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Vater Staat oder Elternhaus: Wer soll die Kinder erziehen?

Mittwoch 9. April 2014 von Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.


Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e. V.

Elternhaus oder Vater Staat – wer hat das primäre Recht der Kindererziehung? Darum geht es letztlich, wenn Eltern gegen eine staatliche „Sexualerziehung“ protestieren, die in Grundschulen und sogar schon in Kindertagesstätten einsetzt. Dabei ist die Zuständigkeit nach der Verfassungsordnung eigentlich klar: Die Erziehung der Kinder ist nach Art. 6 GG das „natürliche Recht“ der Eltern und „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. „Ãœber ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“; wenn „die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“ dürfen die Behörden deshalb Eltern von ihren Kinder trennen (Art. 6 GG). Abgesehen von diesem „Wächteramt“ in Problemfällen hat der Staat keinen eigenständigen, von den Eltern abgelösten Erziehungsauftrag. Vielmehr ist es seine Aufgabe, die Eltern subsidiär so zu unterstützen, dass sie ihre Kinder zu einer „eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ erziehen können (1).

Dieser Erziehungsvorrang der Eltern ist Kritikern der „traditionellen“ Familie seit jeher suspekt. Bereits in den 1970er Jahren forderten „progressive“ politische Kräfte, das Elternrecht durch Kinderrechte zu ersetzen, da der (vermeintliche) „Elternabsolutismus“ Kinder einem Machtmissbrauch in der Familie ausliefere (2). Die „bürgerliche Kleinfamilie“ war für sie als „Mikrokosmos der autoritären Gesellschaft“ ein Hort patriarchalischer Unterdrückung nicht nur von Frauen, sondern auch der Kinder. Eltern hielten sie für unfähig, ihre Kinder zu „emanzipierten Persönlichkeiten“ zu erziehen, eine Aufgabe, die sie an professionelle Erzieher abgeben sollten (3). Im Familienleben sahen sie die Gefahr, dass ein „extrem hohes Maß sozialer Verflechtung innerhalb der Familie totalitäre Muster des Umgangs und eine starke Persönlichkeitsabsorption bewirkt“ (4). So formulierte es der 1975 veröffentlichte Zweite Familienbericht der Bundesregierung, der den „Privatismus“ der Familien“ überwinden wollte (5). Zu diesem Zweck forderten die Berichterstatter eine „funktionsbezogene“ Familienpolitik, die „prinzipiell frei“ sei zu entscheiden, „ob die Erfüllung bestimmter Funktionen bei der Familie selbst oder aber bei alternativen Institutionen besser gewährleistet ist“ (6). Um soziale Ungleichheit abzubauen, empfahl der Bericht die „familiäre Sozialisation“ zurückzudrängen. Damals lösten solche Empfehlungen heftigen Widerspruch aus, Anhänger der CDU-Opposition kritisierten sie als „kollektivistisch“ (7). Was damals noch kontrovers war, gilt heute als selbstverständlich: Ãœber alle Parteien hinweg ist es Konsens, dass die institutionelle (Ganztags-)Betreuung soziale Ungleichheit abbauen soll (8).

Dabei wendet sich niemand explizit gegen die Familie als solche, die emanzipatorische Radikalkritik an der Familie hat sich überlebt. Ganz im Gegenteil betonen alle politischen Lager ihre Wertschätzung der Familie. Das allgemeine Lob der Familie erweist sich aber, näher betrachtet, als vergiftet: Im Gestus paternalistischer Fürsorglichkeit wird Eltern attestiert, dass sie „im Umgang mit ihren Kindern häufig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit“ stoßen würden. Nicht wenigen Eltern fehle es, so behauptet ein einschlägiger Regierungsbericht, „an Leitbildern und Zielen, an Wissen und auch an eigener Bildung, die sie ihren Kindern weitervermitteln können oder die sie in die Lage versetzen, die richtigen Beratungs- und Bildungsangebote auszuwählen. Vater Staat soll deshalb den Eltern die „richtigen“ Angebote, Wertorientierungen etc. vorgeben, damit ihren Kindern die „Grundwerte unserer Gesellschaft vermittelt“ werden (9).

Aber welche Werte sollen das sein? Die Wertvorstellungen in der Gesellschaft sind höchst gegensätzlich, wie nicht zuletzt die Debatten über „Sexualkunde“ in öffentlichen Einrichtungen zeigen. Nicht die Eltern, sondern politische Mehrheiten entscheiden dann darüber, wie Kinder erzogen werden. Darunter leidet unvermeidlich die individuelle Freiheit. Schon John Stuart Mill warnte vor einer „allgemeinen Staatserziehung“, die „zu einem „Despotismus“ über Geist und Körper führe (10). Aus leidvoller Erfahrung wussten das auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes, manche heutigen Politiker scheinen diese Einsicht vergessen zu haben.

(1)  Diese Rechtsauffassung liegt auch dem Kinder- und Jugendhilferecht (Sozialgesetzbuch VIII) zugrunde. In der letzten Dekade hat sich hier allerdings ein Paradigmenwechsel vollzogen: Im „Kinderförderungsgesetz“ (2008) wird mit dem Anspruch des Kindes auf „frühkindliche Förderung“ eine außerfamiliäre Betreuung schon im Kleinkindalter als notwendig vorausgesetzt. Zwar nicht de jure, aber de facto kommt damit Kindertageseinrichtungen eine die Eltern mehr als nur „ergänzende“, sie weitgehend ersetzende Funktion zu. Eingehender hierzu: http://altewebsite.i-daf.org/183-0-Woche-25-2009.html.

(2)  Vgl.: Wolfgang Brezinka: Erziehung und Kulturrevolution – die Pädagogik der Neuen Linken, München 1976 (2. verbesserte Auflage), S. 183-184.

(3)  Vgl. ebd.

(4)  Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (Hrsg.): Familie und Sozialisation – Leistungen und Leistungsgrenzen der Familie hinsichtlich des Erziehungs- und Bildungsprozesses der jungen Generation (Zweiter Familienbericht), Bonn 1975, S. 31.

(5)  Ebd., S. 62-63.

(6)  Ebd., S. 73-74.

(7)  Exemplarisch hierfür Anton Rauscher: Die Familienpolitik auf dem Prüfstand, S. 37-68, in: Heinrich Basilius Streithofen (Hrsg.): Die Familie – Partner des Staates – eine Auseinandersetzung mit falschen Gesellschaftstheorien, Stuttgart 1978, S. 64-65.

(8)  Eingehender zu dieser Argumentation: http://altewebsite.i-daf.org/354-0-Wochen-49-50-2010.html.

(9)  Stellungnahme der Bundesregierung zum Zwölften Kinder- und Jugendbericht, S. 3-16, in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland – Zwölfter Kinder- und Jugendbericht, Deutscher Bundestag 15. Wahlperiode – Drucksache 15/6014, Berlin 2005, S. 7. Eingehender hierzu: Stefan Fuchs: Vater Staat statt Elternhaus – Bindungsverluste führen zu einem neuen Etatismus, S. 130-142, in: Die Neue Ordnung, Jahrgang 68, Nr. 2/2014, S. 135-136.

(10)       John Stuart Mill: Über die Freiheit. Siehe hierzu auch: http://altewebsite.i-daf.org/429-0-Wochen-48-49-2011.html.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 9. April 2014 um 12:55 und abgelegt unter Ehe u. Familie, Gesellschaft / Politik.