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Gleichstellung homosexueller Partnerschaften

RECHTSWISSENSCHAFTLICHER KOMMENTAR

I. Ausgangslage

Als unter der ersten rot-grünen Bundesregierung das Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) eingeführt wurde, um gleichgeschlechtlichen Paaren eine familienrechtliche Absicherung ihrer Partnerschaft zu ermöglichen, wurde – im Kontrast zur politischen Funktion, aber mit Blick auf verfassungsrechtliche Unsicherheiten – jeder Eindruck vermieden, es könne sich hierbei um eine verkappte Form der Ehe handeln. Nachdem das BVerfG die Lebenspartnerschaft als solche für verfassungskonform erklärt und zugleich klar gestellt hatte, dass Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Ehe) kein sog. Schutzabstandsgebot zu entnehmen sei (Anm. 1), kehrte sich die bislang defensive Ausrichtung der Gleichstellungspolitik in eine offensive Agenda um. Nunmehr wurden die – zuvor noch zur Verteidigung des LPartG bemühten – verbliebenen Privilegierungen der Ehe gegenüber der Lebenspartnerschaft mit dem Argument angegriffen, es handele sich um (mittelbare) Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität. Das europäische Anti-Diskriminierungsrecht hätte – wie die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Maruko zeigt (Anm. 2) – eine rigide Angleichung nicht erzwungen, sofern die nationalen Gerichte wesentliche unterschiede zwischen Ehe und Familie herausgearbeitet hätten. (Anm. 3) Zwei beamtenrechtliche Kammerentscheidungen des Zweiten Senats des BVerfG aus den Jahren 2007 und 2008 betonten daher noch mit Recht den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG), der verfassungsimmanent Differenzierungen rechtfertige. (Anm. 4)

II. Rechtsprechungswende des Ersten Senats des BVerfG

Diese traditionelle und verfassungsrechtlich konsequente Linie wurde jedoch kurz darauf Mitte 2009 durch den Ersten Senat des BVerfG mit weitreichenden Folgen durchbrochen. Ausgangspunkt einer inzwischen kanonisierten Rechtsprechungslinie ist das gewagte Postulat, mittelbare Differenzierungen auf Grund der sexuellen Orientierung seien vergleichbar mit den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Ungleichbehandlungen und müssten daher strengen Rechtfertigungsanforderungen unterworfen werden. Gehe die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar seien, rechtfertige – so das BVerfG – der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht. Aus der Befugnis, in Erfüllung und Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Förderauftrags die Ehe gegenüber anderen Lebensformen zu privilegieren, lasse sich kein Gebot herleiten, andere Lebensformen gegenüber der Ehe zu benachteiligen. Es bedürfe daher jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel die Benachteiligung anderer Lebensformen rechtfertige. (Anm. 5)

Das nahe liegende Argument, aus der Ehe gingen – anders als aus der Lebenspartnerschaft – typischerweise Kinder hervor, verwirft das BVerfG mit dem naturalistischen Verweis auf kinderlose Ehen und ehelose Elternschaft. Damit ist aber der Verweis auf sachliche Differenzierungsgründe eine Leerformel ohne Anwendungsbereich: Denn Privilegierungen der Ehe knüpfen allesamt auf die eine oder andere Weise entweder an die rechtliche Verfestigung einer auf Gegenseitigkeit gründenden sowie dauerhaften Partnerschaft oder an die ökonomische Beistandspflicht an. Beide Merkmale erfüllt aber gleichermaßen auch die Lebenspartnerschaft. Es überrascht daher nicht, dass die nachfolgende verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sukzessive sämtliche in den Kontrollzugriff des Gerichts geratenen und differenzierenden Regelungen als verfassungswidrig verworfen hat. (Anm. 6)

In der Sache hat die Rechtsprechung den besonderen Schutz der Ehe zwar nicht insgesamt, aber doch in Relation zur Lebenspartnerschaft faktisch aufgehoben. Hierdurch wurde über die Hintertür – sowie unter Umgehung des verfassungsändernden Gesetzgebers – eine Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft bewirkt. Dass das BVerfG bislang an der Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehe im verfassungsrechtlichen Sinne festhält, ändert am Ergebnis kaum etwas. Das besondere Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG wurde einem präterkonstitutionellen Rationalitätsfetisch geopfert, der stets nach guten Gründen verlangt, aber verkennt, dass die kontingenten Wertungen der Verfassung als solche hinzunehmen sind. Die Verfassung schützt qualifiziert die Ehe, ggf. sogar als Minderheitenrecht und in jedem Fall unabhängig vom Stand einer (schwankenden) gesellschaftlichen Wertschätzung.

