Familienpolitische Unwucht
Freitag 15. August 2014 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.
Wer soll die Interessen der Familie in den Europäischen Institutionen vertreten?
Die politische gewollte Steuerung von sozialen Werten und Normen durch die EU erfolgt heute offiziell durch die Umsetzung verschiedener Zuständigkeiten, zu denen sogar EU-weite Regelungen zum Schwangerschaftsschutz und Mutterschaftsurlaub gehören sollen. Dazu bekannten sich bis vor kurzem noch alle deutschen EU-Abgeordneten aller Fraktionen. Ob beabsichtigt oder nicht, die „Angleichung der Lebensverhältnisse“ betrifft heute auch die Ehe zwischen Mann und Frau, die darauf aufbauende Familie und die Elternrechte.
Dieser Steuerungsanspruch der EU gibt Anlass, auch in der kommenden Legislaturperiode 2014-2019 auf europäischer Entscheidungsebene eine Plattform für die Familie einzurichten. Zwischen 2009 und 2014 wurde diese Aufgabe von der interparlamentarischen Arbeitsgruppe „Familie, Kinderrechte, Solidarität zwischen den Generationen, aktives Altern und demographische Zukunft Europas“ unter der Leitung der slowakischen Europa-Abgeordneten Anna Záborská (EVP) wahrgenommen. Sie verfügte für ihr Engagement über die breite Unterstützung der christdemokratischen EVP (heute unter der Leitung des CSU-Politikers Manfred Weber) und der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR-Fraktion), sowie Teilen der Sozialdemokraten und der Liberalen.
Im EU-Parlament erfolgt die politische Willensbildung, wie in parlamentarischen Demokratien üblich, durch die Fraktionen und die parlamentarische Facharbeit in den 22 Fachausschüssen. Am Ende jeder Legislaturperiode entscheidet das „ausgehende Parlament“ über Anlage 6 seiner Geschäftsordnung. Darin werden die Zuständigkeiten der ständigen Ausschüsse festgeschrieben. Diese Liste gilt dann für das neue Parlament. Nach den EU-Wahlen stimmt das Straßburger Parlament zwar über die EU-Kommission ab, aber es darf selbst nicht mehr ohne weiteres über seine eigene innere Organisation entscheiden. Insgesamt 27 interfraktionellen Arbeitsgruppen ermöglichen über Fraktions- und Ausschussgrenzen hinweg den informellen Gedankenaustausch zu speziellen Themen zwischen Abgeordneten, Beamten und der Zivilgesellschaft. Sie sind keine Organe des EP und können auch nicht „im Namen der Institution“ sprechen. Aber sie stellen eine unabdingbare Plattform für den Meinungsbildungsprozess dar. Sie sind der offizielle Rahmen für die ständige Einflussnahme professioneller Interessenvertreter im EU-Parlament. So dient beispielsweise die Intergruppe „nachhaltige Jagd, Biodiversität, ländliche Aktivitäten und Wälder“ als Plattform der Jäger, Schloss- und Großgrundbesitzer. Unter dem Namen „Himmel und Weltall“ trifft sich die Rüstungsindustrie. Gewerkschaften, der öffentliche Dienst und die Weinbauern verfügen ebenso über ihr Sprachrohr wie die Anhänger des Jakobs-Pilgerwegs.
Zwei Intergruppen sind besonders am Themenfeld „Ehe und Familie“ interessiert. Die Intergruppe „Rechte der Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender“ ist das Sprachrohr von ILGA-Europa. Diese „Nichtregierungsorganisation“ wird von der EU mit 1 Mio Euro Steuergeldern jährlich gefördert und durch gemeinsame Aktionen politisch privilegiert. ILGA wird durch diejenigen Politikfelder legitimiert, mit denen die EU ganz offiziell soziale Werte und Normen steuert und dadurch auch Homosexualität und die Gender-Ideologie zu öffentlichen Themen erhebt und fördert. Zu diesen Legitimitätsgrundlagen zählen zuvörderst die „Bekämpfung von Diskriminierungen“ (KOM/2008/0420)aufgrund von „sexueller Orientierung“ oder des „Geschlechts“. Das EU-Parlament verabschiedete zu diesem besonderen Thema noch am Ende der vergangenen Legislaturperiode mit den Stimmen der Christdemokraten eine Entschließung (am 4. Februar 2014) zum EU-Fahrplan zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität (2013/2183(INI)). Zwar ist niemand – weder die EU selbst, noch ihre Mitgliedsstaaten – an diese Entschließung juristisch gebunden. Aber dieser Text beeinflusst die Wahrnehmung der politischen Aktivitäten, drückt die Prioritäten und Schwerpunktsetzung aus, und kann selbstverständlich von Lobbygruppen auf jeder Entscheidungsebene genutzt werden, um eigene Ansprüche zu legitimieren.
