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„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.“ (Predigt über Jesaja 43,1-5)

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst.“ (Predigt über Jesaja 43,1-5)

Liebe Gemeinde!

Es ist sicherlich für uns alle sehr bewegend, daß wir hier an diesem Ort (Schweidnitz/Schlesien) in dieser wunderschönen Kirche  diesen Gottesdienst feiern dürfen. Es ist ein Ort, an dem wir heute mit polnischen Christen und ihrem Pfarrer Waldemar Pytel in der Verbundenheit unseres gemeinsamen Glauben vor Gott stehen. Auch in dieser Kirche steht uns Kreisau vor Augen, der Ort, der schmerzliche Erinnerungen wachruft, an dem aber in einem der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte christliche Wahrheit, Demut und Liebe aufleuchteten. Als Predigttext habe ich einen Abschnitt aus dem Propheten Jesaja ausgewählt:

„Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt,weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln…“ (Jesaja 43,1-5)

Warum dieser Bibeltext? Er enthält einen Abschnitt, den Helmuth James Graf von Moltke in einem seiner letzten Briefe an seine Frau zitierte.  Aber dazu später mehr. Der vorliegende Schriftabschnitt entfaltet, was im ersten Vers in Schlichtheit und Klarheit gesagt ist:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ (1)

Einigen von Ihnen wird dieser Bibelvers seit der Kindheit vertraut sein. Manche haben ihn auswendig gelernt oder können ihn auf dem Schmuckblatt nachlesen, das sie zum Tag der Konfirmation bekommen haben. Unzählige Male sind diese alttestamentlichen Worte bei Taufgottesdiensten und bei Beerdigungen ausgelegt worden.

Wie kam es zu diesem Zuspruch? Hier muß ich ein bißchen weiter ausholen und für einen Augenblick in die Vergangenheit Israels zurückblenden. Gut zweieinhalbtausend Jahre ist es her, da wollte der  kleine König in Jerusalem ganz große Politik machen. Er wollte nicht mehr abhängig sein von der babylonischen Großmacht im Osten und sagte sich von ihr los. Doch dann kamen die Armeen aus dem Osten und Blut floß in Jerusalem. Die Soldateska raubte und mordete tagelang. Die Bevölkerung wurde – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in die Sklaverei nach Babylon geführt.

40 Jahre währte diese Zeit der Demütigung. Dann kam die Wende. Im Jahr 539 v. Chr. – also vor genau 2.550 Jahren – besiegte Kyrus, der König der Perser und Meder, die Babylonier und erlaubte ein Jahr später den Israeliten die Rückkehr in ihre Heimat.  Jesaja ermutigt nun sein Volk, die Mühen und Strapazen der Rückkehr auf sich zu nehmen. Er erinnert sein Volk daran, daß Gott doch auch in der Vergangenheit deutlich und mächtig zu seinem erwählten Volk stand:

 „Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. Ich gebe Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben.“ (3-4)

Diesen Hintergrund muß man sehen, wenn man diese bekannten Worte hört: „Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (1) Dieser Zuspruch sagt in sehr prägnanter Weise, was nicht nur dem Volk Gottes damals, sondern auch dem Volk Gottes heute und jedem Menschen im Glauben gilt.

1. Fürchte dich nicht!

Über hundertmal hören wir in der Bibel dieses Mut machende Wort:

Fürchte dich nicht!
Fürchtet euch nicht!

Von Natur aus haben wir gelegentlich Furcht und Angst. In gewisser Weise müssen wir sie sogar haben. Warum? Hätten wir z.B. keine Furcht vor Schmerzen und Verletzungen, so würden wir viel leichtsinniger leben und unser Leben eben dadurch gefährden.

Furcht und Angst sind zu unterscheiden. Furcht bezieht sich immer auf etwas Konkretes, das man eben fürchtet, während Angst sich auch auf etwas Unbestimmtes beziehen kann. Der schwache Schüler fürchtet die Mathematikarbeit und hofft, daß sie ausfällt.

Der Arbeiter fürchtet die Wegrationalisierung seines Arbeitsplatzes und hofft dennoch, ihn zu behalten oder einen anderen gleichwertigen Platz zu bekommen.

Viele unserer Zeitgenossen fürchten den Zusammenbruch unseres Finanzsystems und hoffen doch zugleich, daß es nicht zu dieser Katastrophe kommen möge.

Der Gegenstand der Furcht ist also faßbar, meist auch überschaubar. Wir sind der Furcht nicht wehrlos ausgeliefert, weil wir in vielen Fällen Gegenmaßnahmen ergreifen können, aber auch, weil wir wissen, daß wir in Gott geborgen sind. Darum: Fürchte dich nicht!

Wer aber kein Vertrauen hat zu Gegenmaßnahmen und obendrein nicht an Gott glaubt, der gerät leichter in den Sog der Angst. Der 1986 verstorbene Hamburger Theologe Helmut Thielicke hat einmal sehr treffend geschrieben:“Angst ist das Grundgefühl des Menschen, der sich von Gott gelöst hat.“ Alle Ängste sind im Grunde Verlust-ängste sind, genauer gesagt: Befürchtungen, daß etwas, was uns wichtig ist, verlorengehen könnte, z.B.

