- Gemeindenetzwerk - https://www.gemeindenetzwerk.de -

Ungeplant schwanger

Theresia ist eine junge, intelligente Studentin. Während einer Auszeit als Freiwilligenhelferin in Peru wird sie unerwartet schwanger. Ohne Einkommen und ohne den Vater des Kindes wirklich gut zu kennen, sieht sie zunächst keine Möglichkeit, das Kind zur Welt zu bringen. Auch ihre Familie plädiert für eine Abtreibung. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland informierte sie sich überall – auch bei der ALfA in Coburg. Nach der Geburt des Babys schrieb die überglückliche Mutter an ALfA. Als Dank, und um ihre persönliche Lebenserfahrung als Ermutigung weiterzugeben:

Schwanger. Zwei blaue Striche auf einem Plastikindikator. Schwanger – Ich? Es war ein Tag nach meinem 24. Geburtstag – und ich war weit weg von daheim – auf der Toilette meiner WG in Lima, Peru. Eigentlich ein ganz normaler Mittwoch. Ich war hier hergekommen um Freiwilligendienst in einem Armenviertel zu leisten. Ich wollte eine Auszeit von meinem Leben zu Hause in Deutschland.

Ich wollte frei sein. »Eine Schwangerschaft ist das genaue Gegenteil von Freiheit«, schoss es mir durch den Kopf. Mein Herz pochte bis zum Hals. Vor lauter Unglauben kaufte ich noch zwei weitere Schwangerschaftstests in der Apotheke, die beide positiv waren, und ging danach in die „Clinica de Lima“, wo mir der Arzt im Ultraschall ein winziges, rasend schnell schlagendes Herzchen zeigte. Da war es also: Ein neues Leben, das in mir heranwuchs. Wieder auf der Straße stehend überkam mich ein Sturm von Gefühlen: »Du musst es nicht kriegen!« – rief eine Stimme in mir. »In Deutschland kann man immer noch was machen! Halte dir alle Möglichkeiten offen!« Gleichzeitig spürte ich ein wohlig, warmes Gefühl. Ich konnte doch dieses kleine Wesen nicht einfach beseitigen?

Aber ich hatte ihm nichts zu bieten. Ohne fertige Ausbildung lebte ich von der Unterstützung meiner Eltern. Und der Vater dieses kleinen Wesens lebte in dem Viertel, in dem mein Freiwilligenprojekt versuchte zu helfen. Unsere Beziehung war schwierig, wir waren uns, obwohl wir uns schon ein halbes Jahr kannten, erstaunlich fremd geblieben. »Der lässt dich hängen!« rief eine Stimme in meinem Kopf. » Der wird dich im Stich lassen!« Vor meinem inneren Auge malte sich eine triste Zukunft als alleinerziehende Mutter ohne jegliche Unterstützung aus. Alleinerziehend: Armutsrisiko Nummer eins – wirbelte es in meinem Kopf.

Und ich wollte doch noch was aus meinem Leben machen. Würde ich mit Kind nicht alle meine Träume aufgeben müssen? Angst und Panik überkamen mich. Man kann immer noch was machen, versuchte ich mich selbst zu beschwichtigen. Abends versuchte ich mich abzulenken und ging aus. Doch obwohl ich versuchte ‚diese Sache‘ nicht so ernst zu nehmen, konnte ich mich nicht überwinden, einen Tropfen Alkohol zu trinken. Ich tanzte ganz normal wie immer – aber ich fühlte mich verändert.

Ich konnte mich nicht auf die Musik einlassen. Dann traf ich Ximena, eine Bekannte. Sie war Ende dreißig und die Chefin einer Organisation, die Mikrokredite an Kleinstunternehmer in Lima vergab – über 90 Prozent dieser Kreditnehmer sind Frauen aus armen Bevölkerungsschichten – und viele von ihnen müssen ihre Kinder alleine durchbringen. Ximena selbst hat einen 19-jährigen Sohn. Ich rechnete schnell: Sie musste bei seiner Geburt unter Zwanzig gewesen sein.

»Ximena, bist du nicht sehr jung Mutter geworden?« fragte ich sie. »Ja,ja, ich war 19 als mein Junge geboren wurde«, sagte sie mit der ihr typischen Fröhlichkeit und Leichtigkeit und wollte wissen warum ich frage. »Nur so«, entgegnete ich ihr. Sie blickte mich an und schien mich mit einem Blick durchschaut zu haben: »Bist du etwa schwanger?« Da war es wieder. Diese Sache, die Ich nicht ungeschehen machen konnte: Ich war schwanger. Nachdem mich Ximena mit Fragen gelöchert hatte, sage ich zu ihr: »Aber ich kann es nicht kriegen. Ich kann ihm nichts bieten.« Schließlich hatte ich das in Deutschland gelernt: Kinder muss man sich leisten können. Eine Schwangerschaft kann den finanziellen Ruin bedeuten.

»Ach, das mit dem Geld ergibt sich von alleine.« entgegnete mir Ximena forsch. »Hab doch ein wenig Vertrauen und du wirst für immer einen Stern haben, der dich begleitet.« Eine solche Lebenseinstellung war mir bis dahin nicht begegnet. Sie schlug mir also vor, aufzuhören alles kontrollieren zu wollen und einfach ein bisschen Vertrauen in die Zukunft zu haben? Mich von den Zwängen und Erwartungen, die ich selbst und auch die anderen an mich stellten, zu befreien und die Entscheidung, die für mich die Richtige war zu treffen?

