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Die theologische Stellungnahme Karl Barths zur Frage der Homosexualität

Donnerstag 24. Mai 2012 von Karl Barth (1886 - 1968)


Karl Barth (1886 - 1968)

Die theologische Stellungnahme Karl Barths zur Frage der Homosexualität

Manchem scheint es unbekannt zu sein, dass sich der Schweizer Theologe Karl Barth in seinem monumentalen Werk, der Kirchlichen Dogmatik, in pointierter Weise um eine biblisch-theologische Reflexion des Geheimnisses der Geschlechter und ihres Verhältnisses zueinander verdient gemacht hat. Im Rahmen seiner tiefgehenden und bis heute bedenkenswerten Ausführungen geht er auch auf das Thema Homosexualität ein. Seine Stimme verdient auf der Suche nach einer in dieser Frage „kirchlichen Entscheidung in theologischer Verantwortung“ (Reinhard Slenczka) unbedingt Gehör. Der folgende kurze Auszug aus der entsprechenden Passage in der Kirchlichen Dogmatik mag als ein erster Einstieg in die differenzierten und ausführlichen Darlegungen Barths dienen.

„Im Gehorsam gegen Gottes Gebot gibt es kein in sich abgeschlossenes, sich selber genügendes Männerleben und so auch kein in sich abgeschlossenes, sich selber genügendes Frauenleben. Im Gehorsam gegen Gottes Gebot lebt der Mann in der Zuordnung, der Zugehörigkeit, der Zuwendung zur Frau und so die Frau in der Zuordnung, Zugehörigkeit und Zuwendung zum Manne. Wir stellen, was hier zu sagen ist, unter das schon angeführte Wort 1.Kor. 11, 11: Im Herrn ist weder die Frau ohne den Mann noch der Mann ohne die Frau.» Das gilt auch von Mann und Frau in der Ehe, aber nicht nur von ihnen. ….. Der Ort selbst, an den wir uns als an den eigenartigen und verschiedenen Ort der beiden Geschlechter weisen ließen, ist für jeden Mann und für jede Frau innerhalb wie außerhalb der Ehe ein nach der gegenüberliegenden Seite offener Ort. Man kann ihn nicht beziehen, man kann also gerade jener Treueforderung nicht nachkommen, ohne eben damit als Mann der Frau, als Frau des Mannes gewahr zu werden und zu bleiben. Und daß er nach der gegenüberliegenden Seite offen ist, das ist nicht nur eine zufällige Eigenschaft dieses Ortes, die ihm vielleicht auch fehlen könnte, das macht vielmehr gerade sein Wesen aus. Mögen alle Bestimmungen männlichen und weiblichen Wesens zweifelhaft und anfechtbar sein – diese hält stand, diese läßt sich ja auch sofort in einen Imperativ verwandeln und also ernst nehmen: der Mann ist zur Frau, die Frau ist zum Manne hin, sie sind einander gegenseitig Horizont und konkrete Orientierung – wie sie denn auch beide voneinander her, sich gegenseitig Mitte und Ursprung sind. Und eben diese Ausrichtung auf das Andere macht ihrer Beider Wesen aus. Je in ihrer Beziehung zur Gegenseite sind Mann und Frau, was sie für sich sind. Man muß hier nur klar sehen: Beziehung heißt ja nicht Ãœbergang, nicht Preisgabe ans Andere, nicht Verleugnung des Eigenen, nicht offene und nicht geheime Vertauschung mit dem Gegenüber. Gerade Beziehung heißt vielmehr: fester Stand in diesem Gegenüber und also auch im Eigenen, aber eben in diesem Eigenen, sofern es nicht ein in sich Zusammengerolltes, sondern ein Ausgerichtetes, kein Verschlossenes, sondern ein Offenes, nicht konzentrisch, sondern exzentrisch ist. Beziehung zur Frau in diesem Sinn macht den Mann zum Mann; Beziehung zum Mann in diesem Sinn macht die Frau zur Frau. Erwachen zum Geschlecht, geschlechtlich reif und aktiv, seinem Geschlecht treu sein, heißt für ihn wie für sie: Erwachen zu dieser Beziehung, reif sein für sie und aktiv in ihr, ihr treu bleiben. …………

