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GHB-Gründungsaufruf durch Pastor Heinrich Kemner 17.5.1992

Gründungsaufruf zum Gemeindenotbund am 17.5.1992 in der Glaubenshalle des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen

Liebe Brüder und Schwestern,

wir alle empfinden diesen Tag wohl als einen bewegenden Tag. Wir haben ihn nicht gesucht, er kam auf uns zu. Und wir haben viel gebetet. […] Gott sitzt im Regiment. Krelingen habe ich nicht gewollt, sondern Krelingen ist geworden, weil es sein mußte. Vierzehn Tage vor dem Krebstod meiner Mutter, den der Arzt vorausgesagt hatte, weil sie voller Metastasen war, habe ich im dunklen Keller gelobt: „Herr, wenn Du mir die Mutter läßt, die ich über alles liebte, dann will ich Pastor werden!“ – Sie wurde in einer Woche gesund. Dr. Wolters aus Herford nahm sie zum Röntgen mit und kam leichenblaß mit meiner Mutter zurück – das hatte er noch nie erlebt: Alle Metastasen waren weg. Auf dem Röntgenbild war nichts mehr zu sehen, und ich war ein geprügelter Hund. Könnt Ihr das verstehen? Erst dachte ich, meine Güte, was habe ich nur gelobt! Da bin ich zu unserem Pastor gegangen, der war gläubig, und mit ihm habe ich dann gebetet. Er sagte: „Ja, wenn Gott Dich haben will, dann kann das so gehen wie bei Jeremia, dann wirst Du hingepaukt, dann kommt die Unruhe, dann mußt Du!“ Dies war im letzten der Anstoß von Krelingen. […]

Und liebe Brüder und Schwestern, diese Stunde ist doch etwas mehr. Ich habe eben betend an den Augenblick gedacht, den ich mit meiner Frau erlebte beim vorletzten Mal, als wir von Afrika kamen: Ich hatte in Sambia, Rhodesien und Malawi gepredigt und viel Erweckung gesehen, und wir waren nun auf dem Rückflug, als wir über Luanda in10.000 min ein furchtbares Unwetter gerieten. Der Pilot sagte, so etwas hätte er in zehn Jahren Flug noch nicht erlebt. Diese Gewitter bewirkten durch das furchtbare Blitzen luftleere Räume, und die Boeing sackte dann immer ab. […] Zur Ablenkung wurde die Musik auf die größte Lautstärke gestellt. Es wurde noch schlimmer. Siebenmal versuchte der Pilot vergeblich, die Maschine zu landen. Dann kam durch die Lautsprecher die Aufforderung, jeder könne trinken, was er wolle: Whisky, Schnaps – und zwar umsonst. – Mensch, wenn die Welt morgen untergeht, kriegst Du alles umsonst! – Und als wir dann über dem Meer waren, kam der Befehl: Schwimmgürtel umschnallen! Da ging das Geschrei los. Da habe ich den Augenblick gesehen, den Johannes meint, wenn Jesus wiederkommt: „Es werden brüllen alle Geschlechter auf Erden.“ Und als das begann, da sagte meine Frau zu mir: „Du, jetzt haben die anderen nichts mehr zu sagen. Jetzt bist Du dran!“ Ich bin aufgestanden, zur Kanzel, Englisch kann ich nicht viel – God bless you -, nur so ein paar Brocken, und ich habe gefragt, ob ich beten dürfte. Dann habe ich gesagt: „Wir sind in Todesnot, wahrscheinlich müssen wir gleich alle sterben. Faltet die Hände zum Gebet!“ Es wurde in der Sekunde märchenhaft still. Ich dachte an Bergengrün: „Erst muß die Nacht ganz finster sein, eh‘ wir nach Deinem Tage schreien. Erst in der allergrößten Not, da schreien wir, Herr, nach Deinem Brot.“ Ich habe gebetet, und als wir in Las Palmas landeten, kam der Flugzeugführer und nahm mich in den Arm. Auch die anderen bedankten sich alle für das Gebet. Sie wurden ruhig, und dann sagte mir der Flugzeugführer: „Welch ein Glück, daß wir einen Pastor dabei hatten.“ Da habe ich gesagt: „Quatsch! Sondern, daß ein Christ da war, der glaubte ‚Mir ist gegeben alle Gewalt‘.“ Einer, der diese Einfalt noch hatte. Luther würde sagen, „der Gott Gott sein ließ“.

