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Liebe, Sexualität und ‚Sexuelle Vielfalt‘

Freitag 5. Oktober 2018 von Pfr. Gunther Geipel


Pfr. Gunther Geipel

Die Bewegung der „Sexuellen Vielfalt“ hat mehrere alte Wurzeln (etwa bei frühsozialistischen Denkern in Frankreich), wurde in Deutschland im Rahmen der 68er-Bewegung als „Sexuelle Revolution“ propagiert und ist inzwischen in eine allgemeine Forderung eingemündet: eben die der sexuellen Vielfalt. Auch wer das sehr kritisch sieht, sollte ein wichtiges Signal und Wahrheitsmoment darin nicht übersehen: Sexualität ist super! Sie ist ein tiefes Bedürfnis des Menschen und ein hohes Glück. Sie ist mehr als – wie für manchen der Fußball – die „schönste Nebensache der Welt“. Sie ist etwas Zentrales im menschlichen Leben. Und jeder weiß: ohne sie gäbe es ihn nicht. Zugleich aber hat die Sexualität noch mehr Funktionen als die Fortpflanzung. Sie deckt vier Bereiche ab:

  1. Identität 2. Lust 3. Beziehung  4. Fortpflanzung.

Und sie kann sogar ein Weg der Gottesbegegnung sein. In grausam pervertierter Form hat sich dieses Wissen in der Kultprostitution niedergeschlagen. Im positiven Sinne ist es in der Sicht der Ehe als Sakrament in der katholischen Kirche aufbewahrt. – Mit diesen fünf Segensbereichen birgt die Sexualität ein einzigartiges Potential an Leben, Glück und Zukunftsgestaltung in sich.

Und Sexualität ist nichts Schmutziges, wie die verschämte Aufklärungspraxis früherer Generationen nicht selten empfinden ließ! Unter dem Einfluss des Neuplatonismus (für den der Leib der niedere Teil des Menschen und das Gefängnis der Seele, Sexualität ein notweniges Übel war) kam es gerade in der  Kirche (und dabei wesentlich durch den Kirchenvater Augustin, dem wir auf anderen Gebieten sehr viel Gutes verdanken) zu einer langen Geschichte der Geringschätzung des menschlichen Leibes und der Lust bei der Sexualität.  Dabei sagt die Bibel nach der Erzählung über die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und nach dem Auftrag, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren: „Und siehe, es war sehr gut.“ – Gott gibt also auf den ganzen Menschen mit Leib, Seele und Geist und auch auf seine Sexualität „die glatte Eins“, das Prädikat „sehr gut“. Also nicht nur die „Drei“ und keinesfalls die „Sechs auf den Sex“!

Sexualität ist aber nicht nur eine supergute und saubere Gabe. Sie ist auch eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Sie ist ein „Feuer“, das gehütet sein will. Sie braucht Räume der Geborgenheit, sie setzt liebendes Vertrauen voraus. Und sie braucht Ordnungen und Regeln, ohne die menschliches Leben auf keinem Gebiet gelingen kann. Sonst kann Sexualität ein „wilder Brand“ werden, eine furchbare Katastrophe für den einzelnen Menschen, für ganze Familien und sogar für die Gesellschaft insgesamt. Sehr treffend wird die – auch sexuelle! – Liebe in dem wunderbaren „Hohelied Salomos“ im Alten Testament als „Flamme des Herrn“ bezeichnet. Ein großes Gottesgeschenk also, mit dem aber auch eine große Verantwortung verbunden ist!

