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„Vertauschungen“ – Teil I

Vertauschungen. Theologische Dimensionen einer sexualethischen Frage – (Teil I)

Einleitung

Mit der Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes im Jahr 2001 ist in Deutschland die gesellschaftliche und kirchliche Auseinandersetzung um die Bewertung der Homosexualität in ein neues Stadium getreten[1] [1]. Während in der Gesellschaft die Folgen des Lebenspartner­schafts­gesetzes, insbesondere seine Verfassungsmäßigkeit, diskutiert werden, scheint zugleich ein übermächtiger Druck insbesondere auf den evangelischen Kirchen und Freikirchen zu liegen. Eine Synode nach der anderen debattiert und beschließt über die Frage der Segnung gleichgeschlecht­licher Paare. Laut wird die Zulassung und Akzeptanz von Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern verlangt, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen. Und manche synodale Beschlußfassung ist nichts anderes als die nachträgliche Legitimierung in der Praxis längst geschaffener Tatsachen[2] [2]. Beobachten läßt sich eine rasante Veränderung kirchlich-theologischer Positionen innerhalb nur weniger Jahre. Was noch vor kurzem von einer kleinen Minderheit vertreten wurde, findet unversehens Eingang in das Überzeugungsrepertoire kirchenleitender Persönlichkeiten und synodaler Mehrheiten. Ältere Stellungnahmen, die sich noch ablehnend zur Frage der Segnung Homosexueller und der Zulassung gleichgeschlechtlicher Pfarrer zum Amt geäußert haben[3] [3], sind zum Teil durch neuere Beschlüsse einzelner Landeskirchen oder durch die längst vollzogene Praxis überholt.

Die Frage nach der theologischen Beurteilung der Homosexualität und den praktischen Implikationen einer solchen Beurteilung ist in den Kirchen umstritten und steht als Streitpunkt zwischen den Kirchen. So entzündet sich die Kritik der orthodoxen Kirchen an ökumenischen Institutionen und Verlautbarungen immer wieder auch an der Frage der Homosexualität[4] [4]. Solchen innerkirchlichen wie ökumenischen Widerständen versucht man durch Diffamierung und Margina­li­sierung zu begegnen. Ein beliebtes Instrument von Kirchenleitungen und theologischen Trend­settern ist dabei die Fundamentalismuskeule. Unabhängig von der sachlichen Bewertung ist es interessant wahrzunehmen, wie die für viele überfällige kirchliche Bejahung der Homosexualität und Segnung gleichgeschlechtlicher Paare einhergeht mit einer Stigmatisierung derer, die einen solchen Weg ablehnen. Sünder ist nun derjenige, der nicht vorbehaltlos bereit ist, die gleichgeschlechtliche Lebensweise zu fördern und für ihre Gleichberechtigung einzutreten. Die Aufhebung von herkömmlichen theologischen Verwerfungsurteilen geht also einher mit neuen Verwerfungsurteilen[5] [5]. Man stehe nicht mehr auf dem Boden des Evangeliums und damit der evangelischen oder der lutherischen Kirche, so heißt es dann. Es geht also mithin auch um die Frage nach dem rechten Kirche-Sein[6] [6].

An alledem wird deutlich, daß es sich bei der Auseinandersetzung um die Homosexualität nicht um eine Randfrage handelt, sondern um eine Frage, welche aufgrund ihrer weitreichenden Implikationen für Lehre und Praxis die Einheit der Kirche und das Heil der Menschen betrifft. Im Streit liegt schließlich insbesondere die Maßstäblichkeit der Heiligen Schrift. Ein Bekenntnis zum reformatorischen Schriftprinzip findet man allerorten, wobei dann freilich sofort wieder umstritten ist, welche Relevanz dieses Bekenntnis für die Frage der Homosexualität hat.

Ausgangspunkt dieses Aufsatzes sind die Ausführungen des Apostels Paulus in Röm 1,18-32. Dieser Abschnitt ist nach Meinung vieler Protagonisten auf beiden Seiten der Schlüsseltext in der Bibel zur Frage der Beurteilung der Homosexualität. Das entspricht dem hohen Stellenwert des Römerbriefs im neutestamentlichen Kanon und als Testament des Apostels Paulus. Man kann also davon ausgehen, daß hier grundlegende Sachverhalte dargelegt werden, die weit über eine bestimmte Gemeindesituation hinaus von Bedeutung sind. Wichtig ist insbesondere die Beobach­tung, daß Homosexualität in der Tat kein eigenständiges Thema weder der Bibel noch des Römer­briefes noch des Abschnittes Röm 1,18ff ist. Vielmehr wird dieses anthropologische Phänomen in theologischer Perspektive in den Blick genommen. Es wird damit eingezeichnet in den gesamt­biblischen Kontext der Heils- und Unheilsgeschichte Gottes und seiner Menschheit. Es wird eingezeichnet in den Kontext des Handelns des dreieinigen Gottes in Gericht und Rettung. In diesem Kontext leben aber auch noch wir heute, lebt auch die heutige Gesellschaft und leben die heutigen Kirchen. Aus diesem Grund können die theologischen Ausführungen des Apostels im Römerbrief zu einem Verständnis der Homosexualität in theologischer Perspektive führen, von dem her sich dann auch die aktuellen Auseinandersetzungen einordnen lassen. Ein Grundsatz des reformatorischen Schriftprinzips ist die Klarheit der Schrift. Nicht unsere Zeit ist das Licht, welches die vermeintlich finstere Schrift erleuchtet, sondern die Schrift erleuchtet unsere Zeit. In diesem Sinn wollen wir der Frage nachgehen, in welchem Horizont Paulus das schon damals offensichtlich nicht zu übersehende und darum auch in der missionarischen Ausbreitung der Kirche theologisch nicht zu übergehende Phänomen des gleichgeschlechtlichen Verkehrs wahrnimmt und inwiefern seine Ausführungen im gesamtbiblischen Zusammenhang Licht werfen auf die aktuelle kirchliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung.

 1. Die dreifache Vertauschung (Römer 1,18-32)

 Die Aussagen zur Homosexualität im Römerbrief stehen im Zusammenhang von Römer 1,18-3,20, in dem Paulus gleichsam als Voraussetzung der Verkündigung der Gerechtigkeit Gottes in Christus von der Offenbarung des Zornes Gottes über alle Menschen, von der Unentschuldbarkeit der ganzen Menschheit aus Juden und Heiden vor Gott spricht. In Röm 1,18ff kommt er zunächst auf die Heiden zu sprechen, bei denen sich die Schuld vor Gott anders manifestiert als bei den Juden[7] [7]. Dabei korrespondieren von Anfang an die Gottlosigkeit, und das Tun des Widergöttlichen, miteinander[8] [8]; auf beide richtet sich der Zorn Gottes; die Wahrheit wird durch das Unrechttun des Menschen, niedergehalten (1,18). Das wird dann in zwei Gedankenfolgen weiter entfaltet (Verse 19-23 und 24-31).

