Wo bleibt die Freiheit der anderen?
Dienstag 4. MĂ€rz 2014 von Prof. Dr. Christian Hillgruber

Es ist jedem freigestellt, wie er HomosexualitĂ€t bewertet. Ein PlĂ€doyer fĂŒr den Schutz einer neuen Minderheit
Es kommt nicht selten vor, dass Sieger sich nicht mir ihrem Sieg allein zufriedengeben, sondern die Besiegten auch noch demĂŒtigen wollen. Sie sollen nicht nur ihre Niederlage eingestehen, sondern auch bekennen, dass sie fĂŒr die falsche Sache gestritten haben und ihrem âIrrtumâ abschwören. So weit scheint es mittlerweile auch schon im Streit um die âNormalitĂ€tâ von HomosexualitĂ€t gekommen zu sein. Obwohl es sich um eine kleine Minderheit handelt, die in einer Demokratie eigentlich durchsetzungsschwach sein mĂŒsste, ist es der Gruppe der Homosexuellen in Deutschland, im westlichen Europa und in Nordamerika dank einer eindrucksvollen Lobbyarbeit gelungen, ihre Agenda voller Gleichberechtigung und Gleichstellung mit der heterosexuellen Mehrheit zu einer Agenda der Mehrheitsgesellschaft zu machen.
Der politische Erfolg ist durchschlagend und vollstĂ€ndig: Homosexuelle genieĂen hier volle Freiheit und Gleichheit, und wo es noch letzte RestbestĂ€nde von âdiskriminierenderâ Ungleichheit geben sollte, werden sie in kĂŒrzester Zeit mit oder ohne verfassungsgerichtliche Hilfe verschwinden. Auch der relativ rasche Umschwung in der öffentlichen Meinung könnte kaum deutlicher sein: HomosexualitĂ€t gilt im Westen lĂ€ngst den meisten als â ganz normalâ. Nur noch eine kleine Minderheit sieht dies anders.
Doch was als legitimer Kampf gegen Stigmatisierung und UnterdrĂŒckung sowie fĂŒr freie Entfaltung nach MaĂgabe selbstbestimmter sexueller Orientierung begann, zeigt mittlerweile unverhohlen selbst eklatant freiheitsfeindliche Tendenzen zu Lasten Dritter, die alarmieren mĂŒssen. Aus einem berechtigten Freiheitsanliegen droht der Versuch einer Umerziehung mit staatlichem Befehl und Zwang zu werden.
Es genĂŒgt der Lobby der Homosexuellen nĂ€mlich nicht, dass sie die Entfaltungsfreiheit fĂŒr ihre Klientel und die MeinungsfĂŒhrerschaft erstritten hat, sie will jetzt der Minderheit, die noch immer eine abweichende Meinung vertritt, die Freiheit nehmen, HomosexualitĂ€t weiterhin negativ zu bewerten und ihr Verhalten gegenĂŒber Dritten an dieser Bewertung zu orientieren. Schlimmer noch als diese Tatsache ist, dass Gerichte bereit sind, dieser unter der Fahne der âAntidiskriminierungâ gebieterisch vorgetragenen, freiheitswidrigen Forderung nachzugeben. So wurde beispielsweise in GroĂbritannien ein Hotelier, der aus religiösen GrĂŒnden einem verpartnerten schwulen Paar kein Zimmer mit Doppelbett vermieten wollte, wegen âDiskriminierungâ zu Schadensersatz verurteilt. Der dortige Supreme Court hielt das Verhalten des Hoteliers fĂŒr einen âAffront gegen die MenschenwĂŒrdeâ! Es wird Zeit, daran zu erinnern, dass auch andere Personen als Homosexuelle Freiheit und WĂŒrde haben und daher nicht gegen ihr religiös oder anders begrĂŒndetes Gewissen gezwungen werden dĂŒrfen, praktizierter HomosexualitĂ€t im Wortsinne wie im ĂŒbertragenen Sinne Raum zu geben. Diese Gewissensfreiheit ist auch nicht etwa nur auf das Forum Internum und die PrivatsphĂ€re beschrĂ€nkt. Sie umfasst vielmehr auch die Ă€uĂere Freiheit, das gesamte Verhalten an der eigenen moralischen oder religiösen Ăberzeugung auszurichten und dieser Ăberzeugung gemÀà in der Ăffentlichkeit zu handeln. Wenn es richtig ist, dass die Freiheit des einen da endet, wo die des anderen beginnt, kann niemand die Verwirklichung seiner Freiheit unter Inanspruchnahme einer dazu wegen ihres Gewissens nicht bereiten anderen Person begehren.