Das tut man heute nicht mehr in der Theologie. Nicht die Wunder tun es. Jesus hat nie eine Show gemacht mit den Wundern. Nicht durch Wunder kommt man zum Glauben. Der Glaube ist selbst ein Wunder. Für mich ist die Jungfrauengeburt, die jener Superintendent in Lüneburg leugnet, eine Selbstverständlichkeit, weil ich an meinem eigenen Herzen das Wunder erlebt habe. Aber das kann man nicht psychologisch begründen. Ich habe vor drei Jahren schon gesagt, in der Schweiz bei einem Haufen katholischer Pfarrer: „Der Drewermann wird Euch noch viel Not machen, denn der löst alles auf  mit seiner psychologischen Methode!“ Das ist die Versuchung, in der wir stehen. Und das ist meine Sorge. Und das habe ich den Bischöfen, soweit ich sie kenne, gesagt, wenn die Anfechtung Versuchung wird, etwa durch die Homosexualität, daß wir selber versucht werden, daß aus der Kirche vielleicht ein Puff wird, wenn das soweit kommt, dann muß eine Stelle da sein, die entscheidend sagt, bis hierher und nicht weiter. Da muß es ja wohl noch Männer geben, die mehr sind als Hampelmänner oder mit dicken Kreuzen rumlaufen, die nichts besagen! Das macht heute keinen Eindruck mehr! Talare und Kreuze machen heute keinen Eindruck mehr, das ist vorbei, liebe Brüder und Schwestern. Wir kommen in die Versuchung. Da muß man wissen, wie man dran ist mit dem anderen, ob man gemeinsam ist mit dem Herrn. Deitenbeck sagt, ob wir in derselben Blutgruppe sind, oder man kann auch sagen denselben Stallgeruch haben. Ob wir das Geheimnis haben mit Christus, mit dem Evangelium, und daraus leben und darauf sterben. […]

Und nun sitzen wir hier. Wollen wir wieder redend weggehen, was haben wir alles gehört, wollen wir schimpfen? Nein! Wir wollen die Kirche erleiden. Wir erleiden sie ja, schrecklich erleiden wir sie. Schlaflose Nächte! Es sind ja geschenkte Tage, das weiß jeder. Und seht, Brüder und Schwestern, in diesem Augenblick, da bin ich ja schließlich noch der derzeitige Leiter im Staffettenlauf. Was Gott hier angefangen hat – das kann ich euch versichern! -, das hat er getan, nicht weil Kemner so ein dicker Mann ist, der da noch etwas Not hat, das wäre das Schrecklichste, wenn aus diesem Werk ein Kemner-Werk würde, dann hätte es gar keinen Sinn gehabt! Aber die Ehre nehme ich mir, daß ich gehorsam gewesen bin in der Unruhe und das Risiko eingegangen bin. Und Gott hat es geführt, wir sitzen hier. Und deshalb wird der Herr weitersorgen, deshalb hat Krelingen einen Auftrag, denn Gott sieht voraus. Gott weiß weiter, Gott führt zum Ziel. Und nun? Ja, dies ist der richtige Augenblick! Sollen wir wieder so weggehen mit Halleluja, und dann stehend singen, und alles bleibt beim Alten? Nein, so nicht, Brüder!

So, und ich möchte jetzt eine Frage stellen, die geht jeden hier an, und die stelle ich Euch jetzt in diesem Augenblick in Vollmacht vor dem Herrn und im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wollen wir ein Wagnis eingehen, das jeder selbst in seinem Gewissen vor dem lebendigen Herrn entscheiden muß? Ich bitte aber, daß drei Brüder vorher kurz beten. Bitte, wer hat die Freudigkeit? Meine lieben Brüder und Schwestern, vor dem lebendigen Gott, vor seinem Urteil, in diesem Augenblick, wo wir hier sitzen, nehme ich mir die Vollmacht, euch zu fragen, ob ihr damit einverstanden seid, in diesem Notstand der Kirche nicht aus der Kirche auszutreten, sondern in die Kirche einzutreten. Wir sind die Kirche, nicht die anderen. Und ich frage Euch, ob ihr mir das Vertrauen schenken könnt, wenn die Abstimmung, die Ihr vor Gott vollziehen müßt, so ausfällt, wie ich es vor Gott erwarte, daß dann drei oder vier Brüder berufen werden, die den Gemeindenotbund, der mit dem heutigen Tage beginnt, vor Gott in letzter Verantwortung zunächst führen, zusammen mit Euch in einem biblisch-demokratischen Gemeindesinn, in Familienstruktur, und nicht von oben herab. Und ob ihr damit einverstanden seid, daß wir in absehbarer Zeit, in dieser Unruhe, die man nicht zeitmäßig bestimmen kann, ob wir im Kairos, den wir erhorchen und betend erglauben müssen, ob ihr einverstanden seid, wiederzukommen, um hier betend, glaubend und mit Opfer mitzuhelfen. […] Das ist mehr wert als zehn Kirchen und zwanzig Päpste. […] Ich jaule wie ein Hund hinter dem Herrn her. Und da steht Jesus still und sagt: Kemner, du kannst überhaupt nichts, nur jaulen. Aber du kriegst einen Brocken. Und dann sage ich Dankeschön, Herr Jesus, wenn ich wieder am Ende bin, dann komme ich wieder. Was soll ich denn mehr machen? Ich kann nur jaulen. […]