Zunächst führt Paulus in 1,19-23 aus, daß das Verhältnis des Menschen zu Gott trotz der Erkennbarkeit Gottes aus seinen Werken der Schöpfung verkehrt ist (21). An die Stelle des dem Schöpfer für seine Schöpfung gebührenden Dankes tritt das Verfallensein der Gedanken an das Nichtige und die Verfinsterung des unverständigen Herzens. „Als Menschen in der Schöpfung zu leben, müßte seinen Sinn und sein Ziel in der Doxologie haben: Aber faktisch verweigern die Menschen diese Doxologie – und verfallen eben damit der Sinn- und Ziellosigkeit, die nach atl.er Erfahrung das Wesen der Götzen als ‚Nichtse’ ist.“[9] [9] Folge ist, daß der Mensch – sich weise dünkend –  zum Narren wird und die Herrlichkeit Gottes vertauscht mit Bildern von Menschen und Tieren (V. 23). „Der Mensch wird jetzt den Tieren gleich und fängt an, die Tiere anzubeten“[10] [10].

Der Abschnitt 1,24-31, der durch ein dreifaches pare,dwken gegliedert ist, schildert Gottes Strafhandeln[11] [11], die Auswirkungen des offenbaren göttlichen Zornes, die darin bestehen, daß Gott die Menschen preisgibt „an die Folge ihres Abfalls, die sich in ihrem Verhältnis zu sich selbst auswirkt“[12] [12]. Die erste Dahingabe betrifft das menschliche Herz, das nach Vers 21 undankbar und unverständig ist. Diese Hingabe an die Begierden des Herzens ist gleichbedeutend mit „Unreinheit“ und impliziert, daß der Mensch seinen eigenen Leib verunehrt. Vers 25 erinnert noch einmal, daß es sich um diejenigen handelt, die Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt haben statt den Schöpfer. Wie im Alten Testament wirkt sich nach Paulus der „Götzendienst als Unreinheit und Hurerei gegen Gott … in sexueller Verunreinigung und ‚Schändung’ … der Leiber durch die Menschen selbst aus“[13] [13]. Die zweite Dahingabe betrifft die Leidenschaften der Unehre (V. 26). Dies wird nun erläutert durch den Hinweis auf das Vertauschen des natürlichen Geschlechtsverkehrs mit dem widernatürlichen  bei Frauen und Männern. Auf diese Weise fügen sich die Ausführenden selber den Lohn ihrer Verirrung zu[14] [14]. Die dritte Dahingabe betrifft den Sinn oder Geist des Menschen, der verkehrt ist (V. 28). Das äußert sich darin, daß der Mensch tut, was nicht recht ist und wird durch einen Lasterkatalog näher erläutert, der mit dem schon aus Vers 18 bekannten Stichwort eröffnet wird.

Dem dreifachen Dahingeben des Menschen durch Gott korrespondiert auf seiten des verblendeten Menschen ein dreifaches Vertauschen: er vertauscht Gottes Ehre mit Götzenbildern (23); er vertauscht Wahrheit und Lüge (25); er vertauscht den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen (26). Die Undankbarkeit gegen Gott äußert sich im Tun dessen, was vor Gott unrecht ist. Strafe ist das, insofern der Mensch nicht nur Gott die ihm gebührende Ehre nicht gibt, sondern sich durch sein widernatürliches Verhalten auch selbst seiner von Gott verliehenen Ehre als Mann und Frau beraubt. Das dreifache Vertauschen korrespondiert der dreifachen Dahingabe durch Gott und charakterisiert die Sünde als Verkehrung „der vom Schöpfer eröffneten Lebensmöglichkeiten“[15] [15]. Bezeichnet daher die „Dahingabe“ durch Gott das Schicksalshafte des ganzen Geschehens, so bezeichnet das „Vertauschen“ die Schuld des Menschen, wofür er von Gott verantwortlich gemacht wird. Die Unentrinnbarkeit der göttlichen Dahingabe und die menschliche Verantwortung und Schuld schließen sich gerade nicht gegenseitig aus[16] [16]. Denn Vers 32 zieht „die eschatologisch-forensische Konsequenz“[17] [17]: Die Menschen, die sich der aufgezählten Vertauschungen schuldig machen, verfallen dem Todesurteil Gottes. Sie sind für ihr Tun verantwortlich; es gibt dafür keine „Entschuldigung“ (Vers 20)

Man wird die dreifache Dahingabe nicht als Stufen in zeitlicher Abfolge ansehen müssen, sondern vor allem als drei gleichzeitige Aspekte des Strafhandelns Gottes, das so quasi von Paulus als „dreifaltig“ vor Augen geführt wird. Gottes Zorn äußert sich darin, daß Gott den Menschen dem Begehren seines blinden Herzens, seinen triebhaften Leidenschaften und seinem verkehrten Sinn preisgibt und ihn nicht mehr vor den Folgen seiner Gottlosigkeit bewahrt. Die Strafe besteht gerade darin, daß Gott den Menschen tun läßt, was er will, was aber der guten Ordnung Gottes für das Leben entgegensteht. Wenn auch nicht alle jedes Übel tun, so gibt es doch gleichsam eine Solidarität der Sünder gegen Gott: keiner fragt, was Gott will, sondern, auch wenn man nicht alles mitmacht, so stimmt man doch denen zu, die alles bis zum Ende ausreizen[18] [18].

