Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Predigt über 2. Petrus 2,1-11: Gottes Gericht über die Irrlehrer

Dienstag 6. September 2022 von Pastor Dr. Stefan Felber


Pastor Dr. Stefan Felber

Liebe Gemeinde!

Was erwarten Sie von einem Prediger des christlichen Glaubens? Vermutlich sagen Sie: daß er das Evangelium predigt. Wenn wir aber hören, was für ein Vermächtnis der Apostel Petrus uns im folgenden Predigttext mitgibt, müssen wir die Antwort etwas weiter fassen. Die Aufgabe des Predigers ist es, das ganze apostolische Wort zu sagen. Das ganze apostolische Wort enthält aber nicht nur Evangelium, Frohbotschaft, sondern auch Gesetz und Gericht, Drohbotschaft – also die Stücke aus dem Wort Gottes, um die man lieber einen Bogen macht (zur Audio-Predigt, zur PDF-Version).

Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie losgekauft hat; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben. 2 Und viele werden ihnen folgen in ihren Ausschweifungen; um ihretwillen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden. 3 Und aus Habsucht werden sie euch mit erdichteten Worten zu gewinnen suchen. Das Urteil über sie wirkt seit langem, und ihr Verderben schläft nicht. 4 Denn Gott hat selbst die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis in die Hölle gestoßen und übergeben, damit sie zum Gericht aufbewahrt werden; 5 und hat die frühere Welt nicht verschont, sondern bewahrte mit Noah, dem Prediger der Gerechtigkeit, nur acht Menschen, als er die Sintflut über die Welt der Gottlosen brachte; 6 und hat die Städte Sodom und Gomorra in Schutt und Asche gelegt und zum Untergang verurteilt und damit ein Beispiel gesetzt für die Gottlosen in späteren Zeiten; 7 und hat den gerechten Lot errettet, dem die schändlichen Leute viel Leid antaten mit ihrem ausschweifenden Wandel. 8 Denn der Gerechte, der unter ihnen wohnte, mußte alles mit ansehen und anhören und seine gerechte Seele von Tag zu Tag quälen lassen durch ihre unrechten Werke. 9 Der Herr weiß die Frommen aus der Versuchung zu erretten, die Ungerechten aber aufzubewahren für den Tag des Gerichts, um sie zu strafen, 10 am meisten aber die, die nach dem Fleisch leben in unreiner Begierde und die Macht des Herrn verachten. Frech und eigensinnig schrecken sie nicht davor zurück, himmlische Mächte zu lästern, 11 wo doch nicht einmal die Engel, die größere Stärke und Macht haben, ein Urteil wegen Lästerung gegen sie vor den Herrn bringen. (2 Petrus 2,1-11)

Vergessen wir nicht: Unser Brief ist das Vermächtnis des Apostels Petrus vor seinem Dahinscheiden. Es ist todernst. Mehr noch: Es ist das Zeugnis eines Märtyrers. Ja überhaupt: Wir empfangen die Heilige Schrift zu einem großen Teil aus der Hand von Märtyrern, beim Neuen Testament ist es vermutlich insgesamt so! Und es ist ein Kennzeichen biblischer Weisheit, daß sie mit den Jahren nichts an Aktualität verliert, sondern immer brennender wird, bis zur Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus.

Vom zweiten Brief des Apostels Petrus haben wir in den Predigten vom Juli und August das erste Kapitel gehört. Darin haben wir von dem Wort gehört, das die Gemeinde trägt, das gewiß ist. Erinnern, Erleben und Erkennen, so habe ich zuletzt zusammengefaßt.

Heute kommen wir ins zweite Kapitel (es werden voraussichtlich für jedes Kapitel zwei Predigten). Es geht um das Wort, das die Gemeinde verführt.

Vers 1: Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer …

Die Gedanken des Petrus sind immer noch bei den Propheten des Alten Testaments, mit denen das erste Kapitel schloß. Hier ausnahmsweise ein Nebengedanke: Die alten Handschriften hatten keine Kapitelzahlen, keine Verszahlen, keine Zwischenüberschriften. Der erste Vers wird im Codex Sinaiticus ganz unten auf der Handschriftseite begonnen:

Codex Sinaiticus (4. Jahrh.), vergrößerter Ausschnitt: letzte Zeile = Beginn von 2.Petr 2,1

Die Gliederung mußte der Leser also schon selbst bilden! (Es dauerte fast 1000 Jahre nach der Abfassung, bis man begann, die Kapitel zu zählen, und nochmals 500 Jahre, bis die Verszahlen in die Bibeln gesetzt wurden.)

