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Zum 200. Geburtstag von Șren Kierkegaard (5.5.1813 Р11.11.1855) (Teil III)

Sonntag 5. Mai 2013 von Sören Kierkegaard (1813-1855)


Sören Kierkegaard (1813-1855)

Gemeinschaft mit Christus (Lukas 22,15)

Da ist doch allein ein Freund, allein ein allgetreuer Freund im Him­mel und auf Erden, unser Herr Jesus Christus. Ach, und wie viele Worte muß ein Mensch nicht machen, und wie viele Gänge muß er nicht tun, um einen anderen dahin zu bringen, daß er ihm einen Dienst erweise – und falls dieser andere ihm diesen Dienst auch nur mit eini­ger Aufopferung erweist, wie fest wird da einer, welcher die Menschen kennengelernt und weiß, wie selten dort ein Dienst erwiesen wird, wo Vergeltung nicht gegeben werden kann, an seinem Wohltäter hangen! Doch Er, Er ist auch für mich, ja für mich (denn daß er das Gleiche für alle andern getan, wird meine Dankbarkeit doch wohl nicht mindern, die doch auf das geht, was für mich Er tat), Er ist für mich in den Tod gegangen: Wie sollte mich da nicht verlangen nach der Gemeinschaft mit Ihm? Noch niemals hat doch ein Freund mehr zu sein vermocht als getreu bis in den Tod, Er aber ist gerade im Tode treu geworden – Sein Tod war ja meine Erlösung. Und mehr vermag doch kein Freund zu tun als höchstens, daß er durch seinen Tod einem anderen das Leben rettet; Er aber, Er hat mir durch Seinen Tod das Leben gegeben; ich, ich war tot, und Sein Tod gab mir das Leben.

Indes, die Sünde ist der Leute und ist eines jeden Menschen Verderben; wie würde ich da ernsthaft über das Leben denken, ohne recht zu bedenken, was das Christentum mich lehrt, daß die Welt im Argen liegt? Und mag nun auch mein Leben anher so still, so friedlich hingegangen sein, so unberührt von den Angriffen und Nachstellungen der argen Welt, und mag es mir auch scheinen, daß die wenigen Menschen, die ich kennengelernt, doch allesamt gut und liebevoll und wohlwollend sind, so will ich doch bedenken, dies werde wohl daran liegen, daß weder sie noch ich in solche Entscheidungen der geistigen Lebensgefahr geführt worden sind, in denen die Größe der Ereignisse es nach einem außerordentlichen Maßstabe so recht an den Tag bringt, was da an Gutem oder Bösem in einem Menschen wohnt. Dergestalt muß es sich wohl verhalten, und darum wird es nötig sein, daß die Offenbarung lehrt, was der Mensch auch aus sich selber nicht wissen kann, nämlich, wie tief die Menschheit gesunken ist.

So will ich mich denn erinnern an all das Abscheuliche, welches der Mensch dem Menschen angetan, der Feind dem Feinde und ach, dem Freunde der Freund; an Mord und Gewalttat und Blutdurst und tierische Grausamkeit, an all das unschuldig und doch so grausam vergossene Blut, welches gen Himmel schreit, an List und Tücke und Trug und Treulosigkeit, an alle jene unschuldig und doch schrecklich gleichsam Erstickten, deren Blut freilich nicht vergossen wurde, obwohl sie zu Tode kamen. Ich will vor allem daran mich erinnern, wie es dem Heiligen ergangen, da Er hier auf Erden wandelte, welches Widersprechen von den Sündern Er erduldet, wie sein ganzes Leben nichts denn Seelenleiden gewesen vermöge der Zugehörigkeit zu dem gefallenen Geschlecht, welches Er erlösen wollte und welches die Erlösung nicht wollte, also daß kein Lebendiger, der grausam mit einem Toten zusammengebunden wäre, qualvoller leiden könnte, als Er seelisch gelitten vermöge seiner Einreihung als Mensch in das Geschlecht. Ich will bedenken, wie Er verhöhnt wurde, und wie einem jeden zugejubelt wurde, wenn er es vermochte, eine neue Verhöhnung  zu ersinnen, wie da nicht im mindesten mehr davon geredet oder auch nur daran gedacht wurde, daß Er unschuldig sei, daß Er der Heilige sei, und wie das einzige mildernde Wort, das gesprochen wurde, das mitleidsvolle: „Seht, welch ein Mensch!“ gewesen ist!

