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Die Entrückung der Gemeinde

Freitag 15. September 2017 von Johann Hesse


Johann Hesse

„Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. So tröstet euch mit diesen Worten untereinander“ (4,17-18). Der Begriff „Entrückung“ bezeichnet ein plötzliches „Hinwegnehmen von der Erde an einen anderen Ort“. Wie das genau geschehen wird, wissen wir nicht. Doch die Himmelfahrt Jesu kann uns eine Hilfe zum Verständnis dieses Vorgangs sein. Jesus wurde bei der Himmelfahrt „von einer Wolke“ in den Himmel aufgenommen (Apg 1,9). Hier geschieht die Entrückung der Gemeinde 1.) „auf den Wolken“, 2.) „in die Luft“, 3.) „dem Herrn entgegen“, und dann wird die Gemeinde mit Jesus vereinigt.

Zwei Gruppen werden zu Jesus hin entrückt. Die erste Gruppe besteht aus den Christen, die von den Toten auferweckt wurden. Die andere Gruppe besteht aus den Christen, die zum Zeitpunkt der Wiederkunft am Leben sein werden. Diese zweite Gruppe wird bei der Wiederkunft verwandelt werden: „Denn es wird die Posaune erschallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1 Kor 15,52). Die sterblichen Körper aus „Fleisch und Blut“ werden in unzerstörbare und geistliche Körper verwandelt werden, die für die Ewigkeit in Gottes vollkommener Schöpfung gemacht sind. Die Totenauferstehung oder auch Verwandlung der Körper sind Voraussetzung für die Entrückung und Vereinigung mit Jesus, denn „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben“ (1 Kor 15,50).

Die Gemeinde wird „entrückt auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen“. Während der Herr vom Himmel herabkommt, kommt ihm die Gemeinde entgegen und wird mit ihm noch in der Luft vereinigt. Was genau geschieht dann? Die Gemeinde wird nun in die triumphale Rückkehr des Herrn zur Erde und in die „Stadt des großen Königs“, in welcher der Herr gekreuzigt wurde, eingegliedert. Denn er kommt vom Himmel herab und kehrt zurück nach Jerusalem, wo seine Füße auf dem Ölberg stehen werden (Sach 14,4). Von dort war er nach seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung aufgefahren in den Himmel. Jetzt kehrt er dorthin zurück als Richter, König und Weltenherrscher. In seinem Gefolge befindet sich die entrückte und jetzt mit ihm vereinigte Gemeinde und das Heer der Engel Gottes (vgl. 3,13).

Der antike Hintergrund

Wenn ein König in eine Stadt einzog, dann war es in der Antike üblich, dass ihm die Honoratioren und Bürger der Stadt entgegenzogen. Als David nach seiner Flucht und dem Tod Absaloms über den Jordan zog, um nach Jerusalem zurückzukehren, kamen ihm die Männer Judas aus Jerusalem entgegen: „Und als er an den Jordan kam, waren die Männer Judas nach Gilgal gekommen, um dem König entgegenzuziehen und den König über den Jordan zu führen“ (2 Sam 19,16). Das Volk kam dem König entgegen, und gemeinsam zogen sie zurück nach Jerusalem (Einholung oder Abholung). Es ist interessant, dass der in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (Septuaginta) für den Begriff „entgegen“ (eis apanten) verwendete Begriff nahezu identisch ist mit dem Wort, das Paulus hier verwendet, um das „dem Herrn entgegen“ (eis apantesin) zum Ausdruck zu bringen. Die Gemeinde Jesu wird dem Herrn entgegengerückt, um dann gemeinsam mit ihm zur Erde zurückzukehren.

Diese Ehrerweisung wurde auch Paulus zuteil, als er auf der Via Appia nach Rom reiste. Als die Christen in Rom hörten, dass Paulus zu ihnen unterwegs war, kamen sie ihm bis nach Forum Apii und Tres-Tabernae entgegen (, um ihn zu empfangen und nach Rom zu geleiten (Apg 28,15).