Zurück zum Hauptgedanken! Petrus ist immer noch bei den Propheten des Alten Testaments, von denen er sagte: Sie haben nicht aus eigenem Willen geweissagt, sondern getrieben vom Heiligen Geist. Sie gaben dem Volk Israel damals und der Gemeinde heute das tragende Wort! Und schon damals blieb Gottes Wort nicht ohne Widerspruch. Den wahren Propheten traten die falschen gegenüber. Dafür gibt es so viele Beispiele, daß ich eine lange Liste machen könnte. Ich greife nur ein markantes Ereignis heraus! Vielleicht haben Sie schon einmal das Buch des Propheten Jeremia gelesen. Er mußte weissagen, daß Israel bald ins Exil gehen würde, weil es sich in seiner Unmoral als unwürdig für das Land erwiesen hatte. Wir hören Jeremia 6:

10 »Ach, mit wem soll ich noch reden, und wem soll ich Zeugnis geben? Daß doch jemand hören wollte! Aber ihr Ohr ist unbeschnitten; sie können‘s nicht hören. Siehe, sie halten des Herrn Wort für Spott und wollen es nicht haben. 11 Darum bin ich von des Herrn Zorn so voll, daß ich ihn nicht zurückhalten kann.« So schütte ihn aus über die Kinder auf der Gasse und über die Schar der jungen Männer! Denn es sollen alle, Mann und Frau, Alte und Hochbetagte, gefangen weggeführt werden. 12 Ihre Häuser sollen den Fremden zuteil werden samt den Äckern und Frauen; denn ich will meine Hand ausstrecken, spricht der Herr, wider die Bewohner des Landes. 13 Denn sie gieren alle, Klein und Groß, nach unrechtem Gewinn, und Propheten und Priester gehen alle mit Lüge um 14 und heilen den Schaden meines Volks nur obenhin, indem sie sagen: »Friede! Friede!«, und ist doch nicht Friede.

Dann wurde Jeremia noch konkreter und sagte voraus, daß Israel für 70 Jahre ins Exil gehen müsse. Auch alle heiligen Geräte des Tempels würden nach Babel verschleppt werden (Kap. 25 und 27). Diesem Jeremia trat ein gewisser Hananja gegenüber, der äußerst publikumswirksam predigen konnte. Didaktisch geschickt machte sich Hananja ein hölzernes Joch und sagte in Gegenwart des ganzen Volkes voraus (Jer 28,11):

So spricht der Herr: Ebenso will ich zerbrechen das Joch Nebukadnezars, des Königs von Babel, ehe zwei Jahre um sind, und es vom Nacken aller Völker nehmen.

Nicht 70, sondern allenfalls zwei Jahre: Hananja hält die Krise für überschaubar. Alles nicht so schlimm!?! Doch es ist eine falsche Prophetie. Dreist wird der kostbare, heilige Name des Herrn in Anspruch genommen! Das ist der Konflikt der Dogmen, der Widerspruch der menschlichen Ansprüche, die mit dem göttlichen Namen kaschiert werden. Genau dies macht die Schärfe einer theologischen Debatte aus!

Hananja redete, was den Mächtigen gefiel. Und dem guten Jeremia fiel nichts mehr ein. Der gleiche Vers geht weiter:

Und der Prophet Jeremia ging seines Weges.

Doch Gott wacht über seinem Wort und spricht erneut zu Jeremia (Jer 28,13–17):

13 Geh hin und sage Hananja: So spricht der Herr: Du hast das hölzerne Joch zerbrochen, aber du hast nun ein eisernes Joch an seine Stelle gesetzt. 14 Denn so spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels: Ein eisernes Joch habe ich allen diesen Völkern auf den Nacken gelegt, daß sie untertan sein sollen Nebukadnezar, dem König von Babel, und ihm dienen, und auch die Tiere habe ich ihm gegeben. 15 Und der Prophet Jeremia sprach zum Propheten Hananja: Höre doch, Hananja! Der Herr hat dich nicht gesandt; aber du machst, daß dies Volk sich auf Lügen verläßt. 16 Darum spricht der Herr: Siehe, ich will dich vom Erdboden nehmen; dies Jahr sollst du sterben, denn du hast sie mit deiner Rede vom Herrn abgewendet. 17 Und der Prophet Hananja starb im selben Jahr im siebenten Monat.