Bedenkenswert ist, daß homosexuelles Verhalten keineswegs die einzige adikia, das einzige Unrecht  ist, die von Gott trennt. Es geht also nicht um die Ausgrenzung einer bestimmten Menschengruppe aus der sonstigen vermeintlich sündlosen Menschheit. Vielmehr muß man sogar andersherum fragen, ob nicht aufgrund der völligen Verblendung der Menschheit jeder Mensch in sich das Potential hat, die Folgen der Gottferne bis ins Extrem auszuleben. Wenn man bedenkt, daß Gott das Subjekt ist, das die Menschheit dahingibt, wird man dies kaum verneinen können[19] [19]. Noch deutlicher wird das, wenn man den Gesamtzusammenhang des Römerbriefs beachtet. Daß alle Menschen unentschuldbar unter der Sünde leben (3,9-20), ist das Ziel der Ausführungen des Apostels, womit er „die Situation ‚der Menschen’ markiert, die im Evangelium vorausgesetzt ist“[20] [20] und die durch die dem Sünder geltende Offenbarung des Evangeliums grundlegend verändert wird. „Darum gehört das 1,18-3,20 Gesagte zum Inhalt des Evangeliums, in dem beides enthüllt wird: der Zorn Gottes, der alle Sünder vernichtet, und seine Gerechtigkeit, die diese Wirkung seines Zornes selbst aufhebt.“[21] [21] Wie das Ende des Gotteszorns im Evangelium von Jesus Christus sich auf die in 1,18-32 geschilderten Verhaltensweisen auswirkt, wird im Gesamtzusammenhang des Römerbriefes erkennbar. Demnach ist die Zeit unter Gottes Zorn und sind die diese Zeit charakterisierenden Verhaltensweisen für die Christen Vergangenheit[22] [22]. Die in Röm 1 aufgezählten Laster fallen unter die Vergebung Gottes um Christi willen, „indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld“ (3,25-26). Die Wirkung des Evangeliums auf die Früchte des Gotteszorns ist also nicht deren wundersame Verwandlung von todbringenden Lastern zu geisterfüllten und dankbar zu genießenden Schöpfungsgaben. Die Verhaltensweisen unter Gottes Zorn werden nicht gleichsam geheiligt und ins Leben integriert; vielmehr gilt: Sie sollen nun auch kraft der Taufe vergangen und überwunden bleiben, denn auch sie fallen unter die Frage des Apostels: „Wie sollten wir in der Sünde leben wollen, der wir doch gestorben sind?“ (6,2). Auch von der Herrschaft dieser Sünden die ihm zuvor den Tod (1,32; 6,23) brachten, ist der Christ frei (6,3-23; 7,24f; 8,2.13). Sie gehören zu den Werken der Finsternis, welche der Christ im Licht des kommenden Tages des Herrn ablegt zugunsten der Waffen des Lichts (13,11-14).

            Bedenkenswert ist daher auch, daß Paulus in Röm 1 den homosexuellen Verkehr ausdrücklich erwähnt und es nicht bei dem generellen Hinweis auf fehlgeleitete sexuelle Begierden beläßt. Vielmehr führt er „konkret aus, was gemeint ist: gleichgeschlechtlicher ‚Verkehr’ (crh/sij) bei Frauen und Männern, den Paulus als ‚Vertauschung’ (vgl. VV 23.25) des ‚natürlichen’ Verkehrs mit ‚widernatürlichem’ verurteilt, als Schandtat“[23] [23]. Dieses apostolische Urteil kann dann freilich nicht unter Hinweis auf des Apostels humanwissenschaftliche Unkenntnisse einfach von vornherein abgelehnt werden[24] [24]. Stattdessen ist nach dem Sinn der apostolischen Ausführungen im Zusammenhang der gesamtbiblischen Offenbarung zu fragen. Nur so lassen sich die theologischen Gründe erkennen, warum Paulus hier im gleichgeschlechtlichen Verkehr von Männern und Frauen ein gegen Gott gerichtetes Verhalten sieht, dem Gottes Zorn und Todesurteil gilt. Die Frage, weshalb Paulus in der Hinwendung zum gleichgeschlechtlichen Verkehr eine gottwidrige „Vertauschung“ sieht, kann daher nur aufgrund der sonstigen biblischen Aussagen zu Fragen der menschlichen Sexualität beantwortet werden. Es geht also gerade nicht um bloßes apodiktisches Zitieren von Belegstellen, sondern neben der Auslegung der einzelnen Stellen um eine biblisch-hermeneutisch rechenschaftsfähige „Interpretation der einschlägigen Belege im Gesamtzusammen­hang biblischer Anthropologie“[25] [25].

 2. „Sie haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen.“

 2.1. Das biblische Menschenbild und die Sexualität – Der Mensch als Mann und Frau  (der „natürliche Verkehr“)

Eine beliebte Methode im Umgang mit der ausschließlich negativen Beurteilung der Homosexualität bei Paulus ist die Konstruktion eines Gegensatzes zur Verkündigung Jesu. So wird immer wieder darauf hingewiesen, Jesus habe sich zur Homosexualität gar nicht geäußert. Ihm gehe es nur um die Liebe in der Partnerschaft. Dem steht freilich entgegen, daß Jesus nach dem Zeugnis der Evangelisten keinen Zweifel über sein Menschenbild gelassen hat. Gegenüber den Regelungen des Gesetzes zur Ehescheidung bekennt er sich ausdrücklich zur urgeschichtlichen Schöpfung und Bestimmung des Menschen als Mann und Frau. Den nachträglichen Regelungen der Institution stellt er nämlich voraus und als Kriterium das gegenüber, was „von Beginn der Schöpfung an“ gilt. Jesus holt die grundlegenden Worte aus der Genesis dabei unmittelbar in seine Gegenwart und bezieht sie kritisch auf die menschlichen Regelungen. Weil Gott den Menschen von Anfang an als Mann und Frau geschaffen hat, „wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein  Fleisch“ (Mk 10,6-8; Mt 19,4-6). Damit aber wird das „Ein-Fleisch-Sein“ von Mann und Frau als „Woher“ (Ursprung) und „Wohin“ (Ziel) des Menschen von Jesus selbst in Aufnahme von Gen 2,24 ausdrücklich bestätigt. In der immer neuen Hinwendung des Mannes zur Frau wiederholt sich, was archetypisch von Adam erzählt wird. Adam ist zwar durch Einhauchung des göttlichen Lebensodems schon für sich „ein lebendiges Wesen“ (Gen 2,7), doch er ist noch nicht vollkommen: Gott will nicht die Einsamkeit des Mannes; er soll eine Gehilfin bekommen (Gen 2,18). Diese wird im Tierreich nicht gefunden (Gen 2,20), sondern von Gott selber dem Adam zugeführt (Gen 2,21-22). Adam erkennt sie als „Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ und doch wird sogleich die Zuordnung und Unterschiedenheit beider markiert: „man wird sie Männin nennen, weil sie vom Mann genommen ist“ (Gen 2,23). Der Alttestamentler Horst Seebaß urteilt: „Weil hier wie überall im Alten Testament das Leben das Ziel des Handelns Gottes ist und Leben und Segen zusammengehören (beide im weitesten Sinne), ist es nicht möglich, 1. Mose 2,18-23 auf homosexuelle Partnerschaften zu beziehen.“[26] [26]