Dass praktizierte Sexualität nicht der einzige Weg erfüllten Menschensein ist, muss jedoch ebenfalls betont werden. Nicht nur Kinder und sehr alte Menschen wären andernfalls vom vollen Menschsein ausgeschlossen, sondern z.B. auch solche, die bewusst ehelos leben. Und dass bewusster Verzicht um des Reiches Gottes willen (wie etwa bei Paulus) und die Sublimierung sexueller Energie ein Segensweg für die gesamte europäische Kultur war, kann kaum genug betont werden. Neben den fragwürdigen  neuplatonischen Einflüssen hat diese Lebensweise sehr positive Impulse für einen beherrschten Umgang mit der Sexualität gegeben. Wer heute also behauptet: „Wenn ich mich nicht sexuell ausleben kann, ist es kein Leben!“, der irrt. Ohne Selbstbeherrschung und sinnvollen Verzicht („Fasten“) ist gelingendes und erfülltes Leben auf dieser Erde gerade nicht möglich.

Auch sexuelle Vielfalt ist in einem gewissen Sinne „super, sauber…und sehr verantwortungsvoll“. Vielfältig darf nämlich das Liebesspiel sein, mit dem sich ein Ehepaar gegenseitig beschenkt. Verantwortungsvoll muss es dabei freilich immer zugehen: nichts darf geschehen, was den andern erniedrigt, überfordert, was ihm Gewalt antut oder ihn  nur „benutzt“.

Nun steht aber das „moderne“ Konzept der „Sexuelle Vielfalt“ im Raum – und auch in den schulischen Lehrplänen. Der Ausdruck „Sexuelle Vielfalt“ steht dabei m.E. auch für vieles, was mit gutem, sauberem und verantwortungsvollem Sex nichts mehr zu tun hat, wo das zerstörende „Feuer“ brennt.- Um eine begründete Meinung dazu zu gewinnen, ist es gut, mehrere Ebenen zu unterscheiden:

1.    Die deskriptive (beschreibende) Ebene

Die Sexualforschung beschreibt eine große Menge an vorfindlichen sexuellen Ausprägungen. Da sind zunächst die „sexuellen Orientierungen“ oder Interessen zu nennen, die entweder praktisch oder auch nur in der Phantasie ausgelebt werden: Heterosexualität, Bisexualität, Polysexualität, Pansexualität, Homosexualität. Bei manchen Menschen wird von Asexualität gesprochen, weil sie sich nirgendwo sexuell angezogen fühlen.

Von der sexuellen Orientierung zu unterscheiden ist die sexuelle Identität, also das Selbstverständnis und Selbsterleben als männlich, weiblich, nicht eindeutig als weiblich oder männlich festgelegt oder als geschlechtsneutral. Begriffe dafür sind Intersexualität und Transsexualität, Gender, Transgender und Transvestitismus. Dabei gibt es Menschen mit einem ausschließlich seelischen „Fremderleben“ und solche, bei denen massive biologische Ursachen vorliegen, z.B. weil die Geschlechtsorgane nicht eindeutig ausgebildet sind.

Allein schon aus diesen Beschreibungen ergeben sich so viele medizinische, psychologische, pädagogische, soziologische und juristische Fragen, dass wir viele davon jetzt nicht einmal streifen  können.  Und dazu kämen noch weitere Bereiche wie die Sprache oder philosophische Fragen wie der  Verantwortungs-, Toleranz- und Freiheitsbegriff. Wir werden also nur wenige Striche innerhalb eines riesigen Bildes zeichnen können.