III. Einlenken des Zweiten Senats im Jahr 2012

Mit Spannung war nun erwartet worden, ob sich der Zweite Senat des BVerfG, dessen Kammerentscheidungen vom Ersten Senat ohne Rücksicht auf einen möglichen Sondierungsbedarf überrollt worden waren, dieser Rechtsprechungslinie anschließen oder Korrekturen einfordern würde. Im Juni 2012 machte sich nun auch der Zweite Senat in einer beamtenrechtlichen Entscheidung die Rechtsprechung des ersten Senat zu eigen. Die Ungleichbehandlung von verheirateten und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Beamten beim (ehebezogenen) Familienzuschlag stelle eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung dar, die nicht zu rechtfertigen sei. (Anm. 7) Ein entgegenstehender Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers lasse sich nicht feststellen, obschon eine Erweiterung des Art. 3 Abs. 3 GG hinsichtlich des Merkmals der sexuellen Identität bislang gescheitert sei. Denn dies sei nicht auf eine parlamentarische Ablehnung des Schutzes der sexuellen Identität zurückzuführen; die Bundestagsmehrheit habe vielmehr eine Verfassungsänderung mit dem Argument abgelehnt, „eine Erweiterung sei nicht erforderlich, weil der Schutz vor Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität durch Art. 3 Abs. 1 GG sich nach der Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts mittlerweile mit dem Schutz nach Art. 3 Abs. 3 GG decke und eine Erweiterung des Art. 3 Abs. 3 GG daher (überflüssige) Symbolpolitik darstelle“. (Anm. 8)

War der Erste Senat noch um – obgleich in der Sache angreifbare – Sachgründe bemüht, schwingt sich hier der Zweite Senat zum Ersatzverfassungsgeber auf: Weil der Deutsche Bundestag der Rechtsprechung des BVerfG letztlich wehrlos ausgeliefert war und keine qualifizierte Mehrheit zustande gebracht hat, die vorauseilende Rechtsprechung des Gerichts durch Verfassungsänderung zu korrigieren (oder sprachkosmetisch zu bestätigen), wird die eigene Interpretation des Gleichheitssatzes durch das Gericht selbstbezüglich konstitutionalisiert. Eine positive Begründung der eigenen Rechtsauffassung ist nicht mehr nötig; der Verzicht auf eine – politisch aussichtlose – Verfassungsänderung wird zur nachträglichen Legitimation der eigenen Judikatur missbraucht. Solche selbstgefällige Dreistigkeit beschädigt über die Sachfrage hinaus ganz allgemein das Verhältnis von Verfassungsgericht und Gesetzgeber. Künftig muss der Deutsche Bundestag also nicht nur vorsichtig dabei sein, was er regelt. Er muss zugleich auf seine Begründungen aufpassen, wenn er etwas nicht regeln möchte.

IV. Perspektiven

Was den künftigen Umgang mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft angeht, hat diese Rechtsprechungslinie letztlich zu einer bedauerlichen Knebelung der Politik geführt. Ergebnisoffene Diskussionen über fortbestehende Differenzierungen, die auch der Selbstvergewisserung im Umgang mit Lebensentwürfen und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung dienen können, bleiben weitgehend fruchtlose Rückzugsgefechte bis zum nächsten verfassungsgerichtlichen Urteil. Es ist zu erwarten, dass demnächst der Zweite Senat die Beschränkung des Ehegattensplittings auf Ehepartner verwerfen wird und der Erste Senat die Öffnung der Sukzessivadoption für Eingetragene Lebenspartner erzwingt. Eine mitunter heilsame Politisierung dieser Frage, die wir derzeit in Frankreich erleben, wird Deutschland erspart, das lieber seine legalistisch-justizstaatlichen Traditionen pflegt und selbstgenügsam auf Karlsruhe wartet.