Wichtig ist darüber hinaus die Beobachtung, daß das Bekenntnis Jesu zu diesen fundamentalanthropologischen Gegebenheiten bei Markus und Matthäus unmittelbar der Kindersegnung vorangeht (Mk 10,13-16; Mt 19,13-15). Die Kinder, die aus der Verbindung von Mann und Frau hervorgehen, sollen von den Erwachsenen am Einlaß ins Himmelreich nicht gehindert werden. Damit aber bekennt sich Jesus nicht nur zur Ehe als Schöpfergabe seines Vaters, sondern bringt ausdrücklich auch die „Kindergeneration“ mit dem Himmelreich in Verbindung. Die Kinder, die aus der vom Schöpfer zusammengefügten Ehe hervorgehen, sollen zu Jesus gelassen werden. Jesus teilt also mit dem Alten Testament ein Menschenbild, in dem Sexualität kein Selbstzweck ist, sondern im Kontext des auf Weitergabe des Lebens ausgerichteten Segens des Schöpfers zu sehen ist. Das „Ein-Fleisch-Sein“ von Mann und Frau erschöpft sich nicht im geschlechtlichen Verkehr. Die zweigeschlechtliche Gemeinschaft ist vielmehr auf Erweiterung der Gemeinschaft in den Nachkommen angelegt. Auftrag des Menschen und Segen des Schöpfers ist es daher, Leben weiterzugeben. Das ist der Grund, warum die menschliche Sexualität in der Bibel nicht isoliert thematisiert wird. In den Blick genommen wird vielmehr die lebenslange Ehe von Mann und Frau als vom Schöpfer bestimmter „Sitz im Leben“ der Sexualität. Das Gebot und die Verheißung, Leben in dieser Zweierbeziehung weiterzugeben, gilt auch über den Sündenfall hinaus. Wie dies in Erfüllung geht, schildern die Völkertafeln und Geschlechtsregister in der Urgeschichte (Gen 5-11). Als Ort der Lebensweitergabe im umfassenden Sinn ist die Ehe von Mann und Frau daher auch Voraussetzung und Ausdruck dafür, daß der Mensch sich in einer Abfolge von Generationen vorfindet, er mithin ein geschichtliches Wesen ist.

Neu ist im Neuen Testament nun freilich, daß der Gottessegen in Christus auch im ehelosen Leben weitergegeben werden kann. Angesichts des Heils in Christus und der vergehenden Welt stellen Ehe und Familie keinen absoluten Wert im Reich Gottes dar (vgl. Lk 14,26; 1.Kor 7,29). Es gibt nach Jesus und seinem Apostel Paulus das ehelose Leben um des Himmelreichs willen, aber das ist deutlich die Ausnahme und schließt sexuelle Enthaltsamkeit ein (Mt 19,12; 1.Kor 7,1-7). Das Gebot der Keuschheit gilt gleichermaßen den Verheirateten wie den noch oder dauerhaft Ehelosen (vgl. neben Gal 5,23 und 1.Thess 4,3 auch Joh 8,11!). Meilaender erinnert daran, daß die Reformation – jenseits von Verbürgerlichung und Weltflucht – auf der Höhe des Neuen Testaments steht, wenn Luther in seiner Erklärung des 6. Gebots die Keuschheit zum Grundprinzip in diesen Fragen erhebt. „Although the sixteenth-century Reformers often exalted the importance of marriage, especially as part of their attack on monastic vows, marriage itself is not the fundamental requirement. Chastity is.”[27] [27] Eheloses Leben[28] [28] und der Ehestand sind im Neuen Testament gleichsam zwei Lebensweisen, die Gott benutzt, um das Reich Gottes durch Menschen auszubreiten und den Glauben an das rettende Wort weiterzugeben. Ehe und Familie sind im Neuen Testament also nicht nur Frucht des Segens des Schöpfers und Erhalters, sondern auch der Ort der Weitergabe des in Christus beschlossenen Heils.

            Die auf die Weitergabe des Lebens angelegte Ehe von Mann und Frau hat somit nicht nur schöpfungstheologische, sondern auch ekklesiologische Relevanz. Das wird noch dadurch unterstrichen, daß in zahlreichen Stellen im Alten wie im Neuen Testament die Ehe zwischen Mann und Frau als Abbild des Verhältnisses von Gott zu seinem auserwählten Volk erkennbar wird (Hos 1-3; Jer 2,2; 3,1; Hes 16,23f; Eph 5,21-33). Hier wird besonders gut deutlich, worum es bei der Ehe geht: um einen lebenslangen Bund, in dem in Treue zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts Leben miteinander teilen und weitergeben. So wie die Ehe Bild für die Treue Gottes zu seinem Volk ist, so ist die Unzucht Bild für die Gottlosigkeit des Volkes Gottes. So wie die Ehe und die Treue zu Gott unter Gottes Segen steht und zum Gedeihen des Lebens beiträgt, so stehen die Hurerei und der Abfall von Gott unter Gottes Zorn und Gericht. Im Neuen Testament wird dies christologisch zugespitzt, wenn der Epheserbrief den Eheleuten die Selbsthingabe Christi für seine Gemeinde als Vorbild für ihr Miteinander vor Augen führt (Eph 5,23-33) oder wenn immer wieder das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche mit dem Bild von Hochzeitsfeier, Braut und Bräutigam beschrieben wird.

Zusammenfassend läßt sich feststellen: Die Gemeinschaft von Mann und Frau in der Ehe ist wesentlich für das biblische Menschenbild im Alten und Neuen Testament. Sie ist der Ort, in dem der Mensch – nicht nur sexuelle – Erfüllung und gemeinschaftliches Leben findet. Zudem spielt die Ehe auch eine Rolle für das Gottesbild, spiegelt sich in ihr doch die Treue Gottes zu seinen Menschen. Das Leben und der Glaube an Christus wird in Ehe und Familie weitergegeben. Nach dem Neuen Testament entspricht das Verhältnis von Mann und Frau in Gemeinschaft und Verschiedenheit zudem dem Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche. Mithin haben wir es in der Ehe von Mann und Frau nicht einfach nur mit einer „Schöpfungsordnung“ zu tun, sondern mit einer Gabe Gottes, für die und durch die Gott in seiner Welt und Kirche zum Heil der Menschen wirken will. Schöpfungstheologische, soteriologische und pneumatologische Aspekte greifen hier ineinander. Es geht um das Handeln des dreieinigen Gottes.

