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Nachhaltig kinderlos

Nachhaltig kinderlos

Prozentual zum Anteil der Gesamtbevölkerung hat Deutschland die geringste Kinderzahl in Europa. Wir müssen rigoros umdenken: Familien brauchen Geld, Kinder brauchen Rechte.

Nachhaltigkeit ist das Schlagwort der Stunde. Was beim ökologischen Bewusstsein beginnt, macht vor der demografischen Entwicklung nicht halt. Das Problem beginnt jedoch bereits bei der Definition. Denn was ist nachhaltige Familienpolitik? Eine, die möglichst viele Familien hervorruft? Dann müssten wir definieren, was Familie im Sinne von Art. 6 GG ist – ganz schwieriges Terrain. Oder etwa eine, die Familien möglichst lange zusammenhält? Die Scheidungsraten, Singlehaushalte und Alleinerziehenden sprechen eine andere Sprache. Oder doch eine, die möglichst viele Kinder hervorruft? Dann wären wir jedenfalls familienpolitisch komplett gescheitert.

Angst, irgendeine Patchwork-Konstellation auszuschließen

Nirgendwo in Europa leben weniger Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren als bei uns. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes offenbarten im Sommer 2011: Deutschland ist Schlusslicht der Tabelle mit nur 16,5 Prozent. Zum Vergleich: In der Türkei beträgt der Anteil exorbitante 31,2 Prozent. In Frankreich sind es 22 und auch in Großbritannien, Norwegen oder Schweden sind es über 20.

Sicher ist, dass unsere Politik es schon lange aufgegeben hat, zu definieren, was Familie ist. Zu groß ist die Angst, irgendeine Patchwork-Konstellation aus dem fröhlichen Familienhappening auszuschließen, also hat man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt: Es müssen mehr Kinder her. Dumm nur, dass der Rückschluss mehr Kinderbetreuung gleich mehr Kinder bei uns nicht funktioniert. Wir bleiben trotzdem bei statistischen 1,36 Kindern pro Frau, was sich in den nächsten Jahrzehnten noch verschärfen wird: Denn alle heute nicht geborenen Mädchen bekommen morgen auch keine Kinder.

Wir fördern die, die es nicht brauchen

Wenn wir aber sowieso nicht mehr auf die Form der Familie Rücksicht nehmen, warum unterstützen wir dann nicht wenigstens jede Familienkonstellation mit Kindern und schauen, was daraus wird? Zum Beispiel mit einem Familiensplitting, bei dem jede Person im Haushalt gleich viel zählt, die steuerliche Belastung von Haushalten mit Kindern sinkt und vielleicht sind dann auch mehr Kinder drin? In Frankreich funktioniert ein vergleichbares System und die Zahl der Mehrkindfamilien, die bei uns sinkt, steigt dort.

Und wir sollten aufhören, die Familien zu fördern, die unsere Unterstützung am wenigsten brauchen. Genau dies System verfolgen wir leider konsequent: Kinderkriegen lohnt sich finanziell am meisten, wenn man schon viele Jahre in einen guten Job investiert hat. Die jungen Leute in Ausbildung und mit geringem Einkommen profitieren am wenigsten vom Elterngeld, bräuchten es aber am dringendsten. Man müsste es genau umkehren. Denn wer mit 20 anfängt, Kinder zu bekommen, hat Potenzial für mehr Nachwuchs, als das Paar, das ab 35 künstlich befruchtet.

Die Machtverteilung im Land würde sich massiv ändern

Nicht zuletzt sprechen wir ja gerne über Familien, aber nicht mit ihnen. Unser Haushalt hat sechs Personen, aber nur zwei Wahlstimmen, mit denen wir über die Zukunft bestimmen können, in die wir unsere vier Kinder entlassen. Dabei bürden wir ihnen einseitig Lasten auf in einem Generationenvertrag, in dem sie nichts zu melden haben. Obwohl schon mehrfach interfraktionell und mit prominenter Besetzung im Bundestag eingebracht, hat das Wahlrecht ab Geburt, vertreten durch die Eltern, nie eine echte Chance bekommen.

Kein Wunder, die Machtverteilung im Land würde sich massiv verschieben – vergleichbar mit der Einführung des Frauenwahlrechtes. Dabei wäre es nur fair und kostet kein Geld – aber eventuell so manchen etablierten und lieb gewonnenen Stuhl im Bundestag. Gebt den Kindern endlich eine Stimme, sie sind unsere Zukunft, oder, um es mit Grönemeyer zu sagen: Kinder an die Macht!

Birgit Kelle, 12.01.2012

Quelle: The European [1]