Gemeindenetzwerk

Ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Zum 200. Geburtstag von Șren Kierkegaard (5.5.1813 Р11.11.1855) (Teil II)

Samstag 4. Mai 2013 von Sören Kierkegaard (1813-1855)


Sören Kierkegaard (1813-1855)

Himmelfahrt Christi

Herr Jesus Christus, Du hast Dein Geschick voraus gewußt und hast Dich dennoch nicht zurückgezogen; Du hast dann Dich gebären lassen in Armut und Niedrigkeit, hast danach in Armut und Niedrigkeit der Welt Sünde getragen, ein Leidender, bis daß Du, gehaßt, verlassen, verspottet, bespien, endlich sogar verlassen von Gott, Dein Haupt neigtest in den schmählichen Tod: Oh, Du hast es Doch wiederum erhoben, Du ewiger Siegesheld freilich, Du hast nicht gesiegt über Deine Feinde im Leben, aber im Tode hast Du gesiegt sogar über den Tod; Du hast, siegreich für ewig, wiederum Dein Haupt erhoben; in Deiner Himmelfahrt! Oh, daß wir Dir nachfolgen möchten! Amen.

Er fuhr gen Himmel – dergestalt hat nie jemand gesiegt!

Eine Wolke nahm ihn hinweg vor ihren Augen – dergestalt ist nie ein Triumphator aufgehoben worden von der Erde!

Sie sahen ihn nicht mehr – dergestalt ist sonst nie für jemand der Triumph das Letzte gewesen!

Er sitzt zur Rechten der Kraft. Der Triumph endigt also nicht mit der Himmelfahrt? Nein, er hebt mit ihr an – dergestalt hat nie jemand triumphiert!

Er kommt wieder mit den himmlischen Heerscharen: Der Triumph endigt also nicht damit, daß er den Platz eingenommen zur Rechten der Kraft? Nein, dies ist lediglich das Ende seines Anhebens – oh ewiger Siegesheld!

Mein Zuhörer, welchen Weg gehst du im Leben? Denke an das, was ich mir selbst sage: Nicht von jedem schmalen Weg gilt es, daß Christus der Weg ist, auch nicht, daß er himmelwärts führt.

Ein frommer Mann hat gesagt, es koste den Menschen ebenso viel oder noch mehr Beschwerlichkeit, zur Hölle zu fahren, als in den Himmel zu kommen. Es ist mithin ein schmaler Weg, der der Verdammnis; aber Christus ist der Weg nicht, und der Weg führt auch nicht himmelwärts. Es ist auf diesem Wege genug der Unruhe und der Angst und der Qual, insofern ist der Weg wahrlich schmal, der Weg zur Verdammnis, dieser Weg, welcher; im Unterschied von den andern Wegen, von denen wir gesprochen (dem Wege, der am Anfang schmal ist und leichter und leichter wird; dem schmalen Wege, welcher schmaler und schmaler wird), daran kenntlich ist, daß er am Anfang so leicht scheint, aber immer schrecklicher wird. Denn es geht gar so leicht, in den Tanzreigen der Lust zu treten; wenn es dann aber eine Weile her ist und es die Lust ist, die da mit dem Menschen tanzt wider seinen Willen: das ist ein schwerer Tanz. Und es ist gar so leicht, den Leidenschaften die Zügel zu lassen – tollkühne Fahrt, man kann mit dem Auge kaum folgen: – bis daß dann die Leidenschaften, nachdem sie die Zügel ergriffen haben, die man ihnen gelassen, in noch tollkühnerer Fahrt – der Mensch selbst hat kaum die Kühnheit, zu sehen, wohin sie lenken – ihn mit sich fortreißen! Und es ist gar so leicht, einem sündigen Gedanken zu gestatten, daß er sich einschleiche in das Herz ­noch kein Verführer ist so geschmeidig gewesen, wie es ein sündiger Gedanke ist! – es ist gar so leicht; es gilt hier nicht, was sonst gilt, daß der erste Schritt etwas kostet, o nein, er kostet gar nichts, gerade umgekehrt: Der sündige Gedanke zahlt teuern Preis für sich, es kostet gar nichts – außer zum Schluß, wo du ihn teuer bezahlen mußt, jenen ersten Schritt, der gar nichts gekostet hat; denn wenn der sündige Gedanke Einlaß gefunden hat, so macht er sich fürchterlich bezahlt.