Wenn sich solche BeschrĂ€nkungen der gewissensgeleiteten Handlungsfreiheit wie die des Hoteliers im Westen durchsetzen sollten, dann dĂŒrfte hier bald auch die Meinungsfreiheit derjenigen, die homosexuelle Praxis fĂŒr unsittlich halten und dies, horribile dictu, auch noch auszusprechen wagen, in Gefahr sein. Der Angriff auf die Meinungsfreiheit wird dadurch vorbereitet, dass man all diejenigen, die HomosexualitĂ€t noch immer negativ bewerten, sĂ€mtlich als âhomophobâ bezeichnet, womit ihnen eine schlechthin irrationale âgruppenbezogene Menschenfeindlichkeitâ aus Angst attestiert werden soll. Es versteht sich dann schon fast von selbst, dass dafĂŒr keine Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werden darf. Doch genau diese Freiheit, auch in Sachen HomosexualitĂ€t eine von der ĂŒberwiegenden Meinung abweichende Ansicht Ă€uĂern zu dĂŒrfen, gilt es entschieden zu verteidigen. Denn Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.
Es ist das gute Recht Homosexueller, ihre HomosexualitĂ€t zu leben. Aber sie können nicht verlangen, dass auch alle anderen ihre Lebensweise fĂŒr ein gutes Leben halten und positiv bewerten oder sich andernfalls einer Bewertung gĂ€nzlich enthalten. Nein, sie mĂŒssen sich, wie jeder andere, auch gefallen lassen, dass ihr Lebensstil von anderen anders, auch negativ moralisch bewertet wird. Dies hindert sie ja nicht an ihrer FreiheitsausĂŒbung und tastet, sofern die negative Bewertung nicht den Charakter einer persönlichen Beleidigung annimmt, auch nicht ihre MenschenwĂŒrde an. Umgekehrt mĂŒssen es die Gegner der HomosexualitĂ€t hinnehmen, fĂŒr ihre Haltung – auch scharf – kritisiert zu werden. Das ist Teil des geistigen Meinungskampfes mit der wechselseitigen Zumutung kontrĂ€rer Ansichten.
Grundrechtsschutz, so heiĂt es allenthalben, ist Minderheitenschutz. Doch wer schutzbedĂŒrftige Minderheit ist, steht nicht ein fĂŒr alle Mal fest, sondern wandelt sich mit der Entwicklung einer Gesellschaft. In den westlichen Gesellschaften sind es mittlerweile schon weniger die Homosexuellen als vielmehr diejenigen, die HomosexualitĂ€t fĂŒr moralisch fragwĂŒrdig und homosexuelle Praxis fĂŒr anstöĂig halten, deren Freiheit, anders zu denken und in Ăbereinstimmung mit ihrer inneren Ăberzeugung zu leben, gefĂ€hrdet erscheint. Doch ihre Freiheit verdient nicht weniger Respekt und Schutz.
Professor Dr. Christian Hillgruber lehrt öffentliches Recht an der UniversitÀt Bonn.
Quelle: www.faz.net, online-Ausgabe vom 20.2.2014
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 4. MĂ€rz 2014 um 11:57 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Sexualethik.