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Das Kamel und das Nadelöhr: Ist das Christentum gegen die Marktwirtschaft?

Mittwoch 22. Februar 2012 von Dr. Christoph Sprich


Dr. Christoph Sprich

Das Kamel und das Nadelöhr: Ist das Christentum gegen die Marktwirtschaft?

Bibelstellen wie die vom reichen Jüngling kritisieren scheinbar Eigentum und wirtschaftlichen Erfolg. Andererseits fordert die Bibel zu Tüchtigkeit auf. Es kommt darauf an, Bibelstellen in ihrem Zusammenhang zu verstehen. Das Neue Testament ist keine Sozialordnung. Aber es zeigt auf, dass der Sinn des Lebens nicht im wirtschaftlichen Erfolg liegt.

Gewinnstreben, Unternehmertum und Privateigentum sind mit dem Christentum unvereinbar. Jesus selbst war ein mittelloser Wanderprediger und predigte den Verzicht auf Reichtum. Die ersten Christen verkauften alles, was sie hatten. So ist es von Liberalen und Sozialisten manchmal zu hören, wenn es um das Christentum geht. Und tatsächlich ist es erstaunlich, wie oft die Bibel und Jesus von Geld spricht, häufig mit einem warnenden Unterton. Aus liberaler Sicht könnte deshalb das Christentum kritisch betrachtet werden, aus christlicher Sicht gerät der Kapitalismus unter Verdacht. Andererseits sind Liberalismus, Demokratie und Kapitalismus im christlichen Abendland entstanden, die Idee des Privateigentums ist nirgends stärker verwirklicht als in der westlichen Welt. Und wie kommt es, dass sich so viele marktwirtschaftliche und liberale Denker zum Christentum bekannten? Und warum sind viele exponierte Christen gleichzeitig erfolgreiche Unternehmer oder treten für die Marktwirtschaft ein? Zeigt sich hier etwa die Verlogenheit des Christentums?

Zur Verdeutlichung der Eigentumsfeindlichkeit des Christentums wird häufig die bekannte Bibelstelle vom reichen Jüngling in Markus 10,25 angeführt: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme.“[i] Auch für eifrige Bibelleser ist das eine schwierige Stelle. Manche Ausleger wollen sich damit begnügen, dass Jesus von einem Tor in der Stadtmauer gesprochen hat, dass im Volksmund das „Nadelöhr“ genannt wurde. Damit wäre für Liberale das „Problem“ einfach gelöst: Das Kamel kann sich ja einfach ein wenig bücken. Aber Jesus benutzte gerade dann eine überdeutliche und klare Bildsprache, wenn er mit dem inneren Widerstand der Zuhörer rechnete. So war es auch hier. Denn wir lesen, dass selbst seine Jünger über die Worte ihres Herrn „entsetzt“ waren (V. 26). Außerdem passt das Bild vom Nadelöhr in seiner Dramatik durchaus schlüssig zu anderen Bibelstellten. So stellt Jesus in Lukas 14,33 klar, dass ein Jünger sich von allem lossagen muss, was er hat. Und in Matthäus 8,20 hebt er seine eigene vollständige Mittellosigkeit hervor. Jesus muss es irgendwie also so gemeint haben, wie wir es dort lesen.

Müssen Christen also zwangsläufig ihr Hab und Gut verkaufen, um gute Christen sein zu können? Die Apostel haben, soweit wir lesen, tatsächlich spontan alles hinter sich gelassen, als sie mit dem lebendigen Gott in der Person Jesu in Kontakt kamen. Andererseits berichtet das Neue Testament von Gläubigen, die nicht mittellos waren. Wir finden hohe Beamte und Hauptleute, und auch Joseph von Arimatäa, der das Grab für Jesus bereitstellte, dürfte nicht arm gewesen sein. Paulus hebt mehrfach die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit hervor, in 2. Thessalonicher 3,10 sagt er sogar „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“ Denn auch in der Zeit nach Jesus gilt weiterhin der Schöpfungsauftrag Gottes an die Menschen. Der Mensch ist nach biblischem Verständnis geschaffen, um die Erde zu bebauen und zu bewahren.[ii] Dieser Auftrag reicht weit über den Bereich der Landwirtschaft hinaus und erstreckt sich auf die wirtschaftliche Tätigkeit insgesamt, wobei die Früchte der menschlichen Arbeit nach biblischem Verständnis durch Privateigentum gesichert sind.[iii] Wie ist also das Verhältnis von Christentum und Privateigentum? Kehrt Jesus den biblischen Schöpfungsauftrag um, resultiert daraus eine neue, eigentumsfeindliche Wirtschaftsordnung?

Eine Frage der Wertschätzung: Himmel oder Erde?

Bibelstellen können nie isoliert verstanden werden, man muss sie in ihrem Zusammenhang sehen. Die Aussage vom Kamel und dem Nadelöhr richtete Jesus ganz konkret an einen jungen Mann, der ihn gefragt hatte, wie er wohl in den Himmel kommen könne. Dieser reiche Jüngling sagte zu Jesus, dass er sich bereits an Gottes Gebote hält und will wissen, was er nun noch tun muss. In der Antwort auf diese Frage liegt der Schlüssel zum Verständnis der Bibelstelle! Die Bibel trägt den Gläubigen zwar auf, ihr Leben in moralischer und auch in wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll zu gestalten. Aber der einzige Weg ins Himmelreich ist nach biblischem Verständnis, Jesus nachzufolgen! In Johannes 14,6 sagt Jesus unmissverständlich: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Der reiche Jüngling steht diesem Weg in der Person Jesus direkt gegenüber. Er ist es, was ihm noch fehlt, wenn er ewiges Leben erlangen will.