Die Sünde kommt in den Menschen allermeist als Schmeichler hinein; wenn dann aber der Mensch der Sünde Knecht geworden ist: das ist eine fürchterliche Knechtschaft – ein schmaler; ein ungeheuerlich schmaler Weg zur Verdammnis!

Es gibt auch noch andere schmale Wege, von denen es doch nicht unbedingt gilt, daß Christus der Weg ist und daß sie himmelwärts führen. Es gibt genug der menschlichen Leiden, nur allzu viele, Krankheit und Armut und Verkanntheit: Wer könnte sie nennen, alle diese Leiden! Jeder, der solch einen Weg geht, er geht ja auch einen schmalen Weg. Wahrlich, wir sollen nicht in hohen Tönen reden, als wären diese Leiden für nichts zu rechnen – aber, mein Freund, du weißt ja doch selber, was Christentum ist, so laß mich dich bloß daran erinnern. Was den christlichen schmalen Weg von dem allgemein menschlichen schmalen Wege unterscheidet, ist die Freiwilligkeit.

Christus ist nicht einer gewesen, der nach irdischem Gut trachtete, sich jedoch an Armut genügen lassen mußte; nein, er hat Armut gewählt. Er ist nicht einer gewesen, der menschliche Ehre und Ansehen begehrte, sich jedoch daran genügen lassen mußte, in Niedrigkeit oder vielleicht verkannt und unter übler Nachrede zu leben; nein, er hat Erniedrigung gewählt. Dies ist in strengstem Sinne der schmale Weg. Die allgemeinen menschlichen Leiden sind nicht in strengstem Sinne der schmale Weg, indes mag der Weg wahrlich schmal genug sein, und du kannst auch danach streben, diesen schmalen Weg der menschlichen Leiden christlich zu gehen. Er führt, falls du ihn christlich gehst, dennoch in den Himmel, in den er eingegangen ist, er, der gen Himmel Gefahrene.

Indes, es ist wahr, man hat an der Himmelfahrt ja gezweifelt.

Ja, wer hat gezweifelt? Ob etwa einer von denen, deren Leben das Gepräge der »Nachfolge« trug? Ob etwa einer von denen, die alles verlassen haben, um Christus nachzufolgen? Ob etwa einer von denen, welchen – und wenn die »Nachfolge« gegeben ist, so folgt dies danach ­die Verfolgung ihr Zeichen aufgedrückt hat?

Nein, von denen niemand.

Sondern, als man die Nachfolge abschaffte und damit die Verfol­gung zur Unmöglichkeit machte – was jedoch in der Schelmensprache, die wir Menschen untereinander reden, nicht wie eine Anklage über den Rückschritt eines irregehenden Jahrhunderts im Christentum lautete, i bewahre, es lautete wie eine Lobrede auf den unvergleichlichen Fortschritt eines aufgeklärten Jahrhunderts in der Toleranz; als man mit dem Christ-Sein herunterging, so daß Christ-Sein beinahe ein Nichts wurde; und so war denn auch nichts mehr zum Verfolgen da – da kamen denn bei der Müßiggängerei und Selbstgefälligkeit allerlei Zweifel auf. Und der Zweifel wurde wichtig ohne Zweifel, und man sich selber wichtig mittels des Zweifels – gleich wie man voreinst (was wir wahrlich nicht billigen, immerhin aber besser verstehen) sich selbst dadurch wichtig wurde, daß man sein Gut den Armen gab, so wurde man sich jetzt (vermutlich um den wahren Begriff »des Verdienstlichen« an die Stelle des mittelalterlichen Mißverständnisses zu setzen, das man fromm verabscheute), wurde sich selber wichtig mittels des Zweifels. Und während man doch an allem zweifelte, war eins indes außer allem Zweifel, daß man mit diesem Grundsatz („man muß an allem zweifeln“) sich eine alles andre eher als zweifelhafte, ja, eine äußerst feste Stellung in der Gesellschaft sicherte, und dazu große Ehre und Ansehen unter den Menschen.