 2.2. Die Vertauschung: Der gleichgeschlechtliche Verkehr

 Altes und Neues Testament, Jesus und seine Apostel sprechen von Ehe und Kindersegen in schöpfungstheologischer und ekklesiologischer Perspektive. Dem entspricht quasi als Kehrseite der Medaille[29] [29] die Thematisierung des gleichgeschlechtlichen Verkehrs in hamartiologischer Perspektive. Mit konkreten Sünden aber setzt sich die Bibel unter zweierlei Gesichtspunkten auseinander, dem Gesichtspunkt des Gerichtes und dem der Vergebung und Heiligung.

Paradigmatisch für die hamartiologische Perspektive sind die Ausführungen des Apostels Paulus in Röm 1. Gleichgeschlechtlicher Verkehr kommt hier, wie wir oben gesehen haben, ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des göttlichen Gerichts, des Zorns, auf menschlicher Seite unter dem Gesichtspunkt des Verlusts der Ehre und des Verfehlens der eigenen Bestimmung als Gottes Geschöpf in den Blick. Dem entspricht der Befund im Alten Testament, in dem gleichgeschlechtlicher Verkehr nirgends positiv bewertet wird, sondern als Ausdruck und Symptom einer gefallenen Welt gilt (Gen 19; Ri 19)[30] [30]. Dem entspricht ferner die Verurteilung des gleichgeschlechtlichen Verkehrs als gottwidriges – von der Gemeinschaft mit dem heiligen Gott ausschließendes – „Greuel“ im Gesetz (Lev 18,22; 20,13). Hans Walter Wolff kommentiert dazu: „Die Geschlechtsdifferenzierung wird verkannt und damit die Grundweise, in Überwindung der Selbstliebe zum fruchtbaren Leben zu kommen. Ebenso wird der Sodomie widerstanden (Lv 18,23).“[31] [31] Die griechische Übersetzung des Alten Testaments, die Septuaginta, trifft hier den im hebräischen Urtext gemeinten Sinn, wenn der Koitus zwischen Männern ausgeschlossen wird. Unübersehbar ist, daß Paulus mit dem Gebrauch des Wortes arsenikoitai in 1.Kor 6,9 (vgl. 1.Tim 1,10) die Septuagintastelle fast wörtlich zitiert. Gerade angesichts der Tatsache, daß das Neue Testament viele anderen Regelungen auch des sogenannten „Heiligkeitsgesetzes“ (Lev 17-26) nicht für die Christenheit aufrecht erhält, muß es aufmerken lassen, daß Paulus die Aussagen des Heiligkeitsgesetzes zur Homosexualität inhaltlich auch für die Heiligung der Christen zur Geltung bringt. Wenn Paulus in 1. Kor. 6,9 schreibt, der Beischlaf zwischen Männern schließe vom Reich Gottes aus, dann entspricht dies der Verwerfung dieses Beischlafes durch Gott im Alten Testament als „Greuel“ [32] [32], das den Menschen von Gottes Segen ausschließt und ihn so dem Tode preisgibt.

Wie aber kommt Paulus zu dieser scharfen Verurteilung? Röm 1,27 spricht im Zusammenhang von homosexuellem Verhalten von Verirrung. Das muß man in Erinnerung haben, wenn Paulus nun in 1.Kor 6,9 ermahnt: Laßt euch nicht irreführen. Die Verirrungen von Röm 1 wirken auch auf die christliche Gemeinde noch ein, was insbesondere angesichts der Situation in den damaligen Großstädten Rom und Korinth nicht verwundert. Sie sind nach 1.Kor 6,9-11 als Versuchung aus der Vergangenheit einiger Glieder, aber auch aus der heidnischen Umgebung präsent. Ist in Röm 1,18 von Ungerechtigkeit die Rede, so hier von Ungerechten: Sie sind, so wie sie sind, vom Gottesreich ausgeschlossen[33] [33]. Genannt werden auch diejenigen, die gleichgeschlechtlichen Verkehr[34] [34] praktizieren. Sie stehen hier neben anderen Sündern. Lapidar stellt Paulus fest: „Solche sind einige von euch gewesen.“ Dann folgt die Tauferinnerung[35] [35]: „Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (1.Kor 6,11). Angesichts des drohenden Einbruchs des alten Wesens in die Gemeinde erinnert Paulus also an die Taufe. Die Taufe ist zweierlei: Antritt des himmlischen Erbes und Ende des alten gottlosen Lebens – die andere Seite des Neubeginns in Christus. Sündenvergebung und Heiligung sind gleichermaßen durch die Taufe gegeben (Vers 11). Die alten Verhaltensweisen werden also nicht in das neue christliche Leben integriert, sondern sind durch die Taufe vergeben und abgetan, ja, entmachtet: „’Geheiligtwerden’ bezeichnet darüber hinaus nicht nur die Freiheit von der Sündenschuld, sondern auch die von der Sündenmacht. Durch die Taufe wird der Mensch aus der Verfallenheit an die Machtsphäre der alten Welt in Gottes Heiligkeitssphäre gezogen und zur Heiligung verpflichtet“[36] [36].

„Gerade weil Paulus die Taufe nicht nur kognitiv, sondern effektiv-kausativ versteht, kann sie ihm zur Begründung der durchgreifenden Erneuerung und Verpflichtung dienen.“[37] [37]  Nicht mehr auf den Götzen, den Sexus, den Rausch oder das Geld ist das Leben der Erben des Gottesreiches ausgerichtet, sondern auf den heiligen Gott. Wie er heilig ist, sind auch sie durch ihre Taufe heilig. Daß dies insbesondere für das Sexualleben Folgen hat, erläutert Paulus dann weiter in 6,12-7,40. Auch 1.Tim 1,8-11 nimmt explizit Bezug auf homosexuelles Verhalten. Gegen eine falsche Gesetzlichkeit wird festgehalten, wogegen sich das Gesetz Gottes richtet und wogegen nicht. Während die Ehe dem Menschen von Gott geschenkt ist (1.Tim 4,1-5), richtet sich das Gesetz nach 1.Tim 1,8-11 gegen die Sünder und Gottlosen (vgl. Gal 5,18-23!), darunter Mörder, Unzüchtige, solche, die sich homosexuellem Verkehr hingeben, Lebensweisen, die „der heilsamen Lehre zuwider“ sind.

