapier setzt sich von Äußerungen und Positionen der EKD ab

Das Gesprächspapier wählt bewusst einen anderen Weg als andere Kirchen und als die EKD und andere evangelische Landeskirchen, ohne dies aber deutlich zu artikulieren, so dass dies eigentlich nur Insidern auffällt. So ist sie weitherziger als die Evangelisch-Lutherische Kirche in Württemberg, aber folgt der Rheinischen Kirche nicht darin, Mission und Konversionsabsicht gegenüber Muslimen grundsätzlich in Frage zu stellen. Deutlich ist auch die Abgrenzung von der EKD, etwa von der Position des 2018 veröffentlichten Positionspapiers der EKD zum christlich-islamischen Dialog (Hannover, 24.09.2018). In einer Fußnote wird ein EKD-Text als Beispiel für die exklusivistische Position angeführt.

All das ist das gute Recht der Evangelischen Kirche in Baden, nur wundert man sich, dass dieses Gespräch nirgends skizziert und argumentativ aufgegriffen wird, sondern der Eindruck entsteht, als sei die badische Position alternativlos. Die Texte der EKD sind natürlich kirchenrechtlich allesamt nicht verbindlich, dennoch hätte man sich gewünscht, mehr Gründe zu erfahren, warum man so deutlich anders vorgeht.

D.    Zur Argumentationsweise des Gesprächspapiers

1.      Oft wird aus einem Kann still und leise ein deutliches Muss

Mehrfach findet sich folgendes Schema:

  1. Kritiker behaupten etwas.
  2. Man kann es aber auch anders sehen.
  3. Daraus folgt: Man muss es anders sehen, die Kritiker liegen völlig falsch.

Etliche Beispiele dafür werden im Gutachten dargestellt.

2.      Eine unheilvolle psychologische und moralische Einordnung der Andersdenkenden ersetzt oft die Argumentation

In meinem Exemplar habe ich mir farbig angestrichen, wann immer das Gesprächspapier andersdenkende Christen erwähnt oder über Andere spricht – mit Ausnahme der Muslime. Überwiegend sind es nur einzelne Worte, Charakterisierungen, Schlagworte und Negativa. Zwei ausführliche Sätze am Stück über die beanstandeten Positionen finden sich nicht.

Liest man sich alle Sätze durch, mit denen die beschrieben werden, die anders als die Autoren des Gesprächspapiers denken, finden sich vor allem negative psychologische und charakterliche Beurteilungen und Einsortierungen. Das ist Psychologie statt Theologie, Verunglimpfung statt Argumente.

Irgendwie wird man bei der häufigen Erwähnung nicht das Empfinden los, dass das Papier alle anders denkenden Mitchristen als verunsichert, ängstlich, mutlos und islamophob, unwissend, ungebildet usw. ansieht und die Möglichkeit, dass man auch ohne solche Beschreibungen zu erfüllen anders denken kann, gar nicht erst zulässt.

Im Gutachten findet sich eine umfangreiche Auflistung negativer psychologischer und moralischer Einordnungen Andersdenkender.

3.      Andersdenkende Christen und ihre Sichtweise werden nur flüchtig erwähnt, nicht gediegen und fair dargestellt

Es gibt keine begründete Darstellung der Sicht andersdenkender Christen. Ihre Sicht wird nur gestreift und sofort verworfen. Ein typisches Beispiel: „Bei interreligiösen Feiern kann der Eindruck einer ‚gemeinsamen Religion‘ entstehen. Aus diesen Gründen wird dieses Modell in der theologischen und kirchlichen Diskussion meist kritisch gesehen. Seine Chance liegt darin, dass es den Willen der Beteiligten zur Gemeinschaft zum Ausdruck bringt und öffentlich darstellt“ (45, Hervorhebung hinzugefügt). Es wird also nur gestreift, dass es Gründe gibt, aber nicht gesagt welche, und dann gleich amtlich die eigene Position gutgeheißen. Irgendeine respektvolle Auseinandersetzung mit Argumenten anderer findet nicht statt.

4.      Es findet im Gesprächspapier kein Gespräch statt

Das Gesprächspapier wirbt für ein genaues Hinhören, ein wohlwollendes Verstehen. Das gilt aber offensichtlich nicht für die Mitchristen, gegen deren Sicht das Dokument gerichtet ist. Sie werden nicht gehört, verzerrt dargestellt, mit negativen und psychologisierenden Schlagworten belegt. Auf einen ihre Sicht einseitig und sehr verkürzt darstellenden Satz kommen jeweils mehrere Seiten ‚Gegendarstellung‘. So gewinnt man natürlich – zumindest vermeintlich – jede Diskussion.

Das Gesprächspapier gibt sich mehr Mühe, muslimische Mitbürger zu verstehen als andersdenkende Mitchristen in ihren eigenen Reihen.

Ist das dann noch ein „Gesprächspapier“, wenn die andere Seite gar nicht zu Wort kommt und das Ergebnis von vornherein überaus deutlich feststeht? Und ist im Anschluss an die Veröffentlichung ein echtes Gespräch (Dialog!) zu erwarten, bei dem wirklich auf die Argumente, die man bisher ausgelassen hat, trotzdem gehört wird?

Das Gesprächspapier hat auch eine enorm missionarische Komponente andersdenkenden Christen – auch und gerade in der eigenen Kirche – gegenüber.

Fazit

Das umfangreiche Gesprächspapier zu einer theologischen Wegbestimmung der Evangelischen Landeskirche in Baden versteht sich als wegweisend für den Dialog zwischen Muslimen und Christen. Doch bei genauem Hinsehen muss festgestellt werden, dass die im Papier vertreten Position sehr speziell und theoretisch ist. Dabei bleiben grundlegende Begriffe, wenn sie überhaupt fassbar sind, undifferenziert. Die Auseinandersetzung mit dem Islam wirkt einseitig und die Darstellung der Lehre von Islam und Christentum „zurechtgemacht“. Konkrete Hilfen für den Dialog innerhalb der Gemeinden fehlen ebenso wie die Klärung konkreter Dialogfragen – etwa der Frage nach dem Heil des Gläubigen.

Zugleich geht das Gesprächspapier nirgends auf die Argumente anderer Sichtweisen ein, sondern setzt die eigene Position absolut. Das schließt erhebliche Teile der Evangelischen Landeskirche in Baden vom Gespräch aus. So bleibt zu hoffen, dass das Gesprächspapier nochmals grundlegend überdacht wird, es zu einem ernsthaften Gespräch aller theologischen Richtungen in der Kirche kommt und all das dann auf die tatsächlichen Bedürfnisse in Sachen Dialog der Kirchengemeinden vor Ort zugeschnitten wird.

Prof. Dr. Thomas Schirrmacher

Aus: Evangelische Verantwortung – Magazin des Ev. Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK), Heft 3+4/2020, S. 6-12)

Gutachten Baden (Langfassung)

 

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Montag 25. Mai 2020 um 10:45 und abgelegt unter Allgemein, Kirche, Theologie, Weltreligionen.