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Mütter brauchen heute starke Nerven und ein starkes Selbstwertgefühl

Mütter brauchen heute starke Nerven und ein starkes Selbstwertgefühl

Es ist schon bemerkenswert, wer sich neuerdings zur Familienpolitik und zur Betreuung von Kleinkindern äußert: Arbeitgeberverbände, Wirtschaftsfachleute, die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Sie alle kritisieren das Betreuungsgeld. Es würde sich negativ auf die Beschäftigungsquote und auf die Integration von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund auswirken. Man befürchtet, dass sich der Fachkräftemangel weiter verstärkt, wenn Frauen wegen der Betreuung ihrer Kinder aus dem Erwerbsleben ausscheiden.

Bei all diesen sicher gut gemeinten Überlegungen fragt man sich, worüber wir eigentlich reden: über den Arbeitsmarkt und seine Probleme oder über das Kindeswohl? Eine Zwischenbilanz der Diskussion um das Betreuungsgeld lässt sich bereits jetzt – bevor es abschließend im Bundestag beschlossen ist – ziehen. Im Mittelpunkt steht nicht das Kind. Aber sollte es nicht insbesondere um das Wohl der Kinder gehen?

Es ist noch nicht so lange her, da gab es einen gesellschaftlichen Konsens, dass Kinder bis zum dritten Lebensjahr am besten zu Hause bei ihren Eltern aufgehoben sind. Man ging davon aus, dass Mutter und Vater ihren Kindern Zuwendung, Liebe und Geborgenheit geben. Man war auch überzeugt, dass für Säuglinge und Kleinkinder diese individuelle Zuwendung und Betreuung in der Familie von allergrößter Bedeutung ist und durch keine staatliche Einrichtung – sei sie auch noch so gut und perfekt ausgestattet – zu ersetzen ist.

Diese Einstellung hatten auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes, als sie in Artikel 6,2 des Grundgesetzes formulierten: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Auch damals wusste man, dass es Familien gibt, die das aus unterschiedlichen Gründen nicht leisten können. Auch damals gab es viele alleinerziehende Mütter. Viele Frauen hatten ihre Männer im Krieg verloren. Der umgekehrte Fall war sehr viel seltener. Diese Frauen mussten Kindererziehung und den Lebensunterhalt für die Familie unter einen Hut bringen. Darüber hinaus beteiligten sie sich nicht selten am Wiederaufbau der Republik. Und dennoch hieß es: “Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Heute ist anscheinend alles anders. Die politische Klasse hat sich von dem Familienbild aller vorangehender Generationen komplett verabschiedet. Sie fordert Ganztagskrippen, Ganztagskitas, Ganztagsschulen. Man will unsere Kinder ganztags staatlich institutionalisieren und das von Anfang an, obwohl die Erfahrungen mit dieser Politik in den sozialistischen Ländern keineswegs so positiv sind wie manche es uns weismachen möchten. Vergessen sind offenbar die Warnungen von Eltern, Erziehern, Kinderärzten und Psychologen nach dem Fall der Mauer. Untersuchungen über die Folgen der Krippenpolitik in der DDR gibt es genug.

Darum verwundert es schon, dass die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft im Zusammenhang mit der Diskussion um das Betreuungsgeld unwidersprochen fordern kann, dass alle Kleinstkinder in die Kita müssen: „Dann müssen wir auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind.“ Im gleichen Interview weist Hannelore Kraft darauf hin, dass sich „jeder Kita-Platz volkswirtschaftlich schon nach einem Jahr rechnet, weil Mütter dann erwerbstätig sein können, Steuern und Sozialabgaben zahlen, anstatt Transferleistungen zu beziehen.“

Auch hier sei daran erinnert, dass volkwirtschaftliche Rentabilität nicht den Umgang mit Kindern bestimmen sollte. Das Kindeswohl muss immer an erster Stelle stehen. Und ob ein Kleinkind in einer Krippe besser versorgt ist als zu Hause wird man vielleicht noch hinterfragen dürfen angesichts der Tatsache, dass eine Betreuungskraft nicht selten für 8 Kinder zuständig ist.