Wer den Namen Gottes für die eigene Karriere mißbraucht, verfällt dem Gericht. Ein Volk, das gerne auf Lügenpropheten hört, verfällt ebenfalls dem Gericht. (Sollte es heute anders sein?!?) Darum wird, im Bilde gesprochen, aus dem hölzernen Joch der babylonischen Gefangenschaft ein eisernes, noch unbarmherzigeres Joch. Von hier aus verstehen wir, woran Petrus denkt, wenn er sagt:

Vers 1: Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die verderbliche Irrlehren einführen und verleugnen den Herrn, der sie  erkauft hat; die werden über sich selbst herbeiführen ein schnelles Verderben.

Den Hananja ereilte ein rasches Verderben. Petrus ist gewiß: Ein rasches Verderben, jedenfalls nach der göttlichen Zeitrechnung, wird auch die Irrlehrer unserer Gegenwart ereilen. „Wie werden sie so plötzlich zunichte“, tröstet sich Korach, der Beter des 73. Psalms!

18 Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund und stürzest sie zu Boden.  19 Wie werden sie so plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken.  20 Wie ein Traum verschmäht wird, wenn man erwacht, so verschmähst du, Herr, ihr Bild, wenn du dich erhebst.

Wir haben nun aus dem reichhaltigen ersten Vers die Gewißheit und die Schnelligkeit des Gerichts über die Irrlehrer gehört. Aber damit ist die Botschaft des Verses nicht erschöpft. Ich möchte noch zwei weitere Aspekte herausstreichen.

Der erste Aspekt: Petrus geht völlig unbekümmert davon aus, daß sich die alttestamentlichen Verhältnisse in der heutigen Gemeinde fortsetzen. Neben die Falschpropheten aus dem Alten Testament setzt er die Falschlehrer der Gegenwart. Und so zieht er dann noch weitere Beispiele von den ersten Blättern der Bibel heran! Ganz unbekümmert davon, daß ein paar 1000 Jahre dazwischenliegen! Für uns heutige muß es gern möglichst aktuell, zeitnah sein. Die Zeitungen der letzten Wochen sind längst im Altpapier. Dem Apostel aber war der zeitliche Abstand bei Gottes Wort egal, denn er wußte mit Paulus:

Röm 15,4: … was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben (vgl. Gal 2,4).

Was aktuell und gültig ist, wird also nicht vom zeitlichen Abstand her bestimmt, nach dem Motto: je neuer, desto besser. Das ist Fortschrittsreligion, die uns von unseren Wurzeln abschneidet!

Die biblische Nahrung hat kein Verfallsdatum wie die Schinkenpackung. Im Gegenteil: Je länger die Zeit voranschreitet, desto dringlicher wird die biblische Botschaft, weil das Gericht bevorsteht, in dem alles Verborgene ans Licht gebracht wird! (Röm 13,11f.!) Was gültig ist, entscheidet sich nicht am Alter, sondern an der Quelle: Was Menschen erdichten, veraltet und vergeht. (Das „Erdichten“ kommt in V. 3 nochmals.) Was Gott in seinem Wort geschrieben hat, ist ewig aktuell, ja wird immer aktueller! Im dritten Kapitel malt Petrus das noch besonders vor Augen.

Der zweite Aspekt ist, wie Petrus die Irrlehrer beschreibt. Es sind zwei Merkmale: Sie verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat. Offb 5,9f.:

9 und sie sangen ein neues Lied: Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist geschlachtet und hast mit deinem Blut Menschen für Gott erkauft aus allen Stämmen und Sprachen und Völkern und Nationen 10 und hast sie unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht, und sie werden herrschen auf Erden.