Viele Handlungsperspektiven verbleiben der Politik nicht. Positive Gestaltung des Familienrechts ist praktisch nur noch im Gleichklang von Ehe und Partnerschaft möglich. Eine Abschaffung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft steht als Ausweg nicht ernsthaft zur Diskussion, wird von niemandem angestrebt und wäre auch ein übertriebenes, falsches Signal. Denn immerhin schützt das LPartG die Bereitschaft von Menschen, sich dauerhaft zu binden und auch rechtlich füreinander einzustehen. Diese private Verantwortungsübernahme ist in einer schnelllebigen Zeit, in der Beziehungen immer instabiler und Lebensentwürfe immer individualisierter werden, durchaus ein Wert an sich. Bleibt die Lebenspartnerschaft damit erhalten, was nicht zu beklagen ist, besteht ein unaufhaltsamer Automatismus zur vollständigen Angleichung an die Ehe, der sehr wohl beklagt werden darf.

Das ernst zu nehmende Argument, es schade niemandem, den traditionellen Schutz der Ehe und Familie auf andere Lebensformen zu erstrecken, hat sich schon jetzt als trügerisch erwiesen. Über den Hebel der Gleichbehandlung wurde die Ehe letztlich zu einer Lebensform unter vielen herabgestuft. Mit der Verbreitung des Anwendungsbereichs verlieren eheliche Privilegierungen, die zu einem erheblichen Teil auch einen (ökonomischen sowie sozialen) Anker für familiäre Solidarität bieten, schleichend an Überzeugungskraft. Hinzu kommt eine – bislang kaum beachtete, aber mittelfristig nicht minder bedeutende – Akzentverschiebung in der Judikatur: Indem das BVerfG nicht primär an die – schützenswerte – Einstands- und Solidaritätsfunktion der Lebenspartnerschaft anknüpft, sondern an die sexuelle Orientierung, befördert es eine Aufwertung des Sexuellen zum Leitmaßstab gegenüber den traditionell sozialen wie liberalen Schutzfunktionen des Familienrechts. Dies geht weit über das – im Ansatz durchaus auf einem konservativen Wertkonzept gründende – Recht der Lebenspartnerschaft hinaus und zeigt, dass auch das BVerfG in der ökonomisierten Selbstentfaltungsgesellschaft angekommen ist. Sex sells!

Wie war diese grundlegende Trendwende möglich? Ein Grund dürfte sein, dass das BVerfG mit seiner Rechtsprechung in ein intellektuelles Vakuum vorgestoßen ist, das die gesamtgesellschaftlichen Kultursprünge seit Mitte der 1990er Jahre hinterlassen haben. Hier zeigt sich, dass es auch ein Versäumnis der Politik war, kohärente und positive Konzepte des Eheschutzes zu entwickeln und Familienpolitik einseitig utilitaristisch als Feld der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik zu besetzen. Ein anderer Grund könnte im institutionellen Setting der Verfassungsgerichtsbarkeit zu finden sein. Das BVerfG leidet schlicht unter einer Übersättigung mit Hochschullehrern. Deren in der Wissenschaft unabdingbare Kreativität ist für die Rechtsprechungskontinuität und Berechenbarkeit eines Höchstgerichts mitunter Gift. Zumindest hieran kann die Politik etwas ändern: Laufbahnrichter haben sich eher selten als Avantgarde vermeintlichen Fortschritts erwiesen.

Anmerkungen 

1 BVerfGE 105, 313 (348).

2 EuGH, Urt. v. 1. 4. 2008, Rs. C-267/06 (Tadao Maruko/Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen), Slg 2008, I-1757, Rn. 67, 73.

3 Nachdem sie dies eben nicht taten, zeigte sich auch der EuGH (durchaus konsequent) zum Durchentscheiden bereit. Siehe EuGH, Urt. v. 10. 5. 2011, Rs. C-147/08 (Römer/Freie und Hansestadt Hamburg), NJW 2011, 2187.

4 BVerfG-K, Beschl. v. 20. 9. 2007, Az. 2 BvR 855/06, NJW 2008, 209; Beschl. v. 6. 5. 2008, Az. 2 BvR 1830/06, NJW 2008, 2325; ebenso BVerwG, Urt. v. 15. 11. 2007, Az. 2 C 33/06, NJW 2008, 868.

5 BVerfGE 124, 199 (226).

6 BVerfGE 126, 400 ff.: Erbschafts- und Schenkungssteuer; BVerfG, NJW 2012, 2719: Grunderwerbssteuer.

7 BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 2012, 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304.

8 BVerfG, Beschl. v. 19. 6. 2012, 2 BvR 1397/09, NVwZ 2012, 1304, Rn. 59.

Beitrag von Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) auf einer Fachtagung der Konrad-Adenauer-Stiftung am 31.1.2013 in Berlin

Quelle: www.kas.de [1] (website der Konrad-Adeneuaer-Stiftung)