Der Vater des Kindes reagierte nicht begeistert, als ich ihm am nächsten Tag von der Schwangerschaft erzählte. Auf die für ihn typische Art schaffte er es einfach, nichts zu sagen. Er war mit der Situation überfordert.

Ich rief meine Mutter zu Hause in Deutschland an – sie riet zur Abtreibung. Und auch drei Wochen später als ich daheim ankam, war ihre erste Frage: »Und was gedenkst du wegen deiner Schwangerschaft zu tun?« Ich schluckte. Ich hatte mich noch nicht zu einer Entscheidung durchringen können. Ich versuchte das Thema in den hintersten Winkel meines Kopfes zu verbannen, um ja nicht sentimental zu werden. In meinem Zimmer angekommen, versuchte ich eine Pro und Contra Liste zu erstellen.

Ich verwarf die Liste. Bei der Schwangerenberatung ging es vor allem viel um Hartz 4. Wirklich weiter geholfen hat mir das nicht. Auf die Frage, was für andere Frauen denn ausschlaggebend wäre für eine Abtreibung, meinte die Beraterin, dass sie alleine wären und das Kind ohne Partner großziehen müssten. Ich hatte auch keinen Partner. Mein Kind würde keinen Vater haben. Verzweifelt machte ich einen Termin bei einem Frauenarzt aus, der Abtreibungen durchführte. Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt schon an der zwölf-Wochen-Grenze. Mir blieb keine Zeit.

Die Nacht vor dem Termin wälzte ich mich im Bett hin und her. Sollte ich es wegmachen lassen? Würde ich es nicht für immer bereuen? Oder sollte ich es auf mich nehmen und es bekommen und mein Leben den Bedürfnissen eines Kindes anpassen? Was würde aus mir werden? Ich hatte Angst vor der Zukunft.

Morgens stand ich auf und ging nüchtern zum Bus – zur Abtreibung. Ich fühlte mich nicht gut. Mir war schlecht. Ich wollte trotzdem etwas essen, um keine endgültige Entscheidung treffen zu müssen. In der Klinik gab mir die Helferin einen Fragebogen, den ich ausfüllen sollte. Im Wartezimmer saßen mehrere Frauen und Mädchen: Eine Sechzehnjährige war mit ihrer Mutter gekommen. Eine andere Frau war Mitte dreißig und saß mit einem Kleinkind da.

Alle wollten dasselbe. Ich kam mir erbärmlich vor. Erbärmlich, weil ich mich vor der Verantwortung drücken wollte. Erbärmlich, weil ich hier war, weil ich Angst hatte und feige war. In einer Stunde würde alles vorbeisein. Sie würden meine Gebärmutter ausschaben und ich könnte wieder meinem alten Leben nachgehen. Aber ungeschehen konnte man diese Schwangerschaft nicht machen. Tränen schossen mir in die Augen.

Die Helferin blickte mich genervt an, da sie viel zu tun hatte und ich ihr den unterschriebenen Fragebogen immer noch nicht zurückgegeben hatte. Ich ging nach draußen. Ich weinte. Die Helferin kam nach draußen: »Frau F., was haben Sie denn jetzt vor, bleiben sie jetzt da?« drängelte sie. Wie entwürdigend. Verstand sie denn nicht, worum es hier ging? Mit verheultem Gesicht stand ich auf und folgte ihr. Sie wollte meine Daten in den Computer aufnehmen, als ich in unkontrolliertes Schluchzen ausbrach. Kläglich fragte ich: »Kann ich den Termin auf morgen verschieben?«

Genervt rollte sie mit den Augen und trug mich für den nächsten Tag ein. Ich packte meine Sachen und ging. Ich setzte mich in den Bus nach Hause und fühlte mich unglaublich erleichtert. Wir waren noch zu zweit. Ich hatte es noch bei mir. Ich lächelte und blickte zum Fenster hinaus.

Am nächsten Tag sagte ich den Termin ganz ab. Wohlwissend, dass in ein paar Tagen die Frist von 12 Wochen verstrichen war und es dann kein Zurück mehr gab. Ich wagte den Sprung ins kalte Wasser. Ich würde Mutter werden.

Mittlerweile ist der kleine Jonathan geboren. Der Vater ist jetzt in Deutschland und sehr verliebt in seinen Sohn – und in die junge Mutter. Die Familie ist verzückt über den Nachwuchs und insgesamt enger zusammen gerückt.

Theresias Botschaft: Eine Entscheidung, mit der man für den Rest seines Lebens leben muss, sollte nicht kurzsichtig getroffen werden. Materielle Umstände ändern sich. Was bleibt, sind die Menschen, die wir lieben in unserem Leben.

Jede Entscheidung, die nicht aus Angst heraus, sondern aus Liebe getroffen wird, wird sich letztendlich als die Richtige herausstellen.

Frauen, die vor einer ähnlichen Entscheidung stehen, würde ich den Rat geben, die Augen zu schließen und ihrem Herzen zu folgen. Denn wie schon Saint-Exupery wusste, sieht man nur mit dem Herzen gut.

Quelle: Lebenszeichen, Zeitschrift für die Lebensbewegung Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), Nr. 97, Winter 2012 (www.alfa-ev.de [1])