Das teure Blut Christi hat uns erkauft von Sünde, Tod und Teufel! Und gerade das Blut des Sohnes Gottes wird von den alten und neuen Irrlehrern (z.B. der liberalen Theologie) in seiner Kraft geleugnet, Gott und Mensch zu versöhnen. Behauptet wird in alter aufgeklärter Manier, Gott müsse sowieso gnädig sein, weil er ja alles geschaffen habe. Voltaire, der Spötter, schrieb: „Vergeben, das ist Gottes Beruf.“ Ja, Gott vergibt gerne jedem, der bereut. Doch so, wie Voltaire und andere Aufklärer das fassen, braucht es zur Versöhnung kein Kreuz. Gott vergibt doch sowieso (denken sie)! Daß Jesus nicht für unsere Sünden gestorben ist, sondern aufgrund eines Justizirrtums, und daß er nicht Gott ist (vgl. den Beginn unseres Petrusbriefes), diese Behauptungen sind ein untrügliches Kennzeichen von Irrlehre!

Dazu kommt noch ein zweites Kennzeichen, das auch für Augen offensichtlich ist, die theologisch nicht ausgebildet sind: Die Irrlehrer erlauben sich Ausschweifungen. Es kommt also nicht nur das Evangelium vom für uns gekreuzigten Gottessohn unter die Räder, sondern auch das Gesetz Gottes. Petrus nennt konkret neben den sexuellen Ausschweifungen die finanziellen, die Habsucht (V. 3). Seltsamerweise werden viele von diesen Ausschweifungen eben nicht abgeschreckt, sondern geradezu angezogen (wie von der Pornographie). Das Wohlstandsevangelium, d.h. das Erfolgsevangelium, ist durchaus erfolgreich.

1. Joh 4,5: Sie sind von der Welt; darum reden sie, wie die Welt redet, und die Welt hört sie.

Wie sich das Geschmeiß um die Pferdeäpfel sammelt – Millionen Fliegen können nicht irren ?!? –, so werden viele von Predigern angezogen, die eine Freiheit des Genießens und der Wellness propagieren, nach der sich viele sehnen. Ich habe das in meinem früheren Umfeld mehrfach erlebt. Da kommen junge Studenten an die Universität oder ans theologische Seminar, manche vielleicht aus intellektuell engen Verhältnissen. Und dann erleben sie einen Professor, der cool reden kann und überzeugend darlegt, daß Sex vor der Ehe nicht unbedingt ein Problem ist. Oder der meint, man könne gottgefällig schwul oder lesbisch leben. Einem unsicheren, harmoniebedürftigen Zeitgenossen gefällt das.

Doch was passiert hier? Gottes Liebe und Gottes Name werden hier zu einem leeren Mantelbegriff, der dann alles umgreifen muß, was man hineinsteckt. Der heilige Gottesname wird zu sündhaften Zwecken mißbraucht. Das dritte Gebot:

Gott wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

Also: Petrus bestimmt, was Irrlehre ist, vom Christusbekenntnis her und zusätzlich vom Leben derer, die sie vertreten. Kurz: Zeig deinen Jesus, zeig, was deine Lebensmitte ist, und die Bibel sagt dir, wie deine Zukunft ist!

Aber ich höre schon die Antwort der modernen Zeitgenossen: Hör doch auf! Wir haben genug davon, andere als Irrlehrer zu brandmarken! Willst du zurück ins Mittelalter, die Inquisition einführen und die Leute durch deine Glaubensprüfung schicken? Du spielst dich zum Richter auf! Du betreibst ein subtiles Framing, d.h. ein ganz hinterhältiges und trickreiches Einrahmen durch Sprache (wie die „Querdenker“ von den Staatsmedien in die rechte Ecke gestellt werden).

Ich gebe zurück: Nein, ich frame nicht, d.h. ich verwende keine hinterhältigen sprachlichen Tricks. Vor allem: Warum schiebt ihr es auf mich? Ich bin es doch nicht, der hier urteilt, sondern die Bibel selbst! Wir entnehmen dem Predigttext ganz eindeutige Kriterien. Und schließlich, das Argument, sich zum Richter aufzuspielen, ist gar nicht so postmodern. Es ist noch nicht mal modern! Es ist ururalt.

