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Zeichen der Zeit – Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen (Römer 13,12)

Die Zeichen der Zeit – Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen (Römer 13,12)

1. Der wortgewaltige Mensch und die Vergewaltigung der Wirklichkeit

1.1 Demographischer Wandel

Es geht uns glänzend. Die Wirtschaft brummt. Der Handel boomt. Deutsche Ingenieursarbeit ist weltweit gefragt. Im 1,3 Milliardenreich China hat sich ein riesiger Markt aufgetan. Hochwertige deutsche Autos sind dort Verkaufsschlager. „Es sind die besten der Welt, bessere gibt es nicht“, hört man von dort. Die Bilanzen der großen Konzerne glänzen. Steuerquellen sprudeln munter und spülen wieder Geld in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen. Sogar die Sozialkassen weisen Überschüsse aus. Die Zahl der Arbeitslosen geht zurück. Deutschland hat sich vom Schock der weltweiten Finanzkrise von 2008 erholt und steht nun in der Welt und in Europa einzigartig da, von vielen bewundert und beneidet. Eigentlich könnten wir jetzt mit Optimismus in die bessere Zukunft blicken, in die uns der wissenschaftliche und technische Fortschritt mit fester Hand führt.

Doch genau an dieser Stelle klemmt es. Von allen Seiten hört man den Notruf: Wir brauchen dringend Nachwuchs: Facharbeiter, Ingenieure, Wissenschaftler, Hochschullehrer, Konstrukteure und Erfinder, sonst geht es nicht weiter und wir können einpacken. Doch woher nehmen, wenn die Jahrgangskohorten der Schulabgänger immer kleiner werden? Wir Deutsche sind Weltmeister im Produzieren und Konsumieren, aber das rote Schlusslicht beim Nachwuchs, beim „Reproduzieren“. Das ist das Problem.

Der Horizont verdüstert sich. Und von allen Seiten sich auftürmende Gewitterwolken. Die Finanzkrise von 2008 ist noch nicht ausgestanden. In der Europäischen Union häufen sich Problemfälle von überschuldeten Staaten vor der Zahlungsunfähigkeit. Der Kollaps kann eine Kettenreaktion auslösen, die auch uns mitreißen wird. Gleichzeitig zeigen sich weitere Bedrohungen: das Schwinden der Vorräte an Erdöl und Kohle, die bisher den Wirtschaftsmotor antrieben. Die Natur nimmt Schaden durch den massenhaften Verbrauch fossiler Brennstoffe. Die Aufheizung der Erdatmosphäre lässt Polkappen und Alpengletscher schmelzen und den Meeresspiegel ansteigen. Das Ökosystem ist gefährdet. Es mangelt an Trinkwasser und an Rohstoffen. Die Menschheit wächst explosionsartig und der Streit um die verbleibenden Ressourcen wird heißer. Hinzu kommen die politischen Umbrüche in den islamischen Staaten. All das lässt die Spannung steigen. Kein Wunder dass sich die Katastrophen mehren, meist solche, die der Mensch selbst verursacht.

Könnte es nicht sein, dass diese Katastrophen eine gemeinsame Wurzel haben und dass dies mit dem Menschen zu tun hat? Es geht immer um den Menschen. Und dabei zuerst um die eine entscheidende „Schnittstelle“ zwischen Sein und Nichtsein von menschlichem Leben: das Werden und Dasein des neugeborenen Kindes. An dieser Stelle entscheidet es sich, ob der Wirtschaft in Zukunft ausreichend Fachkräfte zur Verfügung stehen, und darüber hinaus, ob menschliches Leben überhaupt Zukunft hat.

Dass es zu dieser Entwicklung kommen musste, war den Verantwortlichen längst bekannt. Die statistischen Ämter haben die demographische Entwicklung seit Jahrzehnten akribisch aufgezeichnet und den Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik zugänglich gemacht. So kann man die Entwicklungskurven studieren, die festhalten, wie sich die Geburtenzahlen von 1880 bis heute entwickelt haben. Am Anfang über 5,1 Kinder pro Frau, dann ständig und langsam auf dem Abwärtsweg, nach der Katastrophe der beiden Weltkriege in den 60er Jahren noch ein Babyboom von 2,5 Kindern, dem ein jäher Absturz folgt bis zu den 1,3 Kindern pro Frau in der Gegenwart, während zur Erhaltung des Bestandes 2,1 erforderlich sind. Prognosen, die sonst nur einen begrenzten Wahrscheinlichkeitsgrad haben, sind im Falle der demographischen Entwicklung von erbarmungsloser Stabilität. Das Schwinden der kommenden Generation ist durch die zu geringe Zahl der pro Jahr geborenen Mädchen vorprogrammiert. Nach drei Generationen ist die Bevölkerungszahl dann auf  25 Prozent zurückgegangen. Und das heißt, dass wir schon jetzt zur Kategorie „aussterbende Arten“ gehören. Wir haben solide statistische Ämter und hervorragende Bevölkerungswissenschaftler, deren Forschungsergebnisse längst publik sind. Keiner kann sich drücken und behaupten, es handle sich um falschen Alarm.[1] [1]

Erstaunlich ist, wie die Politik darauf reagiert. Schon vor einem Jahrzehnt befasste sich die Enquête Kommission „Demographischer Wandel des Deutschen Bundestags“ mit dem Problem. Über die Ursachen gibt es nur wenig zu sagen. Und wenn, dann mit einem „schwarzen Peter“, der den Männern zugespielt wird, deren patriarchalisches Verhalten einen „Gebärstreik“ der Frauen provoziert habe.[2] [2] Kein Wort zu den bestürzenden, geradezu selbstmörderischen Konsequenzen für das eigene Volk und seine Kultur. Als handele es sich um eine Art Naturereignis, das nicht zu ändern ist und über das man auch nicht viel diskutieren muss. Es ist ein demographischer „Wandel“, dem man sich  klug anpassen kann, also ein eher friedliches und normales Geschehen. Man kann den „Wandel“ verzögern durch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die insbesondere durch den Ausbau und die Finanzierung von Kindertagesstätten zu erreichen ist. Das Rentenalter kann erhöht werden, damit auch ältere Menschen länger im Beruf bleiben und ihre Erfahrungen einbringen können. Schließlich gilt es, die Türen für Menschen aus anderen Ländern weit aufzutun, sie aufzunehmen und zu fördern, um so zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen. Ziel ist deren Einbürgerung in die Bundesrepublik Deutschland. Immigranten und ihre Familien sollen deshalb – schon von Kind auf – gut integriert werden, wozu ebenfalls Kindertagesstätten nützlich sind. Jede Fremdenfeindlichkeit jedoch muss entschieden bekämpft werden. Integrationshindernisse durch die alte Feindschaft der Religionen müssen durch Bemühungen um Religionsfrieden abgebaut werden. Dann ist der demographische „Wandel“ eine Chance zum glücklichen Zugewinn einer „bunten kulturellen Vielfalt.“

Wenn wir genauer hinschauen, was bei diesem „demographischen Wandel“ wirklich geschieht, dann kann man nicht übersehen, dass der Rückgang der Geburtenraten die Folge menschlichen Handelns ist. Mit der „Pille“, die das Sexualverhalten von der Fortpflanzung, also Schwangerschaft und Geburt abtrennt, kommt es zum „Pillenknick“ und in dessen Folge zur massenhaften Verhütung von Schwangerschaften. Dazu kommt der brutale Eingriff: die Tötung von „Leben, das leben will“ (Albert Schweitzer) im Mutterleib, staatlich geduldet, von den Krankenkassen finanziert und ärztlich praktiziert. Die Zahlen von jährlich etwa 110000 Abtreibungen – ohne die ebenso hoch geschätzte Dunkelziffer – sind erheblich. Hier wird unsere eigene Zukunft zerstört. Von demographischem Wandel zu reden, wird den Tatsachen nicht gerecht; sie sollen damit offensichtlich verschleiert werden. Im Klartext: es handelt sich um eine handfeste Lüge.

Um das Problem des demographischen Wandels und der „handfesten Lüge“ zu verstehen, gilt es einen Blick auf die Spielregeln des Lebens zu werfen.[3] [3] Es ist das Zusammenspiel von „Produktion“ und „Reproduktion“ bei allem Lebendigen zur Fortsetzung des Lebens über die Todesgrenze hinaus, und darin das Zusammenwirken der beiden Geschlechter. Bei allen Lebewesen können wir beobachten, dass deren Fortbestand ein ausgeglichenes Verhältnis von „Produktion und Reproduktion“ zur Voraussetzung hat. Dazu ist jedes Tier ausgerüstet mit einem kräftigen Trieb, und mit Verhaltensabläufen, angeborenen oder erlernten, um ausreichend „Lebensmittel“ für die notwendige „Produktion“ zu gewinnen. Das andere, die „Reproduktion“, ist die zweite Aufgabe, die jedem Lebewesen gestellt ist, nämlich eine ausreichende Zahl von Nachkommen zu hinterlassen, um der eigenen Art über den eigenen Tod hinaus die Fortsetzung zu ermöglichen. Dazu ist für das Tier die polare Ausprägung in zwei Geschlechtern, männlich und weiblich, vorgegeben. Ausgerüstet mit dem unwiderstehlichen Sexualtrieb, der sich beim männlichen Partner zeigt in der Werbung um die geeignete Sexualpartnerin, im Kampf gegen Rivalen, dem Liebesspiel, der Paarung. Beim weiblichen Teil das Austragen, die Geburt und die Sorge für das Neugeborene bis zu seiner Entlassung ins eigene Leben. Jeder kennt das und beobachtet es mit Vergnügen in der Natur. Nur wenn beides, Produktion und Reproduktion gleichermaßen gelingen, kann sich die eigene Gattung fortsetzen; andernfalls droht das Aussterben.

Der Mensch hat dieses Überlebensprogramm der Arten für das wirtschaftliche Leben übernommen. Ein Industrieunternehmen steht vor derselben Aufgabe, seine Zukunft zu sichern durch die Gleichstellung von Produktion und Reproduktion. Sie wird erreicht durch die jährliche Erstellung der Unternehmensbilanz und darin der Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva. Ein Unternehmer, der sich die „Reproduktion“, nämlich die Kosten für Abschreibungen und Rückstellungen und andere auf Zukunft ausgerichtete Kosten ersparen will, um einen größeren persönlichen Gewinn zu erzielen, kann dies für wenige Jahre tun. Dann jedoch steht sein Unternehmen vor dem „Bankrott“, und er scheidet mit einem unbezahlbaren Schuldenberg aus dem wirtschaftlichen Wettbewerb aus.

Mit der Gleichstellung von „Produktion“ und „Reproduktion“ in den Prozessen des Lebens und der Wirtschaft wird die Tatsache akzeptiert und in Rechnung gestellt, dass beide dem Zeitstrom ausgeliefert und der Vergänglichkeit unterworfen sind. Hier zeigt sich die Ursache der gegenwärtigen Not: Es ist das Nichtanerkennen-Wollen der Vergänglichkeit unseres und allen Lebens, wie sie im 90. Psalm im Gebet vor Gott gebracht wird: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Der Mensch entlarvt sich als der Bankrotteur und Zerstörer der Schöpfung und seiner selbst. Die drohenden Gewitterwolken am Horizont der Zeit und der demographische Niedergang, den die Krise um fehlende Nachwuchskräfte für die bisher so erfolgreiche deutsche Industrie eindrücklich vor Augen stellt, haben darin ihren gemeinsamen Grund.

1.2 Die neue Ideologie des Bösen

Dieses „Nichtanerkennen-Wollen“ der Vergänglichkeit alles dessen, was dem Zeitstrom ausgeliefert ist, führt auch zur „neuen Ideologie des Bösen“, von der Johannes Paul II. in „Erinnerung und Identität“ über „die Ideologien des Bösen“ spricht.