– die Gesundheit,
– Menschen, an denen man hängt,
– die Arbeit,
– der Lebensstandard,
– der Besitz,
– der gute Ruf.

Wenn uns die Bibel sagt: „Fürchte dich nicht!“, dann ist das nicht die billige Vertröstung so nach dem Motto:“Alles ist nur halb so schlimm!“, sondern es ist die Zusage gerade angesichts des Schlimmen und Bösen: „Alle eure Sorge werft auf ihn (auf Gott), denn er sorgt für euch.“

Wie tröstlich der biblische Zuspruch wirken kann, dafür ein bewegendes Beispiel:  Helmuth James Graf von Moltke wurde als Begründer des Kreisauer Kreises verhaftet und vom sog. Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Roland Freisler zum Tode verurteilt. Moltke schrieb nach der  Gerichtsverhandlung am 10. Januar 1945 an seine Frau Freya:

„Wie gnädig ist der Herr mit mir gewesen! Selbst auf die Gefahr hin, daß das hysterisch klingt: ich bin so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz. Er hat mich die zwei Tage so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können, wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es hätte mir gar nichts gemacht; es war wirklich so, wie es im Jesaja 43,2 heißt: Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, daß dich die Ströme sollen nicht ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. – Nämlich Deine Seele.“ (Helmuth James Graf von Moltke: Letzte Briefe aus dem Gefängnis in Tegel. Berlin 1965, S. 43f.)

Ist es nicht im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar, wie der Zuspruch des Wortes Gottes einen Menschen führen und stärken kann? Darum: Fürchte dich nicht!

2. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.    

Der Name, den wir tragen, ist ein Ausdruck dafür, daß unser Leben etwas Besonderes, Einmaliges, Unverwechselbares ist. Zwar werden wir in dieser Welt um der Statistik willen manchmal gezählt und bei Behörden unter einer Ziffer registriert. Aber kein Mensch ist eine bloße Nummer. Der Name steht stellvertretend für das, was unser Leben ausmacht.

 „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“

 Wir wollen nicht verschweigen, daß es auch unangenehm sein kann, von Gott gerufen zu werden. Denken Sie, um nur ein Beispiel zu nennen, an die Sündenfallgeschichte auf den ersten Seiten der Bibel. Da ruft Gott Adam bei seinem Namen:

 „Adam, wo bist du?“ (1. Mose 3,9)

Das hört Adam in diesem Augenblick gar nicht gern. Denn er weiß, daß er Gottes Gebot übertreten hat. Darum versteckt er sich, als ob man sich vor Gott verstecken könnte!

Die Männer und Frauen, die sich hier in der Nähe, in Kreisau, sammelten, um Widerstand zu leisten gegen ein verbrecherisches Regime und Überlegungen für eine Neuordnung Deutschlands nach dem zu erwartenden Zusammenbruch des Dritten Reiches zu organisieren, haben sich nicht vor Gott weggeduckt, als sie den Ruf hörten:

Mensch, wo bist du?
Mensch, wo bist du in einer so unmenschlich gewordenen Welt?

Sie haben auf diesen Ruf geantwortet. Sie haben damit – im wahrsten Sinne des Wortes – Verantwortung übernommen. Verantwortung bedeutet nämlich Antwort geben. Wem? Doch nicht sich selbst in einem Selbstgespräch, sondern dem, der uns ins Leben gerufen hat, der das Leben bewahren will, aber auch Rechenschaft über dieses Lebens von uns fordert.

Wenn dieser Bezug mißachtet wird, wenn Gott nicht mehr die letztgültige Autorität und der Herr des Lebens ist, dann bleibt den Menschen nichts anderes übrig, als sich selbst zum Maß aller Dinge zu machen. Sich selbst zum Herrn machen, das bedeutet: selbst-herrlich zu werden. Wohin das führt, das wußte man in Kreisau. Davor graute es den Männern und Frauen des Kreisauer Kreises.

Nicht zuletzt unter diesem Eindruck einer verblendeten Selbstherrlichkeit haben nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die Väter unserer deutschen Verfassung, unserem Grundgesetz eine Präambel vorangestellt, die mit den Worten beginnt:

„In der Verantwortung vor Gott und den Menschen…“

Adam, wo bist du?
Mensch, wo bist du?

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“

Wie oft haben wir seinem Wort und Willen zuwidergehandelt!? Hier hilft nur ein ehrliches Geständnis und die aufrichtige Bitte um Vergebung. Wie befreiend wirkt es dann, wenn wir diesen Zuspruch hören dürfen.