Und nun frage ich jetzt: Sollen wir den Gemeindenotbund von heute ab datieren, von diesem Augenblick an; durch die Erweckliche Stimme euch bekannt machen; seid ihr auch bereit, dafür etwas zu opfern, als seine Kinder, die im Notstand zusammenhalten und sich gemeinsam ausrichten? Vertraut ihr dem Herrn? Sollen wir das tun, sollen wir den Augenblick jetzt nehmen im Herrn und von diesem Augenblick an den Notbund, wie damals Martin Niemöller den Pfarrernotbund gründete in einer politisch schlimmen Situation, sollen wir so auch jetzt kirchlich in dieser schweren, viel schlimmeren Situation der Kirche, den Schritt tun nach vorne im Wagnis auf den Herrn? Seid ihr damit einverstanden? Und da möchte ich mir den Freimut nehmen zu bitten, wer dazu Ja sagt, der stehe auf, und wer nicht Ja sagt, der bleibe ruhig sitzen. Also bitte, ich will abstimmen lassen, wer steht auf?

Ich danke euch, es sind ja wohl, wenn ich so schätze, 90 Prozent oder fast alle. Ich bin euch von Herzen dankbar, daß ich diesen Augenblick noch erleben darf, daß endlich eine Herde und ein Hirte kommt. Ein führender Kirchenmann, der zu uns steht, sagte mir: Das Schlimmste ist gar nicht die Kirche mit ihrem Abfall, Bruder Kemner, das Schlimmste ist, daß die gläubigen Kreise unter sich nicht einig sind und nicht von der Mitte her leben, sich gegenseitig noch torpedieren, wo das Schiff Windstärke 11 hat. Herr, schenke uns diese Einmütigkeit. Ich danke euch. Damit ist von diesem Augenblick des kirchlichen Notstandes verbindlich ein Gemeindenotbund, so wollen wir ihn doch nennen, ins Leben gerufen. Das Kind lebt, und die dem Kindlein nach dem Leben trachten, die werden sterben, und wir werden leben. Der Herr will es. Er will es. Er hat es getan. Ich danke euch. […]

Und jetzt: Wir gehen durch Lust und Leid. Wir gehen durch Last und Freud, das Herz zur Ewigkeit gewandt. Wir gehen heim zum Vaterland, zur ewigen Freud. Ich danke Euch für die Kollekte. Die Behörde hat jetzt Bafög für das zweite Studienjahr genehmigt. Auch werden wir morgen vielleicht aus Laienkreisen Brüder ausbilden. Wir wissen nicht, wo es hingeht. Jetzt geht es ins Risiko. Jetzt wird nicht mehr geredet, sondern gehandelt. Ich danke euch für das Vertrauen, und vor Gott verspreche ich euch, ich werde dessen würdig sein und betend das tun, was zu tun ist, auch mit der Kirchenbehörde.

(leicht gekürzte und für die Schriftform geglättete Fassung)

Die Veröffentlichung erfolgt aus Anlaß des 20-jährigen Gründungsjubiläums. Die Gründung des Gemeindehilfsbundes (bis November 1992 ‚Gemeindenotbund‘) erfolgte am 31.10.1992 in der Glaubenshalle des Geistlichen Rüstzentrums Krelingen. Die Jubiläumsfeier findet am 3.11.2012 am Gründungsort statt (Näheres und Anmeldung siehe rechtes Feld ‚Einladung‘).