„An diesem Punkt kann man es nicht unterlassen, ein Problem anzusprechen, das heute außerordentlich aktuell und schmerzlich ist. Nach dem Sturz der Regime, die auf den Ideologien des Bösen aufgebaut waren, haben in ihren Ländern die eben erwähnten Formen der Vernichtung de facto aufgehört. Was jedoch fortdauert, ist die legale Vernichtung gezeugter aber noch ungeborener menschlicher Wesen. Und diesmal handelt es sich um eine Vernichtung, die sogar von demokratisch gewählten Parlamenten beschlossen ist, in denen man sich auf den zivilen Fortschritt der Gesellschaften und der gesamten Menschheit beruft. Und auch an anderen schweren Formen des Verletzung des Gesetzes Gottes fehlt es nicht. Ich denke z.B. an den starken Druck des Europäischen Parlaments, homosexuelle Verbindungen anzuerkennen als eine alternative Form der Familie, der auch das Recht der Adoption zusteht.  Es ist zulässig und sogar geboten, sich zu fragen, ob nicht hier – vielleicht heimtückischer und verhohlener – wieder eine neue Ideologie des Bösen am Werke ist, die versucht, gegen den Menschen und gegen die Familie sogar die Menschenrechte auszunützen.“ [4] [4]

Johannes Paul II. spricht von einer „neuen Ideologie des Bösen“. Er stellt sie in eine Reihe  mit den bekannten Ideologien des Bösen, die mit Mitteln der Gewalt zur „Vernichtung“ von menschlichem Leben geführt haben, wie es Karol Wojtyla in seiner polnischen Heimat erlebt hat. Das „Böse“ der „neuen Ideologie des Bösen“ führt ebenfalls zur Vernichtung menschlichen Lebens. Das „Neue“ besteht in den Mitteln, mit denen dies geschieht: nicht durch Krieg und Kriegsverbrechen, Justizverbrechen und Vernichtungslager, sondern durch „legale Vernichtung von menschlichen Wesen“ im Mutterleib, und durch den Kampf gegen Ehe und Familie. Es ist die hochsensible und verletzliche Stelle, da neues Leben entstehen will. Die Vernichtung geschieht ohne Bomben, Granaten, und Gaskammern auf eine „friedliche“ Art und Weise, sogar unter „Ausnutzung“ von „Menschenrechten“. Die für den Fortgang des Lebens bestimmten Institutionen, Ehe und Familie, bleiben zwar (noch?) bestehen, sie werden aber durch „demokratisch gewählte Parlamente“ mit allerlei Plagiaten „gleichgestellt“, in denen im Falle der „Homo-Ehen“ menschliches Leben schon gar nicht entstehen kann.

Das „Heimtückische“ und „Verhohlene“ des Verfahrens erinnert an das Pauluswort: „denn er selbst, der Satan, verstellt sich als Engel des Lichts“ (2. Kor 11,14). Wenn man auf die Folgen der neuen Ideologie des Bösen schaut, dann wird man sagen müssen, dass deren Vernichtungseffizienz größer ist, als die der Nazi-Ideologie. Was dem Schreckensregime der Nazis nicht gelungen ist, das schafft die „neue Ideologie des Bösen“: die Vernichtung des eigenen Volkes und seiner Kultur binnen eines knappen Jahrhunderts.

1.3 Die Macht der Sprache

1.3.1 Die Welt verändern

Das wichtigste Mittel, mit der die neue Ideologie des Bösen in den Blutkreislauf der Gesellschaft eindringt, ist die Sprache. Sprache ist weit mehr als ein Kommunikationsmittel. In der Sprachwelt eines Menschen zeigt sich seine „Welt“ als das, was ein Mensch aus den unzähligen ihn umgebenden Informationen ausgefiltert und im Gehirn verarbeitet hat. Mit der Sprache kann er jedoch auch seine „Welt“ verändern, wie beim  „demographischer Wandel“. Es sind Worte aus dem Umfeld von Ehe und Familie, der Schnittstelle zwischen Nichtbesitz und Besitz von Leben, mit denen man unsere Welt völlig verändern kann. Jeder Mensch, gleich was in seinem Leben geschieht, ist vom ersten bis zum letzten Augenblick seines Daseins das Ergebnis der Verbindung eines Mannes und einer Frau. Und es ist das Natürlichste und Vernünftigeste, wenn beide sich zur Verantwortung für das neue Leben bekennen, es beschützen und ins Leben hineinführen. Die Familie von Vater, Mutter und Kind ist deshalb kein soziales Konstrukt, sondern das grundlegende Ordnungsgefüge des Menschen, die Zelle der Gesellschaft – längst vor dem verfassten „Staat“. In Artikel 6 unserer Verfassung ist dieser Vorrang ausdrücklich anerkannt als eine vorgegebene Wirklichkeit. So in Artikel 6: „(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2)Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Man kann diesen Artikel unserer Verfassung nicht ohne weiteres abändern oder streichen. Aber man kann im Zeitalter des Pluralismus die Begriffe so erweitern, dass darunter auch homosexuelle Verbindungen untergebracht werden können, also die „Homo-Ehe“. Das Gleiche wird angestrebt für den Begriff Familie. So in der Resolution der „Grünen Jugend“ vom 19.11.2007: „Der Begriff ‚Familie’ wird bei uns in erneuerten Definition verwendet. Wir verstehen darunter sowohl das klassische Vater-Mutter-Kind-Bild, als auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit oder ohne Kind, polygame Lebensgemeinschaften, Patchworkfamilien, Alleinerziehende aber auch Wohngemeinschaften (…) „Dies wollen wir rechtlich mit einem Familienvertrag absichern und damit die Ehe ersetzen.“(…) „Auch Geschwister, die sich lieben, sollen Familienverträge abschließen und Kinder bekommen können. Sie sollten in diesem Fall an einer Familienberatung teilnehmen. Die GRÜNE JUGEND will hier keine Straftatbestände.“[5] [5]

Die Mutterpartei hat sich von diesem Programm nie distanziert. Das „klassische Vater-Mutter-Kind-Bild“ wird als eine Möglichkeit zwar noch akzeptiert, es ist aber klar, dass es ein Auslaufmodell ist, während allein dem pluralistischen Modell die Zukunft gehört. All dies soll nun unter den „besonderen Schutz“ der staatlichen Ordnung nach Artikel 6 gestellt werden. Dessen Sinn und Intention ist jedoch keineswegs, alle möglichen Lebensgemeinschaften unter einen besonderen Schutzschirm zu stellen, weil hier Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, sondern eindeutig und ausschließlich die Ehe und Familie von Mann und Frau als die einzige zuverlässige Quelle, aus der neues Leben und dessen Fürsorge zu erwarten ist, ohne die ein Staat keine Zukunft hat. Es geht um den Schutz dieser empfindlichen „Schnittstelle“ zwischen Nichtsein und Sein von Leben gegen alle Übergriffe, auch von Seiten des Staates.

1.3.2 Druck ausüben – der Fall Sarrazin

Die Sprache kann sodann massiven Druck ausüben mit Titulierungen und Urteilen, die den anderen moralisch vernichten. Wer die neue pluralistische Definition von Ehe und Familie ablehnt und die „traditionelle“ Definition allein gelten lässt, wird zum Feind erklärt: er ist nun „homophob“, ein „Homohasser“, ein „Fundamentalist“. Er „diskriminiert“ Menschen, weil sie anders leben und denken. Er verletzt das höchste Gebot des Pluralismus, die „Toleranz“ und kann deshalb für seine Meinung und auch für seine Person keine Toleranz erwarten. Er muss ausgeschlossen werden aus der Gemeinde der Anständigen und wird im politischen Spektrum als „rechtsradikal“ nahe bei den Neonazis eingeordnet.

Ein starkes Mittel, mit Sprache den eigenen politischen Willen durchzusetzen, ist die Kampagne. Sie richtet sich gegen angesehene Persönlichkeiten, die als „Autoritäten“ gelten und leider den eigenen Zielen widersprechen. Im Jahr 2010 machte der Fall „Sarrazin“ schlagartig die innere Situation unseres Landes sichtbar. Das Buch mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab – wie wir unser Land aufs Spiel setzen“  erzielte in kurzer Zeit eine Auflage von 1,5 Millionen, für ein Fachbuch einmalig im deutschen Buchhandel, und löste zugleich eine gewaltige Kampagne aus.[6] [6] Fast die ganze deutsche Presselandschaft, der Bundestag einschließlich der Bundeskanzlerin, das öffentliche Fernsehen mit Kommentaren und zielgenau ausgerichteten Talk-Shows, versammelten sich gegen Thilo Sarrazin. Er musste aus dem Vorstand der Deutschen Bundesbank ausscheiden; es wurde ein Parteiordnungsverfahren der SPD angestrengt mit dem Ziel, ihn aus der Partei auszuschließen, allerdings ohne es durchsetzen zu können. Sarrazin war Mitglied der SPD in höchsten Ämtern: als Finanzsenator der Stadt Berlin, als Vorstandsmitglied der Bahn AG, als Spitzenbeamter in der Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen, hoch angesehen mit seinem Fachwissen, seinem klaren Urteil und seinem weiten Horizont.

Was war die Ursache des Konflikts? Thilo Sarrazin wusste aus langjähriger Erfahrung um die Problematik der Zukunft unseres Landes und legte deshalb auf den Tisch, was man nicht wissen wollte und sollte, nämlich die Konsequenzen des Geburtenrückgangs, verbunden mit einer problematischen Zuwanderungspolitik, die mit logischer Konsequenz dazu führen müssen, dass sich Deutschland „selbst abschafft“. Das Buch ist weithin eine sachliche Darstellung der demographischen Entwicklung mit Material der anerkannten Bevölkerungswissenschaftler, für sich gesehen schon ein Aufruf zur Besinnung und zur ehrlichen Diskussion. Doch darauf wird von den Gegnern gar nicht eingegangen. Stein des Anstoßes ist seine Darstellung der Einwanderungspolitik. Hier zeigt Thilo Sarrazin die Schwierigkeiten: die unterdurchschnittliche Integration der Immigranten aus islamisch geprägten Ländern in die Arbeitswelt, und zugleich die überdurchschnittliche Abhängigkeit vom staatlichen Sozialtransfer; die unterdurchschnittliche Beteiligung an der Bildungswelt und zugleich eine überdurchschnittliche Kinderzahl, und daraus schließlich die Bildung von Parallelgesellschaften, vor allem in den großen Städten, verbunden mit einer überdurchschnittlichen Tendenz zu fundamentalistischen Strömungen des Islam. Die dabei von Sarrazin angewandten Theorien aus dem Bereich der Bildungsforschung und der Vererbungslehren sollten erklären, was der deutsche Bürger, vor allem in Berlin, mit eigenen Augen schon seit Jahren sehen und erleben kann. Die Folge wird sein, dass der demographische „Wandel“ zum Rückgang der deutschen Bevölkerung führt und zum gleichzeitigen Zuwachs der Immigranten, daraus Unfrieden, wirtschaftlicher Niedergang und der Alptraum, dass sich „Deutschland abschafft“.

Die Theorien und Thesen aus der Bildungsforschung und der Vererbungslehre boten sich als Angriffsfläche an. Hier zeigten sich wohl auch fachliche Defizite. Darüber muss man reden; und darüber kann man auch streiten. Aber nun wurde daraus eine Orgie von Hass und Wut. Mit dem Pathos der moralischen Empörung wird Sarrazin Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamophobie, eine herzlose und hirnlose Menschenverachtung vorgeworfen, gar in die Nähe zu nazistischem und antisemitischen  Gedankensgut gebracht.

Doch nun zeigt sich ein Phänomen, das es bisher in der politischen Landschaft nicht gegeben hat: Umfragen ergaben, dass mindestens 52 Prozent der Bevölkerung den Thesen von Sarrazin zustimmt. Hier zeigt sich zum ersten Mal eine breite Kluft zwischen dem Volk und der in Politik und öffentlichen Medien tonangebenden Klasse. Sie sieht sich plötzlich in der Minderheit gegenüber dem Volk. Offensichtlich hat sich die schweigende Mehrheit in den einleitenden Sätzen des Buches wiedergefunden: „Vernünftig diskutiert haben wir über die demographische Entwicklung in Deutschland in den letzten 45 Jahren nicht. Wer nicht im Strom der Beschwichtiger und Verharmloser schwamm, wer sich gar besorgt zeigte, der musste bald frustriert erkennen, dass er alleine stand, und nicht selten fand er sich in die völkische Ecke gestellt.“ Und dann der Satz: „Wie Mehltau hat sich politische Korrektheit über die Struktur-und Steuerungsfragen der Gesellschaft gelegt und erschwert sowohl die Analyse als auch die Therapie.“[7] [7] Hier fanden sich zahlreiche Leser wieder. Man hat verstanden, dass dies der Grund ist, weshalb Thilo Sarrazin es wagt, in Klartext zu sagen, was eigentlich los ist mit unserem Land.