Gesetzt, ich hätte gleichzeitig gelebt mit dem grauenvollen Auftritt, gesetzt, ich wäre zugegen gewesen in der „Menge“, die Ihn verhöhnte und auf Ihn spie! Gesetzt, ich wäre zugegen gewesen in der Menge – denn das darf ich mir wohl nicht zutrauen, daß ich unter einer ganzen Generation einer von Zwölf gewesen wäre – gesetzt, ich wäre zugegen gewesen! Nun, das kann ich von mir doch auch nicht glauben, daß ich deshalb zugegen gewesen wäre, um an der Verhöhnung teilzunehmen. Doch gesetzt nun, die Umstehenden wären aufmerksam geworden auf mich und darauf, daß ich mich nicht beteiligte – ich sehe bereits diese wilden Blicke, sehe den Angriff einen Augenblick wider mich sich kehren, ich höre schon den Schrei: „Auch er ist ein Galiläer; ein Anhänger; schlagt ihn tot oder laßt ihn teilnehmen an der Verhöhnung, an der Sache des Volks!“ Barmherziger Gott! Ach, wie viele gibt es wohl in jeder Generation, welche den Mut haben, eine Ãœberzeugung zu bekennen, wenn es die Gefahr gilt, verhöhnt zu werden, wenn es geht um Leben und Tod, und wenn zudem die gefahrvolle Entscheidung einem so unerwartet erschreckend über den Kopf kommt! Und ich, der ich doch kein Gläubiger, kein Anhänger wäre, woher sollte ich denn Kraft zum Wagnis empfangen, oder wie sollte es möglich sein, daß ich in diesem Augenblick ein Gläubiger würde, so daß die gefahrvolle Entscheidung mir; wenn auch auf andere Art, ebenso wunderbar hülfe, wie sie dem Schächer am Kreuz geholfen; und wo ich nicht eine solche Wandlung erführe, woher sollte ich den Mut empfangen, solches für einen zu wagen, der für mich doch ein Fremder wäre? Barmherziger Gott, so hätte ich doch wohl an der Verhöhnung teilgenommen – um mein Leben zu retten; oh, ich hätte mitgeschrien: „Sein Blut komme über mich“ – um mein Leben zu retten; ja, es ist wahr, es wäre geschehen, um mein Leben zu retten.

Oh, ich weiß sehr wohl, der Pastor spricht anders; wenn er spricht, so schildert er die grauenhafte Verblendung jener Gleichzeitigen – wir aber, die wir bei seiner Predigt zugegen sind, wir sind solche Leute nicht. Vielleicht getraut es der Pastor sich nicht, hart mit uns zu sprechen – ja, und wenn ich der Pastor wäre, ich spräche auch nicht anders, ich wagte es nicht, zu irgend einem anderen Menschen zu sagen, daß er derart gehandelt hätte; es gibt Dinge, welche ein Mensch dem anderen nicht sagen darf. Aber zu mir selbst darf ich es schon sagen und muß ich es leider sagen: Mir wäre es nicht besser ergangen als der Menge der Menschen!

