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Beendet die Diskriminierung der Alten!

Beendet die Diskriminierung der Alten!

Kirchlicher Notstand im größten deutschen Bundesland: Noch nie konnten in den Landeskirchen Lippe (nur 7% der Gemeinden), Westfalen (23%) und Rheinland (50%) so wenige Wahlen zum Presbyterium stattfinden wie am 5. Februar. Der Grund: Es gab zu wenige Kandidaten! Von daher muss neu darüber nachgedacht werden, wie Gemeindeglieder für die ehrenamtliche Mitarbeit in der Gemeinde motiviert werden können. Dabei sollte man vor allem an die Altersgruppe denken, die Zeit für ehrenamtliche Tätigkeiten hat: die Älteren. Eine erste Maßnahme könnte sein, unverzüglich die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass auch über-70-jährige Gemeindeglieder als Kandidaten für die Presbyteriumswahl zugelassen werden. Denn bisher kann man nur bis 75 Mitglied im Kirchenvorstand sein. Dann ist angeblich die Grenze erreicht, bei der einem Gemeindeglied ein verantwortlicher Dienst in der Gemeinde zugemutet werden kann.

Erfolgreiche Meinungsmacher sind 93 und 75

Warum eigentlich? Der Herausgeber der größten deutschen Wochenzeitung, „Die Zeit“, Helmut Schmidt, ist nicht nur Deutschlands angesehenster Gast in Fernsehrunden – sondern auch 93. Der Herausgeber des Magazins „Focus“, Helmut Markwort, ist 75 – und täglich in der Redaktion. Zahllose katholische Bischöfe sind mit über 75 im Amt – und keiner sagt, dass es deshalb der Kirche schlechter gehe. Der Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Otto Dibelius (1880–1967), gab 1966 im Alter von 85 Jahren das Bischofsamt ab. 1945 – als er dieses Amt antrat – war er bereits 65 Jahre alt. Und Dibelius war zweifellos einer der bedeutendsten Bischöfe der Nachkriegszeit überhaupt.

Nie war eine alte Generation so fit wie heute

Die Zahl 75 entspricht weder der Tatsache, dass die allgemeine Lebenserwartung stark gestiegen ist, noch respektiert sie die Fähigkeiten vieler Senioren, aktiv an der Gestaltung des kirchlichen Lebens teilzunehmen. Die heutige ältere Generation ist geistig und körperlich so fit wie keine ältere Generation vor ihr! Manchen Kirchenleitern scheint es nicht bewusst zu sein, dass sie mit einer starren Altersgrenze von 75 – ungewollt – Gemeindeglieder ausgrenzen und damit die Älteren diskriminieren. Wieso sollten Mitsiebziger oder Achtzigjährige nicht in der Lage sein, wesentliche Aufgaben in der Gemeinde zu übernehmen? Wir sollten diejenigen, die das wollen und können, doch nicht daran hindern.

Es wird höchste Zeit für kirchliche Änderungen

Das müsste übrigens auch mit Blick auf die hauptamtlichen Dienste in der Kirche gelten: Warum muss ein Pfarrer mit 65 oder spätestens 67 Jahren in Pension gehen, wenn er körperlich und geistig rüstig ist und seinen Dienst fortsetzen möchte? Es wird höchste Zeit, dass wir in der Kirche einen anderen Umgang mit älteren Menschen pflegen. Zum „Europäischen Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen“, das vom Europä­ischen Parlament ausgerufen worden ist, sollten daher auch die Kirchen ihre bisherige Praxis ändern.

Pastor Jens Motschmann (69) ist stellvertretender Vorsitzender des Gemeindehilfsbundes und Vorsitzender der Senioren-Union im Bundesland Bremen.

Zuerst erschienen in: idea-Spektrum, Nr. 7 vom 15. Februar 2012 (www.idea.de [1])