            Damit fügen sich die neutestamentlichen Aussagen zum gleichgeschlechtlichen Verkehr ein in die apostolischen Taufparänesen, die grundlegend für die Unterweisung der christlichen Gemeinden in einem dem Evangelium entsprechenden Leben sind. Wichtig nicht nur, aber auch für die Debatte um die homosexuelle Lebensweise ist dabei folgende Beobachtung: Die neutestamentlichen Weisungen für das Leben der Christen lassen sich nicht auf das Liebesgebot reduzieren. Vielmehr werden konkrete – und zeitübergreifend vorkommende –  Verhaltensweisen benannt, die dem Leben in der Gemeinschaft mit Gott entsprechen, und andere, die zur Scheidung der Getauften vom Reich Gottes führen. Hierbei kommt ein eigentümliches Zeit- und Wirklichkeitsverständnis zum Tragen. Früher und jetzt, Finsternis und Licht, alt und neu verhalten sich im Neuen Testament nicht wie zwei Stadien einer Entwicklung, sondern es handelt sich um Gegensätze. Die alte, seit der Taufe hinter ihm liegende und überwundene Lebensweise stellt für den Christen eine beständige Gefährdung dar, aus der er herausgerufen wird. Doch führt der Glaube nicht in die Weltabgeschiedenheit. Vielmehr weisen die neutestamentlichen Ermahnungen ein in den heilsamen Umgang mit den Schöpfungsgaben Gottes und damit auch mit der Sexualität. Alt und Neu, die Knechtschaft in der Sünde und die Freiheit in der Heiligung, Leben in der Finsternis und Leben im Licht, Leben im Fleisch und Leben im Geist werden z.B. in folgenden Schriftabschnitten einander gegenübergestellt: Röm 6; Röm 8,1-17; 1.Kor 6,9-11; Gal 5,16-26; Eph 4,17 – 5,20; Kol 3,1-17; 1.Thess 5,1-11; Tit 3,3-8; 1.Petr 1,13-16. Der 1. Petrusbrief (1,16) kann sogar die Forderung aus dem alttestamentlichen Heiligkeitsgesetz (Lev 19,2) wiederholen: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ (vgl. 1.Thess 4,3).

An all diesen Stellen wird zweierlei erkennbar: Die Verhaltensweisen aus der vorchristlichen Zeit der Getauften und aus ihrer nichtchristlichen Umgebung bleiben zum einen eine Versuchung für die im Glauben stehenden Christen[38] [38]. Das betrifft nicht nur die Sexualität, sondern auch den Umgang mit Geld und Gütern etc. Das betrifft auch nicht nur die sündige Tat, sondern schon den sündigen Wunsch, die Begierde, auch fehlgeleitetes „heterosexuelles“ Begehren (vgl. auch Mt 5,27-32; 2.Petr 2,14). Nun werden aber zum andern die Christen mit Nachdruck aufgerufen, sich mit diesen Verhaltensweisen nicht abzufinden, sondern sie vergangen sein zu lassen. Zugleich wird mit der Ausrufung der heilsamen Wirkungen des Erlösungshandelns Christi (vgl. neben den genannten Stellen vor allem auch 1.Kor 6,20; 7,23; 1.Petr 1,18f), der Taufe und der Gegenwart des Geistes die Freiheit eröffnet, die früheren Sünden zu meiden und die christlichen „Tugenden“, die Früchte des Geistes, zu leben. Der Christ ist frei, Gottes Gaben im Bereich der Sexualität, des Eigentums, der Speise in Gebrauch zu nehmen; aber er soll es in den Grenzen tun, in denen Gott ihm diese Gaben schenkt. Für den Bereich des Sexuellen heißt das: Der Ort, in dem die Sexualität in der durch die Taufe gewirkten Heiligung gelebt werden darf und soll, ist die Ehe von Mann und Frau[39] [39]. Das schließt außerehelichen Verkehr ebenso aus wie homosexuellen[40] [40].

Damit aber wird ein weiteres Mal erkennbar, daß die neutestamentlichen Weisungen zur Homosexualität in der Bibel nicht wie ein Fremdkörper dastehen. In ihnen spiegelt sich vielmehr das Menschenbild, wie es in den zentralen Bibelstellen zur Schöpfung des Menschen im Alten wie im Neuen Testament erkennbar wird, einer Schöpfung, die durch menschliche Sünden und Perversionen schwer geschädigt ist, unter dem Evangelium aber wieder in den geheiligten Dienst des Schöpfers tritt, so daß die christliche Ethik nicht nur in Fragen der Sexualität von einem asketischen Rigorismus ebenso weit entfernt ist wie von grenzenlosem Ausleben der menschlichen Bedürfnisse. Die Grenzen, die der Apostel zieht, sind weder zeitbedingt noch willkürlich, sondern sie entsprechen dem ursprünglichen Willen des Schöpfers für seine Geschöpfe. Daß das Neue Testament die Grenzen in ethischen Fragen so konkret immer wieder benennt, ist ein Hinweis darauf, wie sehr die Christenheit hier in Versuchung steht, sich immer wieder der eigenen heidnischen Vergangenheit und Umgebung anzupassen. Die Christen damals hatten es nach übereinstimmender Meinung der Apostel nötig, nicht auf ein abstraktes Liebesgebot eingeschworen zu werden, sondern konkret zu hören, was der Liebe als Zusammenfassung des Gesetzes Gottes entspricht und was ihr nicht entspricht, was Früchte des Geistes und Früchte des Fleisches sind. Auch das ethische Urteilsvermögen der getauften Christen bedarf fortwährend der Klärung und Heiligung durch den Heiligen Geist, wie das in den apostolischen Mahnungen zum Ausdruck kommt.

In diesem Zusammenhang ist der gleichgeschlechtliche Verkehr nicht nur eine Vertauschung dessen, was der Schöpfung und dem Schöpfer gemäß ist, mit dem was Paulus „widernatürlich“ nennt, was dann freilich nicht im Sinne eines naturalistischen Fehlschlusses zu deuten ist, sondern eben vom biblischen Schöpfungs- und Menschenverständnis her verstanden werden muß. Vielmehr liegt in der praktizierten gleichgeschlechtlichen Liebe wie in jeder Unzucht auch eine Vertauschung im Sinne einer Abkehr vom durch den Geist Gottes in der Taufe geheiligten Leben vor, eine Vertauschung von Fleisch und Geist, altem, verlorenem Wesen und neuem, von Gott zum Leben bestimmtem Wesen. Die Ablehnung des homosexuellen Verkehrs im Neuen Testament erfolgt mithin aus theologischen Gründen und ist nicht Folge einer Anpassung der Evangeliumsverkündigung an Zeitumstände. Denn die Antwort des Neuen Testaments auf die Vertauschung von Fleisch und Geist ist nicht nur im Fall der Homosexualität der Ruf zur Umkehr, der Rückruf zur Taufe, die Unterstellung unter die in der Taufe durch den Heiligen Geist gewirkte Heilswirklichkeit der Gemeinde Gottes. Eine theologische Ethik, die diese Sachverhalte ernst nimmt, ist daher „Wächterin nicht über irgendeine ‚Konformität’ mit ‚evangelischen Normen’ – eine Anschauung, die mit dem Antinomismus der Vorstellung, das Vorfindliche sei schon als solches gerechtfertigt, sehr wohl verträglich ist -, sondern über das evangelische plh,rwma von Handlungen, über ihre geistgewirkte Realitätshaltigkeit im Unterschied zu allen Instanzen der Absenz und Geistes-Leere, die als solche unmittelbar gerichtete sind.“[41] [41]