1.3.3 Alle gegen Rechts

Bei der meinungsbildenden Klasse schrillen nun die Alarmglocken. Da zeigt sich eine Mehrheit aus Nichtwählern und Unzufriedenen. Wenn sich ein charismatischer Führer findet, kann daraus gefährliche Konkurrenz erstehen. Nun muss bei jeder auftauchenden Gefahr vor „Rechtspopulisten“ gewarnt werden. Nun muss alles aufgeboten werden unter der Kampfparole: „Alle gegen Rechts!“

Am rechten Rand der Gesellschaft bildeten sich schon seit einiger Zeit radikale Netzwerke und „Kameradschaften“ mit nazistischem Gedankengut. Inhaltlich nahe steht ihnen die politisch mit unter ein Prozent Wählerstimmen unbedeutende NPD. In der Öffentlichkeit zeigen sich Neonazis in martialischem Outfit: Glatzen, Bomberjacken und Springerstiefeln. Fahnen und Nazisymbole begleiten ihre im Chor gebrüllten Parolen gegen Ausländer, Farbige und Moslems. Ist das die Fortsetzung der NSDAP? Für jeden, der den Nationalsozialismus selbst erlebt und erlitten hat, ist das eine groteske Verharmlosung dessen, was war. Nazis damals und Neonazis heute – das ist wie der Unterschied zwischen einer historischen Trachtengruppe und dem Original. Hitler hätte sie ins KZ gesperrt, weil sie ihm in der Öffentlichkeit im Wege sind. Das Demonstrationsaufgebot der Neonazis gehört eher zu den verschiedenen Subkulturen mit krimineller Energie wie die motorradfahrenden Rockerbanden, „Banditos“ oder „Hells Angels“. Für diese These spricht, dass „Neonazis“ auch in Großbritannien, den USA, in Russland, in Griechenland, sogar Indien auftauchen, offenbar ein „Format“, mit  dem man heute leicht in vielen Ländern Aufmerksamkeit gewinnen und Protest organisieren kann.

Wenn sich die „Trachtengruppe“ zur Demonstration angemeldet hat, kaum mehr als ein paar hundert Mann, kommt zum Schutz ein Polizeiaufgebot, zahlenmäßig weit überlegen. Das muss sein, weil sich eine riesige Gegendemonstration angemeldet hat, vereint im „Kampf gegen Rechts“: Vertreter aus den Parteien, den Gewerkschaften, Kirchen, Schulen und Vereinen – und am Rande Aktivisten aus der linksradikalen Szene, die der Polizei dann mehr Scherereien machen werden als die Neonazis.

Am Ende gibt es nur Sieger. Die „rechten“ Rabauken fühlen sich als die wahren Helden, die soviel Aufmerksamkeit auf sich versammeln konnten und der Übermacht trotzten. Und die Gegendemonstranten von „Alle gegen Rechts“ fühlen sich als aufrechte Demokraten, die sich den Nazis mutig widersetzten. Das Unternehmen erinnert an ein Ritual, das zu beider Selbstbestätigung immer wieder veranstaltet werden muss.

Die Nazis waren nicht „konservativ“, sondern zählten zur „nationalen Revolution“. Sie wollten den nordischen Herrenmenschen züchten und die als Untermenschen gebrandmarkten Juden vernichten, um so die Welt zu retten. Es ist jener Frevel, als die Guten im Kampf gegen die Bösen die Welt zu erlösen, der alle „Ideologien des Bösen“ kennzeichnet – und zum Scheitern verurteilt. Die Frage ist, ob die Helden „gegen Rechts“ nicht selbst in diese Kategorie gehören.

1.3.4 Im Griff der Lobby

Die Initiative zu dieser angesichts der demographischen Entwicklung contraproduktiven Familienpolitik kam nicht aus den im Bundestag vertretenen Parteien, sondern von mächtigen internationalen Lobbyverbänden. Das eine sind die internationalen Schwulen-und Lesbenverbände, in Deutschland organisiert im Lesben-und Schwulen Verband Deutschland (LSVD), das andere die bei der UNO akkreditierte „Nicht Regierungsorganisation“ (NGO) der Frauenverbände mit dem Gender-Mainstreaming-Programm. Lobbyisten sind Interessenvertreter; im Bundestag registriert, haben das Recht, über Eingaben und persönliche Kontakte ihre „Interessen“ einzubringen. Es ist verständlich, dass sie ihr spezielles „Interesse“ als eine für das Land notwendige Sache darstellen. Lobbyisten sprechen für eine spezielle Gruppe, auch wenn sie von deren Gliedern dazu nicht gewählt worden sind. Das gilt auch für die beiden Lobbyorganisationen, mit denen wir es heute in Fragen der Familienpolitik zu tun haben.

Die Homosexuellenbewegung hat eine lange Vorgeschichte in den USA, wo Betroffene schon längere Zeit gegen „Diskriminierung“ protestierten.[8] [8] Wichtigstes Datum ist die 1973 verabschiedete Resolution des angesehenen Fachverbands „American Psychiatric Association (APA), Homosexualität aus der Liste der zu behandelnden psychischen Störungen zu streichen. Das geschah unter erheblichem Druck von Betroffenen, war also eine politische Entscheidung. Seither gilt es als tabu und politisch inkorrekt, Homosexualität als Krankheit zu behandeln. Die über Jahrzehnte geübte wissenschaftliche Forschung und ärztliche Praxis ist seitdem verpönt.

Die weltweit organisierten Frauenverbände beschlossen eine entsprechende Agenda auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995.[9] [9] Die Vertreterinnen aus Ländern der dritten Welt, die sich für die Familie einsetzten, wurden als lästige „Fundamentalisten“ ausgebootet, um die Abschlussresolution mit der Gender Perspektive durchzusetzen. Deren Ziele sind eindeutig: die Kategorie „Geschlecht“ soll aufgeweicht und verunsichert werden, damit die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen als Mann und Frau. Sie sind in allen Bereichen auswechselbar und keineswegs aufeinander verwiesen. Über die Vereinten Nationen und die Europäische Union wurde die Gender-Mainstreaming Perspektive durch Kabinettsbeschluss der Rot-Grünen Regierung vom 23.Juni 1999 anerkannt und sodann als Staatsziel und durchgängiges Leitprinzip ihres Handelns beschlossen.

Beide Aktivitäten zeigen viel Gemeinsames. So verstehen sich als die rechtmäßigen Vertreter großen Gruppen: „der Homosexuellen“ –  „der Frauen“. Jedesmal setzen sie sich auf manipulative Weise gegen Andersdenkende durch. Und beide zählen zu der westlichen emanzipierten Bildungsschicht.

Beide Bewegungen kommen aus einer spezifischen Notsituation. Und in beiden wird die Ursache der Not allein der Gesellschaft zugeschrieben. Die Gesellschaft ist das Problem. Sie muss radikal verändert werden: durch Aufklärung, Umerziehung und staatliche Gesetzgebung. Dafür gilt es zu kämpfen

Wie das bei der Homosexuellenbewegung geschieht, beschreibt Paul E. Rondeau ausführlich in seinem Aufsatz „Wie Homosexualität in den USA vermarktet wird“, nämlich mit modernen Marketing-Methoden ähnlich einer  Gehirnwäsche, und mit dem Kampf um die Herrschaft über die Medien, das Erziehungs-und Bildungswesen. Kurz: es geht um die „Macht“ und wird auch mit Machtmitteln durchgesetzt.[10] [10]

Anders die Gender-Mainstreaming Perspektive. Hier wird eine sanfte und raffiniert verdeckte Methode gewählt, das „Implementieren“ der neuen Gedanken in alle gesellschaftlichen Bereiche durch Aufklärung, Verwaltungsmaßnahmen, und gezielte finanzielle Förderung – alles unterstützt vom „wissenschaftlichen“ „Gender Kompetenz Zentrum“ der Berliner Humboldt-Universität..

Beide Aktionen entwerfen ein völlig neues Bild des Menschen und der Gesellschaft. Es wird als „wissenschaftlich“ qualifiziert mit eigenem wissenschaftlichen „Fachchinesisch“ abgesichert; eine Wissenschaft, die allerdings nicht kritisiert oder „falsifiziert“ werden darf. Andersdenkende werden als Feinde behandelt. Entgegenstehende Aktionen, die ältere Theorien und Erfahrungen zur Veränderung von Homosexualität weiterführen und dabei auch Erfolg haben, werden mit allen Mitteln bekämpft, kriminalisiert und als „Scharlatane“ verachtet. So entsteht ein totalitäres Klima der Angst, in dem nur wenige öffentlich zu sagen trauen, was sie denken und wissen. Der „Kampf“ hat jedoch vor allen die intellektuellen „Elite“ der Homosexuellen im Blick, eine Mehrzahl bleibt  ihrer Not überlassen, nunmehr ausgeschlossen von der Möglichkeit, psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

An dieser Stelle zeigen sich strukturelle Ähnlichkeiten mit bekannten totalitären Ideologien, die sich ebenfalls mit dem Adelsprädikat der „Wissenschaftlichkeit“ auszeichneten. Es erinnert an die obligatorische Rassenkunde der Nazis und den „wissenschaftlichen“ Marxismus-Leninismus “ als Staatsphilosophie der DDR. Bei beiden Akteuren geht es „top down“ – weit entfernt von demokratischen Standards.

Die „Werte“ der neuen Ideologie kommen aus humanistischer Tradition, freilich in bestimmter Weise verzerrt und verabsolutiert. Die Gleichheit des Menschen vor dem Recht wird zur „Gleichstellung“, die keine Unterschiede und Polaritäten gelten läst. Die Toleranz wird  aus dem Ertragen und Respektieren des Anderen nun zum pluralistischen „anything goes“. Gesichert wird das Ganze durch ein striktes Antidiskriminierungsverbot. Die Freiheit aber wird zur Lizenz, sich möglichst alles leisten zu dürfen und einengende Grenzen zu beseitigen.

Die beiden Aktionen sind jedoch nicht identisch. Sie repräsentieren die Verschiedenheit der beiden Geschlechter, die sie doch überwinden wollen. Am alles entscheidenden Punkt widersprechen sie sich total. Für die Homosexellenlobby ist Homosexualität so angeboren und unveränderbar wie die Linkshändigkeit. Jeder Versuch einer Veränderung oder Heilung ist sinnlos und schädlich; er muss strikt verboten werden. Bei den Gender-Damen ist es genau umgekehrt: Es gibt überhaupt keine angeborenen wirklichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Geschlecht ist nur „Gender“, eine soziale Gewohnheit, den Kindern schon früh als ein „Stereotyp“ andressiert, ein „Konstrukt“, das destrukturiert und durch eine Neukonstruktion ersetzt werden muss, damit  der Mensch die ihm zustehende Wahlfreiheit in einer Pluralität von sexuellen „Orientierungen“ leben kann. Dieser logische Widerspruch wird verschwiegen, beweist er doch, dass beim Miteinander der zwei absoluten Doktrinen beide nur absolut falsch sein können.

Trotzdem, oder vielleicht sogar deshalb, ist es dringend nötig, die eigenen im Gespräch vertretenen Positionen nun auch als für jedermann verpflichtend festzuschreiben. Der Prozess der Verrechtlichung ist schon weit fortgeschritten, Man muss nur die Namen nennen: Antidiskriminierungsgesetze, vor allem zum Schutz des „sexuellen Orientierung“ bei denen die Beweislast zum Nachteil des Beschuldigten umgekehrt wird. Sodann die Lebenspartnerschaftsgesetze für homosexuelle „Paare“. Schrittweise konnten sie allen Ehe-und Familiegesetzen mit ihren Privilegien angenähert werden. Der vollen Gleichstellung steht nur noch Artikel 6 des Grundgesetzes im Wege. Er ist zwar fast bis zu Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt, muss aber fallen, damit alles endlich „in trockenen Tüchern“ ist. Ruhe kann erst dann einkehren, wenn jeder Widerstand zum Schweigen gebracht ist. Dann wird neue Wirklichkeit geschaffen. Durch Sprache: nun die Sprache des Gesetzes und das Machtwort des Richters.

1.3.5 Ob die neue „Wirklichkeit“ auch „wirklich“ werden kann?

Da sind noch Widerstandsnester: Evangelikale und konservative Christen die sich als „Fundamentalisten“ offensichtlich nicht belehren lassen. Als großer Brocken die katholische Kirche mit dem harten Kern in Rom. Und was ist mit den 52 Prozent der bisher schweigenden Mehrheit? Wird sie für immer schweigen? Darunter die politisch Inkorrekten im Internet, die so schwer zu fassen sind.

Was geschieht erst, wenn zum Schließen der sich immer weiter öffnenden Lücke und weiterer demographischer Verluste der Zuzug von Immigranten aus islamisch geprägten Ländern und den überbevölkerten Kontinenten der Erde unvermeidlich wird, und zugleich die deutschstämmige Wohnbevölkerung weiter abnimmt? Werden sich die Immigranten integrieren und „gleichstellen“ lassen? Darunter solche, die Koran und Scharia über das ihnen fremde deutsche Grundgesetz stellen. Werden sie es zulassen, dass ihre Kinder in Kita, Kindergarten und Schule nach den Spielregeln der Gender-Mainstream Vorgaben umerzogen werden? Was wird sein, wenn es sich herausstellt, dass die vielen Worte und Machtworte, mit denen man die Welt in eine bessere Zukunft führen wollte, das genaue Gegenteil bewirken, nämlich, dass die demographische Rutschpartie ins Nichts an Geschwindigkeit zunimmt?