2.    Die Ebene der Werte und Wertungen und der persönlichen Betroffenheit

Ganz grundsätzlich stellt sich zunächst die Frage nach den Grenzen einer ethisch verantwortbaren Vielfalt. Erfreulicherweise gibt es wenigstens in einem Punkt noch einen ziemlich breiten Konsens:  er besteht darin, dass Freiwilligkeit und Gleichberechtigung Kennzeichen einer ethisch verantwortbaren Sexualpraxis sind. Aber unterschwellig wird auch das in Frage gestellt. Die  „Grünen“ als die „jungen Wilden“ wollten vor einigen Jahren sogar ganz offen die Legalisierung der Pädophilie durchsetzen. Und wenn man nur vom Gefühlsdrang her entscheiden wollte, hätten in der Tat auch pädophil empfindende Menschen ein Recht auf ihre Art von Sex. Und sogar zur Nekrophilie (Sex mit Toten) und zum Sex mit Tieren fühlen sich Menschen hingezogen! Hier hört verantwortbare Vielfalt nun ganz offensichtlich auf! Stichworte wie „Polygamie“, „Schamlosigkeit“, „Sex-Sucht“, „Pornographie“, „Prostitution“, „Gruppensex“, „Fetischismus“ und „sexueller Masochismus“ verstärken den Bereich sexueller Erscheinungen, die auch heute noch viele Menschen nicht als gesund empfinden und  „wertneutral“ beurteilen können. Allein bei unserer Aufzählung merken wir also, dass eine wertfreie Akzeptanz grenzenloser sexueller Vielfalt keinesfalls der große Befreiungsschlag wäre, sondern eine tiefe Verletzung der Menschenwürde. Wir sehen, dass Sexuallehre nicht rein deskriptiv bleiben kann wie das Beschreiben geometrischer Figuren, sondern dass sich ethische Frage unmittelbar aufdrängen.

Und wenn man eben doch unterscheiden muss zwischen „gesund“ und „gestört“, dann fragt sich, woher man seine Kriterien dafür gewinnt. Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Internationale Klassifikation der Krankheiten (die noch aktuelle Ausgabe ist ICD-10) nennt jedenfalls unter Punkt 64 „Störungen der Geschlechtsidentität“ auch „Transsexualismus“ und „Transvestitismus unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen“. Also auch hier nicht einfach grenzenlose Vielfalt, sondern die Sorge um Menschen mit einem gestörten Empfinden. Ob ICD-11 das auch noch so sehen wird, bleibt freilich abzuwarten.

Die Frage der Werte und Wertungen ist also wichtig, kann jedoch kaum ohne Emotionen und aus dem ruhigen Abstand heraus angegangen werden, denn Sexualität ist eben ein Teil unseres eigenen Lebens. Und so gibt es Menschen, die mit Grauen an die Zeit der Heimlichkeit um ihre homosexuellen Empfindungen und den Schock und die Verzweiflung ihrer Familie beim „Coming out“ denken. Wenn dann Leute wie ich kommen und sagen, praktizierte Homosexualität sei Sünde, reißen  alte Wunden wieder auf und der innere Schmerz redet lauter als ethische Sachargumente. Dass ich in der Tat noch manches zur Heilung der Wunden und zu Wegen nach vorn zu sagen hätte, wird nur schwer gehört. Eltern, die zu ihren homosexuellen Kindern stehen, empfinden mich mit meiner scheinbar „altmodischen Ethik“ leicht als Störenfried. Und manche von ihnen sind aufgrund der Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern erst zu einer Neubewertung bestimmter Formen der Sexualität gelangt. Umgekehrt waren Freunde und Bekannte von mir entsetzt und geschockt, als in unserer Landeskirche praktizierte Homosexualität und Pfarrhaus plötzlich zusammenzupassen schienen. Hatten diese Freude doch selbst eine Änderung ihrer homosexuellen Neigungen und eine Abkehr von ihren teils sehr intensiven homosexuellen Praktiken erlebt! Und jetzt war ausgerechnet die Kirche die Wegführerin in die Not, aus der sie mit Jesus als Befreier glücklich entkommen waren.

Es ist viel innere Disziplin oder geradezu ein Wunder nötig, um die Argumente der Gegenseite  wirklich hören zu können und Werte und Wertungen nicht nur von der eigenen Betroffenheit her zu denken. So besteht also die Gefahr, sozusagen die Regeln  jeweils nach dem aktuellen Verlauf des Fußballspieles zu machen und Objektivität nicht einmal anzustreben.

Dabei ist es mir immer wichtig, nicht den Menschen abzulehnen. Denn erstens reduziert sich unser Menschsein nicht auf unsere Sexualität; zweitens erlebe ich Gottes Annahme mir gegenüber; und drittens ist die Würde des Menschen nicht nur vom Grundgesetz her unverrückbar festgeschrieben, sondern bereits vom „Herstellerhandbuch“ her, das Gott uns Menschen mitgegeben hat und aus dem die Väter des Grundgesetzes geschöpft haben. Und gerade aus Liebe zu jedem einzelnen Menschen und aus hohem Respekt vor seiner Würde lehne ich alles ab, was für den Menschen „unter seiner Würde“ ist.