Flavius Josephus berichtet über die überschwängliche Begeisterung, mit welcher der Senat und die Bürger Roms die Parusie oder Ankunft Kaiser Vespasians feierten, als er im Jahr 66 n. Chr. aus der Provinz Judäa aus den Kämpfen des Jüdischen Krieges nach Rom zurückkehrte: „Denn während Vespasian noch weit entfernt war, huldigte ihm auch schon ganz Italien mit einem Jubel, als wäre er bereits zur Stelle. Der außerordentliche Enthusiasmus machte eben keinen Unterschied mehr zwischen Erwartung und Ankunft. … Angesichts dieser großartigen allgemeinen Begeisterung für Vespasian litt es die Spitzen der Behörden nicht mehr in Rom, sondern sie beeilten sich, soweit als möglich, von der Hauptstadt aus ihm entgegenzukommen. Aber auch die übrige Einwohnerschaft konnte seine Ankunft nicht mehr erwarten. Wie ein mächtiger Strom flutete die ganze Menschenmasse zu den Toren hinaus, und jedermann fand diesmal das Fortgehen bequemer und leichter, als das Bleiben, so dass jetzt auch die Stadt selbst ihre Vereinsamung mit einem innigen Vergnügen betrachten konnte. Denn die Zahl der Zurückgebliebenen war viel kleiner als die der Ausziehenden“ (Der Jüdische Krieg, VII, 68-72). Nach der überschwänglichen Begrüßung des Kaisers wurde Vespasian von den führenden Senatoren und unter dem Jubel der begleitenden Massen feierlich nach Rom geleitet.

Dies ist der antike Hintergrund, auf dem die Wiederkunft Christi und die Entrückung der Gemeinde zu verstehen ist. Der Herr kommt vom Himmel herab. Die von den Toten auferweckte und verwandelte Gemeinde kommt ihm entgegen. Sie wird mit ihm vereinigt und kehrt im triumphalem Zug mit ihm auf die Erde und nach Jerusalem zurück.

Die Lehre von der Vorentrückung

In den dreißiger Jahren des 19. Jhdt. entstand die sog. Vorentrückungslehre. Nach dieser Vorstellung würde Jesus zunächst unsichtbar erscheinen, um seine Gemeinde vor der großen Trübsal heimlich zu sich zu holen. Die sichtbare Wiederkunft Christi würde erst sieben Jahre (bei anderen Auslegern 3,5 Jahre) später erfolgen. Während das Neue Testament die Sammlung der Auserwählten, die Entrückung der Gemeinde und die Wiederkunft Christi als ein zusammenhängendes und einheitliches Geschehen betrachtet, reißt diese Theorie Entrückung und Wiederkunft zeitlich auseinander. Bekannte Vertreter der Vorentrückungslehre waren z. B. John Nelson Derby und Edward Irving. Durch die erfolgreiche Roman-Serie „Finale – die letzten Tage der Erde“ (Tim LaHaye/Jerry B. Jenkins) hat sie auch in evangelikalen Kreisen weite Verbreitung gefunden.

Zunächst ist festzuhalten, dass Paulus, wie auch die anderen Schriften des Neuen Testaments, diesen Einschub an keiner Stelle erwähnen. Die Entrückung fügt sich bruchlos in die Wiederkunft Christi ein. Paulus beschreibt die Parusie als ein „Herabkommen“ des Herrn vom Himmel zur Erde (4,16). Die Gemeinde wird in dieses „Herabkommen“ hineingenommen, indem sie zu Christus hin entrückt und mit ihm vereinigt wird. Gemeinsam kommen Christus und die Gemeinde auf die Erde herab. Eine Unterbrechung von sieben Jahren erwähnt Paulus nicht. In keiner Weise legt der Text nahe, dass sich Jesus mit den Seinen nach der Entrückung und Vereinigung erst einmal für einen Zeitraum von sieben Jahren zurückzieht, um dann auch für den Rest der Welt sichtbar zu erscheinen.

Paulus legt das ganze Wiederkunftsgeschehen mit der Ankunft des Herrn, dem Herabkommen zur Erde, der Auferstehung der Toten, der Verwandlung der Lebenden, der Entrückung zu Christus, der Vereinigung mit Christus und dem Gericht über die gottfeindlichen Gegner auf einen Tag, den er den „Tag des Herrn“ nennt (5,2; 2 Thess 2,2). Nach der Vorentrückungslehre würden die Entrückung und die sichtbare Wiederkunft zur Erde auf unterschiedliche Tage fallen. Die Bibel kennt aber nur einen „Tag des Herrn“, der alle diese Ereignisse umfasst.