Der Notruf ist da. Unüberhörbar! Die Industrie ist es, der das wichtigste verloren geht, was sie braucht, nicht  mehr Finanzkapital, sondern „Humankapital“. Und das kann man nur aus einer sicheren Quelle beziehen: Menschen, die sich als Mann und Frau miteinander zur Ehe verbinden, Kinder zeugen und ins Leben führen. Die zuverlässigsten darunter sind Christen, die heute als „Fundamentalisten“ und „Heterosexisten“, als „Spießer“ und „ewig Vorgestrige“ verachtet werden. Christen aber leben bewusst aus dem Wort, das nicht aus dem Willen des Menschen kommt, sondern aus dem Herzen Gottes.

2. Die Macht des göttlichen Wortes und der hörende Jünger

2.1 Er weckt mir selbst das Ohr

Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören“ (Jes 50,4). Das unterscheidet den Jünger von dem Menschen, der ohne zu hören, in eigener Regie das Wort nimmt, um damit die Welt und den Menschen „nach seinem Bilde“ neu zu schaffen – und sie dann doch nur zerstören kann. In den letzten Jahren des zweiten Weltkriegs, da das selbstherrliche Menschenwort unendlich viel Angst, Verderben und millionenfachen Tod über die Menschen brachte, fand Jochen Klepper in seiner Not Hilfe im Trost des Jüngers, dem der Herr jeden Morgen das Ohr öffnet, um „das Wort der ewgen Treue“ zu hören, „die Gott dem Menschen schwört“. Er  weiß sich von diesem Wort umhüllt, und bekennt am Schluss: „Sein Wort will helle strahlen, wie dunkel auch der Tag“ (Evang. Kirchengesangbuch Nr 452).

Die zweite Strophe des Liedes beginnt mit dem Satz: „Er spricht wie an dem Tage, da er die Welt erschuf“, und erinnert an den ersten Satz der Bibel: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Es ist kein Anfang wie die vielen Anfänge, die mit jedem Tag weiter zurückbleiben und sich irgendwo im Vergangenen verlieren. Es ist der Anfang, dem keine Zeit vorhergeht, der auch nicht mit der Zeit zu Vergangenheit wird. Es ist wie mit der Eins in der Zahlenreihe, die  in jeder folgenden Zahl, die ein Vielfaches von Eins ist, Wirklichkeit setzt. Ohne diese Eins des „Am Anfang“ würde im  Augenblick die ganze Zahlenreihe zu Null gehen.

Der Anfang aller Anfänge beginnt in der Bibel mit dem Wort „Es werde Licht“, das nach dem „wüste und  leer“ der Finsternis die Schöpfung ins Sein ruft. Es ist das Licht, das bis heute die Finsternis vertreibt und die Welt in jedem Augenblick über dem Abgrund der ewigen Nacht hält. Und weil das so ist, wiederholt sich das Wort vom Anfang an wichtigen Stellen der Bibel. So im Johannesevangelium:„Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“(Joh.1,1). Gott ist hier identisch mit dem Wort, durch das nun die Welt geschaffen wird. Und dann erfahren wir, dass das Wort „Fleisch“ geworden ist und unter uns wohnte in Christus. Der Hebräerbrief bezeugt in seinem ersten Satz Christus, als den „Abglanz seiner Herrlichkeit und Ebenbild seines Wesens, der alle Dinge trägt mit seinem kräftigen Wort“(Hebräer 1,3), nun als das entscheidende Wort „in  diesen letzten Tagen“ (Hebräer 1, 2).

Dieses Zeugnis vom Wort Gottes dürfen wir nie aus den Augen verlieren, wenn wir die Bibel aufschlagen. Es gibt der Bibel Würde und Autorität, aber auch ihr Besonderes als „Schrift“. Das Wort aus der Ewigkeit, das mit Gott eins ist, kommt zu uns als das persönliche uns überlieferte Zeugnis von Menschen aus verschiedenen Jahrhunderten und Situationen. Das Wort der Schrift ist deshalb irdisch und zeitlich, denn anders könnten wir es weder lesen noch verstehen. So gerade wird das Zeugnis der Schrift zum Instrument, mit dessen Hilfe das ewige Wort Gottes zu uns kommt. Und so trifft es uns heute, in einer Zeit, da wieder der Mensch das Wort nimmt und damit die Welt noch einmal und anders erschaffen will.

2.2 Das Wort Gottes und die Heilige Schrift[11] [11]

2.2.1 Die Membran

Das Wort Gottes kommt zu uns durch das Wort der Bibel als „Membran“ und als „Geschichte“. Die Membran (von lat. Membrane = Pergament) ist uns bekannt vom Telefon. Der Anruf eines Menschen aus der Ferne wird im Mikrophon umgewandelt in elektrische Impulse, in dieser Form zu uns transportiert und mittels der Membran wieder in menschliche Stimme verwandelt. Es kommt zum „Hören, so wie ein Jünger hört“. So geht es dem neugeborenen Kind. Ist es zur Welt geboren, vernimmt es die Stimme der Mutter, die es anruft und bald auch bei seinem Namen nennt. Das ist für das Kind lebenswichtig. Es erfährt sich geliebt, umsorgt, bewahrt in dem Wort, von dem es angesprochen wird. Unter dem Hören auf das Wort der Mutter wird das kleine Wesen zu einem Menschen mit eigenem Namen. Dasselbe geschieht mit dem Menschen, der ein Christ, ein „Kind Gottes“ geworden ist. Das geschieht nicht durch eigene Wahl und eigenen Willen, sondern unter dem Anruf dessen, der selbst Wortes Gottes ist. So geht es uns, wenn wir Christen werden. Wir leben beständig aus dem Hören auf das Wort Gottes. Noch in der Todesstunde als das letzte Wort. Die „Schrift“ ist die Membran, durch die es zu uns kommt. Freilich, wir „lesen“ das Wort mit den Augen, Aber es ist ein „hörendes Lesen“, wie beim Brief der Mutter, den die Tochter im fremden Land liest und dabei die „vertraute Stimme“ hört.

Der 139. Psalm  –  Herr du erforschest und kennest mich

Einige Stichproben sollen es zeigen. Der 139. Psalm beginnt mit den Worten: „Herr, du erforschest mich und kennest mich“. Es ist die Stimme eines Menschen, der schriftlich festhalten muss für alle Zeiten, was ihm so wichtig geworden ist. Diese „Stimme“ aus längst vergangenen Jahrhunderten will uns mitnehmen und vor den „Herrn“ bringen, der auch uns erforscht und kennt. Beim Hören wandelt sich die Welt und unser Herz. Ich bin nicht mehr mutterseelenallein, verloren im unendlichen Universum, ein Staubkorn, ein kurzes Aufblitzen und Erlöschen wie ein Funken, sondern von Gottes Liebe gesucht, erforscht und erkannt. Von allen Seiten umgeben. Wohin ich auch gehe oder gerate, selbst in der Finsternis und in der Totenwelt gilt: „Siehe, so bist du auch da.“ Nicht Produkt des Zufalls bin ich, zusammengewürfelt ohne Sinn, sondern von Gott wunderbar bereitet und gebildet im Mutterleib. Die Tage, die noch werden sollen, sind in sein Buch geschrieben. Darum am Schluss die Bitte, die nun auch meine geworden ist: „Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.“

Der 104. Psalm – Lobe den Herrn, meine Seele

Der 104. Psalm ist eingerahmt von der Aufforderung: „Lobe den Herrn, meine Seele“. Der Dichter des Psalms fordert seine „Seele“ zum Lob des Herrn auf und nimmt dabei den Hörer mit. Was er mit seinen Sinnen von der Welt sehen, hören, schmecken und fühlen kann, was er aus eigener Erfahrung weiß und mit dem Verstand erkannt hat, gibt er im Dank an seinen Schöpfer zurück. Die Schönheit Gottes preist er zuerst: „Du bist schön und prächtig geschmückt“, und „Licht ist dein Kleid, das du anhast“. Dann erscheinen sie alle vor unseren Augen: das Erdreich, die Fluten, das Gewölbe des Himmels, der Strom der Geschöpfe, Gras und Wald, Früchte, Vögel , das Wild und auch die jungen Löwen, die darauf warten, „dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit“. Der Strom des Lebens führt zielgenau zum Menschen. Gott gibt ihm Wein zur Freude, Brot zur Stärke und Öl für sein schönes Angesicht. Am Ende steht nochmals, staunend und voll Dank das Wort: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel. Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.“

Der Psalmist nimmt uns mit in die Nähe des ewigen Wortes, das uns und unsere Welt verändert. Aus dem Hören kommt ein neues Sehen. Wir erkennen staunend  die überschwängliche Güte Gottes. Daraus kommt ein neues Handeln, das den Notschrei der Kreatur vernimmt und dazu nicht schweigen kann. Und ein neues Denken und Forschen, das die Zerspaltung von Glauben und Wissen überwindet, damit die Eindimensionalität einer „exakten Wissenschaft“ ohne Liebe, die sich so leicht kaufen lässt von denen, die ihre Machtmittel zur Ausbeutung und Zerstörung unserer Lebensgrundlage missbrauchen.

Das Zeugnis von Gott dem Schöpfer des Himmels und der Erde ist die Basis der Bibel. Vom ersten Kapitel mit dem Schöpfungsbericht, dem Lob der Psalmen, den Propheten zu Jesus, der uns an den Vater im Himmel erinnert, der für seine Kinder sorgt wie für die Lilien auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel. Der Apostel Paulus verweist auf das Zeugnis der „ewigen Kraft und Gottheit“ in der Schöpfung und später auch das Seufzen und Sehnen der Kreatur nach Erlösung. Das Ziel der Werke Gottes aber  heißt „neue Schöpfung“.

Der 19. Psalm und das Gesetz Gottes

Im 19. Psalm erzählen zuerst „die Himmel“ „die Ehre Gottes“, sodann verkündet das „Gesetz“ die „Gebote und Befehle des Herrn“. „Sie sind köstlicher als Gold, süßer als Honig, sie erquicken die Seele und machen die Unverständigen weise“ (V.11).  Das „Gesetz“ des Alten Testaments erweckt bei uns keinen Sturm der Begeisterung, eher Misstrauen und Abwehr; für den Beter des 19. Psalms jedoch ist es so köstlich und so süß wie Honig. Kein Misstrauen und keine Abwehr gegen das „Gesetz“ sondern ein volles Ja. Der erste Psalm stellt uns vor die zwei Wege: Der „Gerechte“ der das Gesetz liebt und achtet, ist wie der Palmbaum am Wasser, überreich an Früchten. Ihm gelingt alles „wohl“. Der Gottlose aber verachtet den Herrn und verspottet das Gesetz; er wird zu Spreu, den der Wind verweht: „Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.“

Das „Gesetz“ des Herrn ist kein fremdes Joch unter das man sich beugen muss, es ist dem Menschen freundlich zugewandt, wie etwas, das wir schon immer gesucht haben. Herz und Verstand sagen zu ihm Ja. Wenn wir die fünf Bücher Mose lesen, die kultischen Vorschriften, die fremden Speisegebote und Verbote, haben wir damit ein Problem. Luther sprach von „der Juden Sachsenspiegel“. Im Gesetz selbst finden wir den Schlüssel zum Verständnis dieses zunächst unübersichtlichen Gesetzeswerkes, und zwar gleich am Anfang mit den zehn Geboten. An den zehn Fingern kann jedes Kind abzählen, um was es geht: um den Schutz des Lebens. Da kommt zu Beginn der „zweiten Tafel“ mit Vater und Mutter und mit der Ehe die verletzlichste Stelle in der Welt, wo es um die Zukunft des Menschen geht. Im Dekalog ist der Mensch, eingebunden in die Gemeinschaft, die ihn schützt, zuerst in der Familie, für deren Wohl und Fortsetzung er dann selbst gefordert ist. „Gerechtigkeit“ ist im Alten Testament „Gemeinschaftstreue“; der ist ein Gerechter, der sie lebt. Dann erst kommt im Dekalog nach dem Schutz der Ehe und Familie der Schutz des Eigentums, der Ehre, des Hauses und der Menschen und Tiere, die um ihn sind, damit er leben kann.

Die drei Gebote der ersten Tafel beziehen sich auf das Verhältnis zu Gott, der mit Israel den Schutz- und Treuebund geschlossen hat, ohne den es nicht leben könnte.  Gott, der dem Gestirn den Lauf gibt, ordnet mit dem Gesetz auch den Weg des Menschen. Noch einfacher wird es, wenn Jesus uns sagt, worin Gesetz und Propheten „hängen“. Es sind zwei Sätze aus dem Gesetz: „Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Mt 22, 37-39). Es ist so einfach und so klar, dass es nach dem Zeugnis des Apostels Paulus selbst Heiden, die nichts von Gott wissen, halten und damit beweisen, dass ihnen das Gesetz in Herz und Gewissen geschrieben ist (Röm 2, 15f).