3.    Die Ebene der Ursachenforschung und der Therapiemöglichkeiten

Kann man sich aber nicht einfach nach den Fakten der Forschung richten?- Nach wie vor besteht eine große Schwierigkeit darin, dass wir die genauen Ursachen für viele sexuelle Orientierungen und Identitäten nicht wirklich oder nur für bestimmte Einzelfälle oder Fallgruppen kennen. So tappt die Forschung etwa für das Phänomen der Transidentität immer noch weithin im Dunkel.

Auch bei der Homosexualität liegt vieles im Nebel. Viele Fakten deuten jedoch darauf hin, dass Homosexualität im Wesentlichen als entwicklungsbedingt und psychosozial gesteuert verstanden werden muss. Ein Ansatz ist z.B. die Vaterbeziehung. Und nachdem sich eine genetische Verursachung (das angebliche „Schwulen-Gen“ sollte sich im X-Chromosom Genort q28 finden) als Irrtum erwiesen hat, wird gegenwärtig an einer epigenetischen Erklärung geforscht. Epigenetik ist die Wissenschaft von der Aktivierung oder „Stummschaltung“ eins Gens. Es geht dabei um eine Interaktion von Umwelt und Anlage. Die Information eines „stummgeschalteten“ Gens kann von den Enzymen nicht mehr abgelesen werden. Es ist also nicht selbstverständlich, dass eine vorhandene Anlage im Erbgut auch ihre praktische „Einlage“ gibt und zur Wirkung kommt. Ein Gen kann aber auch leicht wieder aktiviert werden und damit an der Prägung des entsprechenden Lebewesens aktiv beteiligt sein. Häufig werden epigenetische Informationen bei der Vererbung gelöscht; sie können aber auch weitergeben werden. Zu den Einflüssen, die „Ein- oder Ausschaltwirkung“ an den Genen haben können, gehören z.B. die Ernährung und auch traumatische Erlebnisse. Epigenetische Veränderungen, die die sexuelle Prägung betreffen, vermutet man bereits im Mutterleib, in einer frühen Phase der Embryonalentwicklung. – Es ist gut denkbar, dass epigenetische, entwicklungsbedingte und psychosozialen Ursachen zusammenwirken und sich gegenseitig verstärken – oder auch abschwächen können.

Mein persönlicher subjektiver Eindruck ist zudem, dass für jegliche Sexualtherapie die neuere Gehirnforschung zu wenig genutzt wird. Weiß man doch inzwischen, dass auch starke Gefühle und Prägungen erlernbar sind und sich nach längerer Zeit im Gehirn „materialisieren“! Unsere „Neuroplastizität“ ist nicht nur eine gute Botschaft für das intellektuelle Lernen bis ins Alter, sondern auch für das Löschen alter und das Erlernen neuer Gefühle. So kann es von Haß und Bitterkeit zur Liebe…und auch von gestörten sexuellen Emotionen zu gesunden kommen. Sexualität ist nicht unwesentlich „Kopfsache“!

4.    Die anthropologisch-ethische Ebene

Mit alledem stellt sich aber erneut die Frage: was ist gesund, was gestört? Was sollte und was kann therapiert werden, was muss schlichtweg akzeptiert werden? Und wo wird durch den Versuch einer Therapie die Integrität und Gesundheit eines Menschen gerade erst verletzt? – Die „therapeutische Frage“, in der es um Sinnhaftigkeit und Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten der Heilung oder zumindest der Leidensdrucklinderung geht, kann allein durch medizinische und psychologische Mittel nicht gelöst werden.

