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„Tun Sie nicht so, als wären Sie Gott, Professor Dawkins!“

„Er (Gott) ist ein „psychotischer Krimineller“, den verrückte und verwirrte Leute erfunden haben.“ Das ist eine von Richard Dawkins milderen Feststellungen. Dawkins, Professor an der Universität von Oxford, ist auf einem Kreuzzug. Ziel dieses Kreuzzuges ist es, die Welt von einem ihrer größten Übel zu befreien: Religion. „Wenn dieses Buch („Der Gotteswahn“) wirkt, wie ich es mir vorgestellt habe“, meint er, „dann werden religiöse Leser dieses Buch aufschlagen und es als Atheisten wieder bei Seite legen.“ Aber er gibt auch zu, dass dieses Ergebnis sehr unwahrscheinlich ist. „In der Wolle gefärbte Fromme sind immun gegen Argumente“, meint Dawkins.

Ich kenne Dawkins seit über 20 Jahren. Wir sind beide Professoren in Oxford. Wenn irgendeiner „immun gegen Argumente“ ist, dann ist er es. Er begegnet einem als dogmatischer und aggressiver Propagandist.

Zurück in den sechziger Jahren war es tatsächlich so, dass jeder, der Einfluss hatte, erzählte, dass die Religion tot sei. Ich war damals ein Atheist. Ich war als Protestant in Nordirland aufgewachsen. Ich gelangte zu der Überzeugung, dass die Probleme Nordirlands ihre Wurzeln in der Religion hatten. In der Schule liebte ich die naturwissenschaftlichen Fächer. Unter anderem deswegen, weil ich meinte, mit ihnen die Existenz Gottes widerlegen zu können. Der Glaube an Gott war meines Erachtens nur etwas für traurige, verrückte oder böse Menschen, denen die Erleuchtung durch die Naturwissenschaften noch fehlte.

Ich ging 1971 zum Studium nach Oxford und erwartete, dass mein Atheismus dort Bestätigung fände. Es kam völlig anders. Meine Welt wurde auf den Kopf gestellt. Ich gab den Atheismus auf und nahm den christlichen Glauben an. Warum? Es gab verschiedene Faktoren. Einer der Gründe war, dass ich alarmiert war durch die Bücher einiger Atheisten. Sie schienen mehr damit befasst zu sein, die Religion schlecht zu reden, als nach der Wahrheit zu suchen.

Vor allem begegnete ich in Oxford einem Phänomen, das ich aus meiner Heimat in Nordirland nicht kannte: Christen, die ihren Glauben nachvollziehbar artikulierten und Argumente vorbrachten, durch die ich meinen Atheismus hinterfragt sah. Bald entdeckte ich zwei lebensverändernde Dinge.

Erstens: Der christliche Glaube ergibt Sinn. Durch den christlichen Glauben erhielt ich ein neues und nachvollziehbares Welt- und Wirklichkeitsverständnis. Dies wirkte sich gerade auch auf die Naturwissenschaften aus.

Zweitens: Ich machte die Entdeckung, dass der christliche Glaube funktioniert. Er vermittelt Sinn und gibt dem Leben Würde.

Ich setzte mein Studium fort und begann in molekularer Biophysik zu promovieren. Jedoch stellte ich fest, dass Herz und Verstand durch die Theologie verführt wurden. Bis heute liebe ich dieses Feld.

Dawkins und ich sind überzeugte Wissenschaftler. Wir glauben beide an Argumente, die auf Fakten basieren. Wie kann man aber dann erklären, dass wir beide zu solch unterschiedlichen Einschätzungen kommen? Es ist schon lange mein Wunsch gewesen, dass wir darüber in einen intensiven Dialog treten. Unsere Wege kreuzen sich  von Zeit zu Zeit in Fernsehsendungen und vor einigen Monaten hatten wir das Vergnügen, für einen kleinen Schlagabtausch auf einem Sofa des Fernsehsenders BBC zu sitzen. Außerdem wurden wir bei einer Debatte für Dawkins‘ Fernsehsendung „Die Wurzel allen Übels?“  auf „Channel 4“ gefilmt. Dawkins erläuterte in dieser Sendung seine Hauptkritikpunkte an Gott und ich entgegnete den Argumenten, die ganz offensichtlich entweder Übertreibungen waren oder auf Missverständnissen basierten. Das war auch nicht besonders schwer.