So also hast du mit dir selbst gesprochen. Und je mehr du dich diesen Gedanken hingegeben, um so mehr hat in dir das Verlangen gesiegt nach der Gemeinschaft mit Ihm, dem Heiligen, und du sprachst zu dir selbst: Mich verlangt herzlich nach diesem Mahl; abseits dieser Welt des Argen, in welcher die Sünde die Herrschaft übt, will es mich verlangen nach der Gemeinschaft mit Ihm! Abseits von ihr; indes – so leicht geht das doch nicht. Ich kann mich fort wünschen aus der Eitelkeit und Verweslichkeit der Welt; und vermag ein Wunsch das auch nicht, so vermag es doch das herzliche Verlangen nach dem Ewigen, mich fort von ihr zu führen; denn in dem Verlangen selber ist das Ewige, ebenso wie Gott ist in dem Leid, das nach ihm verlangt. Jedoch die Sünde hat eine eigene Macht, dagegen zu halten, sie hat ein Guthaben einzufordern, eine Schuld, die sie vom Sünder bezahlt haben will, ehe sie ihn losläßt. Und die Sünde weiß auf ihrem Recht zu bestehen, sie läßt sich wahrlich nicht täuschen mit leeren Worten, auch nicht, wenn die Menschen das Wort „Sünde“ ganz abschafften und statt dessen von Schwachheit sprächen, auch nicht, wenn es sogar nach dem strengsten Sprachgebrauch Schwachheit wäre, deren ein Mensch sich schuldig gemacht. Aber darum verlangt es mich nur um so herzlicher danach, meine Gemeinschaft mit Ihm zu erneuern, welcher auch für meine Sünde genug getan, für jede, auch die geringste wirkliche Sünde von mir, genug getan, aber auch für jene Sünde, die vielleicht am tiefsten in meiner Seele lauert, ohne daß ich mir dessen bewußt wäre, und die am Ende doch hervorbräche, wenn ich in die furchtbarste Entscheidung geführt würde. Denn sind etwa jene Juden größere Verbrecher gewesen denn andere Menschen? O nein, aber daß sie mit dem Heiligen gleichzeitig gewesen, das hat ihr Verbrechen so unendlich viel schrecklicher werden lassen.

Mich verlangt herzlich nach diesem Mahl, nach diesem Mahl, welches zu seinem Gedächtnis ist. Wenn dann aber jemand so mit herzlichem Verlangen am Abendmahl teilgenommen, ist alsdann das Verlangen gestillt, soll alsdann das Verlangen hinschwinden, während er vom Altare geht? Sieh, wenn du einen lieben Verstorbenen hast, so wird es dir wohl auch widerfahren, daß je und dann das Verlangen in dir erwacht, seiner zu gedenken. So gehst du denn wohl zu seinem Grabe; und gleich wie er gesenkt ist in der Erde Schoß, so senkst du deine Seele ein in die Erinnerung an ihn. Dadurch wird das Verlangen gleichsam gestillt. Das Leben übt wiederum seine Macht über dich und ob du gleich getreulich fortfährst, des Verstorbenen zu gedenken und es dich des öfteren nach ihm verlangt, so kann doch nicht das die Meinung sein, daß du dich mehr und mehr aus dem Leben herausleben solltest, um dich hineinzuleben in das Grab zu dem Toten, also daß das Verlangen nach ihm zunähme mit jedem Male, da du sein Grab besuchst. Du gibst gewiß selber zu: falls einem Menschen dies widerführe, so wäre da doch, wie sehr wir seine Treue gegen den Verstorbenen auch ehren mögen, in seiner Trauer etwas Krankhaftes. Nein, du verstehst: eure Wege sind wesentlich geschieden, du gehörst dem Leben und den Ansprüchen, die das Leben an dich stellt; du verstehst: mit den Jahren zunehmen darf das Verlangen doch nicht, so daß du etwa mehr und mehr ein Mitbegrabener würdest.

Indes, das Verlangen nach der Gemeinschaft mit Ihm, deinem Heiland und Versöhner, es soll ja gerade zunehmen mit jedem Male, daß du Seiner gedenkst. Er ist auch nicht ein Verstorbener, sondern ein Lebendiger, ja, du sollst dich doch recht in Ihn hinein, mit Ihm zusammen leben. Er soll doch dein Leben sein, dein Leben werden, so daß du nicht mehr dir selber lebst, nicht mehr selber lebst, sondern Christus in dir. Und gleich wie darum das herzliche Verlangen mit dazu gehört, daß man Seiner würdiglich gedenke, ebenso gehört es wiederum zum herzlichen Verlangen, daß das Verlangen mit dem Gedenken wachse, und so geht denn nur der würdig zum Altar, welcher herzugeht mit herzlichem Verlangen und fort von ihm geht mit vermehrtem herzlichem Verlangen.

 Aus: Sören Kierkegaard, Christliche Reden (1848)

Leseempfehlung: Die Broschüre „Sören Kierkegaard als reformatorischer Christ“ von Thomas S. Hoffmann kann in der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes für 2,00 Euro bestellt werden.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Sonntag 5. Mai 2013 um 9:00 und abgelegt unter Allgemein, Christentum weltweit, Theologie.