Das Gesetz ist zwar für den 19. Psalm „süßer wie Honig“. Zum Gesetz gehört jedoch das „Du sollst nicht…“ Das Nein weist all das von uns, was unser Leben und Glück zerstört und uns danach zur Gewissenslast wird. Das Gesetz ist auch Grenze und Schutz gegen die Chaosmächte. Das geschriebene Gesetz hat dabei in unserem Herzen und Gewissen als Verbündeten ein „Immunsystem“. Der am meisten verletzliche Bereich, wo es um den Fortgang des Lebens über die Todesgrenze hinaus geht, erhält als speziellen Schutz das Schamgefühl und die „Ekelschranke“, die zwischen rein und unrein zu unterscheiden weiß.

Wenn wir über die „Membran“ des „Gesetzes“ die Stimme des ewigen Wortes hören, dann wird es unmöglich, uns am Abenteuer des „autonomen“ Menschen zu beteiligen, das Gesetz und die Gebote Gottes durch das eigene Konstrukt zu ersetzen. Die Gegensätze sind fundamental. Das Gesetz des Herrn ist Ausdruck des Schöpferwillens, das Leben zu segnen und vor dem Bösen zu bewahren. Es entspricht dem Menschenbild von 1. Mose 1, 26-28: der Mensch als Gemeinschaft von Mann und Frau, darin das Ebenbild Gottes und seiner Gemeinschaft mit dem Menschen, der beschenkt  ist mit dem Segen der Fruchtbarkeit und dazu beauftragt, als Gottes Statthalter die Schöpfung zu verwalten. Der „autonome“ Mensch hingegen ist der Aufrührer und Usurpator in Gottes eigenem Haus, der mit seinem „Ich“ sich selbst und das Gesetz neu erfinden will und damit zum Verderber des Menschen und der Schöpfung wird. Hier ist die Wurzel der Unheilsgeschichte, in die wir mit dem „demographischen Wandel“ und den anderen destruktiven Entwicklungen geraten sind und deren Ende ein großes Dunkel sein wird.

Das Grundgesetz unserer Bundesrepublik beginnt mit dem Bekenntnis zur Verantwortung vor Gott und zur „Würde des Menschen“ –  durchaus entsprechend dem biblischen Menschenbild. Das Grundgesetz weiß noch um das „Naturgesetz“ und die Schöpfungsordnung, das allen staatlichen Gesetzen vorgegeben und deren Spur allen Menschen in Herz und Gewissen geschrieben sind. Es wurde in Israel zuerst zu Schrift und Gebot, anzuwenden auf das Leben und den Alltag des Menschen.

Heute ist die Präambel mit dem Gottesbezug für viele eine Altlast, die man einmal entsorgen wird, damit er, der Mensch, endlich „mit voller Kraft voraus“ sein eigenes Werk vollenden kann.

Auch wenn das „Gesetz Moses“ dem Alten Bund angehört und im Neuen Bund zum Zuchtmeister auf Christus wird, bleibt es für Christen, Juden und alle Menschen die Hilfe, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, zu erkennen, was dem Menschen gut tut und was ihn verdirbt, und mit seiner Hilfe dem Zerstörungswerk des Bösen zu wehren.

Jesaja 40 – Tröstet mein Volk

„Tröstet, tröstet mein Volk…“ (Jes 40,1). Es war im August1741, als Georg Friedrich Händel diese Worte zu hören bekam. Es war der Beginn des Textbuches für ein neues Oratorium. Er sollte dazu die Musik schreiben. Händel war damals ganz unten. Vorher war er ein berühmter Mann. Vierzig Opern hatte er geschrieben, besaß ein eigenes Opernhaus in London. Die besten und teuersten Sänger aus Europa hat er angestellt. Die Leute kamen und die Kasse stimmte. Alle rühmten den großen Musiker aus Deutschland.

Aber jetzt war er ganz unten. Er hatte Bankrott gemacht mit seinem Musikunternehmen. Die Leute blieben aus, wollten jetzt leichtere Musik. Er erlitt einen Schlaganfall und war halbseitig gelähmt, konnte nicht mehr musizieren. Eine Kur in Aachen hatte ihn einigermaßen wieder hergestellt. Aber der Absturz aus den Höhen des Ruhmes zu einem Auslaufmodell hat ihn sehr traurig und müde gemacht, unfähig für seinen Beruf.

Und jetzt diese Worte „Tröstet, tröstet mein Volk“. Stefan Zweig hat in seinen „Sternstunden der Menschheit“ geschildert, was damals in Händel vorgegangen ist: „Beim ersten Wort fuhr er auf. ‚Tröstet’.- so begann der Text, ‚sei getrost’ – wie ein Zauber war es, dieses Wort – nein, nicht Wort: Antwort war es, göttlich gegeben, Engelsruf aus verhangenen Himmeln in sein verzagendes Herz. ‚Tröstet“ – wie das klang, wie es aufrüttelte die verschüchterte Seele, schaffenden, erschaffendes Wort.“

„Tröstet, tröstet mein Volk! Spricht euer Gott.“ Dahinter steht die höchste Autorität: Gott, der Heilige, der Herr. Der Prophet führt uns gleich am Anfang seines Prophetenbuches in Gedanken mit in den himmlischen Thronsaal, in das Herz alles Dinge. In seiner Vision hört er die Worte Gottes an sein Volk: „Redet zu Jerusalem freundlich“, wörtlich übersetzt „redet zum Herzen Jerusalems“. Wer einem Menschen „zu Herzen redet“, möchte ihn in seinem Personzentrum, wo Gefühl, Verstand und Wille sitzen, umstimmen, dass er sich besser fühlt, dass es ihm wieder gut geht. Trösten heißt nicht, leere Worte machen. Trösten ist die Kraft, die uns aufatmen lässt, dass der Kopf wieder klar, die Brust wieder frei, die Stimme wieder hell und der Schritt fest wird.

Das ist die Trostbotschaft: „predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden“(Jes 40,2). Alles war zusammengebrochen. Jerusalem zerstört, der Tempel verbrannt, das Land verloren. Und jetzt in der Fremde. Israel hatte seinen Gott verlassen, Gesetz und Bund gebrochen, die Israel wie ein unsichtbarer Schutzmantel umgeben hatten. Deshalb der Horror, der über es hereingebrochen ist und das Elend. Und nun das Gotteswort: Die Schuld ist bezahlt. Ihr seid frei. Alles wird gut.

Das Prophetenwort nimmt uns mit und stellt uns vor Gott, das „ewige Wort“, das Himmel und Erde geschaffen hat. Nun als das neue Schöpferwort, das unerwartete Erbarmen Gottes mit seinem verlorenen geliebten Volk. Das Wort verkündet den neuen Bund. Das Wort bahnt Israel den Weg durch die Wüste, unter der Verheißung: „Siehe das ist Gott der Herr! Er kommt gewaltig und sein Arm wird herrschen“ (V.10).

Dieselbe  Stimme des Evangeliums wird später bei Johannes für uns laut: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ Joh 1,1) „Und das Wort ward Fleisch und  wohnte unter uns und schon wir sahen seine Herrlichkeit“(Joh 1,14). Es öffnet sich die Tür mit dem Ruf Jesu: „Die Zeit ist am Ende, das Gottesreich kommt schon. Glaubt an das Evangelium und verändert euch in eurem Sinn“ (Mk 1,15).

„Tröstet, tröstet mein Volk!“ Drei Wochen lang war Händel wie verzaubert. Er berichtet: „Ich glaubte den Himmel offen und den Schöpfer der Dinge selbst zu sehen“ Oft tränenüberströmt vor Glück so schrieb er in wenigen Wochen das große Werk, den „Messias“ in einem Zug nieder. Darin das „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“. Und am Schluss das große Halleluja. Noch heute erheben sich in England die Menschen und hören stehend, bewegten Herzens. Sie wissen sich dem Himmel nahe, dem großen Halleluja.

Das geschieht, wenn wir durch die Membran der Schrift das ewige Wort hören. Aus dem Hören kommt das Glauben, Hoffen, Reden, das Leben des Christen, der „wie ein Jünger hört“. Der Mensch, der sich diesem Wort verschließt und nun selbst „das Wort ergreift“, laut, anmaßend und fordernd, bleibt ohne Zukunft. Die Katastrophen der Zeit, voran der „demographische Wandel“ im einstigen „christlichen Abendland“, zeigt unmissverständlich, wohin dieser Weg führt.

2.2.2 Die Geschichte

Gottes Wort kommt in der Schrift zu uns als „Membran“, aber zugleich als „Geschichte“.[12] [12] Die Bibel ist voller Geschichten. Geschichten haben uns zuerst zu Jesus geführt. Geschichten sind für  Kinder wichtig wie die Luft zum Atmen. Sie sollen spannend sein, dürfen schreckliche Dinge bringen, die Hauptsache ist der Schluss: Ende gut, alles gut. Das ist für Kinder wichtig und für die Großen auch, weil es unser Grundvertrauen in das Leben stärkt und die Angst, tief in uns, heilen kann. Und das geschieht beim Hören der Geschichten von Jesus dem Heiland, der den Blinden heilt und den Aussätzigen, zu dem die Ärmsten und die Sünder kommen und Hilfe erfahren. Es geschieht bei den Geschichten, die Jesus erzählt, vom verlorenen Schaf und vom barmherzigen Samariter. Die wichtigste Geschichte ist die Jesusgeschichte selbst im Zeugnis der vier Evangelien. Nun geschieht es: „das Wort ward Fleisch“. Es geschieht in der Vollmacht seiner Lehre, in der Macht, die von ihm ausgeht. Das Licht leuchtet nun hinein in das Dunkel der Seele und in den Wirrwarr der Menschenwelt. Das Reich Gottes ist herbeigekommen. Was für die einen „Tröstet, tröstet mein Volk“ ist, bedeutet für andere tödliche Bedrohung, eine unerhörte Provokation. Sie weckt den Neid der Schriftgelehrten und Pharisäer, das Entsetzen im Schrei der Dämonen, die Furcht des Herodes und den Argwohn der Römer. Unheil braut sich über Jesus zusammen. Sein Reise nach Jerusalem wird zum Weg ins Leiden, der Verurteilung zum Tode als Gotteslästerer und als Aufrührer durch Pontius Pilatus. Das Ende des Passionswegs ist der Tod am Kreuz.

Auf das Ende kommt es an. Würden wir das letzte Kapitel der Evangelien mit der Berichten vom leeren Grab und den Erscheinungen des Auferstandenen vom Text abschneiden, dann würde das gesamte Unternehmen im Nichts enden. Die Welt würde davon kaum Notiz nehmen. Ohne die Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth wird alles sinnlos. Das gilt für die Jesusgeschichte, es gilt für alle Geschichten und es gilt für die Geschichte der Welt selbst seit dem Anfang, da Gott sie durchs Wort ins Leben rief. Sie fällt dann wieder hinunter in die Nacht, da alles wüste und leer ist.

„Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erste der Entschlafenen“. So bezeugt es Paulus, in seinem Durchblick von der Auferstehung des Gekreuzigten bis zum Endsieg, da Gott sein wird „alles in allen“ (1.Kor 15, 28).

Die Frage nach dem Ende

Heute haben wir allen Grund nach dem „Ende“ zu fragen. Die aktuelle Not der Industrie, der die Menschen fehlen, hat das Problem bewusst gemacht. Wenn wir die Augen auftun, muss es uns völlig klar sein: jetzt wird es ernst: Da ist auf der einen Seite die Bevölkerungsexplosion in den ärmeren Länden und Kontinenten mit der Folge, dass die Zehnmillionen-Metropolen mit ihren Elendsgürteln ins Land hinauswuchern und die letzten Reserven von Öl und Wasser und Rohstoffen ausgeplündert werden. Die Tropenwälder werden abgeholzt, die ökologische Katastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Und auf der anderen Seite mit dem „demographischen Wandel“, die Implosion in der hoch entwickelten westlichen Welt, unaufhaltsam gemacht durch eine Politik, der nichts Besseres einfällt, als die einzige Quelle, von der neues Leben ausgehen kann, Ehe und Familie, schwer zu beschädigen. Die Frage nach der Zukunft und dem Ende der Welt steht jetzt als Punkt 1 auf der Tagesordnung unserer Zeit. Sind nicht wir Christen jetzt danach gefragt, was wir mit unserer Bibel den Menschen in ihrer  Not zu sagen haben?

Das Thema „Ende der Welt“ beginnt schon mit der Predigt Jesu: „Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes herbeigekommen. Verändert euch in eurem Sinn und glaubt an das Evangelium“. Zuvor schon bei den Propheten wird der nahe „Tag des Herrn“ angesagt als ein Tag des Gerichts über die Feinde Gottes. Im Neuen Testament ist die Rede vom Ende der Zeit, dem Weltgericht und einem neuen Gottesmorgen.