Auf der anthropologischen Ebene geht es dabei um die Frage: Was ist der Mensch? Und was ist und was soll seine Sexualität? – Darauf haben wir in der Einleitung bereits einige Antworten gegeben. Unbedingt ergänzt werden müssten sie durch die beiden Kernaussagen aus der ersten Bibelstelle über den Menschen, die sich bereits im 1. Kapitel der Bibel findet: Der Mensch ist nicht weniger als Gottes Ebenbild! Und die Zweigeschlechtlichkeit gehört sozusagen zu seiner Grundbeschaffenheit und Grunddefinition. Und Gott schuf den Menschen seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.  1Mo 1,27  – Wenn die Bibel den Menschen als Ebenbild Gottes und seinen Leib als „Tempel des Heiligen Geistes“ sieht, wenn sie auf seine Sexualität „eine glatt Eins“ gibt, dann ist das zuallererst ein Grund zum Staunen, zur Freude, zur Dankbarkeit, aber auch Grund zu einer hohen Verantwortung.

Eine weitere Kernstelle steht im 2. Kapitel der Bibel: Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. 1Mo 2,24  Franz Delitzsch hat das treffend kommentiert: „Die Ehe ist ein Verhältnis, gegen welches selbst das Kindliche zurücktritt, ein Verhältnis, wie das Zu-einem-Fleisch-Werden besagt, innigster persönlicher, geistleiblicher Gemeinschaft, womit zugleich die Monogamie als die naturgemäße, gottgewollte Form dieses Verhältnisses bezeichnet ist.“

Dass wir eben in die Bibel geschaut haben, zeigt meine Ãœberzeugung, dass die Anthropologie keine „selbstgenugsame“ Wissenschaft ist, sondern Orientierungsquellen und Orientierungspunkte braucht. Auch für alle sexuellen Fragen und Probleme und für die Bewertung sexueller Vielfalt fragt es sich, wo unser „archimedischer Punkt“ liegt, von dem her wir denken und handeln, wo unsere Orientierungspunkte sind. Das Wunderbare: die hat uns unser Schöpfer mit dem „Herstellerhandbuch“ gegeben. Auch die konkreten ethischen Folgerungen aus diesem Menschenbild sind dort für uns aufgeschrieben. – Man kann sein Leben freilich auch anderswo orientieren, es als puren Zufall sehen,  als sinnlos betrachten und nach dem Slogan leben „Alles, was Spaß macht, ist o.k.!“. Nur läuft dann das wirkliche Glück ständig vor einem weg wie das Heu, das man einst dem Esel vors Maul gebunden hat.

5.    Die Steuerungsebene: Herstellerhandbuch, Liebe, Vernunft

Am Herstellerhandbuch Bibel orientieren heißt: die Würde jeden Menschen – auch des sexuell geschädigten, gestörten oder verirrten  – ist unantastbar; die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ist selbstverständlich. Dann ist aber auch Gottes Sexualordnung unantastbar! Und diese Sexualordnung ist durchaus klar erkennbar und wir sind nicht berechtigt, sie nach unseren Problemen umzubiegen. Leider wird gegenwärtig sogar die Hermeneutik, die Lehre vom Verstehen, dazu missbraucht, aus der Bibel das herauszuhören, was sie gerade nicht sagt, statt sie ihr eigenes Wort sagen zu lassen. Und kulturelle Relativierungen verfangen hier nicht, weil das Sexualitätsbild der Bibel über die Zeiten hin erstaunlich konstant ist. Das häufige Argument, verlässliche und partnerschaftliche homosexuelle Beziehungen hätte es in biblischen Zeiten noch gar nicht gegeben und Paulus rede deshalb von anderem als von heutigen Möglichkeiten,  ist schlichtweg historisch falsch.