Teil II folgt


[1] [42] Vgl. Uta Rasche, Gottesdienst nach Verpartnerung? Die evangelische Kirche streitet weiter über Segnungen für homosexuelle Paare, in: FAZ 10.12.2001, S. 12: „Durch das im August (2001; A.W.) in Kraft getretene ‚Lebenspartnerschaftsgesetz’, das mit den Stimmen der rot-grünen Bundestagsfraktionen verabschiedet wurde, hat die kirchliche Diskussion an Fahrt gewonnen.“ – Der Artikel berichtet von den Bemühungen von „leitenden Theologen der hessisch-nassauischen Kirche“, die „das neue ‚Lebenspartnerschaftsgesetz’ zum Anlaß nehmen, im Nachgang einer standesamtlichen ‚Verpartnerung’ auch eine kirchliche Segensfeier anzubieten.“

[2] [43] Vgl. Ernst Volk, Gleichgeschlechtliche Liebe? Ein Plädoyer wider die Maßlosigkeit, in: Markus Aust, Hans-Christoph Gensichen, Thomas Sören Hoffmann (Hrsg.), Christlicher Glaube und Homosexualität. Argumente aus Bibel, Theologie und Seelsorge, Neuhausen-Stuttgart 1994, S. 21-37, hier S. 21: „Im Rheinland hat es sogar schon eine regelrechte Trauung, übrigens zweier Familienväter, gegeben, ohne daß dafür eine kirchenrechtliche Grundlage gegeben war …“

[3] [44] Vgl. Lutherisches Kirchenamt der VELKD (Hrsg.), Gedanken und Maßstäbe zum Dienst von Homophilen in der Kirche. Eine Orientierungshilfe; und: Vorläufige Stellungnahme des Theologischen Ausschusses der VELKD zum Problem der Homosexualität von Pfarrern, in: Helmut Kentler (Hrsg.), Die Menschlichkeit der Sexualität. Berichte – Analysen – Kommentare – ausgelöst durch die Frage: Wie homosexuell dürfen Pfarrer sein?, München 1983, S. 62-79.

[4] [45] Vgl. Gert Kelter, Der moderne Ökumenismus als Hindernis auf dem Weg zur Einheit der Christen? In: Lutherische Beiträge 5, 2000, S. 268-276.

[5] [46] Vgl. Gerhard Besier, konzern kirche. Das Evangelium und die Macht des Geldes, Neuhausen-Stuttgart 1997, S. 168.

[6] [47] Vgl. Heinzpeter Hempelmann, Kirche und Homosexualität. Sieben Perspektiven, in: Theologische Beiträge 25, 1994, S. 181-191, hier S. 191.

[7] [48] Vgl. Ulrich Wilckens, Der Brief an die Römer (Röm 1-5), EKK VI/1, Neukirchen-Vluyn 1978, S. 93: „Paulus entfaltet den Satz 1,18 zunächst grundsätzlich so, wie das Judentum die Gottlosigkeit der Heiden anzuklagen pflegte (1,19-32).“; ferner mit Beispielen ebd. S. 96-99.

[8] [49] Vgl. ebd., S. 96: „avse,beia und avdiki,a V 18 werden in VV 19ff und VV 22ff chiastisch, sodann wiederum in VV 25 ff und VV 28ff in der Reihenfolge von V 18 entfaltet.“

[9] [50] Ebd., S. 107.

[10] [51] Jervell Imago Dei, S. 321, zitiert bei Wilckens, S. 108, Anm. 188.

[11] [52] Vgl. Adolf Schlatter, Gottes Gerechtigkeit. Ein Kommentar zum Römerbrief, Stuttgart, 6. Auflage 1991, S. 66: „paredoken ist das übliche Wort für den Spruch des Richters, durch den er die Vollstreckung der Strafe anordnet.“

[12] [53] Wilckens, a.a.O., S. 108.

[13] [54] Ebd., S. 109.

[14] [55] Vgl. zu den beiden Möglichkeiten, worauf sich die Verirrung bezieht, Schlatter (wie Anm. 11), S. 68: „Vielleicht hat Paulus bei der planä an die Absurdität ihrer Religion gedacht. Unvergolten durfte dieser Frevel nicht bleiben, und die Vergeltung besteht in der verwüstenden Gewalt des Verlangens, das nach Widernatürlichem und Schimpflichem begehrt. Nach der anderen Deutung hat Paulus die erotische Unnatur planä  genannt und bei der  avntimisqi,a  an ihre Wirkungen gedacht, die den Leib und das Gewissen zerstören.“

[15] [56] Wilckens, S. 96.

[16] [57] Vgl. Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, Berlin 1959, S. 251: „Gott hat sie der Sünde dahingegeben (1,24ff.), jedoch zur Strafe für die Ursünde des Abfalls vom Schöpfer – was ja dem Sündigen nicht den Schuldcharakter nimmt, sondern nur besagt, daß die Ursünde des Abfalls die moralischen Verfehlungen notwendig nach sich zieht.“

[17] [58] Wilckens, S. 95.

[18] [59] Vgl. Wilckens, S. 116: „Der Beifall, der gerade unter Inanspruchnahme von rational-gebildeter Urteilsfähigkeit der faktischen Sünde als Sukkurs gegeben zu werden pflegt, so als komme der Rebell gegen Gott erst eigentlich zu sich selbst, zu wahrer Freiheit unabhängigen Lebens, ist in Wirklichkeit, d. h. unter dem eschatologisch relevanten Aspekt des Zornes Gottes, zutiefst Torheit und Trug; darum richtet sich das von den Menschen verworfene  dikaioma tou theou gerade auch gegen diejenigen, die Sünde durch ihren Beifall legitimieren.“

[19] [60] Zum Argument, daß „viele von vielen dieser Anklagen nicht getroffen werden“ meint Schlatter (wie Anm. 11, S. 71): „Dennoch hat Paulus jedes dieser Worte, auch die über die erotische Unnatur, jedem gesagt. Denn der Mensch soll nicht so töricht sein, daß er vor der Sünde erst dann erschrickt, wenn er selbst gefallen ist. Sieht er sie an den anderen, so ist ihm auch dadurch gezeigt, daß er das rettende Wort bedarf und wovon es ihn rettet.“

[20] [61] Wilckens, S. 102.