Die Rede vom Ende gehört in die Geschichte des Mensch gewordenen Wortes Gottes. Denn dieses Wort umfasst den weitesten Horizont, den man denken kann. Es beginnt mit dem „Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung“ (Kol 1,15). Christus begrüßt deshalb die Gemeinde mit dem Wort: „Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der da ist und der da kommt, der Allmächtige“ (Offenb 1,8). Im Hören dieser großen Geschichte werden wir mit unserer kleinen Geschichte zwischen Geburt und Tod und allem, was es umfasst – an Glück und Unglück, Lachen und Weinen, Arbeiten und Leiden, Gelingen und Misslingen, Versagen und Schuld – hineingenommen in die große Geschichte des Wortes Gottes mit der Welt. Darin wird unser Leben geheilt, verwandelt vom alten zum neuen Menschen. Paulus spricht von der neuen Existenz „in Christus“.

Urzeit und Endzeit – Proton und Eschaton

Das A und O dieser Geschichte, Anfang und Ende, „Proton“ und „Eschaton“, entzieht sich unseren Möglichkeiten, zu verstehen. Nur in der Sprache der „Bilder“ begegnet uns hier das Wort Gottes. Bilder sprechen uns in einer verborgenen Tiefenschicht an, berühren uns, so dass wir das in ihnen wirkende Wort Gottes „zu Herzen nehmen“.

Das gilt für die Urzeit, vor Erschaffung der Welt. In Mythen und Märchen der Völker tauchen sie auf, etwa als das goldene Zeitalter, dem der Abstieg folgt in die immer schlechter werdenden Zeitalter bis in die Gegenwart. Anders in den drei ersten Kapiteln der Genesis, der „Ouvertüre“ der Heiligen Schrift. Im zweiten Kapitel erscheint das Bild des Paradieses, der Garten mit seiner Pracht und seinen kostbaren Früchten. Gott gibt es dem Menschen als Heimat und Wirkstätte, und als kostbarstes Geschenk die Frau. Doch dann zerbricht alles und der Mensch findet sich vor auf dem Ackerboden, wo er mit Mühe und Not sein Brot essen muss, bis er wieder zu Erde wird. Die Frau wird unter Schmerzen Kinder gebären und ihrem Mann hörig sein. Sie leben jetzt in einer befristeten Zeit, nur notdürftig: „jenseits von Eden“. Das Paradies ist verschlossen und bewacht vom Engel mit dem hauenden Schwert. Gottes Nähe, bisher ihr Leben, wird jetzt unerträglich. Sie müssen sich vor ihm verstecken, und nun auch voreinander schämen, weil sie „nackt“ sind. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch die listige Schlange, die als erste „Gleichstellungsbeaufragte“ die Frau betört, und dann die Frau den Mann. Es begann mit der Frage „Ja, sollte Gott gesagt haben?“ Nein! „Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ ( 1. Mose 3,1). Diese erste Grenzverletzung, die Usurpation Gottes als „Gleichstellung“, löst die Katastrophe aus, den Riss, der bis heute durch alles hindurchgeht.

Was die Bildgeschichte sagt, ist unser eigenes Leben „jenseits von Eden“: Der Kampf ums Überleben auf dem steinigen Acker der Welt, der Riss durch die intime Verbindung des Menschen als Mann und Frau, die Verwundung an der intimsten Stelle, da aus der Liebe neues Leben wird. Es erwacht das rätselhafte Schamgefühl, das wir schon bei unsern Kindern beobachten. Wir leben in der Welt mit ihrer zauberhaft schönen Tagseite und der  rätselhaften, bösen Nachtseite, beide so ineinander verwickelt, dass wir’s nicht voneinander lösen können. Dennoch leben wir unter der Geduld Gottes, der uns schützt, die Scham selbst bedeckt. Paul Schütz kann deshalb sagen: „An keiner Stelle seines Dasein hat der Mensch je und je so stark empfunden, für das Paradies geschaffen und aus ihm gestoßen zu sein.“[13] [13] Ahnen wir, was dem Menschen angetan wird, wenn man ihm den Schutz des Gewissens, des Schamgefühls, unser wichtigstes Immunsystem, wegnehmen will, um endlich frei und ungehindert alles ausleben zu können wozu es uns treibt – und dies gar als Tat der Befreiung öffentlich zu feiern und zu bejubeln.  Sie sind lebenswichtig, die „Erinnerungen“ an das „Proton“, welche die ersten Kapitel der Bibel in uns erwecken.

Das gilt gleichermaßen für die Endzeit, das „Eschaton“. Auch hier versagt unsere Sprache, denn es gilt, was der Apostel im Brief an die Korinther schreibt. „Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in  keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben“  (1.Kor 2,9).  Mit einer Fülle von Bildern redet uns Gottes Wort „zu Herzen“, so dass es in den Herzen warm wird, wir  getröstet, voll Zuversicht und Freude dem entgegensehen, „was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.“  Wir kennen sie alle aus den Gleichnissen der Evangelien und aus dem letzten Buch der Bibel: Der Triumph des Siegers über die Verderbensmächte, das Festmahl, die Hochzeit, die himmlische Stadt Jerusalem, der Morgen, der neue Himmel und die neue Erde. Es ist die von Jesus angesagte Reich Gottes oder „Himmelreich“, das uns und die ganze Welt „von allen Seiten umgibt“ (Psalm 139) und um dessen Kommen wir mit jedem Vaterunser bitten.

Die Welt, unser „Äon“ mit seiner Geschichte, ist ein Zwischenzustand, ein „Interim“ zwischen dem „Proton“ und dem „Eschaton“, umgeben wie eine kleine Insel vom unendlichen Meer der Ewigkeit. Christus ist darin das A und O. Dazu bekennen wir uns im Gottesdienst mit dem „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

2.3 Zwischen Proton und Eschaton: Schöpfung, Fall, Erlösung

Das Thema dieser „Geschichte“ wird bestimmt durch die Dreiheit von Schöpfung, Sündenfall und Erlösung. Es sind keine „Themen“, sondern gewaltige Mächte in allen Dingen und in unserem Herzen. Ein Kampf um Leben und Tod, der sich in der Geschichte ins Ungeheure steigert bis zum Ende. Und dies heißt:  Gericht, Neue Schöpfung, und das „Freude die Fülle und selige Stille“ in Paul Gerhardts Morgenlied: das Freudenreich des ewigen Lebens, der Sabbat Gottes. Es gibt kein Buch in der Welt, da so unverstellt den Menschen zeigt, seine Sehnsucht, seine Taten und Verbrechen, seine Hoffnungen und Enttäuschungen, seine Gier, seine Schuld, sein Elend und sein Sterben, aber auch seinen Glauben und sein Gotteslob, seine Hoffnung auf Gottes Heil, wie die Bibel.

Es ist dem Menschen inzwischen gelungen, mit Hilfe seines Verstandes – unter strikter Ausschluss des Gottesglaubens – eine Art einfache Schwarz-Weiß Kopie der Welt anzufertigen, das „wissenschaftliche“ Weltbild unserer Zeit. Wir müssen es offen zur Kenntnis nehmen und auch respektieren, was da geleistet wurde. Fürchten müssen wir uns davor nicht. Je weiter des Menschen Geist vorgedrungen ist, um die letzten Geheimnisse zu entschlüsseln, desto mehr stößt er auf ungelöste Fragen, für die er keine Antwort hat. Nur ein kleines „Fenster“ ist es, in dem es gelingt, mit mathematischer Sicherheit exakte „Voraussagen“ zu machen und dann Maschinen zu entwickeln, die perfekt „funktionieren“, und mit denen man die Welt zu seinen Gunsten verändern kann. Aber die Wirklichkeit ist viel reicher und komplizierter, sie bedarf anderer Organe und Weisheiten. Unsere wissenschaftliche hochentwickelte Welt ist heute etwa so dran, wie François Champollion, der geniale Sprachenforscher, der vor dem Stein von Rosette mit den seltsamen Zeichen, den „Hieroglyphen“ stand, und nichts verstand. Kein Zweifel, die Bilder und Zeichen wollten ihm etwas sagen. Aber die Sprache der alten Ägypter war längst vergessen. Champollion gelang es 1822, schließlich die Hieroglyphen zu entziffern und viel später, auch die fremde Botschaft zu verstehen.

So zeigen sich auch heute dem forschenden Blick immer mehr rätselhafte Zeichen, die in das schlichte eindimensionale Schwarz-Weißbild der Welt nicht einzuordnen sind. Zuerst die Relativität von Raum und Zeit, dann die Entdeckung, dass das Universum nicht unendlich ist, sondern einen Anfang hat, einen Punkt nur, der vor 13 Milliarden Jahren explodiert und mit Raum und Zeit die Geschichte des Universums und den Milliarden von Sternen und Galaxien aus sich entlässt. Dabei das Rätsel der schwarzen Materie. Dann – statistisch so unwahrscheinlich, dass es eigentlich gar nicht sein kann – auf unserem kleinen Planeten das Leben und daraus die Ströme des Lebendigen. Das Merkwürdigste: Da zeigt sich keine gleichmäßige ansteigende Linie der Entwicklung, sondern eine Kurve zunehmender Beschleunigung des Geschehens, die einen weiteren Fortgang der Zeit und der Geschichte undenkbar macht. All dies geschieht auf unserem winzigen Planeten und mit dem Auftreten des Menschen. Unsere Welt gleicht dem Meteoriten, der in den Anziehungsbereich eines gewaltigen Gestirns geraten ist – kurz vor dem Aufprall: der Punkt Omega.

2.3.1 Schöpfung

Was die rätselhaften „Hieroglyphen“, die Ergebnisse menschlicher Forschungsarbeit bedeuten, und was sie uns sagen wollen, erfahren wir im Hören auf Gottes Wort in den Zeugnissen der Schrift. Dass die uns umgebende Welt Gottes Schöpfung ist, bezeugt uns die Bibel mit dem ersten Kapitel, mit dem 104. Psalm und weiteren Zeugnissen der Psalmen, der Weisheit, der Propheten, des ganzen Neuen Testament. Das erste Kapitel der Bibel zeigt die wunderbare Ordnung Gottes im Schema des Sechstagewerks. Was moderne Wissenschaft nicht weiß und auch nicht interessiert, kommt nun zur Sprache: das Wunder, dass überhaupt etwas ist, der Weg aus dem Chaos aufwärts in klaren Stufen zu immer höherer Ordnung, Schönheit und Gestalt bis zum Menschen, dem Bild Gottes als Mann und Frau. Das Schema des Sechstagewerks lässt sich leicht übertragen auf die Geschichte des Universums, wie sie sich heute zeigt, die immer noch als „Evolution“ bezeichnet und als Ergebnis von Zufall und Notwendigkeit erklärt wird, so, als ob sich da etwas von selbst entwickle, das zuvor schon da ist. Hier gibt die Bibel notwendige Aufklärung. Die Macht, der wir in jedem Augenblick unser Dasein verdanken, ist die Macht des Wortes, mit dem Gott die Welt ins Dasein ruft. Sie ist es auch, die in jedem Augenblick Neues wirkt, den Aufstieg des Lebendigen, des Wahrscheinlichen zum Unwahrscheinlichen und Überaschenden, aus zwanghafter Starre zu wachsenden Spielräumen freier Wahl.

Das andere, was Wissenschaft nicht wissen kann und will, ist die Liebe und das Wohlwollen, das uns in der Schönheit der Blumen und den köstlichen Früchten, dem blauen Himmel, dem kühlen Wasser begegnet, die Freude zu leben, das Glück der Liebe und der innigen Gemeinschaft. Die Menschen müssen durchaus nicht alle gleich sein und notfalls „gleichgestellt“ werden, damit es zu einer „gerechten“ Gesellschaft kommt. In der Schöpfung gibt es die Polarität der Geschlechter, Hierarchien und auch Autoritäten, denen man sich unterordnet. Ohne sie gäbe es kein Leben. Der Mensch ist nicht zum Single geboren, und das ist sein Glück. Das Bild der Gemeinschaft ist in der Bibel der Leib mit seinen verschiedenen Gliedern, die aufeinander angewiesen sind, sich ergänzen zur Gemeinschaft in der Liebe. Im Neuen Testament wird das Bild übertragen auf die christliche Gemeinde (1.Kor 12, 12-26).