Mithin, einige zweifelten. Dann aber gab es wiederum einige, die den Zweifel mit Gründen zu widerlegen suchten. Eigentlich ist der Zusammenhang doch wohl der: Das erste ist gewesen, daß man versuchte, das Christliche mit Gründen zu beweisen oder im Verhältnis zum Christlichen Gründe anzubringen. Und diese Gründe – sie erzeugten aus sich den Zweifel, und der Zweifel wurde der stärkere. Der Beweis für das Christliche liegt nämlich eigentlich in „der Nachfolge“. Die nahm man fort. So empfand man denn ein Bedürfnis nach „Gründen“; diese Gründe aber, oder der Umstand, daß es Gründe gibt, ist schon eine Art des Zweifelns – und so erhob sich der Zweifel und lebte von den Gründen. Man merkte nicht: mit je mehr Gründen man kommt, umso mehr nur nährt man den Zweifel, und umso stärker wird er dem Zweifel Gründe bieten, um ihn zu töten, heißt gleichsam einem hungrigen Ungeheuer, das man loswerden möchte, die wohlschmeckende Speise bieten, die es am meisten liebt. Nein, dem Zweifel soll man – wenigstens, wenn man die Absicht hat, ihn zu töten ­keine Gründe bieten, sondern (so wie Luther) ihm gebieten, den Mund zu halten und zu dem Ende selber rein den Mund halten und nicht mit Gründen kommen.

Die hingegen, deren Leben von der „Nachfolge“ geprägt war, sie haben nicht an der Himmelfahrt gezweifelt. Und warum nicht? Fürs erste, weil ihr Leben zu angestrengt gewesen ist, zu sehr täglichen Leiden zum Opfer gegeben, als daß sie sich müßig hätten hinsetzen können und sich abgeben mit Gründen und Zweifeln. Die Himmelfahrt stand ihnen fest: aber sie kamen vielleicht sogar recht selten dazu, an sie zu denken oder bei ihr zu verweilen – denn ihr Leben war zu sehr Handeln und auf dem schmalen Wege. Es ist wie bei einem Kriegsmann, welcher prächtige Kleidung besitzt; er weiß sehr wohl, daß er sie hat, aber er sieht fast niemals nach ihr, denn sein ganzes Leben ist hingegangen in täglichem Streiten und Wagen, und darum hat er einen Alltagsrock getragen, um sich recht regen zu können.

Sieh, auf die gleiche Art sind die, deren Leben durch die Nachfolge geprägt war, dessen gewiß gewesen, daß ihr Herr und Meister gen Himmel gefahren ist. Und was dazu beitrug, war wiederum die Nachfolge. Alle die täglichen qualvollen Leiden, die sie ertragen mußten, alle die Opfer, die sie bringen mußten, aller dieser menschliche Widerstand, Hohn und Spott und Grinsen und blutige Grausamkeit, alles dies folterte aus dem „Nachfolger“ das Verlangen heraus, welches – ebenso wie die Himmelfahrt die Naturgesetze sprengt oder wider sie streitet (dies ist ja der Einwand, den der Zweifel macht) – die rein menschlichen Trostgründe sprengt (wie könnten diese auch den trösten, welcher leiden muß, weil er Gutes tut!) – d. h. eines andern Trostes bedarf: der Himmelfahrt des Herrn und Meisters bedarf, und gläubig hindurchdringt zur Himmelfahrt. So verhält es sich allezeit mit dem Verlangen in einem Menschen; Speise geht aus von dem Esser. Wo das Verlangen ist, da erzeugt es gleichsam selber das, dessen es bedarf. Und die Nachfolger, wahrlich, sie brauchten seine Himmelfahrt, um das Leben aus­zuhalten, welches sie führten – nun, deshalb ist sie auch gewiß. Indes einer, welcher müßig dasitzt und gute Tage hat, oder emsig sich regt in Emsigkeit vom Morgen bis zum Abend, aber nie um der Wahrheit willen gelitten hat, er bedarf der Himmelfahrt eigentlich nicht, das ist beinahe eher etwas, das er sich einbildet, oder etwas, das er sich für Geld einbilden läßt, er beschäftigt sich beinahe eher mit dieser Himmelfahrt wie mit einem Kuriosum – und so zweifelt er denn, natürlich, er bedarf ja auch nicht; oder er erfindet einige Gründe, oder ein andrer ist so gut, ihm drei Gründe dafür zu überlassen – nun ja, sein Verlangen ist denn auch nicht sonderlich groß!