Lassen wir also die Bibel ihr eigenes Wort sagen! Eins der ganz großen Hauptworte der  Bibel ist „Liebe“. Und wo Menschen in sexuellen Problemen seelsorgerliche Hilfe und Begleitung brauchen, in der es um Annahme, Orientierung, Vergebung, Befreiung und ggf. (in Überschneidung mit der therapeutischen Ebene) um Heilung geht, werden wir sie zu geben oder zu vermitteln suchen. Auch wo es um das „Tragen“ in Zeiten der inneren Kämpfe geht und um neue Vergebung geht, weichen wir nicht von der Seite dessen, der uns braucht. Wo er spezielle therapeutische Hilfe braucht, werden wir sie zu vermitteln versuchen. Und wir dürfen bei allem mit einem Gott rechnen, der Wunder tut. Ob das Wunder die innere Heilung und Befreiung oder die Ausstattung mit der Kraft ist, trotz innerer Wünsche enthaltsam zu leben, wird sich von Fall zu Fall zeigen. Mit dem Stichwort „Enthaltsamkeit“ stechen wir freilich in ein Wespennest. Aber Christsein bedeutete an verschiedenen Stellen immer auch Alternativkultur. Wir dürfen wieder lernen, dass dem Lebensstil der Enthaltsamkeit kein Makel anhaftet.

Zum engen Miteinander von Bibel und Liebe muss eine dritte Größe kommen: die Vernunft. Dank einer gesunden Vernunft werden wir z.B. einem „naturalistischer Kurzschluss“ oder „biologistischen Fehlschluss“ nicht aufsitzen nach der Devise „auch  im Tierreich gibt es das, also ist es richtig“. Der Mensch ist ein Wesen eigener Ordnung, ein kulturelles und nicht nur triebgesteuertes Wesen. Aber auch einem „kulturalistischen Trugschluss“ oder „normativistischen Fehlschluß“ werden wir nicht aufsitzen, wie es in der Genderbewegung geschieht, wo man meint, der Mensch könne sein Geschlecht frei und ohne Beachtung biologischer Vorgaben wählen. Die Geringschätzung des Leibes und der Leibvergessenheit kennen wir von Platon und von der Gnosis zur Genüge und werden die Wiederbelebung eines solchen Konzeptes nicht so besonders neu und toll finden. Sehr schön entfaltet die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz eine gesunde Sicht: „Gesunde Sexualität ist ein wichtiger Teil einer ganzheitlichen Liebes- und Lebensgemeinschaft. Sie ist Freude an der bereichernden Unterschiedenheit.  Zielführend ist ein „konstruktives Anderssein von Frau und Mann. Ziel ist der Rückgewinn einer als lebenswert erfahrenen Unterschiedenheit der Geschlechter in Eros, Freundschaft und Elternschaft. Gleichwertigkeit und Anderssein sollten nicht auf herkunftslose, leiblose ›Rollenkonstrukte‹ verkürzt werden. Die eigenverantwortliche Entfaltung der Vorgaben, gerade auch der Leiblichkeit und der kulturellen Herkunftsgeschichte, soll vielmehr das jeweilige ›Anderssein‹ zu einem ›Eigensein‹ und ›Miteinandersein‹ entwickeln.“

6.    Die politisch-ideologische und die mediale Ebene

Hier kommen wir auch zu einer „Steuerungsebene“: zu der nämlich, von der aus die Ideologie einer grenzenlosen und zumindest sehr weit gefächerten sexuellen Vielfalt gesteuert wird. Eine Wurzel des Rufes nach sexueller Vielfalt war natürlich die Not mancher Menschen mit ihrer Sexualität und die erfahrene gesellschaftliche Ausgrenzung. Eine Wurzel der Bewegung „Sexuelle Vielfalt“ ist aber schon seit Jahrzenten die politische Bewegung, die man gewöhnlich „Neue Linke“ benennt. Dort ist sexuelle Not und gesellschaftliches Unverständnis politisch instrumentalisiert worden, statt den Betroffenen zu helfen und die Gesellschaft zu mehr Verständnis und Barmherzigkeit zu rufen. Not wird für eine politisch-ideologische Schlacht missbraucht.