Erinnern wir uns an Luthers standhaftes Auftreten vor Kaiser und Reich in Worms am 18. April 1521 (501 Jahre – das sind nur etwa acht Menschenalter bis 2022!), wo er nach einem Tag Bedenkzeit die bekannten Worte sprach:

„Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift oder einsichtige Vernunftgründe widerlegt werde – denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich widersprochen haben –, bin ich durch die von mir angeführten Schriftworte bezwungen. Und solange mein Gewissen in Gottes Wort gefangen ist, kann und will ich nichts widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit bedroht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.“

Mit diesem Bekenntnis waren die problematischen Verhandlungen für Luther allerdings nicht zu Ende. Die Historiker (Kohls und Brecht) weisen darauf hin, daß die darauf folgenden Verhandlungen mit der reichsständigen Kommission am 24. und 25. April für Luther nochmals eine große, ja noch größere Versuchung darstellten. Luther wurden für einen Kompromiß völlige Rehabilitation und Schutz zugesagt. Der Kaiser würde sich auch beim Papst dafür einsetzen, daß das Gute von Luthers Schriften erhalten bliebe. Das Muster, das der Humanist und Verhandlungsführer Vehus dabei anwandte, war ein „gnädiges, brüderliches Erinnern“. Das klingt gut, war aber so gemeint, daß

„nur Luthers Verhalten, nicht aber die eigentlichen Sachfragen zur Erörterung kamen. Vehus behaftete Luther bei seiner Verantwortung für die Einheit der Kirche, die er nicht mit seinen Meinungen zerreißen dürfe.“[1]

Da will man die Einheit der Christenheit gegen die Bindung des Gewissens an die Wahrheit ausspielen. Johannes Pflaum schreibt dazu:

„Man wollte die Autorität der Schrift durch Gefühle und Empfindungen im zwischenmenschlichen Bereich relativieren. Brecht weist darauf hin, dass die beiden Verhandlungsführer Vehus und Peutinger sich völlig im Klaren darüber waren, Luther nur zu Konzessionen bewegen zu können, wenn er seinen Grundsatz der Schriftbindung aufgeben würde.“[2]

Auch heute erleben wir: Anstatt daß man die Sachfragen diskutiert, sagt man: So kann man ja nicht miteinander umgehen! Versteht mich nicht falsch: Jeder, auch ich, will ja höflich behandelt werden. Darum ist ein ermahnendes Wort zu einem milden Verhalten durchaus angebracht, wie wir es auch im Neuen Testament haben (z.B. 1. Petr 3,16). Wenn sich das Gespräch aber bei diesen Stilfragen erschöpft, stirbt die Theologie. Wenn die theologische Diskussion abgeschnitten wird mit dem Hinweis auf psychosoziale Bedürfnisse, oder weil sich andere beleidigt oder kritisiert fühlen (oder auch nur fühlen könnten!), stirbt die Theologie. Dann ergeht es den Theologen nicht anders als Winnetou: Weil es sein könnte, daß sich jemand beleidigt fühlt, werden Winnetou-Bücher Karl Mays vom Verlag zurückgezogen. Ich frage mich, ob damit die Debatte um kulturelle Identitäten nicht derart offensichtlich in ein so dümmliches Extrem gekippt ist, daß der Unwille in der Bevölkerung gegen den linken Journalismus nun überhand nehmen müßte. Wer will eigentlich sein Geld für solchen Journalismus ausgeben? Möge auch der RBB-Skandal um die Luxus-Anschaffungen von Frau Schlesinger viele zum Aufwachen bringen!

Ob sich theologische Literatur heute vielleicht deshalb so schlecht verkauft, weil man nicht mehr aus der Wohlfühlecke herausgerufen werden will? Das Harmoniegesäusel, die Sorge um die Einheit von Kirche und Gesellschaft läßt die Menschen die Wahrheit im Miteinander suchen, statt das Miteinander in der Wahrheit. Dazu braucht man aber keine dicken Bücher mehr, ja eigentlich braucht man dazu überhaupt keine Bücher mehr, schon gar keine Bibel. Petrus aber sagt uns: Wirkliche – d.h. geistliche – Einheit ist auf dem „Weg der Wahrheit“ (V. 2) zu suchen, nicht auf dem „Weg der Einheit“. (Vgl. mein Buch „Kein König außer dem Kaiser?“, erhältlich bei Astrid.)

Das Leugnen des Herrn, der sie erkauft hat, und das ausschweifende Leben, das also sind die Kennzeichen derer, die in die Gemeinde kommen werden.

Zweimal betont Petrus, daß Gott sich ihre Irrlehren nicht lange gefallen lassen wird (V. 1: „schnelles Verderben“, V. 3: „ihr Verderben schläft nicht“). Um das zu illustrieren, bringt er drei Beispiele aus der frühesten Geschichte der Menschheit. Sie sind chronologisch geordnet, alle aus dem 1. Buch Mose.