Die Abfolge der Ereignisse im 2. Thessalonicherbrief

Im zweiten Thessalonicherbrief macht der Apostel Paulus deutlich, dass die bedrängte Gemeinde sich auf der Erde befindet, wenn Christus wiederkommt, um die Heiligen aus großer Bedrängnis zu erretten und die Verfolger aufs Härteste zu bestrafen (2 Thess 1,6-10). Verfolger und Verfolgte erleben zeitgleich die Parusie Christi, die einen als Rettung, die anderen als Strafe und Verderben. Für einen siebenjährigen Einschub ist hier offensichtlich kein Platz.

Nach der Vorentrückungslehre würden das Offenbarwerden des Antichristen und die große Trübsal mit Drangsal und Verfolgung erst nach der Entrückung stattfinden. Die Gemeinde würde die Trübsal also nicht miterleben müssen. Christus würde dann entweder am Ende oder in der Mitte der siebenjährigen Trübsalszeit mit der Gemeinde auf die Erde zurückkehren. Dieser „Fahrplan“ steht im Widerspruch zu den Aussagen des Paulus im zweiten Kapitel des zweiten Thessalonicherbriefes.

Dort nämlich beschreibt Paulus eine genaue Abfolge der Ereignisse, die der Vereinigung des Herrn mit seiner Gemeinde vorausgehen: „Was nun das Kommen (parousia) unseres Herrn Jesus Christus angeht und unsre Vereinigung mit ihm, so bitten wir euch, liebe Brüder, dass ihr euch in eurem Sinn nicht so schnell wankend machen noch erschrecken lasst – weder durch eine Weissagung noch durch ein Wort oder einen Brief, die von uns sein sollen -, als sei der Tag des Herrn schon da“ (2 Thess 2,1-2).

Das Kommen des Herrn und die Vereinigung der Gemeinde finden demnach am „Tag des Herrn“ statt. Aus dem ersten Thessalonicherbrief wissen wir bereits, dass dieser Tag auch der Tag der Entrückung ist. Weiter schreibt Paulus: „Lasst euch von niemandem verführen, in keinerlei Weise, denn zuvor muss der Abfall kommen und der Mensch der Bosheit offenbart werden, der Sohn des Verderbens“ (2 Thess 2,3).

Es ist wichtig, die Reihenfolge zu beachten: Zuvor muss der „Abfall kommen“ und der „Mensch der Bosheit“ offenbar werden. Der „Sohn des Verderbens“ und „Widersacher Gottes“ wird sich „in den Tempel Gottes setzen“ und die Gemeinde Jesu in große Bedrängnis und Trübsal bringen (vgl. 2 Thess 1,7; Mt 24,29). Erst wenn diese finale Zuspitzung der Weltgeschichte mit dem Offenbarwerden des Antichristen eingetreten ist, findet das „Kommen des Herrn“ und die „Vereinigung mit ihm“ statt. Jesus kommt vom Himmel herab, um seiner bedrängten Gemeinde zu helfen, sie aus der Trübsal herauszunehmen (Entrückung), sich mit ihr zu vereinen und den „Sohn des Verderbens“ zu vernichten. Dann wird Jesus Christus „ihn umbringen mit dem Hauch seines Mundes, und wird ihm ein Ende machen durch seine Erscheinung, wenn er kommt“ (2 Thess 2,8).

Die Schriften des Neuen Testaments lehren übereinstimmend, dass sich die Gemeinde Jesu während der letzten großen Bedrängnis auf der Erde befindet. Die Wiederkunft Christi schließt diese große Trübsal ab. Jesus wird erscheinen, um den Widersacher Gottes „mit dem Hauch seines Mundes“ zu vernichten und seine geliebte Gemeinde auf ewig mit sich zu vereinen: „So werden wir beim Herrn sein allezeit“ (4,17).

Johann Hesse, Walsrode

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Broschüre „Jesus kommt wieder – Die Botschaft des ersten Thessalonicherbriefes“, August 2017, 52 Seiten. Die Broschüre kann für 2,00 € zzgl. Versandkosten bei der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes bestellt werden (Tel.: 05161/911330; info@gemeindehilfsbund.de)

Eine ausführliche Auseinandersetzung mit der dispensationalistischen Vorentrückungslehre bietet das Buch von Manfred Schäller, „Siehe, er kommt mit den Wolken“, Jota-Verlag, 2011.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Freitag 15. September 2017 um 11:51 und abgelegt unter Gemeinde, Theologie.