Im Übrigen stellt sich die Frage, ob sich an den Bedürfnissen eines Säuglings bzw. Kleinkindes eigentlich im Laufe der Zeit so viel verändert hat? Kinder können sich noch nicht selbst zu Wort melden. Aber eines ist wohl sicher: ein Kind bevorzugt in den ersten Lebensjahren das Vertraute, das Bekannte und nicht die Fremde. Das kann man ganz einfach an seinen Reaktionen erkennen im einen wie im anderen Fall. Das Beste für ein Kind ist die Zeit, die Liebe und Geborgenheit, die Eltern ihm schenken. Diese individuelle emotionale Zuwendung ist in einer staatlichen Krippe selbst bei größter Anstrengung kaum leistbar. Kinder in Deutschland leiden mehrheitlich nicht unter materiellen, sondern unter emotionalen Defiziten.

Natürlich sind die Bedürfnisse des Kindes nur die eine Seite. Die Bedürfnisse der Mütter und Väter dürfen darüber nicht vergessen werden. Aber beides muss sorgfältig abgewogen werden. Und genau das geschieht in der augenblicklichen Diskussion nicht. Was wollen die Eltern? Dieser Frage muss sich die Politik selbstverständlich stellen. Die Antwort darauf lässt sich statistisch klären. Knapp 40 Prozent fordern eine Krippenbetreuung ihrer unter Dreijährigen. Dies zu gewährleisten ist schwer genug für die Landesregierungen. Das Ziel ist noch in keinem Bundesland erreicht.

Es bleiben aber 60 Prozent der Eltern, die keinen Krippenplatz für ihre unter dreijährigen Kinder wollen. Über diese 60 Prozent spricht kaum jemand, obwohl dies doch immer noch die Mehrheit ist. Trotz des immer lauter werdenden Rufs der Politik und der Medien nach immer mehr Krippen- und Kitaplätzen sowie Ganztagsschulen entscheiden 60 Prozent der Eltern, dass sie ihre unter dreijährigen Kinder individuell zu Hause betreuen. Die Mehrheit der Eltern will sich zumindest am Anfang des Lebens ihrer Kinder den Zwängen der Ökonomie entziehen.

Sie nehmen die bisher gewährte Wahlfreiheit in Anspruch. Wie lange wird es diese Wahlfreiheit noch geben, wenn die außerhäusliche Kinderbetreuung als non plus Ultra angesehen wird? Der Rückfall der Frauen in klassische Rollenbilder der Ehefrau und Mutter gilt ja inzwischen als Todsünde einer Frau. Antje Schmelcher schreibt in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 29. April 2012: „Es scheint kaum eine schlimmere Provokation zu geben als Frauen, die gern bei ihren Kindern sind – und das auch noch zu Hause.“

Mütter, die es „wagen“, sich vorübergehend aus der Arbeitswelt zu verabschieden, um sich um Ihre Kinder zu kümmern, müssen heute starke Nerven und ein noch stärkeres Selbstwertgefühl haben. Wie anders können sie ertragen, dass man sie als „Heimchen am Herd“ disqualifiziert und das Betreuungsgeld als „Herdprämie“ oder gleich als „Verdummungsprämie“ verunglimpft.

Welches Weltbild steckt hinter diesen Begriffen? Findet Bildung für Frauen und Kinder nur jenseits der Haustür am Arbeitsplatz statt? Ganz sicher nicht! Auch die Befürchtung, dass Frauen mit Migrationshintergrund aufgrund des Betreuungsgeldes ihre Kinder nicht in die Krippe bzw. Kita bringen oder sie gar abmelden, ist befremdlich. Dahinter verbirgt sich das Vorurteil, dass Familien mit Migrationshintergrund keine oder eine mangelhafte frühkindliche Bildung gewährleisten können. Das mag auf einige dieser Familien zutreffen, auf alle ganz sicher nicht. Das kann auch auf einheimische Familien zutreffen, auf die Mehrheit aber ganz sicher nicht. Warum also diskriminieren wir ständig Familien mit Migrationshintergrund, indem wir ihnen nicht zutrauen, mit ihren Kindern sorgsam und verantwortlich umzugehen. Die überwältigende Mehrheit der Eltern – ob mit oder ohne Migrationshintergrund – weiß, was ihren Kindern guttut.

Die Betreuungsgeldgegner wären gut beraten, wenn sie nicht nur fixiert sind auf negative Familienverhältnisse und allein daran ihre Politik ausrichten. Das ist genauso abwegig wie die Anpassung der Familienpolitik an ökonomische Gegebenheiten und Zwänge. Es geht nämlich ausnahmsweise mal nicht um Finanzen, sondern um unsere Kinder. An ihnen sollte sich Politik orientieren.

Elisabeth Motschmann, Bremen, den 12. Juni 2012 (www.motschman.net [1])