Wie primitiv und lebensfeindlich sind dagegen die Konstrukte, die den Menschen und seine Gemeinschaft neu erfinden und deshalb alles gleichstellen wollen, damit ja keiner diskriminiert wird. Das Menschengeschlecht ist darüber hinaus in die Gemeinschaft alles Lebendigen eingefügt, zu deren Hirten der Mensch von Gott eingesetzt ist. Der Kosmos eine Liebesgemeinschaft alles Lebendigen – das erscheint uns als Traum, und doch ist sie so vom Schöpfer gedacht, auch wenn sie in diesem Äon zum harten Kampf ums Überleben, dem brutalen Fressen und Gefressenwerden entartet ist. Daran erinnert Paulus im Römerbrief: „Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit- ohne ihren Willen“. Daran erinnern „dieser Zeit Leiden“ und „das ängstliche Harren der Kreatur“ (Röm 8,19-21). Wer auf Gottes Wort hört, erhält auch ein Ohr für das Leiden der Kreatur.

Das Wichtigste, was „exakte“ Wissenschaft nicht weiß, steht nun deutlich vor uns: Die Geschichte des Universums ist Schöpfungsgeschichte. Und wir leben heute im sechsten Tag der biblischen Schöpfungswoche, in der letzten Stunde, da die Glocken schon den Festtag einläuten.

Erstaunlich ist, dass dieses Zeugnis von der Schöpfung  „alles sehr gut“ nichts weiß von all dem Dunklen und Schrecklichen in den Naturgewalten, dem Elend und dem Leid der „seufzenden Kreatur“, und nichts von den Verbrechen und Katastrophen in der Menschheitsgeschichte. Mitten in einer Welt voll Not und Streit preist der 104.Psalm Gottes Reichtum und Güte, die alles so wunderbar ordnet und jedem seine Speise gibt. Das Lob des Schöpfers setzt sich fort bei Paul Gerhardt, dessen Sommerlied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ in der schlimmsten Notzeit unserer Geschichte aus dankbarem Herzen entstanden ist: und auch wir singen es mit Freuden. Ein Zeichen ist es, das uns sagt: Gottes Schöpfung kann durch das Dunkel und das Böse nicht ausgelöscht werden. Gottes Schöpferwille in seinem Wort wird sich durchsetzen. Davon zeugen die beiden anderen Themen der Geschichte unseres Äons.

2.3.2 Sündenfall

Ein zweites Thema bestimmt die Geschichte unseres Äons. Am Ende der Sintflutgeschichte lesen wir: „Denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“ (1.Mose 8,21). Und im Römerbrief zitiert Paulus aus dem 14. Psalm: „Da ist keiner, der verständig ist, da ist keiner, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen und allesamt verdorben. Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer“ (Röm 3,11.12). Was für ein Absturz des göttlichen Ebenbildes, als ob man den Schalter umdreht und das Licht ausgeht! So geschieht es in Israel. Israel bricht das Gesetz und den Bund, und baut den Götzen Altäre. Den Königen von Israel und Juda werden schlimme Zeugnisse ausgestellt. Nur wenige Ausnahmen, Hiskia und Josia. Von David werden nicht nur Heldentaten berichtet, sondern auch sein Ehebruch mit Bathseba. Keine in Keilschrift verewigte Jubelpropaganda wie bei den Großkönigen des Alten Orients findet sich in der Bibel. Dafür die Botschaft der Propheten, die sich den Mächtigen entgegenstellen, ihnen das Unrecht vor Augen halten, ihnen und dem Volk das kommende Gericht des Herrn ansagen, und die dafür Hass und Verfolgung erleiden. Gottes Geduld hat einmal ein Ende, ein schreckliches Gericht kommt über das Land.

Woher kommt das alles? Da ist eine Macht am Werke, die das Ebenbild Gottes zerstört. Der Mensch erweist sich nicht nur als ein leicht verletzliches sondern auch als ein leicht verführbares Geschöpf. Es ist jene unheimliche Macht, die Gott seiner Gottheit berauben will: die Macht der Sünde, die allem, das lebt, den Tod bringt. Sie spricht aus der Schlange im Paradies. Sie spricht aus dem Versucher in der Wüste, sogar aus dem Jünger Petrus. Mit Jesus beten wir: Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns vom Bösen.

Man hat immer wieder versucht, den gefährdeten und gefährlichen Menschen zu zivilisieren, aus dem wilden Barbaren einen gesitteten Europäer zu machen. Es ist nicht gelungen. Der Fortschritt brachte auch fortschrittliche Waffen zur Zerstörung, die das Unheil multiplizieren. Die heute einsatzbereiten Atomwaffen können die Menschheit mehrfach vernichten.

Irgendetwas kann da doch nicht stimmen! Was ist eigentlich los mit uns Menschen und mit der Welt, in der wir leben? Eine Fehlkonstruktion? Aus der Bibel können wir erfahren, was uns fehlt: es ist die Gemeinschaft mit Gott, zu dem hin wir geschaffen sind. Gibt es ein „Ebenbild“ ohne Urbild?  Gott ist kein unbekanntes Wesen, bei dem man nicht wissen kann, ob es ihn gibt, und ohne den man auch ganz gut zurechtkommen kann. Gerhard Tersteegen weiß, was uns fehlt: „Gott ist gegenwärtig, lasset und anbeten“, Wir können dann einstimmen in sein Gebet: „Herr, komm in mir wohnen, lass mein Geist auf Erden, dir ein Heiligtum noch werden.“

Das Vakuum in uns füllt sich notwendig mit anderem. Es sind Güter, die wir wohl brauchen, und die dann zu Götzen entarten. Das Geld wird zum Mammon, die Ehre zur Ehrsucht nach dem großen Namen, die Liebe zur Sexsucht. Es gibt genug Angebote auf diesem Markt der Möglichkeiten, die zur Gier werden, zu jenem unstillbaren Hunger, der uns und die Welt zerstört. Die sich anbahnenden Katastrophen haben hier ihre Wurzel. Daraus die Gier und die Grenzenlosigkeit. Aber noch in dieser Mangelkrankheit verbirgt sich der Schrei der Seele nach Gott, von dem wir kommen und von dem wir doch nicht loskommen.

Im ersten Weltkrieg zerbrach endgültig die Illusion des zivilisierten Menschen in einer aufgeklärten christlichen Kultur. Zeigte es sich nicht im Wahnsinn des großen Mordens, dass die Welt eine Fehlkonstruktion ist? Und der Mensch auch. In dieser Zeit kam es zu der genialen, tollkühnen Idee: als Rettung vor dem Chaos bleibt jetzt nur das eine: Ich, der Mensch, muss die Sache in die Hand nehmen, ich muss die Fehlkonstruktion abreißen und eine neue, bessere Welt bauen. Und so kam es zu den „Ideologien des Bösen“.

Es ist kein Zufall, dass der Kommunismus in Russland und der Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht gekommen sind. Beide waren die Verlierer des ersten Weltkriegs. Hier ist die Schwachstelle für den Angriff des Bösen. Die geniale Theorie von Karl Marx und Friedrich Engels steht im kommunistischen Manifest von 1848. Die Arbeiterklasse und einige Intellektuelle konnten es 1917, als die Zeit reif war, umsetzen in Revolution. Es war der Kampf des „Proletariats“ gegen das „Kapital“ für eine völlig neue, gerechte Gesellschaft. Die einen waren die Guten, die anderen die Bösen und das Siegesziel war das „kommunistische Paradies“ unter der Herrschaft des Proletariats. Der Sieg war gesichert als die logische Konsequenz der Geschichte. Nun galt es zu kämpfen. Alle Mittel der Propaganda und der Gewalt sind erlaubt, denn das veraltete Immunsystem des Gewissens wurde durch das proletarische Bewusstsein ersetzt.

Ähnlich war es beim Nationalsozialismus. In Hitlers „Mein Kampf“ hätte man nachlesen können, was auf uns zukommt. Nicht ein Klassenkampf, sondern ein Rassenkampf. Das Ziel war der Sieg des germanischen Herrenmenschen über den jüdischen „Untermenschen“, der neue Mensch und die neue Welt. Das eine waren die Guten, denen so viel Unrecht geschah, das andere die Bösen, die Verderber der Menschheit. Auch hier sind alle Mittel erlaubt. Auch hier hat die Ausschaltung des moralischen Immunsystems zur Folge, dass aus harmlosen Bürgern Verbrecher werden.

Was beiden Ideologien des Bösen zu solch ungeheurer Kraftentfaltung verhalf, war die Übernahme der offenbar weithin vergessenen prophetischen Botschaft der Bibel, die faszinierende Ansage des nahen Gottesreiches. Adolf Hitler, der „von Gott gesandte Führer“, wurde als Messias stürmisch umjubelt und gläubig verehrt, in Russland war es der gottgleich verehrte Josef Stalin. Beide Ideologien haben unendliches Leid über die Welt gebracht und beide sind an der Wirklichkeit schrecklich gescheitert.

Wie kommt Johannes Paul II, dazu, die Gegenwart mit diesen politischen Monstern zu vergleichen? Ist man doch leidenschaftlich gegen Rechts und für Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit und Toleranz. Aber der Böse kommt nicht immer von Rechts, es ist seine Stärke, dass er wie ein Chamäleon die Farbe wechselt. Die „neue Ideologie des Bösen“ hat einen langen Vorlauf. Er beginnt 1968, dem Aufstand einer neuen Generation, der sich gegen die Generation der Eltern richtet, gegen das „Establishment“ und jede Autorität, um dem nun selbstbefreiten und selbstbestimmten, „autonomen Menschen“ den Weg freizumachen. Dazu gehört als wesentliches Element die „sexuelle Revolution“ mit der Kommune als neue „Lebensform“, dem Kinderladen und dem Kampf gegen alle möglichen „Tabus“. Später kam dazu der postmoderne Pluralismus mit dem Kampf gegen den „Fundamentalismus“.

Gestalt gewann die breite Welle in Staat, Kirche und Gesellschaft vollends mit den Lesben-und Schwulenverbänden und dem Gender-Mainstreaming Programm. Die Folgen bleiben nicht aus: zu den anderen sich anbahnenden Katastrophen kommt jetzt ohne Gegenwehr die „demographische Katastrophe“: Deutschland schafft sich ab. Das Ziel sah freilich anders aus: das „paradise now“ von grenzenloser Freiheit, Liebe und Glück. Nicht erst in der Zukunft als zu erkämpfendes Ziel, sondern jetzt und hier. Mit der Herkunft kommt auch die Zukunft aus dem Blick. Allein die Gegenwart zählt. Nicht mit brutaler Gewalt soll sie erzwungen werden, sondern intelligenter und wirksamer soll es gehen. Der Weltkrieg der Zukunft wird ein „cyberwar“ sein, der ohne einen Schuss den Gegner kampfunfähig macht. Es geht bei der „neuen Ideologie des Bösen“ wie mit dem Supervirus, der in den Computer eingeschmuggelt wird und dann alle Dateien und Programme auflöst. Sie begegnet uns in Menschen, die sich die Opferrolle als bewährtes Kampfmittel erwählt haben[14] [14]. Es sind offensichtlich tief bekümmerte Homosexuelle, die ihre Leidensgeschichte erzählen, dazu die Verfolgungsgeschichte von Diskriminierung, sogar Ermordung unschuldiger Menschen wegen ihrer sexuellen Prägung, und zwar durch die Gesellschaft, durch die Justiz und die Kirchen. Da sind vom „Patriarchat“ seit langem unterdrückte Frauen und ihr hartes Schicksal. Unrecht ist ihnen geschehen. Mitleid und Schuldgefühle werden so geweckt, denn ein schlechtes Gewissen ist leicht zu überreden: „Müsst ihr nicht als anständige Menschen wieder gut machen, was uns in Jahrhunderten angetan wurde? Wir verlangen ja nur wenig: Anerkennung einer homosexuellen Lebenspartnerschaft und Gleichberechtigung, etwas mehr Toleranz und keine Diskriminierung.“ Schon ist der Virus im Computer; ein Programm nach dem anderen wird für den eigenen Zweck umprogrammiert. Es beginnt mit der Sprache, die politisch korrekt sein muss, selbst die Heilige Schrift wird in „gerechter Sprache“ übersetzt. Die öffentlichen Medien, die Parteien und die Gesetzgebung, das Erziehungswesen, die Wirtschaft, alle werden umprogrammiert. Auch die Kirchen sind längst vom Virus befallen. Sämtliche Immunsysteme werden zersetzt. In Kindergärten und schon in Kitas fängt es an, die Schamgrenzen zu zerstören. Auf der Christopher Street Parade präsentiert man sich völlig schamlos und ungeniert der Öffentlichkeit. Eine Forderung nach der anderen wird erhoben und durchgesetzt, aus der Diskriminierung wird eine Privilegierung. Doch wehe allen, die widersprechen! Sie werden gnadenlos niedergemacht.

Der Virus trifft die empfindlichste Stelle des Lebendigen, die  Familie, die Sexualität, da, wo es um Zukunft und Leben geht. Genau hier wurde der Angriff der Ideologie des Bösen angesetzt mit der bekannten Folge: „Deutschland schafft sich ab“. Freilich nicht nur Deutschland, der „Virus“ kennt keine Grenzen.