Es geht hier um Kern und Stern unserer ganzen Untersuchung und Darstellung der «Freiheit in der Gemeinschaft» überhaupt und der so exemplarischen Freiheit in der Gemeinschaft von Mann und Frau im Besonderen. Daß nach Gal. 3, 28 in Christus Jesus weder Mann noch Frau sind, das heißt aber, daß sie in ihm wie Jude und Hellene, wie Freier und Sklave Einer, auf einem Fuße, gleich und gleich sind, das ist es, was hier zur Geltung und zu Ehren kommen muß. Daß sie in ihm Einer, auf einem Fuße, gleich und gleich sind, das heißt aber: sie sind gerade, was sie für sich sind, indem sie sich gegenseitig zugeordnet, zugehörig, zugewendet sind. Wie der Jude im Herrn nur darin, aber gerade darin Jude ist, daß er dem Hellenen und der Hellene ihm gegenübersteht – wie der Freie im Herrn nur darin, aber gerade darin Freier ist, daß ihm der Sklave und er selbst dem Sklaven zugesellt ist, so ist auch der Mann im Herrn nur darin, aber gerade darin Mann, daß er mit der Frau, die Frau nur darin, aber gerade darin Frau, daß sie mit dem Manne ist. Im Herrn sind sie Einer, das hält sie zusammen. Das erlaubt und gebietet ihnen, miteinander zu sein. Und gerade das begründet auch ihre Eigenart und Verschiedenheit. Diese wurzelt darin, es haben Mann und Frau je ihr besonderes Wesen darin, daß sie darauf angewiesen sind, in Gemeinschaft zu sein. Weil ihre Freiheit die ist, die sie von Gott, vor Gott, für Gott haben, darum kann sie nur in ihrer Gemeinschaft untereinander Gestalt haben, kann ihre Menschlichkeit konkret nur darin bestehen, daß sie mitmenschlich existieren: der Mann mit der Frau, die Frau mit dem Manne. Alles Männerrecht und alles Frauenrecht steht und fällt mit dem Beachten und Innehalten dieser Regel, wie denn auch alles Männerunrecht, aber auch alles Frauenunrecht in deren Durchbrechung besteht.