3. Ich habe dich erlöst.

„Erlöser“ ist im Alten Testament kein religiöser Begriff, sondern bezeichnet im Familienrecht den nächsten haftpflichtigen Blutsverwandten, der mit seiner Person eintreten muß im Falle einer Verschuldung.  Das alles war im alten Israel peinlich genau geregelt. Aber kann so eine Schuld und ihre Folgen wirklich beseitigt werden? Jesus ging darum einen Schritt weiter. Schuld kann nur getilgt werden durch die Vergebung. Jesus ging sogar so  weit, daß er in der Bergpredigt sagen konnte: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“ (Matthäus 5,44)

Darum wurde Gott Mensch in Jesus Christus, um uns diese schlichte Tatsache unüberbietbar deutlich ans Herz zu legen, daß Vergebung für uns im wahrsten Sinne des Wortes not-wendig ist. Es ist doch so, daß wir auch im besten Leben und bei den allerbesten Vorsätzen aneinander schuldig werden.

Warum? Weil wir Menschen – so wie wir seit Adam und Eva von unserer Natur aus sind -, nicht in jedem Fall dem anderen das geben oder sein können, was da von uns erwartet wird. So bleiben wir dem andern etwas schuldig – und werden dadurch irgendwann auch an ihm schuldig.

Da gibt es nur einen Ausweg: die von Herzen kommende Bitte um Vergebung, so wie wir es im Vaterunser beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“

Die froh machende Gewißheit dieser Vergebung aber kommt allein aus dem Vertrauen zu dem, der sich dafür in seinem Wort verbürgt hat: „Ich habe dich erlöst.“

Diese Tatsache ist die wichtigste Botschaft der Bibel. Aus diesem Grund beginnt der Heidelberger Katechismus von 1563, eine besonders wichtige Bekenntnisschrift der Christen in der Reformierten Kirche, mit der Frage:

„Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?“

 Antwort: „Daß ich mit Leib und Seele, beides, im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin, der mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst hat…“  Vor diesem Hintergrund gilt die letzte große Aussage unseres Predigttextes:

4. Du bist mein.

Kürzer, unmittelbarer, einprägsamer kann es gar nicht ausgedrückt werden, was das Evangelium für unser Leben bedeutet. Glaube ist nicht eine Theorie, eine Philosophie, ein Gedankengebäude, sondern eine ganz persönliche Beziehung, wie sie sich in diesen drei Worten ausdrückt:

„Du bist mein.“

In diesem Zusammenhang ist an die Taufe zu erinnern. Ich gehöre durch die Taufe zu Jesus Christus. Er ist mein Herr, er ist mein Heiland. Er hat mir sein Wort gegeben, daß mich nichts aus seiner Hand reißen wird, wenn ich bei ihm bleiben will. Hier liegt der Schlüssel zu dem, wonach sich wohl jeder Mensch sehnt.Wonach sehnt sich jeder Mensch? Ich denke: jeder sehnt sich nach Zufriedenheit. Aber wodurch werden wir zufrieden?

– Durch Gesundheit?
– Durch Sicherheit?
– Durch Gut und Geld?
– Durch sinnvolle Tätigkeit?
– Durch Familie und gute Freunde?

Das sind alles ganz wichtige Voraussetzungen für ein glückliches, harmonisches Leben. Aber Sie alle kennen doch genügend Menschen, die das alles haben, die aber deshalb nicht automatisch zufrieden sind. Wirklich zufrieden werden wir sein, wenn wir aus der Gemeinschaft mit Jesus den Frieden bekommen, der von ihm ausgeht. Paulus schreibt an die Gemeinde in Ephesus: „Er ist unser Friede.“ (Epheser 2,14)

Wer so im Glauben geborgen ist, ist deshalb nicht blauäugig. Er sieht durchaus, was an Problemen da ist. Er sieht die Nöte und Sorgen. Aber sie haben keine Gewalt mehr über ihn. Er kann sie hinter sich lassen, wie das Graf Moltke so wunderbar erfahren hat.

Ich möchte uns dazu abschließend ein Bild von Albrecht Dürer vor Augen stellen, das viele von uns kennen: seinen Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“. Im Vordergrund sieht man einen Ritter auf seinem Pferd. Am Wegesrand lauern Tod und Teufel. Der Ritter würdigt sie keines Blickes. Er reitet auf seine Burg zu. Für uns ist diese feste Burg Gott selbst. Ist unser Blick inmitten aller Anfechtungen und Gefahren und Sorgen auch so fest auf diese feste Burg gerichtet?

Die Zusage „Du bist mein!“ gibt eine herrliche Gelassenheit, gibt die Zuversicht und die Kraft, die ich uns allen von ganzem Herzen wünsche. „Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Amen .

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal aus dem vorhin in der Predigt zitierten Brief von Helmuth James Graf Moltke an seine Frau Freya einen Abschnitt lesen:

„Mir war, als ich zum Schlußwort aufgerufen wurde, so zumute, daß ich beinahe gesagt hätte: Ich habe nur eines zu meiner Verteidigung anzuführen; nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahren dahin, sie haben’s kein Gewinn, das Reich muß uns doch bleiben. Aber das hätte doch die andern nur belastet; so sagte ich nur: ich habe nicht die Absicht, etwas zu sagen, Herr Präsident.“

Pastor Jens Motschmann, Predigt am 15. Sonntag nach Trinitatis (2. Oktober 2011) in der Friedenskirche zu Schweidnitz/Schlesien