Das erste erzählt die unglaubliche Grenzüberschreitung, zu der sich einige Engel erdreistet haben.

Vers 4: Denn Gott hat selbst die Engel, die gesündigt haben, nicht verschont, sondern hat sie mit Ketten der Finsternis in die Hölle gestoßen und übergeben, damit sie für das Gericht festgehalten werden …

Wir wissen nicht sicher, ob Petrus hier an die Erzählung von 1. Mose 6,1–4 denkt oder an etwas anderes. Ich persönlich halte es für am wahrscheinlichsten, daß er dieses biblische Beispiel anführt (sog. „Gottessöhne“ nahmen sich willkürlich Menschentöchter), nicht ein außerbiblisches Beispiel. Vom „Engelsturz“ gibt es in vielen Kirchen dramatische Bilder – nicht aus Lust am Drama, sondern wegen des Trostes: Der Teufel und seine Helferengel sind überwunden! Halleluja!

Das zweite Beispiel spricht vom Ende der vorsintflutlichen Welt:

Vers 5: … und hat die frühere Welt nicht verschont, sondern bewahrte allein (wörtlich: als achten), Noah, den Prediger der Gerechtigkeit, als er die Sintflut über die Welt der Gottlosen brachte; …

Noch einmal ein „nicht verschont“! Das Gericht war unvermeidlich! Alle mußten in den Fluten sterben, lediglich mit acht Menschen machte Gott den Neuanfang.

Das dritte Beispiel: Sodom und Gomorra:

6 und hat die Städte Sodom und Gomorra zu Schutt und Asche gemacht und zum Untergang verurteilt und damit ein Beispiel gesetzt den Gottlosen, die hernach kommen würden; 7 und hat den gerechten Lot errettet, dem die schändlichen Leute viel Leid antaten mit ihrem ausschweifenden Leben.

Dreimal ein scharfes Gericht – weder die hohen Engel noch die große Zahl von Menschen vor der Sintflut, die ja noch so lange Lebensalter hatten (bis 10mal so lange wie wir heute leben) noch Sodom und Gomorrah – alles das macht für Petrus sonnenklar, daß Gott auch heute richten wird, sobald er die Zeit dafür gekommen sieht. Wenn es noch länger dauert, ist dies nach Kap. 3 allein der göttlichen Geduld und Gnade zu danken, die nicht blindlings, sondern höchst souverän und weise Gericht übt. „Die Geduld des Herrn achtet für eure Seligkeit.“

„Ein Beispiel gesetzt den Gottlosen“: Wer sind wir, daß wir diese Texte lieber verschweigen? Auch sie sollen erzählt und gepredigt werden! Keine falsche Scham!

Auffällig ist, daß die Zeitenwende durch Kreuz und Auferstehung Jesu daran offenbar nichts geändert hat. Bei Gott ist keine Veränderung des Wesens eingetreten. Gott war vor Kreuz und Auferstehung Christi ebenso heilig und barmherzig wie danach. Aber er war es nachher wie vorher kraft des Kreuzes Christi. Die gottversöhnende Kraft des Kreuzes geschah einmal in der Zeit, aber für alle Zeit. So ist das Kreuz die Mitte der Geschichte. Wenn die Apostel das Evangelium bezeugten, hatten sie es – trotz der Unterschiede hinsichtlich Tempel und Opferkult! – nicht nötig, sich kritisch vom Alten Testament abzusetzen. Wer das tut, bereitet nur dem Antisemitismus den Boden.

Ist das Kreuz auch die Mitte deines Lebens? Ich darf uns diese liebevolle Einladung Gottes aussprechen: Wird Christus und sein Kreuz auch die Mitte deines Leben, so bekommt alles Sinn. Deine graue Welt wird bunt und froh! Vor allem: Wenn du den Herrn Jesus Christus das Fundament deines Lebens werden läßt, gewinnst du die Ewigkeit. Und ganz nebenbei: Du wirst auch das Mitleiden mit den Verlorenen fühlen, das Petrus hier von Lot berichtet. Beim Stadtfest in Walsrode gingen an meiner Frau und mir unzählige Menschen vorüber. Es löst Retterliebe aus, aber beelendet auch zu sehen, bei wie vielen man schon äußerlich erkennen kann, daß innerlich etwas nicht stimmt.