So vergleicht Dawkins den Glauben an Gott sehr gerne mit dem Kinderglauben an den Weihnachtsmann oder die Zahnfee. So wie man als Erwachsener nicht mehr an die Zahnfee glaube, so müsse man auch dem Glauben an Gott entwachsen. Doch die Analogie hinkt. Denn wie viele Menschen kennen Sie, die als Erwachsene angefangen haben, an den Weihnachtmann oder die Zahnfee zu glauben?

Viele Menschen entdecken Gott Jahrzehnte nachdem sie aufgehört haben, an die Zahnfee zu glauben. Dawkins, natürlich, meint dann, dass solche Leute entweder verrückt oder senil sind. Das ist jedoch kein logisches Argument. Weder kann Dawkins beweisen, dass es Gott nicht gibt, noch kann irgendein Mensch beweisen, dass es ihn gibt.

Die meisten Menschen sind sich bewusst, dass sie Glaubensüberzeugungen haben, deren Faktizität sie nicht beweisen können. Es erinnert uns daran, dass wir denjenigen, die mit uns nicht einer Meinung sind, mit intellektuellem Respekt begegnen, anstatt sie – wie es Dawkins tut – als Lügner, Gauner und Scharlatane zu diskreditieren.

Als ich diese Themen mit ihm debattierte, schien Dawkins unruhig zu werden. Es erstaunte mich nicht, als ich erfuhr, dass mein Beitrag herausgeschnitten werden sollte. Die Sendung „Die Wurzel allen Übels?“ wurde in der Folge auch wegen der in ihr so offen zu Tage tretenden Unaufrichtigkeit scharf kritisiert. Warum, so fragten die Kritiker, war in der Sendung keine überzeugende und informierte christliche Antwort zu hören. Die Antwort: Sie lag auf dem Fußboden des Schneideraums.

Das Buch „Der Gotteswahn“ von Dawkins ist ebenfalls voll von Missverständnissen. Dawkins konfrontiert uns mit einer anderen Form des dogmatischen Fundamentalismus. Das ist vielleicht der Grund, warum einige der schärfsten Angriffe auf sein Buch von Atheisten und nicht von Christen stammen. Michael Ruse, der sich selbst als darwinistischer Philosoph beschreibt, bekannte, dass er sich schämte ein Atheist zu sein, als er das Buch „Der Gotteswahn“ las.

Durch seinen Dogmatismus hat „Der Gotteswahn“ viele Kritik aus dem säkularen Bereich auf sich gezogen. Viele, von denen man eigentlich erwartet hätte, dass sie sich mit den Thesen Dawkins‘ solidarisieren, distanzierten sich stattdessen von ihm, weil ihnen das Buch schlicht peinlich erschien.

Viele Atheisten sind sich bewusst, dass auch der Kritiker der moralischen Verpflichtung unterliegt, das Phänomen Religion mit gut durchdachten und überzeugenden Argumenten zu hinterfragen. Dawkins‘ krude Stereotypen und seine pathologische Feindschaft gegenüber der Religion haben viele abgeschreckt. Es scheint ganz so, dass das Buch „Der Gotteswahn“ ein monumentales Eigentor ist, das Menschen davon überzeugt, dass der Atheismus ebenso intolerant sein kann wie Religion in ihren schlimmsten Auswüchsen.

Alister McGrath, 9.2.2007

Der Verfasser ist Professor der Theologie am King‘s College, London. Davor war McGrath Professor  für Historische Theologie an der Universität Oxford (www.mcgrath.uk [1]).

Er schrieb das Buch „Der Atheismus Wahn – eine Antwort auf Richard Dawkins und den atheistischen Fundamentalismus“, Gerth-Medien, Asslar, 2008.

Übersetzung: Johann Hesse (4.3.2013)