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Niedrige Zinsen und hohe Schulden

Freitag 11. März 2016 von Prof. Dr. Werner Lachmann


Prof. Dr. Werner Lachmann

„Innerhalb unseres Mandates ist die EZB (Europäische Zentralbank) bereit, alles zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Mit dieser AnkĂĽndigung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, am 26. Juli 2012 begann eine extreme Niedrigzinspolitik (NZP) in Europa. Die Zinsen liegen praktisch bei Null und teilweise sind sie schon negativ. Was waren die Ziele? Die NZP sollte durch steigende Investitionen und höheren Konsum, infolge niedrigerer Sparanreize, die Konjunktur anregen.

Im Jahre sieben nach der Geldflut, die 2008 begann, ist davon noch nichts zu bemerken. Jahrzehnte verfolgte Japan eine solche Geldpolitik, ohne die wirtschaftliche Stagnation zu überwinden. Es gab kaum Wachstum. Südeuropäischen Krisenstaaten sollte durch die Niedrigzinspolitik bei der Finanzierung ihrer Schulden geholfen werden, um Zeit für Strukturreformen zu gewinnen. Allerdings wurden die notwendigen Reformen nicht durchgeführt. Die wirtschaftliche Lage dieser Staaten hat sich kaum verbessert.

Wer sind die Gewinner und Verlierer dieser Niedrigzinspolitik? Sparer sind Verlierer und Investoren potentielle Gewinner. Auch die Versicherungswirtschaft wird Anpassungsprobleme bekommen, da sie die Garantiezinsen bei Lebensversicherungen nicht mehr erwirtschaften kann. Gläubiger sind generell Verlierer und der Staat ist, als der grösste Schuldner, auch der grösste Gewinner. Ohne Niedrigzinspolitik wäre es nicht möglich gewesen, eine schwarze Null im Staatshaushalt zu erreichen. Milliarden Euro konnte der Staat an Zinsen sparen. Kleine Sparer sind Verlierer, Profis und grosse Anleger Gewinner. Ziel war auch eine Abwertung des Euro, um durch Exporte die Konjunktur anzuregen. Krisenländer haben diese Chance jedoch nicht genutzt.

Negative Zinsen sollten höhere Konsumausgaben bewirken. Sie dienen gleichzeitig als eine Art Steuer auf Finanzanlagen. Dieser Steuer können sich die Bürger durch Bargeldhortung entziehen. Um dies zu vermeiden, soll Bargeld abgeschafft werden. Daher wird in Kürze eine Kampagne zur Abschaffung des Bargelds erwartet. Damit droht allerdings ein Überwachungsstaat mit erheblichem Freiheitsverlust der Bürger. Immerhin bezeichnete Dostojewski Geld als «geprägte Freiheit». Wie ist die Niedrigzinspolitik ethisch zu bewerten?

Menschen in Not dürfen keine Zinsen auferlegt werden – was auch den Vorschriften des Alten Testaments entspricht (vgl. 2. Mose 22,24; 3. Mose 25,35–38; 5. Mose 23,21). Die Zinsgegner müssten über die Niedrigzinspolitik jubilieren. Mit Recht? Warum sollte dennoch ein Zins errichtet werden? Nach der kirchlichen Soziallehre des Mittelalters (Scholastik) standen dem Geldverleiher folgende Titel zu: lucrum cessans (Gewinnbeteiligung), damnum emergens (Kostenerstattung) und periculum sortis (Risikobeteiligung). Der erste Titel würde dem ökonomischen Konzept der Opportunitätskosten entsprechen. Welchen Ertrag hätte der Gläubiger mit dem geliehenen Geld erwirtschaften können? Am Gewinn des Kreditnehmers muss der Kreditgeber beteiligt werden. Der zweite Titel soll die Kosten des Kreditgeschäftes decken, also die Kosten der Finanzinstitute. Dazu gehören auch die «Inflationskosten». Die Kosten der Risikoabsicherung müssen ebenfalls vom Kreditnehmer getragen werden. Die Rückzahlung ist nicht immer gesichert.

Wenn nun Zinsen negativ werden sollen, ist zu fragen, welche dieser Titel negativ werden können. Die Risikobeteiligung und die Kostenerstattung können nie negativ werden. Unter sehr starken Annahmen wäre es möglich, dass die Gewinnbeteiligung schwach negativ werden könnte. Dem Besitzer von Geldvermögen steht also eine Kompensation (Zins) zu. Dies war schon die Position der Kirche im Mittelalter. Niedrigzinsen sind daher als Raub zu werten und führen zu einer Enteignung der Sparer. Die NZP widerspricht damit sozialethischen Grundsätzen. Auch aus ordnungspolitischen Gründen ist die NZP abzulehnen, da sie starke Anreize zu weiterer Verschuldung der Staaten setzt. Der Druck für Reformen und eine Reduzierung der Staatsausgaben wird damit verringert und der wirtschaftliche Schwächezustand des Krisenlandes verlängert.

Auch das Neue Testament unterstellt kein allgemeines Zinsverbot. Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten (Matth. 25,14–30 sowie Luk. 19,12–27) heisst es (Matth. 25,27): «Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen mit Zinsen.» Jesus fordert kein Zinsverbot – aber die Nächstenliebe steht in der Bibel stets über dem Wirtschaftsziel.

Weil negative Zinsen Raub sind, verletzen sie damit das Gebot der Eigentumssicherung. Immerhin heisst es in den Zehn Geboten: «Du sollst nicht stehlen!» (2. Mose 20,15; 5. Mose 5,19). Jesus wiederholt dieses Gebot (Matth. 19,18) und auch Paulus weist in Römer 13,9 darauf hin. Niedrigzinspolitik gefährdet auch die Existenz von Banken mit entsprechenden wirtschaftlichen Konsequenzen für die gesamte Volkswirtschaft. Es ist also ein Gebot der ökonomischen Vernunft und der Gerechtigkeit, die Niedrigzinspolitik zu beenden.

Univ.-Prof. i.R. Dr. habil. Dr. h.c. Werner Lachmann, Ph.D.

Quelle: Factum, 1/2016

Factum erscheint 9 x im Jahr und kann über abo@schwengeler.ch abonniert werden.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 11. März 2016 um 9:45 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Wirtschaftsethik.