Kritische Aufmerksamkeit verdient auch das Vorhaben der EU-Abgeordneten Anna Maria Corazza Bildt (EVP), Ehefrau des schwedischen Außenministers Carl Bildt, eine „Intergruppe für Kinderrechte“ zu gründen und deren Sekretariat vom EU-Büro der UNICEF leiten zu lassen. Aus prozeduralen Gründen bedarf es hier keiner Intergruppe, denn die UNO und ihre Unterorganisationen verfügen über eigene diplomatische Kanäle. Deren EU-Direktor Philippe Cori betonte mehrfach bei Sitzungen im EU-Parlament, dass die Achtung der Elternrechte „nur ein Detail, aber keine Priorität“ der UNICEF seien. Die UNICEF ist maßgeblich an Sexualerziehungsprogrammen für Kinder und Jugendliche beteiligt, in enger Zusammenarbeit mit dem Internationalen Familienplanungsverband IPPF (Pro Familia). Frau Corazza Bildt stimmte für den Estrela-Bericht und den LGBT-Fahrplan.
Für die Interessen der Familie gab es im Rahmen der Zuständigkeiten der EU nur die genannte interfraktionelle Arbeitsgruppe „Familie, Kinderrechte, Solidarität zwischen den Generationen, aktives Altern und demographische Zukunft Europas“. Diese Intergruppe wurde als Gruppe „Familie und Kinderrechte“ 1999 gegründet, um die diesbezüglichen Zusammenfassungen der UNO-Gipfeltreffen in die Politikbereiche und EU-Zuständigkeit umzusetzen. Durch ihre dauerhafte Arbeit entwickelte sich diese interfraktionelle Arbeitsgruppe zu einer anerkannten Plattform für Mitglieder des EU-Parlaments, Vertretern der am EU-Entscheidungsprozess beteiligten Institutionen und Organen sowie Vertretern von Mütter-, Kinder- und Familienverbänden. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit standen die politischen und gesetzgeberischen Entscheidungen der EU im Bereich Arbeit und Soziales, Familienunternehmen, Mütterschutz, Kinderrechte, intergenerationelle Solidarität, aktives Altern, und ihre konkreten Auswirkungen für die Familien in Europa.
2014 begehen die EU-Mitgliedsstaaten und die internationale Staatengemeinschaft den 20. Jahrestag des internationalen Jahrs der Familie. Die Vereinten Nationen haben drei Themenschwerpunkte festgelegt:
– Kampf gegen Familienarmut und soziale Ausgrenzung;
– Förderung des Gleichgewichts zwischen Familie und Arbeit;
– Stärkung der Solidarität zwischen den Generationen.
Die beginnende 8. Legislaturperiode des EU-Parlaments steht im Zeichen der Umsetzung dieser Ziele in Politikbereichen mit EU-Zuständigkeit. Um das zu erreichen, arbeitete die interfraktionelle Arbeitsgruppe „Familie und Kinderrechte“ mit den Institutionen und Organen der EU, nationalen Parlamenten und interessierten Nichtregierungsorganisationen zusammen. Sie lud zu thematischen Diskussionen mit interessierten Gruppen, organisierte öffentliche Anhörungen, arbeitete an Entschließungen des EP mit und schlug Parteien unabhängige Lösungen zu dringenden politischen Fragen vor. Es wäre sehr zu wünschen, dass auch in der kommenden Legislaturperiode 2014-2019 die „Familien-Intergruppe“ als eigenständige Intergruppe unter der Leitung von Frau Záborská wieder eingerichtet und ihre Arbeit fortsetzen würde. Sonst gäbe es in Brüssel und Straßburg keine Plattform, auf der offiziell Interessen im Sinn des Wohls der Familien und damit des Gemeinwohls diskutiert würden. Und damit wären das EP und die Institutionen in Brüssel nur den Forderungen derjenigen Interessengruppen ausgeliefert, welche sowieso schon von der EU als deren Sprachrohr gefördert werden. Die Akzeptanz der Europäischen Institutionen in der Bevölkerung würde damit sicher nicht erhöht.
Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V., Brief aus Brüssel, 14.8.2014 (www.i-daf.org)
Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 15. August 2014 um 10:51 und abgelegt unter Allgemein.