[21] [62] Ebd., S. 103.

[22] [63] Vgl. ebd., S. 112: „Im Unterschied zur jüdischen Tradition gelten die Laster im Urchristentum als für die Zeit ante fidem charakteristisch (vgl. 1Kor 6,9-11), als ‚Werke des Fleisches’, zu denen die ‚Tugenden’ als ‚Frucht des Geistes’ in radikalem Widerspruch stehen (Gal 5,19ff.22ff); für Christen sind sie abgetane Vergangenheit, und sie werden vor Rückfall zu ihnen gewarnt (2Kor 12,20f vgl. 1Kor 5,10f).“

[23] [64] Wilckens, S. 109f.

[24] [65] Gegen Wilckens, S. 110f, Anm. 205 und Schrage (wie Anm. 32), S. 436.

[25] [66] Hempelmann (wie Anm. 6), S. 184.

[26] [67] Das Nein des Alten Testaments. Die spezifische Aussage des AT zur Homosexualität zwischen Sippenweisung und altorientalischer Praxis, in: Aust, Gensichen, Hoffmann (wie Anm. 2), S. 65-72, hier S. 71.

[27] [68] Gilbert Meilaender, Homosexuality in Christian Perspektive, in: Ders., Things that count. Essays Moral and Theological, Wilmington 2000, S. 59-76, hier S. 66.

[28] [69] Zum Charisma der Ehelosigkeit vgl. die Ausführungen bei Jürgen Roloff, Auf der Suche nach biblischen Kriterien für eine heutige Sexualethik, in: Lutherische Kirche in der Welt (JMLB 46), Erlangen 1999, S. 31-54, hier S. 44-50.

[29] [70] Vgl. Wolfhart Pannenberg, Die Liebe und ihr Maß – Maßstab für das Kirchesein der Kirche, in: Aust, Gensichen, Hoffmann (wie Anm. 2), S. 14-20, hier S. 17. Meilaender (wie Anm. 27), S. 59: „In whatever way those who are not Christians may approach this topic, for Christians there should be no discussion of homosexuality that is not also a discussion of marriage and its purposes.”

[30] [71] Vgl. Walther Zimmerli, Die Weltlichkeit des Alten Testaments, Göttingen 1971, S. 41: „Die Erzählung von der Versündigung der Sodomiten in Gen. 19 bringt die Haltung Israels gegenüber den Perversionen Kanaans scharf zum Ausdruck.“

[31] [72] Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, S. 257. Ganz anders urteilt dagegen Erhard S. Gerstenberger (Das 3. Buch Mose. Leviticus, ATD 6, Göttingen 1993, S.272f): „In Wirklichkeit wächst das alttestamentliche Verdammungsurteil aus Ängsten und Tabuvorstellungen, die seit Jahrhunderten als überwunden gelten und endlich auch in der Kirche von unverkrampften, menschenfreundlichen Einstellungen abgelöst werden. Ähnliches gilt für die ‚Tierschande’. … Die Menschen der Antike hegten allerlei dämonistische Ängste (vgl. zu Lev 18,23) …“

[32] [73] Vgl. Klaus Haacker, Exegetische Gesichtspunkte zum Thema Homosexualität. Stellungnahme zum Arbeitspapier „Homosexuelle Liebe“ für rheinische Gemeinden und Kirchenkreise, in: Theologische Beiträge 25, 1994, S. 173-180 S. 175: „Das Wort to’ebah drückt absolute Tabuisierung aus und will Abscheu wecken.“ Liest man mit dem griechischen Wort für Greuel (bde,lugma) im Ohr weitere Stellen des Neuen Testaments, so kann man nicht mehr sagen, es gehe bei den biblisch als Greuelsünden bewerteten menschlichen Handlungen um Randfragen von untergeordneter Bedeutung; vgl. etwa Offb 17,5 (dazu vgl. Friedrich Hauck/Siegfried Schulz, pornä, in: ThWNT VI, S. 594f).

[33] [74] Vgl. Wolfgang Schrage, Der erste Brief an die Korinther (1Kor 1,1-6,11), EKK VII/1 (Neukirchen-Vluyn 1991); S. 429: „Die Gefahr, sich irreführen zu lassen, ist gerade in Korinth groß, und zwar speziell durch die Selbsttäuschung, es gehe bei den zur Sprache gebrachten Punkten um bloße Adiaphora oder man könne des eschatologischen  ‚Erbes’ unter allen Umständen sicher sein.“

[34] [75] Vgl. ebd., S. 432: „arsenikoites ist der, der mit Männern geschlechtlich verkehrt, nicht nur der männliche Prostituierte. Die übliche Übersetzung ‚Knabenschänder’ erweckt freilich den Eindruck, als ob es sich nur um geschlechtlichen Umgang mit Kindern oder Heranwachsenden und nicht mit Männern handele.“

[35] [76] Vgl. ebd., S. 427f.

[36] [77] Ebd., S. 433.

[37] [78] Ebd., S. 433.

[38] [79] Vgl. Hauck/Schulz (wie Anm. 32), S. 592f: „Gegenüber dem andersartigen Urteil des Griechentums und des antiken Synkretismus gehen die konkreten Anweisungen des Paulus darauf hinaus, den Heidenchristen die Unvereinbarkeit von porneia und Reich Gottes vor Augen zu führen. Kein pornoi hat Anteil am Reich Gottes (1 K 6, 9; Eph 5, 5).“

[39] [80] Vgl. Roloff (wie Anm. 28), S. 53: Die „Lebenspartnerschaft von Mann und Frau“ „ist mehr als nur eine institutionelle Möglichkeit erfüllter Sexualität, nämlich der einzige Ort, an dem Sexualität unter das Stichwort der Heiligung gestellt ist.“

[40] [81] Vgl. Hauck/Schulz, (wie Anm. 32), S. 590: „Das Neue Testament ist gekennzeichnet durch die unbedingte Ablehnung jedes außerehelichen oder widernatürlichen Geschlechtsverkehrs.“

[41] [82] Thomas Sören Hoffmann, METALLAGÄ. Gleichgeschlechtliche Ersatzhandlungen und Eheimitate als theologisch-ethisches Sprach- und Sachproblem, in: KuD 41, 1995, S. 176-195, hier S. 181f