Und es gibt sogar destruktive Kräfte, die die Familie und die Identität der Persönlichkeit bewusst zerstören wollen, um zerstörte und haltlose Menschen leicht manipulierbar zu machen. Ich bin kein Freund von Verschwörungstheorien, an dieser Stelle aber sollte man tiefer blicken! Gabriele Kuby hat ihr Buch „Die globale sexuelle Revolution“ mit dem treffen Untertitel versehen „Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“.

Und die Medien? Sie können sehr hilfreich sein. Und ich halte die öffentlich-rechtlichen Medien gerade in Zeiten der sozialen Medien für sehr wichtig, wenn sie versuchen, seriös zu berichten. Sie können inzwischen aber auch – und nun sage ich es bewusst medial-überspitzt – „aus Nichts so ziemlich alles machen und so ziemlich alles zunichtemachen“. Viele der einflussreichsten Medien haben die Linie der Neuen Linken sehr unterstützt und z.B. das vermeintliche „Schwulen-Gen“ gefeiert, sachlich-kritische Töne zur praktizierten Homosexualität aber ständig als „homophob“ abgeschossen.

Eine politische Frage ist auch, wie die staatliche Schule mit der „Sexuellen Vielfalt“ umgehen kann und soll. Die Kirche ist eine Bekenntnisgemeinschaft und damit frei für ihre eigene Lehre, wobei ich hier als selbstverständlich voraussetzte, dass diese mit dem Grundgesetz übereinstimmt; ist doch das Grundgesetz selbst auf der Grundlage des biblischen Menschenbildes entstanden! Unser freiheitlich-demokratisches Staatswesen als Ganzes verdankt sich zwar ebenfalls wesentlichen Eckpfeilern der biblischen Lehre. Es muss gerade auf diesen Grundlagen aber Menschen aller Traditionen sinnvoll einbinden. Um es ganz kurz zu machen: Die Sächsischen Leitlinien zum Umgang mit unserem Thema in der Schule sind einerseits von einer erfreulichen Sensibilität für Kinder und Jugendliche aus verschiedenen sexuellen Milieus und Kulturkreisen geprägt. Die Klarheit eines Leitbildes könnte aber weit größer sein. Doch dieses große Fass können wir jetzt nicht aufmachen. Schauen wir vielmehr zum Schluss auf uns selbst:

7.    Die Ebene der kirchlichen Lehre und des gelebten Vorbildes

Im Grunde genommen hat die Kirche gar kein Wahl: Bibel, Liebesgebot und Vernunft sind ihre Steuerungsebene. Gesunde Lehre auf diesen Grundlagen wird helfen, gute (nicht perfekte!) Vorbilder im Rollenverhalten und gesunde Ehen zu fördern. Und gesunde Vorbilder prägen die nachfolgende Generation auf gesunde Weise. Dabei beginnt nach der Bibel wie nach der heutigen Forschung die Prägung bereits im Mutterleib…Und nach Jesus beginnt die Untreue bereits in den Gedanken.

Jugendliche sollten wieder erfahren und ermutig werden, das „Warten bis zur Ehe“ biblisch ist und eine gutes Training für das spätere Leben. Nach Genesis 2,24 können die drei Elemente nicht voneinander losgelöst möglich: Vater und Mutter verlassen: ein öffentlicher Schritt, ein Rechtsakt; an seiner Frau „kleben“,  wie es wörtlich heißt, die tiefe Herzensbeziehung; ein Fleisch werden,  die sexuelle Vereinigung – und die eben in diesem Schutzraum der Herzenstreue und der gesellschaftlich-rechtlichen Sicherheit.

Jetzt habe ich natürlich ganz am Schluss noch einmal ins Wespennest gestochen. Um der Liebe und der Wahrheit willen gerne! Zum Christsein gehört auch Widerstandskraft oder „Resilienz“, wie das heutige Modewort dafür heißt. – Und Offenheit für alles Gute, Saubere und Verantwortungsvolle!

Pfarrer Gunther Geipel

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 5. Oktober 2018 um 15:41 und abgelegt unter Allgemein, Ehe u. Familie, Sexualethik.