Wie die anderen Ideologien des Bösen, wie alles, was durch den Menschen geschieht, der Gottes Stimme nicht mehr hören will, an der Wirklichkeit scheitern muss, so wird auch jenes besonders gefährliche Produkt des Bösen an der Wirklichkeit Gottes scheitern, der heilige Liebe ist und nun als „Zorn“ erfahren wird. Es sind Vorgerichte des „Jüngsten Gerichts“. Eine Wohltat, wenn endlich alles ans Licht kommt, was so viel Leid und Tränen über die Menschen gebracht hat. Es ist eine Notwendigkeit. Die Schöpfung beginnt mit der Scheidung von Licht und Finsternis. Das gilt auch für die erlöste und verklärte Schöpfung, auf die wir warten.

2.3.3 Erlösung

Das ersehnte Heil, die Erlösung, können wir nicht wie Anderes, das wir brauchen, selbst erdenken, erfinden und konstruieren. Es erschließt sich uns allein im Hören auf das Wort aus dem Mund Gottes. Dann trifft es unser Herz, wenn wir hören: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“(Jes 43,1) Dazu die Erklärung im Johannesevangelium: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,14). Es ist das Thema, das uns im Neuen Testament verkündet, ausführlich erläutert und in all seinen Folgen für uns und die ganze Welt dargelegt wird; so dass es mit dem Herzen geglaubt wird, alle unsere Sinne und unseren Verstand erleuchtet, unsere Sehnen, Fühlen und Hoffen verändert, unser Tun und Lassen leitet, unseren Leib durchdringt bis in die letzten Fasern und uns ausrichtet auf das Eine: Christus, das Licht der Welt.

Dann wird alles klar: Nicht der autonome Mensch ist es, der die von ihm diagnostizierte Fehlkonstruktion des Menschen durch seine Neukonstruktion ersetzen kann. Es ist Christus, wie er im Hymnus des Philipperbriefs bezeugt wird: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein“ (Phil 2, 6).  Nicht der Mensch bringt das Heil, der alle seine Kräfte aufbietet, und alle ihm verfügbaren Mittel einsetzt, um sich durchzusetzen im Kampf gegen das „Böse“, sondern, der Sohn, der sich „selbst entäußert“, „Knecht“ wird, gehorsam bis zum Tod am Kreuz.

Die Triebkraft dieser Bewegung nach unten, ist nicht Schwäche, die sich selbst aufgibt, sondern die Macht der Liebe. Im Hohenlied der Liebe heißt es von ihr: „Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn“(Hoheslied 8,6). Die Macht der irdischen Liebe wird hier zum Gleichnis der Gottesliebe, die stärker ist als die Macht des Todes. Mehr Energie birgt sie in sich als sämtliche zerstörerischen Energien im Universum. Bei Christus ist es nicht die Macht des Tötens und des Todes, sondern die Macht des Liebens und des Lebens. Christi Auferstehung, seine Herrschaft über alles, ist Ausfluss der Energie einer Liebe ohnegleichen. Wir bekommen daran Teil durch das Hören auf das Wort Gottes. Die Unheilsgeschichte verwandelt sich so in Heilsgeschichte. Dazu gehört die Botschaft der Propheten und Psalmen vom Kommen des Messias. Und es gehört dazu die Erwartung seines Kommens in Herrlichkeit zum Gericht und zum Heil. Unser kurzes Leben bekommt Herkunft und Zukunft. Die Bibel ist keine Chronik des Vergangenen, sie hat eine prophetische Perspektive, die heute aktuell wird. Paul Schütz hat es erkannt: „Das Urchristliche kommt von vorne auf uns zu“. [15] [15]

Es kommt auf uns zu im Heiligen Geist. Überall, wo Menschen aus dem Hören auf Gottes Wort leben, da ist das Zukünftige gegenwärtig. Der Jünger, der hört, wird dann auch gehorchen. Es gedeihen die „Früchte des Geistes“ und es verschwinden „die Werke des Fleisches“ (Vgl. Gal 6, 19-25). Stehkraft wird sein, wo andere wanken und weichen. Es wächst wieder die Freude am Leben, wo anderen alle Lust vergeht. Es wächst das Grundvertrauen in die Treue Gottes, wo der Boden unter den Füßen wankt.

Wo Menschen aus dem Hören des Wortes Gottes leben und Gottes Geist sie treibt, da ist Kirche. Das griechische Wort “Ekklesia“ bezeichnet damit eine aus besonderem Anlass zusammengerufene Volksversammlung. Im Epheserbrief ist sie der Leib Christi. „Leib“ ist hier nicht Gleichnis, sondern die Sache selbst. Es ist die Wirklichkeit des neuen Menschen. Nicht mehr in „Adam“, in dem alle sterben, lebt der zur Gemeinde Berufene, sondern in „Christus“  als ein Glied des Leibes.

„Ekklesia“ gibt es im Neuen Testament nur in zwei Gestalten.  Es ist die Gemeinschaft in Christus,  die „heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen“ in der ganzen Welt. Ekklesia ist zugleich jede um das Wort und den Tisch des Kyrios versammelte Gemeinde an einem bestimmen Ort, auch wenn es nur eine kleine Hausgemeinde irgendwo in einem Hinterhaus in China ist. Jede ist „Ekklesia“ im Vollsinn, so wie sich die Sonne noch in jedem Tautropfen als ein Ganzes wiederspiegelt. Die Glieder sind verschieden und doch alle eins in einem Leib. Da ist keine égalité, zu der wir „gleichgestellt“ werden, sondern die Verschiedenheit des Lebendigen. Im 14. Kapitel des 1. Korintherbriefs wird uns vor Augen gestellt, was das bedeutet. Nicht jeder kann alles, aber alle ergänzen einander, feiern und dienen, freuen sich und leiden miteinander. Auch Ordnung bildet sich im Leibe und Unterordnung. Da sind verschiedene Gaben, Aufgaben und Ämter. Und doch sind alle eins. Es ist das Gegenbild des Gleichstellungswahns, der unsere Gesellschaft zerstört. Was den Leib zusammenhält, ist keine abstrakte Gleichheits-Gerechtigkeit, sondern die höchste Geistesgabe, die im Hohenlied des 1. Korintherbriefs offenbarte „Liebe“, die bleibt wenn alles vergeht.

Die Ekklesia lebt in der Welt als Zeuge des kommenden Herrn, vor dem die Herren der Welt alle noch weichen und dem sie Rechenschaft geben müssen. Die Gemeinschaft der Jünger ist berufen zum „Salz der Erde“  und  zum „Licht der Welt“. Dazu muss sie sich nicht „einmischen“, wie sich einer in fremde Angelegenheiten einmischt, und dann doch nur wichtigtuerisch „mitmischt“. Die Gemeinde wirkt in der Welt durch das, was sie ist. Sie lebt nicht für sich, sondern wie ihr Herr für andere: die Schwachen, die Armen, die Verlorenen, auch Heterosexuelle und  Homosexuelle mit ihren Nöten, nicht damit jeder so lebt wie er will, sondern damit alle heil werden zu einem guten Leben nach dem Willen Gottes.

Wo Gottes Wort gehört wird, da wächst Kirche. Wo Gottes Wort nicht mehr gehört wird, da kann Kirche nicht bestehen, auch wenn deren Infrastruktur komplett vorhanden ist. Sie hört dann nicht mehr die Stimme des Hirten, sondern die lautstarken Stimmen der Zeit. Sie folgt einem archaischen Anpassungsinstinkt, um sich selbst zu erhalten. Das Los der hörenden Kirche in der Gegenwart ist in so vielen Länden der Erde Unterdrückung und Verfolgung. Auch zu diesem Zeugnis in der Welt ist die Kirche gerufen. Heute sind es die armen Kirchen in bedrohlicher Umgebung, die jung sind, lebendig,  und dennoch wachsen, während wir in Deutschland längst den Rückzug angetreten haben.

2.4 Endzeit

Es war Friedrich Christoph Oetinger, der erkannte, dass uns „zwei Bücher“ von Gott gegeben sind, die sich gegenseitig auslegen, die Heilige Schrift und das „Buch der Werke Gottes in der Schöpfung“.[16] [16] Wenn wir diesen Rat beherzigen, dann werden wir mit Staunen entdecken, dass das uns bekannte Milliarden Jahre alte Universum als Schöpfungsgeschichte, Sündenfall durch die Zeiten und als Heilsgeschichte verstanden, selbst eine „apokalyptische Struktur hat und sich dem Ende zu rasant beschleunigt. Zwischen der Zeit der Urgemeinde und heute ist es nur ein Wimpernschlag. Und so beten wir zuversichtlich „Dein Reich komme“.

Zu den am Horizont aufziehenden Katastrophen, die uns bedrohlich umzingeln, gehört die „demographische Katastrophe“. Der massive Mangel an Fachleuten, der den Fortgang des Fortschritts unterbricht, ist die Stelle, wo es zum Erwachen kommt. Zugleich wird offensichtlich, dass diese Not mit der verwundbaren Stelle zu tun hat, da allein neues Leben entsteht. Gerade hier sind wir Christen und die Kirchen gefordert, Zeugen zu sein, und in einer vergifteten Atmosphäre der Selbsttäuschung, des Nichtwissens und des Nichtwissenwollens unverblümt die Wahrheit zu sagen.

Das deutlichste Zeichen der Zeit ist die „Auflösung der historischen Kirchen“ (Paul Schütz). Weisen die Zeichen nicht darauf hin, dass das Neue schon am Hereinbrechen ist? Es sind die Geburtswehen einer neuen Schöpfung. Und das Ende des „Interims“ zwischen  dem von Ewigkeit zu Ewigkeit..

Wir stehen nicht am Ende, sondern am Anfang. Es ist Morgen. Es gilt, was der Apostel schreibt:

„Die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht, sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt“ (Röm 13,12-14). 

Kirchenrat Hans Lachenmann

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

Zuerst erschienen in: Info Spezial 167 (2012), Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“

[1] [17] Z.B.: Herwig Birg, Bevölkerungspolitik in Deutschland, 2002;  Ders.: Die ausgefallene Generation, 2005; Max Wingen, Bevölkerungsbewusste Familienpolitik, 2003; Ders: Die Geburtenkrise ist überwindbar. Wider die Anreize zum Verzicht auf Nachkommenschaft, 2004,

[2] [18] Irmgard Schewe-Gerigk, „Die Frauen sind in einen stillen Gebärstreik getreten,“, in: Enquête-Kommission Demographischer Wandel, Deutscher Bundestag 2002; S. 669.

[3] [19] Vgl. Hans Lachenmann, Sieh hin und du weißt, 2009, S.37ff.

[4] [20] Johannes Paul II, Erinnerung und Identität, 2005. S. 260. Dazu Hans Lachenmann, : Ich will alles, und das sofort“ Paradise now! In: Die Tagespost 8. Oktober 2005, S. 12 und 13.

[5] [21] http://www.lsvd.de/59.0.html [22] (Stand:16.04.2010

[6] [23] Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab – Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, 2010.

[7] [24] A.a.O., S. 8 und 10.

[8] [25] In: Bulletin-Nachrichten aus dem Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG) 2008, Nr.15  (A.Dean Byrd S.4-12; und  Konstantin Mascher, S. 15-22.

[9] [26] In: Bulletin des DIJG 2007.Nr.13, S.4-19 (Christl Ruth Vonholdt, Die Genderagende I. und II); Rainer Mayer, Biblische Anthropologie und das Gender-Mainstreaming-Programm, in: Informationsbrief (Sonderdruck der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium.“, 2011.; David Lee Mundy, Die Auflösung von Geschlecht und die Dekonstruktion von Frausein und Mannsein, In. Bulletin 2005. Nr.15 S.35-50.

[10] [27] In Bulletin des DIJG 2004 Nr 8:„Paul E. Rondeau, Wie Homosexualität in den USA vermarktet wird“.

[11] [28] Vgl. dazu: Paul Schütz, Die Kunst des Bibellesens, in: Gesammelte Werke I, 1966, S.17-134.

[12] [29] Vgl. dazu: Hans Lachenmann, Sie hin und du weißt,  S.79-93: „Das Ende der Geschichte“.

[13] [30] Pauls Schütz, „Das Evangelium“, in:  Ges.Werke I, 1966, S. 365ff.

[14] [31] Dazu sehr empfehlenswert: Bulletin des DIJG 2009 Nr.18 „Moderne Opferrhetorik – über die Instrumentalisierung eines Begriffs.

[15] [32] Paul Schütz, Charisma Hoffnung . von der Zukunft der Welt, In: Gesammelte Werke II, 1963, S. 432-503.

[16] [33] Guntram Spindler u.a. (Hrsg), Etwas Ganzes vom Evangelium – Friedrich Christoph Oetingers Heilige Philosophie – Ein Brevier, S. 141-149.