Diese Regel ist, von dieser Seite gesehen, das Gebot Gottes. Von ihrer Beachtung und Innehaltung kann im Gehorsam gegen Gottes Gebot niemand sich für dispensiert halten. Es ist klar, daß wir es in ihr auch mit dem Grundgesetz der Liebe und der Ehe zu tun haben, sofern sie auch und im Besonderen die Regel des Seins und Verhaltens eines bestimmten Mannes im Verhältnis zu seiner, einer bestimmten Frau, sein muß und umgekehrt. Aber die Frau ist die Partnerin auch des ledigen Mannes nicht in Gestalt der Frau im allgemeinen, nicht in Gestalt einer Idee der Frau, gerade nicht als Maria, sondern je die konkrete, bestimmte Gestalt der so oder so auch ihm begegnenden Frau. Sie begegnet ja tatsächlich auch ihm, ist in irgendeiner Nähe oder Ferne in mannigfachster Gestalt unübersehbar auch für ihn da, auch wenn sie als Liebes- und Ehegefährtin für ihn nun eben nicht in Frage kommt. Frau ist sie auch für ihn, auch als Mutter, Schwester, Bekannte, Freundin, Arbeitsgefährtin, wie sie ja auch für den durch Liebe und Ehe schon gebundenen Mann in allen diesen und anderen Gestalten auch – und immer gerade als Frau – auch da ist. Und so ist der Mann zweifellos der Partner auch der ledigen Frau: nicht (hoffentlich gerade nicht!) als Inbegriff, als männliche Idealgestalt, nicht als «himmlischer Bräutigam» und dergleichen, sondern der wirkliche Mann, wie er in konkreten bestimmten Gestalten, nicht als Liebes- und Ehegefährte, aber in Verwandtschaft, Bekanntschaft, Freundschaft und Beruf durchaus als Mann auch ihr begegnet, genau so, wie er übrigens auch der speziell und individuell gebundenen Frau beständig begegnet. Daß der Mann mit der Frau, die Frau mit dem Manne ist und auch sein soll, das gilt auf dem ganzen in Frage stehenden Felde, und die erste und grundlegende Formulierung des Gebotes, das hier in Geltung steht, dürfte also in dieser Hinsicht dahin lauten: daß sich doch, ob sie in Liebe und Ehe, oder ob sie ohne diese Bindung ihren Weg gehen, jede Frau und jeder Mann dazu verpflichtet wisse, bewußt und willig in dieser Beziehung zu leben, ihr Sein nicht abstrakt als das ihrige, sondern als Mitsein zu verstehen und als solches zu gestalten. Wogegen offenbar Alles, was in der Richtung der männlichen oder weiblichen Einsiedelei oder auch des (religiösen oder säkularen) Männer- oder Frauenordens oder gar -klosters, alles, was in der Richtung eines männlichen oder weiblichen Für sich- und Untersichseins geht – wenn es nicht ein als solcher bewusster und vorübergehender Notbehelf, wenn es irgendwie prinzipiell gemeint ist – nur klarer Ungehorsam sein kann. Die Männergemeinschaft etwa einer Kompagnie Soldaten in hohen Ehren! Aber weder der Mann noch die Frau können als solche im Ernst «für sich», weder die Männer noch die Frauen können im Ernst (in der Sprache einer vergangenen Zeit gesagt: als «Klub» oder als «Kränzchen») «unter sich» sein wollen. Wer gebietet, wer erlaubt ihnen, voreinander davonzulaufen? Daß das nicht geht, zeigt sich symptomatisch darin, daß die Sache -jedes künstlich herbeigeführte oder festgehaltene Sondersein der Geschlechter als solcher – gewöhnlich rasch und sicher muffig und obskurantisch – bei den Männern barbarisch und bei den Frauen preziös, bei beiden mehr oder weniger unmenschlich zu werden pflegt. Man wird gut tun, sich schon bei den ersten Schritten in dieser Richtung wohl in acht zu nehmen. Schon die ersten Schritte in dieser Richtung können nämlich Symptome der Krankheit der so genannten Homosexualität sein. Sie ist diejenige – physische, psychische, soziale – Krankheit, die Erscheinung der Perversion, der Dekadenz, des Zerfalls, die da eintreten kann, wo der Mensch die Geltung des göttlichen Gebotes gerade in dem von uns hier im Besonderen ins Auge gefaßten Sinn durchaus nicht wahrhaben will. Paulus hat sie Röm. 1 in Verbindung gebracht mit der Abgötterei, der Vertauschung der Wahrheit Gottes mit der Lüge, der Anbetung und Verehrung des Geschöpfs an Stelle des Schöpfers (v25). «Deshalb gab sie Gott dahin in schändliche Leidenschaften; ihre Frauen vertauschten nämlich den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso verließen auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau zugunsten einer Brunst untereinander – Männer mit Männern, Schande treibend – und empfingen in sich selbst den verdienten Lohn ihrer Verirrung» (v 26-27). Homosexualität ist eine letzte Konsequenz. Aus der Verkennung Gottes folgt die Verkennung des Menschen, folgt jene «Humanität ohne den Mitmenschen» (KD III, 2 S. 274 ff.), folgt – da Humanität als Mitmenschlichkeit in ihrer Wurzel als Mitsein des Mannes und der Frau zu verstehen und zu gestalten wäre – als Wurzel solcher Inhumanität das Ideal einer frauenfreien Männlichkeit und einer männerfreien Weiblichkeit, folgt endlich (weil die Natur – nein, der Schöpfer der Natur nicht mit sich spaßen läßt, weil der verschmähte Mitmensch nun doch da ist, weil auch die natürliche Ausrichtung auf ihn faktisch besteht und durchhält) die korrupte geistige und schließlich auch die korrupte physische Lust, in der – in einer Geschlechtsbeziehung, die keine ist, noch sein kann – der Mann im Manne, die Frau in der Frau so etwas wie den verschmähten Partner nun dennoch suchen zu müssen und finden zu können meint. Gewiß dann in flagrantem Widerspruch gegen Gottes Gebot! Aber es hätte keinen Sinn, den Menschen erst angesichts dieser letzten Konsequenz mit Gottes Gebot konfrontiert zu sehen, den menschlichen Ungehorsam erst da als solchen namhaft zu machen, wo jene Krankheit offen ausbricht, wo es endlich und zuletzt zu jenen widernatürlichen Vergehungen kommt. Natürlich steht Gottes Gebot auch diesen Vergehungen entgegen. Aber das ist fast zu selbstverständlich, als daß es ausdrücklich festgestellt werden müßte. Hoffentlich im Wissen um Gottes Gebot, aber auch um seine sündenvergebende Gnade werden hier der Arzt, der psychotherapeutisch geschulte Seelsorger und – zum Schutz gefährdeter Jugend – auch der Gesetzgeber und Richter ihr Bestes tun müssen. Das entscheidende Wort der christlichen Ethik aber muß in der Warnung vor dem Betreten des ganzen Weges bestehen, der dann in konkreter Homosexualität sein bitteres Ende finden kann. Er kann bekanntlich in seinen Anfängen von einem Glanz besonderer Schönheit und differenzierter Geistigkeit, ja von einem Duft von Heiligkeit umgeben sein. Es waren oft nicht die Schlechtesten, die ihn als eine Art von wunderbarer Esoterik persönlicher Lebensführung entdeckt und irgend ein Stück weit begangen haben. Und die Krankheit pflegte und pflegt auch nicht immer – und wenn sie es tut, nicht immer in häßlichen oder gar strafbaren Formen – zum Ausbruch zu kommen. Die Angst vor dem Letzten kann hier so wenig schützen und seine Verurteilung kann hier so wenig Halt gebieten wie der Gedanke an allerlei peinliche Folgen jemals einen Menschen von den Wegen der Hurerei zurückgehalten hat. Sondern gerade in jenen lichten Anfang muß die Erkenntnis und die Einschärfung des göttlichen Gebotes hineinstoßen. Dort findet die eigentliche Perversion statt, dort die ursprüngliche Dekadenz und der wahre Zerfall, wo der Mensch den Menschen des anderen Geschlechts, das heißt aber die Urgestalt des Mitmenschen nicht mehr sehen, sich nicht mehr durch ihn gefragt wissen, sich ihm gegenüber nicht mehr verantworten, sondern für sich selbst – als souveräner Mann oder als souveräne Frau – Mensch sein, seiner selbst froh sein, sich selbst genießen und genügen will. Eben der wunderbaren Esoterik jener beata solitudo stellt sich das Gebot Gottes entgegen. Eben dort hat der Mann, hat die Frau (vermeintlich in der Entdeckung des echt Menschlichen begriffen) sich offenbar das Bild eines falschen Gottes gemacht und sich in dessen Dienst begeben. Hier also muß bei einem Jeden für sich selbst und dann auch im Verhältnis zu den Anderen das Erschrecken einsetzen, die Besinnung und Aufklärung, der Protest, die Warnung, die Umkehr. Das Gebot Gottes deckt ihm – in hellem Widerspruch zu seinen eigenen Entdeckungen – unweigerlich auf, daß er als Mann gerade nur mit der Frau, als Frau gerade nur mit dem Mann zusammen echt Mensch sein kann. In dem Maß, als er sich diese Aufdeckung gefallen läßt, wird die feine und die grobe Homosexualität bei ihm keinen Raum haben können.“

(In Auszügen zitiert aus Karl Barth, Kirchliche Dogmatik III, 4, S. 181-183, TVZ, Zürich 1969, §54 Freiheit in der Gemeinschaft, 1. Mann und Frau)

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Donnerstag 24. Mai 2012 um 10:19 und abgelegt unter Sexualethik.