Und du nun, mein Zuhörer, was tust du? Zweifelst du an der Himmelfahrt? Ist es an dem, so tu wie ich, sprich zu dir selbst: Ja, von so einem Zweifel macht man kein Aufhebens, ich weiß sehr wohl, woher er kommt, und wovon das kommt, nämlich daher, daß ich, hinsichtlich der Nachfolge, meiner selbst geschont haben muß, daß mein Leben in dieser Hinsicht nicht genug angestrengt ist, daß ich zu gute Tage habe, mich selbst verschone mit den Gefahren, die damit verknüpft sind, daß man für die Wahrheit und wider die Unwahrheit zeugt. Tu du nur so! Vor allem aber, werde dir nicht selber wichtig, weil du zweifelst; es ist – versichre ich dich – auch kein Grund dazu, denn aller solcher Zweifel ist eigentlich Selbstbezichtigung. Nein, mache dir selbst und Gott ein Eingeständnis, und du wirst es sehen, daß von zweien eins geschehen wird: Entweder du wirst dazu bewogen werden, dich weiter hinauszuwagen in der Richtung auf die „Nachfolge“ zu – und alsdann stellt die Gewißheit der Himmelfahrt alsogleich sich ein; oder du demütigst dich, daß du deiner selbst geschont hast, daß du ein gefühliger Schwätzer geworden bist, und alsdann wirst du dir zum mindesten nicht erlauben zu zweifeln, sondern demütig sprechen: „Will Gott so gnädig sein, mich als ein Kind zu behandeln, das fast ganz mit den Leiden der „Nachfolge“ verschont wird, so will ich zum mindesten kein unartiges Kind sein, welches obendrein an der Himmelfahrt zweifelt.“

Oh, wenn du bewundert dahinlebst, umschmeichelt, angesehen, im Ãœberfluß – so bist du versucht, so manches Wort zu sagen und an vielem dich zu beteiligen, das du doch vielleicht lieber unterlassen solltest, und davon du doch – denk daran! – Rechenschaft wirst geben müssen – und zugleich kommt dir dabei die Himmelfahrt gar so leicht aus dem Sinn, vielleicht sogar, daß du, wenn du einmal über sie nachsinnst, zweifelst und sprichst: Eine Himmelfahrt, das streitet ja wider alle Naturgesetze, wider den Geist – wohl doch nur den Naturgeist! ­in der Natur.

Jedoch, sobald du um einer guten Sache willen – denn sonst nützt es nichts, und wo es so ist, ist das Verhältnis ja ebenfalls in Streit mit allen menschlichen Begriffen: deshalb leiden, weil man recht tut, weil man recht hat, weil man liebevoll ist -, sobald du um einer guten Sache willen verlassen lebst, verfolgt, verhöhnt, in Armut: ja, du wirst sehen, du zweifelst nicht an seiner Himmelfahrt; denn du brauchst sie.

Und nicht einmal so viel wird gebraucht, um den Zweifel zum Stehen zu bringen; denn wenn du dich vor Gott doch demütigst, weil dein Leben nicht gekennzeichnet ist als das eines Nachfolgers in strengerem Sinne, wenn du dich darunter demütigest, so erkühnst du dich nicht zu zweifeln. Wie könntest du es dir einfallen lassen, dich mit einem Zweifel zu melden, wenn die Antwort lauten müßte: Gehe erst hin und werde ein Nachfolger in strengerem Sinne, nur solch ein Nachfolger hat das Recht mitzureden – und von ihnen hat niemand gezweifelt.

aus: Sören Kierkegaard, Erbauliche Reden, zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen, urteilt selbst (1850/51)

Leseempfehlung: Die Broschüre „Sören Kierkegaard als reformatorischer Christ“ von Thomas S. Hoffmann kann in der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes für 2,00 Euro bestellt werden.

 

 

Drucke diesen Beitrag Drucke diesen Beitrag Artikel empfehlen Artikel empfehlen

Dieser Beitrag wurde erstellt am Samstag 4. Mai 2013 um 9:00 und abgelegt unter Allgemein, Christentum weltweit, Theologie.