Lot war von der Unmoral seiner Mitmenschen beelendet, aber mußte es ertragen (V. 7–8). Noah und Lot war offenbar gemeinsam, daß sie versuchten, ihren Mitmenschen die Warnung und die rettende Botschaft zu sagen – doch vergeblich.

An beiden wird die Wahrheit von V. 9 anschaulich:

Der Herr weiß die Frommen aus der Versuchung zu erretten, die Ungerechten aber festzuhalten für den Tag des Gerichts, um sie zu strafen, …

Das ist – für die, die den Herrn heilig halten in ihren Herzen (1. Petr 3,15) – der tröstlichste Vers in unserem Abschnitt. Zwar ist das Gericht unausweichlich, aber wenn Du den Herrn im Herzen trägst, kennt er dich und wird dich erretten von den Irrlehrern, die dich nur ausnehmen wollen, und von den Versuchungen geschickt gedrehter Worte (V. 3), die dich gefangennehmen wollen. Für die Ungerechten aber ist es ein grausiger Satz – sollte es zumindest sein. Wer hier nicht erschrickt, trägt die Fäulnis der Gottlosigkeit schon in sich!

Das „Festhalten für den Gerichtstag“ ist wieder ein Echo auf den Römerbrief des „lieben Bruders Paulus“. Der bekannte Professor Stefan W. Hockertz, bis 2021 Professor für Immunologie und Toxikologie in Hamburg, ist durch die Corona-Krise und die Verfolgung, die sich gegen seine kritische Forschung richtete, zum Glauben gekommen. Heute Nacht hat er auf seinem Telegram-Kanal einfach den Text von Röm 1,18ff. abgedruckt. Darin schreibt Paulus vom Dahingeben Gottes in Unvernunft für alle, die Gott nicht als Gott ehren. Hockertz kommentiert: Das ist ein Text, der aktueller ist als es die Bildzeitung je sein könnte. „Es ist erstaunlich, wie gut Paulus die jetzige Zeit beschreibt.“ Dieser Professor wußte bis zur Corona-Krise nichts vom Glauben. Jetzt, nachdem er durch seine Forschungen politisch in Ungnade gefallen ist, merkte er: Gottes Wort trägt, Gottes Wort ist unerwartet aktuell! Und zu Gottes Wort gehört auch die Botschaft vom Gericht. Was wäre das für eine trostlose Welt, in der Gott nicht am Ende sein gutes, vollkommenes Gesetz zur Geltung bringen würde! In der letzten factum-Ausgabe können Sie ähnliches von der Feministin Naomi Wolf lesen.

So erfüllt nicht nur das Evangelium, sondern auch das Gesetz, auch die Botschaft vom Gericht, seine Aufgabe, uns Menschen zur Buße zu führen. Wohl uns, wenn wir in Gottes Wort beides lieben: das Evangelium und das Gesetz.

Amen.

 

Nachtrag:

Das Wort, mit dem der Prophet Jona die Stadt Ninive zur Buße rief, war ebenfalls ein Gerichtswort: „Es sind noch 40 Tage, so wird Ninive untergehen“ (Jona 3,4).

 

Pastor Dr. Stefan Felber, Fallingbostel/Düshorn, Predigt aus 2. Petrus 2,1–11, Düshorn, 4.9.2022, 12. Sonntag nach Trinitatis

Links: zur Audio-Predigt, zur PDF-Version.

 

Hinweise zum Gottesdienst:

Eingangswort:  Ps 1,6; Psalm: 146.
Lieder aus „Jesus unsere Freude“:
210,1–3+5 Ich lobe dich von ganzer Seelen
83,1–3+6 O König aller Ehren
171,1–6 Herr, für dein Wort sei hoch gepreist
Zum Abendmahl: 195,1+5–6 / 2+7 Komm mein Herz
Lesung: Hes 13,1ff.

 

Fußnoten:

[1] Martin Brecht, zit. bei Pflaum, Johannes: Die falsch verstandene Freiheit, in: Pflaum, Johannes (Hg.): Das verschleuderte Erbe. Die Reformation und die Evangelikalen, Bielefeld 2017, S. 93–140, hier S. 98 (Hervorh. S.F.).

[2] AaO. S. 99.

Dieser Beitrag wurde erstellt am Dienstag 6. September 2022 um 16:42 und abgelegt unter Gemeinde, Kirche, Predigten / Andachten.