Jesus stellt ihn nun vor die Wahl und sagt ihm, er solle verkaufen, was er hat und fordert ihn auf, ihm nachzufolgen (V. 21). Der Jüngling hat jetzt die Möglichkeit, zu beweisen, ob er es ernst meint mit seinem Wunsch, in den Himmel zu kommen. Ist er wirklich bereit ist, seine Stellung in der zeitlichen Welt hinter sich zu lassen, wenn ihm Gott persönlich die Ewigkeit anbietet? Doch obwohl dem jungen Mann Gott in der Person Jesu direkt gegenübersteht und für ihn der Weg zur ewigen Glückseligkeit zum Greifen nah ist, kann er sich nicht von seinen zeitlichen Gütern losreißen. Denn, so lesen wir dort, er wurde unmutig und ging traurig davon (V. 22). Er schlug das Angebot eines ewigen Platzes an der Seite Gottes im Himmel aus, das sich ihm in einer historisch einmaligen Situation geboten hatte, weil ihm seine vergänglichen Güter zu wichtig waren. Seine Leistung in der vergänglichen Welt war ihm wichtiger als ein Platz in der himmlischen Ewigkeit. Nicht seine Besitztümer versperrten ihm den Weg in den Himmel – sondern seine fehlende Wertschätzung des Angebots des ewigen Lebens.

Wir sind heute in einer anderen Situation. Jesus steht uns nicht leibhaftig gegenüber und fordert uns zum Verzicht auf. Wir stehen nicht vor der gleichen Entscheidungssituation wie der reiche Jüngling. Dennoch gilt auch für uns die Botschaft: Die Ewigkeit zählt mehr als die kurze Zeit auf Erden. Und: An der Himmelspforte zählt nicht Reichtum und gutes Benehmen, sondern unsere Haltung zu Jesus. Und hier ist eine persönliche Entscheidung notwendig. Ohne diese Entscheidung werden wir genauso wenig in das Himmelreich kommen wie der reiche Jüngling. Aber auch diese Entscheidung entbindet uns nicht davon, auf weltliche Dinge zu achten.

Keine Wirtschaftsordnung, Einordnung des Wirtschaftlichen

Die Bibel ist keine Sozialordnung.[iv] Sie skizziert kein Regierungssystem und keine Wirtschaftsordnung. Jesus äußert sich nicht zu Sozialismus oder Kapitalismus und er würde es auch heute nicht tun. Gott lässt dem Menschen hier viel Freiheit, einen Gestaltungsspielraum. Aber die Bibel ermahnt uns an vielen Stellen, in unserer Zeit auf der Erde tüchtig zu sein. Und sie schützt Privateigentum. Nicht umsonst wirken sich christliche Überzeugungen in einem Volk positiv auf die Wirtschaftsentwicklung aus und nicht umsonst ist die Marktwirtschaft vor allem im christlichen Kulturraum groß geworden.[v] Die Bibel ist auf keinen Fall ein kommunistisches Manifest, sie liefert keine Rechtfertigung für soziale Revolutionen oder für weltlichen Totalverzicht.

Jesus stellte vielmehr eine grundsätzlichere, die existenzielle Frage in den Mittelpunkt. Dabei verwendete er drastische Bilder um auf keinen Fall falsch verstanden zu werden. Er macht klar, dass wirtschaftliche Aktivität kein Selbstzweck ist, dass die Bestimmung des Menschen nicht in der Erwirtschaftung von Gütern liegt und dass der Mensch von höherer Warte letztlich nicht nach seinem weltlichen Erfolg beurteilt wird. Arme Menschen haben das gleiche Anrecht auf einen Platz im Himmel wie reiche Menschen. Für den reichen Menschen gilt genauso wie für den Bettelmönch und für den Sozialist die Botschaft der Bibel: Er ist der Weg und die Wahrheit und das Leben.[vi]

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[i] Luther Ãœbersetzung 1984.

[ii] Das gilt für die ursprüngliche Schöpfung, also für das Paradies (1. Mose 2,15) und nach der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies (1. Mose 3, 23).

[iii] So heißt es im siebten Gebot unmissverständlich „Du sollst nicht stehlen.“ (2. Mose 20,15).

[iv] Nutzinger, H. (2005). Im Reich Gottes geht es anders zu. Das Neue Testament eignet sich nur wenig zur Ableitung eines unmittelbaren ordnungspolitischen Anspruchs. Frankfurter Allgemeine Zeitung. Frankfurt: 13.

[v] Weber, M. (1905/2005). Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Erftstadt, Area Verlag.; North, D. (2005). Understanding the Process of Economic Change. Princeton, Princeton University Press.

[vi] Johannes 14,6

Dr. Christoph Sprich (Quelle: www.freiewelt.net)

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Dieser Beitrag wurde erstellt am Mittwoch 22. Februar 2012 um 9:34 und abgelegt unter Gesellschaft / Politik, Wirtschaftsethik.